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DER BIEBRICHER, Nr. 293, April 2016

Stadtteilmagazin für Wiesbaden-Biebrich

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Die Sittiche im Biebricher Schlosspark<br />

ART<br />

Über 40 Jahre lang hat Dieter Zingel vom<br />

Nassauischen Verein für Naturkunde Interessierten<br />

die Welt der Sittiche im Biebricher<br />

Schlosspark erklärt. Jetzt führte der<br />

81-jährige Hobbyornithologe zum letzten<br />

Mal eine große Gruppe zu den Exoten,<br />

die hier heimisch geworden sind und deren<br />

lautes Gekrächze mittlerweile aus dem<br />

Park nicht mehr wegzudenken ist. Die „Papageien“<br />

erstaunen aber immer noch viele,<br />

die so bunte Vögel hier nicht erwarten.<br />

Bis 2007, erklärte Zingel, habe er sie nach<br />

wissenschaftlichen Kriterien erforscht. „Einen<br />

Nachfolger für die Führungen habe ich<br />

noch nicht. Vielleicht erklärt sich ja jemand<br />

vom Naturschutzbund bereit“, sagte der<br />

Experte.<br />

Alexandersittiche und Halsbandsittiche leben<br />

im Rhein-Main-Gebiet, schon vorher<br />

war diese Art die einzige, die in zwei Kontinenten,<br />

nämlich Afrika und Asien, beheimatet<br />

war, erklärte Zingel. Dort<br />

sind sie etwas anders gefärbt. Und<br />

nun schicken sie sich an, noch zwei<br />

weitere Kontinente, nämlich Europa<br />

und Nordamerika zu erobern.<br />

Dass sie Kälte ertragen können, anders<br />

als man zunächst angesichts ihres<br />

exotischen Aussehens meinen könnte, haben<br />

sie unter Beweis gestellt. „Das habe<br />

ich dann auch in Indien gemerkt, denn dort<br />

kann es ebenfalls empfindlich kalt werden“,<br />

erzählte Zingel, der in seiner Eigenschaft als<br />

Vogelkundler zahlreiche weite Reisen unternommen<br />

hat.<br />

Die Sittiche sind, anders als beispielsweise<br />

die ursprünglich aus Asien kommende<br />

Türkentaube, mit menschlicher Unterstützung<br />

eingewandert. Die Taube hat das aus<br />

eigener Kraft geschafft, die Sittiche sind<br />

Letzer<br />

Rundgang mit<br />

Dieter Zingel<br />

importiert worden,<br />

zunächst mit<br />

dem Zweck, sie als<br />

Haustiere zu halten.<br />

In den sechziger<br />

Jahren sei<br />

das entsprechende<br />

Importverbot aufgehoben<br />

worden,<br />

berichtete Dieter<br />

Zingel. „Erinnert<br />

sich noch jemand<br />

an die Tierhandlung<br />

im obersten<br />

Stockwerk bei<br />

Karstadt?“, fragte<br />

er die Gruppe, die<br />

zustimmend nickte.<br />

Da habe man<br />

diese Sittiche unter<br />

anderem erwer-<br />

Dieter Zingel (links), bei seiner letzten Führung als Sittich-Experte<br />

durch den Biebricher Schlosspark.<br />

Ein Sittich-Pärchen im Geäst.<br />

ben können.<br />

„Die wurden haufenweise angeboten.“<br />

Sie sind ja auch sehr schön<br />

gefärbt und neigen sogar ganz besonders<br />

zu Farbmutationen, deswegen<br />

waren sie für Vogelfreunde<br />

interessant. In England lebte eine<br />

tief dunkelblaue Variante, so Zingel, im<br />

Schlosspark gab es mal einen „Lutino“ –<br />

analog zum reinweißen „Albino“ war das<br />

ein ganz gelber Sittich. In Volieren wurden<br />

die Vögel oft gehalten und entkamen hier<br />

gelegentlich, und wer sie im Zimmer halten<br />

wollte, merkte bald, dass die Sittiche keine<br />

angenehmen Hausgenossen waren: Sie<br />

sind laut, wollen viel herumfliegen und neigen<br />

auch zum Zwicken, wie Dieter Zingel<br />

erzählte. „Also: Fenster auf und raus mit<br />

ihnen!” – nicht gerade die feine Art, aber<br />

so kamen die Modevögel daher bald in der<br />

freien Natur an. Die ersten freilebenden<br />

Sittiche kamen<br />

aus Richtung Holland<br />

und Belgien.<br />

In Deutschland<br />

wurden sie zuerst<br />

in Köln gesichtet.<br />

„Dann sind sie<br />

wohl dem Rhein<br />

gefolgt und hier<br />

a n g e k o m m e n .<br />

Jetzt findet man<br />

sie überall, auch<br />

auf der anderen<br />

Rheinseite und<br />

weiter südlich bis<br />

nach Baden-Württemberg“,<br />

berichtete<br />

der Ornithologe.<br />

Dass sie Schaden anrichten würden, wie zunächst<br />

befürchtet, war dann doch nicht der<br />

Fall: Weder jagen sie kleinere Vögel – „sie<br />

sind strikte Vegetarier“, weiß Zingel – noch<br />

nehmen sie diesen die Grundlage oder vernichten<br />

Obsternten. Eigentlich haben sie<br />

sich hier gut eingelebt. Höchstens Douglasienbäume<br />

seien durch ihr Geknabber etwas<br />

gefährdet, sagte Dieter Zingel. Die natürlichen<br />

Feinde der Sittiche sind Greifvögel,<br />

man finde gelegentlich Stellen mit grünen<br />

Federn, wo ein Habicht oder Sperber einen<br />

erwischt hat – und es werden weniger Sittiche,<br />

je mehr alte Bäume im Park gefällt werden,<br />

die mit ihren Baumhöhlen und Löchern<br />

die Lebensgrundlage für die Höhlenbrüter<br />

bilden. Dieter Zingel konnte noch den Baum<br />

identifizieren, auf dem das allererste Brutpaar<br />

im Schlosspark entdeckt wurde: Eine<br />

Platane mit zahlreichen Höhlen.<br />

Zur Freude der Gruppe waren auch einige<br />

Amazonen-Papageien an diesem Tag vertreten,<br />

deren charakteristischen Ruf und gedrungene<br />

Gestalt man gut von den anderen<br />

Exoten unterscheiden konnte. Dass alle<br />

Sittiche an einen gemeinsamen Schlafplatz<br />

zu fliegen pflegen, bestätigte Dieter Zingel.<br />

Im Augenblick wisse er nicht, wo sich dieser<br />

befindet, „früher war es am Schiersteiner<br />

Hafen“.<br />

Die Gruppe, viele von ihnen mit Fernglas<br />

dabei, hatte ihren Spaß bei der Beobachtung<br />

der grünen Gesellen, die zum Schlosspark<br />

einfach dazugehören.<br />

(art)<br />

ART<br />

12 <strong>DER</strong> <strong>BIEBRICHER</strong> / APRIL <strong>2016</strong>

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