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physio-Journal I 3/2015

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VORGESTELLT<br />

Berufliche Fachrichtung<br />

Gesundheit –<br />

Das System verstehen<br />

Aufbauend auf dem gesundheitswissenschaftlichen<br />

und statistischen Grundwissen<br />

geht es im Bereich der Gesundheitswissenschaften<br />

um Prävention, Gesundheitsförderung,<br />

Gesundheitsversorgung, Gesundheitspsychologie<br />

und Gesundheitspolitik. Es geht<br />

um sozialwissenschaftliche Grundlagen, um<br />

Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung.<br />

Mit dem notwendigen Wissen ausgestattet<br />

geht es, wie in allen drei Bereichen,<br />

an aktuelle deutsche, aber auch internationale<br />

Studien. Immer mit dem Auge des kritischen<br />

Lesers und der Absicht, das Detail<br />

einer Studie zu durchdringen, um sie richtig<br />

zu bewerten und zu interpretieren. Doch<br />

auch praktische Bezüge, wie die Planung<br />

von Projekten in der Prävention und Gesundheitsförderung<br />

kommen nicht zu kurz<br />

und bereichern das eigene Kompetenzprofil<br />

für das spätere Berufsleben.<br />

Das Wissen über das Gesundheitssystem,<br />

in dem man seit Jahren arbeitet, ist oft<br />

erschreckend gering. Wer sich später sicher<br />

im System bewegen will, hilfreiche Adressen<br />

und die notwendigen Zusammenhänge im<br />

Geflecht unseres Gesundheitssystems kennen<br />

will, kann es sich hier aneignen und<br />

auch direkt anwenden. Wer bezahlt was?<br />

Was ist eigentlich ein Heilmittel? Wie gelange<br />

ich an Informationen? Wie plane ich<br />

Projekte? Welche Finanzierungsmöglichkeiten<br />

gibt es? Wie evaluiere ich mein Projekt?<br />

Was nutzen mir die Ergebnisse der Gesundheitsversorgung?<br />

Wie entstehen Versorgungsdefizite?<br />

Welche Unterschiede gibt es<br />

in der Versorgung von Menschen innerhalb<br />

unseres Systems?<br />

Dabei bleibt es oft möglich, sich seinen<br />

persönlichen Schwerpunkt zu suchen und<br />

sich z. B. in einer Hausarbeit intensiv einer<br />

bestimmten Problematik zu widmen. Wenn<br />

der Aufbau des Studiums auch etwas starr<br />

wirkt und leider manchmal etwas verschult<br />

ist, eröffnet er zumindest im Bereich der inhaltlichen<br />

Vertiefung persönliche Freiräume.<br />

FACHHOCHSCHULE<br />

BIELEFELD<br />

Berufliche Fachrichtung<br />

Therapie –<br />

Therapiewissenschaften?<br />

Die Seminare und Vorlesungen in der Wissenschaft<br />

des Herkunftsberufs (Pflege, Physiooder<br />

Ergotherapie) haben einen ganz eigenen<br />

Charakter. Mit einer Gruppengröße von 10<br />

bis maximal 25 Studierenden kann konzentriert<br />

und intensiv gearbeitet werden. Physiotherapeuten<br />

und Ergotherapeuten arbeiten<br />

interdisziplinär. Doch woran eigentlich?<br />

Im Gegensatz zur alteingesessenen Berufspädagogik<br />

und den gut etablierten<br />

Gesundheitswissenschaften stecken die<br />

Therapiewissenschaften noch in den Kinderschuhen,<br />

bzw. ganz am Anfang. Dabei geht<br />

es nicht vorrangig um Effektivitätsnachweise<br />

einzelner Maßnahmen, sondern um einen<br />

Blick auf den Beruf »Therapeut/in«. Was<br />

macht eigentlich einen Therapeuten aus?<br />

Welches berufliche Selbstverständnis haben<br />

Therapeuten? Was macht uns speziell, was<br />

grenzt uns von anderen Berufen ab? Wie<br />

denken und arbeiten Physiotherapeuten, an<br />

welchen Modellen können wir uns orientieren?<br />

Warum gibt es so wenig qualitative<br />

Studien im Bereich der Therapie? Wie können<br />

wir unseren Beruf professionalisieren,<br />

wie sehen rechtliche Rahmenbedingungen<br />

aus? Wie kann man Akademisierung gestalten,<br />

ist das überhaupt der richtige Weg?<br />

Natürlich werden auch andere Fragen, wie<br />

z. B. die nach dem First contact und der Gestaltung<br />

der Berufsbildung thematisiert.<br />

Viele dieser Fragen sind noch nicht ausreichend<br />

beantwortet. Zudem gibt es wenig<br />

Literatur und wenig bis keine Forschung.<br />

Auch wenn das manchmal im ersten<br />

Moment sehr ernüchternd ist, liefert dieser<br />

Zustand viel Raum, um Dinge weiter zu<br />

denken, sie voran zu treiben, sie selbst zu<br />

untersuchen, die Übertragbarkeit von Ergebnissen<br />

aus Nachbardisziplinen zu überprüfen,<br />

eigene Konstrukte zu entwickeln<br />

und regelmäßig leidenschaftlich, oft konstruktiv,<br />

gerne mal mit konträrer Meinung,<br />

aber immer fair zu diskutieren.<br />

Praxis inbegriffen<br />

Da die große Bedeutung des Erfahrungswissens<br />

ein regelmäßig wiederkehrendes<br />

Thema im Studiengang Berufliche Bildung<br />

Therapie ist, sind im Bachelor Studiengang<br />

zwei Praxisphasen eingeplant. Ein erster<br />

Praxiseinsatz findet zur Hälfte in einer Bildungseinrichtung,<br />

meist einer Berufsfachschule,<br />

und zur anderen Hälfte in einer Versorgungseinrichtung<br />

statt und dient unter<br />

anderem zur beruflichen Orientierung und<br />

zur Verknüpfung von Theorie und Praxis.<br />

Im 5. und 6. Semester wird ein Praxisprojekt<br />

geplant und durchgeführt. Die Studierenden<br />

suchen sich dafür einen Kooperationspartner,<br />

wie z. B. Berufsfachschulen, Physiotherapie-<br />

oder Arztpraxen, Kommunen<br />

oder Verbände. Die inhaltliche Bandbreite ist<br />

groß und kann nach eigenen Interessen ausgesucht<br />

und bearbeitet werden. Nicht selten<br />

liefert das Projekt den thematischen Einstieg<br />

für die folgende Bachelorarbeit oder<br />

eine Einstiegsmöglichkeit ins Berufsleben.<br />

Und dann?<br />

Wer später in einer Bildungseinrichtung lehren<br />

möchte, hat die Möglichkeit, sich für<br />

den darauf aufbauenden und passend abgestimmten<br />

Masterstudiengang »Berufspädagogik<br />

Pflege und Therapie« zu bewerben<br />

und sein Wissen z. B. in der Curriculumentwicklung<br />

zu vertiefen.<br />

Vom Therapeut sein und<br />

Lehrer werden<br />

Die meisten studierenden Therapeuten der<br />

Fachhochschule Bielefeld sind, genau wie<br />

ich: Therapeut aus Leidenschaft. Wir haben<br />

das Studium begonnen, um uns intensiv<br />

mit unserem Beruf auseinander zu setzen.<br />

Doch nach und nach ändert sich unsere Perspektive.<br />

Wir entwickeln ein pädagogisches<br />

Selbstverständnis, wir lehren, lernen, denken<br />

über Erziehungsfragen nach, wir wählen<br />

Methoden, die zum Inhalt, zur Intention<br />

und zur Zielgruppe passen. Wir entwickeln<br />

Lernaufgaben und nehmen die Physiotherapie<br />

auch als Lehrinhalt wahr. Wir sind nicht<br />

mehr drin, wir gucken darauf. Wir werden<br />

Lehrer. Mit einem lachenden und einem<br />

weinenden Auge verändern wir unser berufliches<br />

Selbstverständnis, doch »der Therapeut«<br />

in unserem Herzen gewöhnt sich<br />

langsam an seinen Nachbarn »den Lehrer«<br />

und ich habe den Verdacht, die beiden werden<br />

noch ganz dicke Freunde.<br />

18 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>

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