physio-Journal I 3/2015
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FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
Text: Susanne Klotz<br />
DIAGNOSTIK<br />
BLUTSENKUNGSGESCHWINDIGKEIT<br />
Willkommen zu einer neuen Ausgabe unserer Diagnostik-Reihe. Ab heute wird ein neues Kapitel aufgeschlagen und<br />
wir widmen uns der Labordiagnostik. Den Anfang macht die Blut(körperchen)senkungsgeschwindigkeit (BSG). Dieses<br />
Verfahren hat viele Bezeichnungen, dementsprechend vielfältig sind auch die Abkürzungen: Neben BSG wird es auch<br />
als Blutsenkungsreaktion (BSR), Blutkörperchensenkung (BKS) oder Erythrozytensedimentationsrate (ESR) bezeichnet.<br />
Wirkmechanismus<br />
entgegensetzt, nimmt ab. Als Folge sinken die Erythrozyten-<br />
Wie ihr wisst, setzt sich das Blut zu etwa 55 % aus dem flüssigen<br />
Blutplasma und zu 45 % aus festen Blutbestandteilen<br />
zusammen. Blutplasma ist hauptsächlich Wasser (90 %), in<br />
dem Elektrolyte, Nährstoffe, Vitamine und Gase gelöst sind.<br />
Die festen Bestandteile sind rote und weiße Blutkörperchen<br />
(Erythrozyten und Leukozyten) sowie Blutplättchen (Thrombozyten).<br />
Allerdings machen Leukozyten und Thrombozyten zusammen<br />
gerade mal etwa 1 % aus, die überwiegende Mehrheit<br />
sind Erythrozyten. Bei der Blutsenkungsgeschwindigkeit<br />
wird die Geschwindigkeit gemessen, in der Erythrozyten im<br />
ungerinnbar gemachten Blut absinken. Sie reflektiert die Geschwindigkeit,<br />
mit der sich die roten Blutkörperchen aggregieren<br />
würden und ist ein unspezifisches labordiagnostisches<br />
Verfahren bei verschiedenen Erkrankungen.<br />
Doch warum sinken Erythrozyten überhaupt im Blut ab?<br />
Ausschlaggebend sind die unterschiedlichen Dichten der Blutbestandteile.<br />
Erythrozyten haben eine geringfügig höhere<br />
Dichte als Blutplasma, sinken daher in Richtung Gefäßboden.<br />
Allerdings setzt das Blutplasma den roten Blutkörperchen einen<br />
Strömungswiderstand entgegen, so dass das Absinken<br />
nur sehr langsam geschieht. Bei entzündlichen Geschehen<br />
geschieht das Absinken der Erythrozyten beschleunigt. Grund<br />
hierfür ist eine Erhöhung der Konzentration bestimmter Plasmaeiweiße,<br />
Akute-Phase-Proteine genannt. Diese Proteine<br />
verändern die Ladung des Blutplasmas an der Oberfläche<br />
Rollen schneller auf den Boden des Gefäßes. Die Menge der<br />
abgesunkenen Erythrozyten in einem bestimmten Zeitraum<br />
kann Aufschluss über den Zustand des Organismus geben.<br />
Geschichte und Verfahren<br />
Bevor wir zur Durchführung der Blutsenkungsgeschwindigkeit<br />
kommen, unternehmen wir ersteimal einen kurzen Abstecher<br />
zur Entwicklung dieses schnellen, einfach durchzuführenden<br />
und billigen Verfahrens. Die Ursprünge finden sich bereits in<br />
der griechischen Antike. Hier wurde die Sedimentationsrate<br />
von Blutzellen beobachtet um ›schlechte Körpersäfte‹ gemäß<br />
der Vier-Säfte-Lehre nachzuweisen. In der Neuzeit entdeckte<br />
der Pole Edmund Biernacki 1897 den Zusammenhang zwischen<br />
der Blutsenkungsgeschwindigkeit und dem Gesamtzustand<br />
des Organismus. Seine Erkenntnisse gerieten in Vergessenheit<br />
bis sie unabhängig voneinander 1917 vom polnischen<br />
Immunologen Ludwig Hirschfeld und 1918 vom schwedischen<br />
Hämatologen Robert Fahareus wiederentdeckt wurden. Fahareus<br />
setzte die Bestimmung der Blutsenkungsgeschwindigkeit<br />
als Schwangerschaftstest ein. 1921 entwickelte der Schwede<br />
Alf Westergren das Verfahren zur Bestimmung der Blutsenkungsgeschwindigkeit,<br />
das noch heute gebräuchlich ist und<br />
vom Internationalen Rat für Standardisierung in der Hämatologie<br />
(International Council on Standardization in Hematology)<br />
empfohlen wird.<br />
der roten Blutkörperchen. Erythrozyten<br />
Hierzu wird dem venösen Blut der Gerinnungshemmer<br />
Natriumcitrat beigefügt<br />
BSG nach Westergen<br />
sind normalerweise negativ geladen und<br />
Ø 2,5 mm<br />
stoßen sich ab. Durch die vermehrte Einschwemmung<br />
an positiv geladenen Proteinen<br />
verändert sich auch die Ladung<br />
in der Nähe der Erythrozyten. Es kommt<br />
zur Ansammlung der roten Blutkörperchen<br />
in Form sogenannter Erythrozyten-<br />
200 mm<br />
Rollen (im Englischen als Rouleaux formation<br />
bezeichnet). Die Erythrozyten<br />
Blutplasma<br />
Erythrozyten<br />
(im Verhältnis 4 : 1). Heutzutage enthalten<br />
die bei der Blutabnahme verwendeten<br />
Gefäße in der Regel bereits eine<br />
3,8%ige-Citrat-Lösung. Das Citrat-Blut<br />
wird in ein Gefäß mit einer Höhe von<br />
200 mm und einem inneren Durchmesser<br />
von 2,5 mm gegeben. Dieses Gefäß<br />
wird bei Zimmertemperatur aufrecht<br />
stapeln sich quasi übereinander. Dadurch<br />
Erythrozytenrollen<br />
steigt ihr Gewicht relativ zu ihrer Oberfläche<br />
und der Strömungswiderstand,<br />
Meßstrecke zur<br />
Bestimmung der<br />
BSG (in mm)<br />
und vibrationsfrei eine Stunde stehen<br />
gelassen. Dabei sinken die Erythrozyten<br />
im flüssigen Blutplasma nach unten<br />
den das Plasma den Blutkörperchen<br />
a) zu Beginn b) nach 1h<br />
und sammeln sich auf dem Grund des<br />
Fotolia © Inge Knol<br />
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BSG nach Westergren