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Hinz&Kunzt 281 Juli 2016

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

N O <strong>281</strong><br />

<strong>Juli</strong>.16<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Mehr Müll muss nicht!<br />

Ein Monat, kaum Abfall:<br />

Zwei Hamburgerinnen machen es vor


GESUCHT: IHR<br />

LIEBLINGS-IMBISS<br />

Jetzt ’ne Currywurst. Oder einen Kebab. Oder ein Nata. Aber wohin, wenn einen<br />

unterwegs der Hunger packt? Verraten Sie uns, zu welchem Imbiss Sie gehen<br />

und vor allem: warum. Ist es das leckere Essen? Oder der nette Chef? Ist es<br />

die schöne Location oder die tolle Stimmung unter den Gästen? Ganz egal.<br />

Wenn Sie unsicher sind, was als „Imbiss“ zählt: Eine Gästetoilette darf er<br />

nicht haben! Die besten Tipps veröffentlichen wir in unserem neuen Kochheft!<br />

SCHREIBEN SIE UNS<br />

bis zum 31.7.<strong>2016</strong> an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter<br />

Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

oder info@hinzundkunzt.de,<br />

Stichwort „Lieblingsimbiss“.<br />

Bitte vergessen Sie nicht,<br />

Ihre Telefonnummer<br />

anzugeben!


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Inhalt<br />

Titel: Nur so wenig MÜLL in einem Monat?<br />

Kein Problem – finden zwei Hamburgerinnen<br />

TITELBILD: MAURICO BUSTAMANTE<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

Wahnsinn: Zwei Hamburgerinnen schaffen es, im Monat nur ein Marmeladenglas<br />

voll Müll zu produzieren. Und angeblich ist das gar nicht so schwer. Die<br />

Müllvermeidungs-Queen Bea Johnson behauptet sogar, dass ihre Familie seither<br />

Geld spart, stolze 40 Prozent (Seite 6)!<br />

Es ist Sommer – und trotzdem sind die Parks und Straßen voller Obdachloser.<br />

Statt ihnen zu helfen, werden sie vertrieben. Als ob sie damit aus der Stadt verschwinden<br />

würden! „Bitte schauen Sie nicht weg!“, sagt deshalb unser Sozialarbeiter<br />

und politischer Sprecher Stephan Karrenbauer (Seite 12).<br />

Wir haben in Hamburg einen Bekanntheitsgrad von 92 Prozent. Trotzdem<br />

wissen Sie vielleicht nicht alles über uns. Damit sich das ändert, haben wir zu<br />

unserem Geschäftsbericht 2015 Fragen und Antworten für Sie vorbereitet (Seite 34).<br />

Was macht Integration aus? Dass wir alle die gleichen Werte haben? Nein,<br />

sagt Diakoniechef und Landespastor Dirk Ahrens. Als Basis reicht es, wenn die<br />

Flüchtlinge unsere Gesetze akzeptieren (Seite 16). Ihr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

Stadtgespräch<br />

04 Gut&Schön<br />

Nur aufmunternde Nachrichten<br />

06 No Müll today<br />

Zwei Hamburgerinnen leben mit<br />

Spaß nahezu müllfrei<br />

Fotoreportage<br />

38 Mobile Homes<br />

Jörg Modrow fotografiert Amerikaner<br />

und ihr fahrbares Zuhause<br />

Freunde<br />

18<br />

ANZEIGENFOTO SEITE 2: MAURICIO BUSTAMANTE; FOTOS SEITE 3: DMITRIJ LELTSCHUK, ANDREAS HORNOFF, JÖRG MODROW<br />

10 Zahlen des Monats<br />

Geputzt wird im Akkord<br />

12 Katz und Maus mit Obdachlosen<br />

Polizeieinsätze, Platzverweise<br />

und ein Zaun<br />

16 Gesetze wichtiger als Werte<br />

Kommentar von Herausgeber Dirk<br />

Ahrens zur Integrationsdebatte<br />

18 Hey, mach mal Platz!<br />

Bauplätze für Flüchtlinge gesucht –<br />

das Projekt „Finding Places“<br />

Lebenslinien<br />

30 Der Himmelsstürmer<br />

Querschnittgelähmt – na und?<br />

Der Sportler Toni Hömpler zeigt,<br />

was mit und ohne Rolli alles geht<br />

Stadtexpedition<br />

25 #9 Die Pilger-Tour<br />

Kirchen, Wege und ein Flussufer –<br />

acht Orte für die innere Einkehr<br />

34 Unser H&K-Geschäftsbericht<br />

Zahlen, Fakten und Tendenzen<br />

44 Kein Problem mit Nächstenliebe<br />

Freundeskreismitglied Peter Kohl<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

48 „Ich bin der Narr – im besten Fall“<br />

Schauspielerin Gabriela Maria<br />

Schmeide im Gespräch<br />

52 20 Tipps für den <strong>Juli</strong><br />

56 Koch des Monats<br />

Hinz&Künztler Gurbhej serviert<br />

Chicken Masala mit Erbsenreis<br />

58 Momentaufnahme<br />

Ex-Hinz&Künztler Andree<br />

Rubriken<br />

05, 09, 15, 33 Kolumnen<br />

24, 29 Meldungen<br />

46 Leserbriefe<br />

57 Rätsel, Impressum<br />

48<br />

38<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Homeless World Cup<br />

Neuzugang für das<br />

Nationalteam<br />

Ist das David Beckham? Nein, auch<br />

wenn die Ähnlichkeit frappierend ist.<br />

Nicht nur äußerlich. Stefan ist Nationalspieler.<br />

Trainer Jiri Pacourek berief<br />

den 26-Jährigen in die deutsche<br />

Auswahl für den Homeless World<br />

Cup. Die Weltmeisterschaft der<br />

Wohnungslosen findet vom 10. bis<br />

16. <strong>Juli</strong> in Glasgow statt. Eine große<br />

Ehre für den gebürtigen Rumänen,<br />

der vor einigen Monaten in Hamburg<br />

seine Arbeit verlor. Seitdem lebt<br />

er auf der Straße. „Endlich wieder<br />

eine gute Nachricht“, freute sich der<br />

begeisterte Fußballer über seine<br />

Nominierung. JOF<br />


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Gut&Schön<br />

Jubiläum<br />

Ersatzfamilie<br />

für Seeleute<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE (SEITE 4 UND OBEN RECHTS), LENA MAJA WÖHLER,<br />

AFRIKANISCHES ZENTRUM, JONAS FÜLLNER<br />

Bild des Monats<br />

Das beste Hotel Europas<br />

Es gibt dort weder Pool noch Roomservice, aber<br />

trotzdem ist das City Plaza in Athen das vielleicht<br />

beste Hotel in Europa. Jahrelang stand das Hotel leer,<br />

seit April leben dort 400 Flüchtlinge, darunter 185<br />

Kinder. Staatliche Hilfe gibt es nicht. Wenn Sie helfen<br />

wollen: Infos unter www.europas-bestes-hotel.eu. JOF<br />

•<br />

Halleluja!<br />

In diesen Gottesdiensten geht die<br />

Post ab: Im Afrikanischen Zentrum<br />

in Borgfelde kommen seit zehn Jahren<br />

alle zwei Wochen Menschen<br />

zum Gospel-Gottesdienst zusammen.<br />

Der wird – wenn nicht gerade<br />

gesungen wird – in deutscher und<br />

englischer Sprache gehalten. Im<br />

Juni trafen sich die stimmgewaltigen<br />

Gläubigen zum 120. Mal in der<br />

Erlöserkirche und feierten unter<br />

dem Motto „Different Colours.<br />

One People.“ LEU<br />

•<br />

Jung, engagiert und hartnäckig<br />

Junge Wohnungslose in Hamburg<br />

haben ein eigenes Sprachrohr:<br />

Trietze (links), Lucas und Oxana.<br />

Früher lebten sie auf der Straße.<br />

Jetzt bereiten sie den nächsten Straßenkinderkongress<br />

vor und helfen<br />

jungen Wohnungslosen bei Konflikten<br />

mit Sozialarbeitern. JOF<br />

•<br />

Die Ständige Vertretung der Straßenkinder<br />

ist Mo–Fr von 10–14 Uhr unter<br />

Telefon 28 47 33 84 zu erreichen.<br />

Herzlichen Glückwunsch!<br />

Seit nunmehr 125 Jahren ist<br />

die Seemannsmission am<br />

Michel ein beliebter Anlaufpunkt.<br />

Neben Ruhe und<br />

Ent spannung wird den Seeleuten<br />

Hilfe bei Behördengängen<br />

und Papierkram geboten.<br />

Felix Tolle kennt die<br />

Mission am Krayenkamp seit<br />

seiner Zivildienstzeit. Damals<br />

standen die Seeleute noch<br />

Schlange für Telefonkarten,<br />

erinnert sich der stellvertretende<br />

Geschäftsführer. Obwohl<br />

heute jeder ein Handy<br />

besitzt, haben die Männer<br />

auf See immer noch kaum<br />

Kontakt zur Außenwelt. Viele<br />

loggen sich daher als Erstes<br />

ins WLAN ein.<br />

„Wir unterstützen die<br />

Seemänner, sodass gar nicht<br />

erst ein Gefühl von Heimweh<br />

aufkommt“, sagt der 38-Jährige.<br />

Wohl auch deswegen<br />

verbringen etwa 1000 Seemänner<br />

auf ihren Reisen regelmäßig<br />

die Nächte in der<br />

Mission. „Für sie und für unsere<br />

35 Dauergäste sind wir<br />

eine Art Familie“, sagt Tolle.<br />

Davon überzeugen kann<br />

sich inzwischen jedermann.<br />

Für Touristen, die gerne eine<br />

Nacht mit Blick auf den Michel<br />

und ein Frühstück mit<br />

echten Seemännern am Tisch<br />

verbringen möchten, ist die<br />

Seemannsmission genau das<br />

Richtige. Bereits ab 74 Euro<br />

kann man ein Doppelzimmer<br />

mit einfacher Ausstattung<br />

buchen. JOF<br />

•<br />

5


No Müll today!<br />

Leben, ohne Müll zu produzieren – Vanessa Riechmann und Erdmuthe Kriener schaffen das.<br />

Fast zumindest. Ihr monatlicher Abfall passt in ein Marmeladenglas. Wir wollten wissen,<br />

warum die beiden Hamburgerinnen müllfrei leben wollen und wie das funktioniert.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, ALLTERNULLTIV (SEITE 7 OBEN)<br />

Vanessa Riechmann kann Menschen<br />

verstehen, die sie für eine<br />

Spinnerin halten. „Manchmal<br />

denke ich auch, ich spinne“, sagt<br />

die 35-Jährige. Dabei übt sie gar kein<br />

schräges Hobby aus. Sie verrenkt sich<br />

auch nicht für eine neue, unaussprechliche<br />

Trendsportart. Eigentlich führen<br />

Vanessa Riechmann und ihre Freundin<br />

und Kollegin Erdmuthe Kriener<br />

6<br />

ein stinknormales Leben. Bis auf die<br />

Tatsache, dass sie so gut wie keinen<br />

Müll produzieren.<br />

Zero Waste, also kein Abfall, heißt<br />

die Bewegung. Sie kommt, wie soll es


Stadtgespräch<br />

Mehr Müll muss nicht!<br />

Zwei Frauen, ein Ziel: so wenig<br />

Müll wie möglich zu hinterlassen.<br />

Die Musicaldarstellerinnen<br />

Vanessa Riechmann (links) und<br />

Erdmuthe Kriener verzichten seit<br />

dem Sommer 2015 auf PLASTIK<br />

und überflüssige Verpackungen. In<br />

ihrem Blog „Alternulltiv“ schreiben<br />

sie über ihre Erfahrungen.<br />

anders sein, aus Amerika. 2006 beginnt<br />

Bea Johnson (siehe Interview Seite 9)<br />

damit, ihr bisheriges Leben zu hinterfragen.<br />

Der Auslöser: Ein Umzug von<br />

einem großen in ein sehr viel kleineres<br />

Haus. Zunächst lagert die vierköpfige<br />

Familie 80 Prozent ihres Hab und Guts<br />

zwischen. Bis sie merken: Wir kommen<br />

auch ganz gut ohne all die Dinge aus.<br />

Bea Johnson wird nachdenklich: Was<br />

brauchen wir wirklich zum Leben? Können<br />

wir unseren Müll radikal reduzieren?<br />

Ihre eindeutige Antwort: Und ob!<br />

Vanessa Riechmann sieht eines Abends<br />

eine Dokumentation auf 3sat. Danach<br />

ist nichts mehr wie zuvor. Die Doku<br />

handelt von einer Familie aus Hamburg,<br />

die für vier Wochen probiert, ohne<br />

Plastik zu leben. Nachdem sie 50<br />

Kisten voll mit Kinderspielzeug, Küchenutensilien<br />

und anderem Kunstoffkram<br />

aus dem Haus geräumt haben,<br />

sieht man die Familie leicht überfordert<br />

am Küchentisch sitzen. Ob Käse,<br />

Wurst, Kosmetik oder CDs – fast alles<br />

ist in Plastik verpackt. Kann man ihm<br />

7<br />

überhaupt entkommen? Begleitet wird<br />

der Test von einer Toxikologin des Umweltbundesamtes.<br />

Sie untersucht Urin<br />

und Blut der Familie auf Schadstoffe.<br />

Denn in Plastik sind Stoffe wie<br />

Phthalate (Weichmacher) und Bisphenol<br />

A (wird zur Kunststoffherstellung<br />

genutzt) enthalten, denen eine gesundheitsgefährdende<br />

Wirkung nachgesagt<br />

wird. Neue Studien deuten darauf hin,<br />

dass es einen Zusammenhang geben<br />

könnte zwischen erhöhten Bisphenol-<br />

A-Werten und Diabetes sowie Störungen<br />

der Fruchtbarkeit bei Männern. In<br />

Babyfläschchen darf der Stoff EU-weit<br />

schon seit 2011 nicht mehr verwendet<br />

werden. Das Vorher-Nachher-Ergebnis<br />

bei der Testfamilie ist eindeutig: Während<br />

anfangs noch deutliche Spuren von<br />

Phthalaten und Bisphenol A nachzuweisen<br />

sind, nehmen diese in der plastikfreien<br />

Zeit um bis zu 80 Prozent ab. Dabei<br />

war die Familie überzeugt, schon<br />

ziemlich gesund zu leben.<br />

„Da bei dieser Familie die Werte so<br />

stark sanken, war mir klar: Ich will etwas<br />

ändern“, sagt Vanessa Riechmann. Der<br />

Zeitpunkt passte: Riechmann und Kriener,<br />

die sich 2011 als Musicaldarstellerinnen<br />

bei „Sister Act“ kennenlernten,


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

„Manchmal<br />

denke ich auch,<br />

ich spinne.“<br />

VANESSA RIECHMANN<br />

haben gerade zwei Monate Pause zwischen<br />

Engagements. Sie machen zusammen<br />

Sport („man muss ja fit bleiben“),<br />

setzen sich danach ins Café und quatschten.<br />

Vor allem übers Kochen und Essen.<br />

„Wir haben uns da so hochgeschaukelt“,<br />

sagt Erdmuthe Kriener. Während<br />

„Ich will nicht,<br />

dass der Müll in<br />

den Weltmeeren<br />

landet.“ ERDMUTHE KRIENER<br />

Freundin Vanessa sehr auf ihre Gesundheit<br />

achtet, treibt die 31-Jährige etwas<br />

anderes an: „Ich will einfach nicht,<br />

dass der ganze Müll in den Weltmeeren<br />

landet.“<br />

Anfang des Jahres wurde eine Studie<br />

veröffentlicht, die besagt, dass im<br />

Jahr 2050 im Meer schon mehr Plastik<br />

schwimmen könnte als Fische. Jährlich<br />

landen rund neun Millionen Tonnen<br />

Plastik in den Ozeanen. Dabei benötigt<br />

eine Plastiktüte rund 450 Jahre, bis sie<br />

zersetzt ist. Meeresvögel verwechseln<br />

den Müll oftmals mit Nahrung: Bis zu<br />

100.000 Tiere verenden daran jährlich,<br />

so der NABU, auch Delfine und Schildkröten<br />

verheddern sich in den Resten.<br />

Oder der Plastikmüll landet in Form<br />

von zersetzten Mikroplastikkügelchen<br />

in den Mägen der Fische und so am Ende<br />

auch wieder bei uns auf dem Tisch.<br />

Erdmuthe Kriener verdankt nicht<br />

nur ihren ungewöhnlichen Vornamen<br />

ihren Eltern („man kann sie schon als<br />

Hippies bezeichnen“), auch ihre Einstellung:<br />

Die Milch holten sie früher immer<br />

direkt vom Bauernhof. Einkaufen<br />

kennt sie sowieso nur mit Jutebeutel<br />

oder Korb. „Ich habe das nie verstan-<br />

8<br />

den, wieso ich da jedes Mal eine neue<br />

Plastiktüte mitnehmen sollte“, sagt sie<br />

und schüttelt den Kopf. Darüber, dass<br />

mit REWE erstmals eine große Supermarktkette<br />

freiwillig auf Plastiktüten<br />

verzichtet, freut sie sich. Das bedeutet<br />

ein Minus von 140 Millionen Plastiktüten<br />

im Jahr. Insgesamt werden in<br />

Deutschland allerdings circa sechs Milliarden<br />

Tüten ausgegeben.<br />

Die Tüten waren nicht das Problem,<br />

als Erdmuthe Kriener und Vanessa<br />

Riechmann im Sommer 2015 beschlossen,<br />

auf Plastik zu verzichten und<br />

so wenig Müll wie möglich zu produzieren.<br />

Das Tomatenmark schon. „Das habe<br />

ich am Anfang sehr vermisst“, sagt<br />

Erdmuthe Kriener, „das gibt es ja standardmäßig<br />

in der Tube oder in der Dose.“<br />

Irgendwann fragte ihr Freund im<br />

Biomarkt einfach mal nach. „Und siehe<br />

da: Auch Tomatenmark gibt es im Glas.<br />

Man muss nur mit offenen Augen durch<br />

die Stadt laufen.“<br />

Der Wochenmarkt wird zum Lieblingstreffpunkt<br />

der Freundinnen. Nicht<br />

nur, weil sie hier problemlos unverpacktes<br />

Obst, Gemüse und Brot bekommen.<br />

Auch Käse, Fisch und Fleisch – wenn


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Stadtgespräch<br />

Drei Fragen an<br />

Aktivistin<br />

Bea Johnson<br />

FOTO KOLUMNE: ZEROWASTEHOME.COM<br />

auch nicht auf Anhieb: „Ich war da anfangs<br />

sehr schüchtern“, sagt Erdmuthe<br />

Kriener. „Okay, wenn Sie das nicht unverpackt<br />

haben, dann kaufe ich nichts,<br />

danke!“, sei ihre Standardantwort gewesen.<br />

Ihre Freundin Vanessa ist da<br />

deutlich forscher unterwegs. „Die geht<br />

einfach hin und sagt: ‚Ich möchte das<br />

gern in meine Dose!‘“ Eigentlich dürfen<br />

selbst mitgebrachte Gefäße aus lebensmittelrechtlichen<br />

Gründen nicht<br />

hinter den Verkaufstresen gelangen.<br />

Aber es gibt einen kleinen Trick: Man<br />

kann das Gefäß auf die Theke stellen<br />

und den Verkäufer bitten, die Ware<br />

selbst hineinzulegen. „Manche drücken<br />

„Wir wollen die<br />

Leute nicht<br />

missionieren.“<br />

ERDMUTHE KRIENER<br />

da ein Auge zu“, sagt Erdmuthe Kriener.<br />

Doch nicht immer läuft es glatt:<br />

„Im Supermarkt wollte Vanessa einmal<br />

Wurst in ihre Dose füllen lassen, doch<br />

der Verkäufer weigerte sich. Außerdem<br />

meckerte er, dass sei doch sowieso nur<br />

ein Tropfen auf den heißen Stein.“<br />

Nicht nur Verkäufer reagieren so.<br />

„Sehr skeptisch“ seien Freunde und Familie<br />

anfangs gewesen, als die Freundinnen<br />

von ihrem Plan erzählten. Der Satz,<br />

den Erdmuthe und Vanessa am häufigsten<br />

zu hören bekommen: „Ich könnte<br />

das nicht!“, direkt gefolgt von: „Das ist<br />

aber bestimmt total teuer und zeitaufwendig!“<br />

Andere sagen, es sei kein Wunder,<br />

dass die zwei nicht mehr als ein<br />

Marmeladenglas Müll pro Monat produzieren,<br />

sie hätten ja keine Kinder.<br />

9<br />

Mit der Kritik können die zwei Freundinnen<br />

leben. Gut sogar, denn: „Was<br />

wir nicht wollen: Leute missionieren“,<br />

sagt Erdmuthe Kriener. Von heute auf<br />

morgen sind auch sie nicht zu Müllvermeiderinnen<br />

geworden. Worüber sie<br />

sich aber freuen: Wenn sie andere inspirieren<br />

– und sei es nur, eine eigene Wasserflasche<br />

zu benutzen statt sich immer<br />

wieder neue, kleine Trinkwasserfläschchen<br />

zu kaufen.<br />

Ihr Start sah so aus: Sie brauchten<br />

alle Lebensmittel auf, die noch in Plastik<br />

verpackt waren. Verschenkten ihre<br />

Tupperware. Stellten eigene Zahncreme<br />

und Deos her. Durchsuchten die<br />

Keller ihrer Schwiegermütter<br />

nach Einweckgläsern.<br />

Und fanden<br />

auch in Hamburg Läden,<br />

in denen man unverpackte<br />

Ware einkaufen<br />

kann, etwa bei<br />

Twelve Monkeys auf<br />

St. Pauli oder bei Erdkorn<br />

in Eppendorf.<br />

Ihre Erfahrungen<br />

teilen sie in ihrem Blog<br />

„Alternulltiv“. Gerade<br />

ist Vanessa Riechmann<br />

beruflich in der Schweiz<br />

und ein bisschen verzweifelt.<br />

„Hier ist es<br />

wirklich eine große Herausforderung,<br />

müllarm zu leben, nicht so wie in Hamburg.“<br />

Besonders diszipliniert oder reich<br />

müsse man für ein müllfreies Leben<br />

auch nicht sein: „Man braucht lediglich<br />

den Willen, eine Umgewöhnungsphase<br />

und ein Auge dafür.“ Erdmuthe Kriener<br />

ist sich sicher: „Es gibt kein Zurück<br />

mehr.“ Wieso auch? „Uns geht es jetzt<br />

viel besser.“ •<br />

Weitere Infos zur Müllvermeidung:<br />

Blog Alternulltiv:<br />

http://alternulltivhamburg.blogspot.de/<br />

Studie des Weltwirtschaftsforums:<br />

www.huklink.de/weltwirtschaftsforum<br />

Experiment der Hamburger Familie<br />

„Vier Wochen ohne Plastik“ bei 3sat:<br />

www.huklink.de/3sat<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Sie sagen „Zero<br />

Waste ist kein Trend, es ist eine<br />

Notwendigkeit.“ Für wen?<br />

BEA JOHNSON: Für alle Menschen.<br />

Unsere Ressourcen<br />

werden knapp. Die Umweltverschmutzung<br />

steigt. Wir<br />

res pektieren die Erde nicht<br />

mehr. Es ist höchste Zeit, daran<br />

etwas zu ändern.<br />

Müllfrei leben klingt kompliziert!<br />

Nicht, wenn man sich an<br />

fünf einfache Regeln hält:<br />

1.) Ablehnen. Üben Sie,<br />

„nein“ zu sagen!<br />

2.) Reduzieren. Verabschieden<br />

Sie sich von Dingen, die<br />

Sie nicht wirklich brauchen!<br />

3.) Verwenden Sie Dinge<br />

mehrfach!<br />

4.) Recyceln Sie, was Sie<br />

nicht ablehnen, reduzieren<br />

oder mehrfach verwenden<br />

können!<br />

5.) Kompostieren Sie organische<br />

Abfälle!<br />

Ist Zero Waste nicht nur ein<br />

Hobby für reiche Leute?<br />

Ganz im Gegenteil! Wer<br />

Dinge kauft, die man nur<br />

einmal benutzen kann, wirft<br />

Geld zum Fenster raus. Wir<br />

geben heute 40 Prozent<br />

weniger im Monat aus als<br />

früher. SIM<br />

•<br />

Bea Johnson lebt in den USA.<br />

Dort hat sie die Zero-Waste-<br />

Bewegung ins Leben<br />

gerufen. Mehr Infos unter<br />

www.zerowastehome.com


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Stadtgespräch<br />

Zahlen des Monats<br />

„Turbo-Putzen“<br />

als Trend<br />

2 Minuten, 19 Sekunden<br />

hat eine Putzkraft oft nur noch Zeit, um ein 18-Quadratmeter-Büro komplett<br />

zu reinigen. Exakt 8,4 Sekunden bleiben ihr für das Abstauben einer<br />

Schreibtischlampe. Das ergibt sich aus Berechungen der Gewerkschaft Bau,<br />

Agrar, Umwelt (IG BAU) auf der Grundlage von Kalkulationsbeispielen<br />

des Gebäudereinigerhandwerks.<br />

Der Trend zum „Turbo-Putzen“ nehme stetig zu, sagt André Grundmann<br />

von der Hamburger IG BAU: „Reinigungskräfte müssen immer<br />

mehr Flächen sauber machen – ohne dafür auch nur eine Minute mehr<br />

Zeit zu bekommen.“ Den wachsenden Druck veranschaulichen Zahlen<br />

einer Gewerkschaftsumfrage unter Gebäudereinigerinnen und Fensterputzern:<br />

Acht von zehn Befragten gaben an, bei ihrer Arbeit unter Stress<br />

zu stehen. 57 Prozent erklärten, dass sie in den vergangenen zwei Jahren<br />

größere Reinigungsreviere zugewiesen bekommen haben – bei gleichbleibender<br />

Stundenzahl. 28 Prozent müssen nach eigenen Angaben täglich Überstunden<br />

machen, nahezu jeder Dritte gab an, dass er Mehrarbeit nicht bezahlt bekommt.<br />

Seit Jahren fordert die IG BAU klare Regelungen, um den Umfang der<br />

Arbeit zu begrenzen. Der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks<br />

lehnt einen entsprechenden Tarifvertrag jedoch ab. Eine gemeinsame<br />

Arbeitsgruppe „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ konnte bislang keine<br />

Einigung erzielen. •<br />

TEXT: ULRICH JONAS; ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />

Mehr Infos im Internet: www.igbau.de und www.die-gebaeudedienstleister.de<br />

11


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Katz & Maus<br />

mit Obdachlosen<br />

Die Bezirke vertreiben Obdachlose aus Parkanlagen: In Altona mit<br />

Platzverweisen und Polizeieinsätzen, in Eimsbüttel obendrein mit einem Zaun.<br />

Das eigentliche Problem: Der Senat hilft den Menschen kaum und duckt sich weg.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER; MITARBEIT: CRISTINA STANCULESCU<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

12


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Kein schöner Anblick. Das Bezirksamt Altona lässt am Nobistor aber nicht nur den Müll, sondern auch die DECKEN, LATTENROSTE UND MATRATZEN<br />

der Obdachlosen entsorgen. Vasile (links) sucht in Hamburg eine Wohnung und einen Job – und findet das eine ohne das andere nicht. Deswegen schläft er im Park.<br />

In Hamburg gibt es immer mehr<br />

Obdachlose – und die Stadt hat<br />

kein Konzept, um ihnen nachhaltig<br />

zu helfen. An einem Donnerstagmorgen<br />

im Juni wird das offenbar.<br />

Um kurz nach 7 Uhr rückt das Altonaer<br />

Ordnungsamt mit der Unterstützung<br />

mehrerer Mannschaftswagen der Polizei<br />

im Park am Nobistor an. Ein Mann mit<br />

Aktentasche weckt die Obdachlosen, die<br />

dort unter einem Dach Schutz gesucht<br />

hatten. „Guten Morgen, das Bezirksamt<br />

Hamburg-Altona“, ruft er ihnen zu.<br />

„Aufstehen!“ Dann zückt er seinen<br />

Dienstausweis und spricht denen, die<br />

hier auf alten Matratzen schlafen, einen<br />

Platzverweis aus. Wo sie stattdessen<br />

hinsollen? Keine Auskunft dazu vom<br />

Bezirk. Unterkunftsangebote für die<br />

Obdachlosen? Fehlanzeige.<br />

Natürlich löst man mit Platzverweisen<br />

keine sozialen Probleme. Nachdem<br />

die Altonaer Ordnungshüter Lattenroste,<br />

Kleidungsstücke und Müll von der<br />

Platte am Nobistor entsorgt haben,<br />

kommen die Obdachlosen schnell wieder<br />

in den Park. Einige hatten ihre Matratzen<br />

und Zelte für die Dauer des Einsatzes<br />

einfach kurz um die Ecke gelagert<br />

und sie danach wieder zurückgebracht.<br />

Die Männer, die wir im Park treffen,<br />

kommen aus Bulgarien und suchen<br />

in Hamburg Arbeit. „Wir würden jede<br />

Arbeit annehmen“, sagte der 38-jährige<br />

13<br />

Adrian unserer Dolmetscherin. Bislang<br />

schlage er sich mit Gelegenheitsjobs<br />

durch – oder mit Flaschensammeln.<br />

Sein Freund Valentin würde sich gerne<br />

regelmäßig rasieren und duschen: „Ich<br />

brauche eine Wohnung, aber die kann<br />

ich mir nicht leisten“, sagt er. Der Wohnungsmarkt<br />

in Hamburg bietet den<br />

Wanderarbeitern kaum eine Chance<br />

auf ein richtiges Zuhause. Und weil sie<br />

nicht wissen, wohin sie sonst gehen sollen,<br />

beziehen sie am Abend nach der<br />

Räumung wieder ihre Platte an der<br />

Königstraße.<br />

Am nächsten Morgen kommt dann<br />

erneut die Polizei und schickt die Menschen<br />

wieder weg. Tagelang geht das so


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Der Protest nützte nichts: Gedrängt durch einen massiven POLIZEIEINSATZ mussten die Obdachlosen erstmals am 9. Juni ihre Platte räumen.<br />

Der Bulgare Valentin (unten links) war am Tag davor noch ahnungslos – die in Amtsdeutsch verfasste Räumungsandrohung des Bezirks hatte er nicht verstanden.<br />

weiter. Seit 2015 hat das Bezirksamt<br />

hier schon sechs Mal aufgeräumt.<br />

Manchmal, wie im Juni, bekommen die<br />

Medien davon Wind und berichten.<br />

Meistens passiert es im Stillen. Immer<br />

kommen die Obdachlosen wieder.<br />

„Wenn es die Situation erforderlich<br />

macht, wird auch wieder geräumt werden“,<br />

kündigt Bezirkssprecher Martin<br />

Roehl gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong> an.<br />

„Wir versuchen immer, einen Ausgleich<br />

zwischen den Bedürfnissen der Anwohner<br />

und der Menschen ohne Obdach<br />

zu finden.“ Übersetzt heißt das: Erst<br />

wenn die Situation für Obdachlose und<br />

Anwohner unerträglich wird, schreitet<br />

das Amt ein.<br />

Es hatte vor der Räumung Beschwerden<br />

gegeben, wegen Lärm und Vermüllung<br />

des Parks. Und tatsächlich war es<br />

wenig einladend rund um die Schlafstätte<br />

der Obdachlosen. An vielen<br />

Ecken sammelte sich Müll, obwohl drei<br />

Mal in der Woche ein Reinigungsdienst<br />

anrückt. Manche der Drogenkranken,<br />

die sich hier seit ein paar Monaten zu<br />

den Wanderarbeitern gesellt hatten, ließen<br />

Spritzen herumliegen. Ein Stück<br />

des nahen Spielplatzes benutzten die<br />

Plattenbewohner mangels Alternative<br />

als Toilette. Doch statt den Menschen<br />

hier wirklich zu helfen, vertrieb das Bezirksamt<br />

sie und nahm ihre Sachen weg.<br />

Holzhammer statt Sozialpolitik.<br />

14<br />

Deswegen nur auf das Bezirksamt zu<br />

schimpfen, greift aber zu kurz. Es ist in<br />

einer undankbaren Lage: Für Obdachlosenunterkünfte<br />

ist das Amt nicht zuständig<br />

– das ist Aufgabe der Sozialbehörde.<br />

Doch die kümmert sich nur unzureichend:<br />

Weil viele der Obdachlosen<br />

aus dem Ausland kommen, hätten sie<br />

keinen Anspruch auf eine städtische<br />

Unterkunft, heißt es von dort. Die Behörde<br />

verweist darauf, dass die Arbeitsmigranten<br />

von Beratungsstellen Unterstützung<br />

bei der Rückkehr ins Heimatland<br />

bekommen könnten, oft sei das die<br />

„realistischste Option“. Die Erfahrung<br />

aber zeigt: Viele Menschen bleiben.<br />

„Ich verdiene in Hamburg mehr mit


FOTO KOLUMNE: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Flaschensammeln, als ich in Rumänien<br />

mit einem Vollzeitjob verdienen würde“,<br />

sagt Adrian vom Nobistor. Also<br />

bleibt er hier.<br />

Und so werden er und seine Freunde<br />

ein Fall für das Bezirksamt Altona.<br />

Denn für die Grünflächen und die Einhaltung<br />

der Regeln dort sind die Bezirke<br />

verantwortlich – Zelten und nächtliches<br />

Lagern verbietet eine Verordnung.<br />

Bezirksmitarbeiter sprechen Platzverweise<br />

aus, die eigentlich der Senat politisch<br />

zu verantworten hätte.<br />

„Wir würden<br />

jede Arbeit<br />

annehmen.“<br />

ADRIAN VOM NOBISTOR<br />

Stadtgespräch<br />

15<br />

Nicht nur in Altona. Am Kaiser-Friedrich-Ufer<br />

entlang des Isebekkanals in<br />

Eimsbüttel hat das zuständige Bezirksamt<br />

in diesem Jahr schon elf Mal Obdachlose<br />

aufgefordert, ihre Platte zu<br />

räumen. Zehn Mal sprach die Verwaltung<br />

Platzverweise aus, zwei Mal ließ<br />

sie eine Platte räumen. Und sie ließ einen<br />

Zaun errichten, der den Zugang zu<br />

zwei Platten unter der Goebenbrücke<br />

versperrt. Dort schliefen regelmäßig<br />

Obdachlose. Vorgeblich sollte der Zaun<br />

sie vor dem Ertrinken bewahren – ein<br />

offensichtliches Scheinargument.<br />

Inzwischen hat die Bezirksversammlung<br />

entschieden, dass der Zaun<br />

im Herbst entweder wieder ganz abgebaut<br />

oder so umgesetzt werden soll,<br />

dass er zwischen dem Schlafplatz und<br />

dem Wasser steht. Ungeachtet dessen<br />

hat die Verwaltung aber angekündigt,<br />

weiter mit Platzverweisen gegen die<br />

Obdachlosen am Kanal vorzugehen.<br />

Freilich bringt das reichlich wenig.<br />

„Vor zwei Wochen war das Ordnungsamt<br />

da und hat gesagt, dass wir nicht<br />

unter der Brücke schlafen dürfen“, erzählt<br />

uns Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer Andrej,<br />

der am Isebekkanal Platte macht.<br />

„Wir haben dann die Seite gewechselt.“<br />

Von einem „Katz-und-Maus-Spiel“<br />

zwischen Obdachlosen und Ordnungshütern<br />

spricht deshalb Johan Graßhoff,<br />

Straßensozialarbeiter der Diakonie:<br />

„Das macht überhaupt keinen Sinn.“<br />

Graßhoff wundert es nicht, dass<br />

vermehrt Obdachlose in Parks nächtigen.<br />

„Die Leute gehen in die Außenbezirke,<br />

weil die Platten in der Innenstadt<br />

alle voll sind“, sagt er. Grünanlagen seien<br />

da begehrte Rückzugsorte. „Hier im<br />

Grünen gibt es viele Orte, an denen<br />

man vor Blicken geschützt ist.“<br />

An so einem hat auch Andrej seine<br />

Isomatte ausgerollt – obwohl er einen<br />

rechtlichen Anspruch auf eine städtische<br />

Unterkunft hat. Einige Jahre hat er<br />

in Hamburg als Putzer auf dem Bau gearbeitet.<br />

Und mithilfe der Beratung im<br />

Winternotprogramm hat er es auch geschafft,<br />

auf die Warteliste eines Männerwohnheims<br />

zu kommen. Trotzdem<br />

schläft er draußen, denn wann er dort<br />

wirklich einziehen kann, weiß er nicht –<br />

die Wartezeiten sind lang. „Im Sommer<br />

ist es nicht so schlimm“, beschwichtigt<br />

Andrej.<br />

Das Hilfesystem für Obdachlose ist<br />

am Limit. Als sogenannter Anspruchsberechtigter<br />

könnte Andrej zwar in die<br />

Notunterkunft Pik As ziehen, bis ihn<br />

das Wohnheim aufnimmt. Doch mit<br />

vielen anderen Obdachlosen in einem<br />

Zimmer schlafen, die womöglich betrunken<br />

sind und schnarchen, will er<br />

nicht. Die Belegungszahlen der Zimmer<br />

hat die Unterkunftsleitung gerade<br />

erst erhöht: Inzwischen teilen sich immer<br />

häufiger zwölf Wohnungslose einen<br />

Raum statt früher acht. Immer<br />

wieder werden auch Menschen vom Pik<br />

As abgewiesen. Nach Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Informationen<br />

reichen manchmal die<br />

Betten schlicht nicht aus.<br />

Man könnte den Obdachlosen<br />

schnell und unbürokratisch helfen. Im<br />

Mai waren 7000 Unterkunftsplätze in<br />

den Zentralen Erstaufnahmen für<br />

Flüchtlinge nicht belegt. Deswegen<br />

schlug Hinz&<strong>Kunzt</strong> unterstützt von der<br />

Caritas vor, sie für die Obdachlosen zu<br />

öffnen. Dann hätten sie eine Adresse<br />

und so mehr Chancen bei der Jobsuche.<br />

Doch die Sozialbehörde lehnt kategorisch<br />

ab: Eine Unterbringung scheide<br />

für Menschen ohne Leistungsanspruch<br />

– also viele der Wanderarbeiter – aus.<br />

Um sie müssen sich also weiterhin die<br />

Bezirke „kümmern“. •<br />

Stephan Karrenbauer<br />

Bloß nicht<br />

wegschauen!<br />

Dass in so vielen Parks inzwischen<br />

Obdachlose leben,<br />

darf niemanden wundern.<br />

Mit dem Ende des Winternotprogramms<br />

hat die Stadt<br />

800 Menschen auf die Straße<br />

gesetzt, viele von ihnen ohne<br />

Perspektive auf alternative<br />

Unterkünfte oder gar Wohnraum.<br />

Dass das zu Konflikten<br />

mit Nachbarn und Beamten<br />

führen würde, war abzusehen:<br />

Je länger Menschen im<br />

Freien leben, desto mehr verelenden<br />

sie.<br />

Das ist das hässliche Gesicht<br />

der Obdachlosigkeit,<br />

kaum jemand lebt freiwillig<br />

so. Deswegen dürfen wir diesen<br />

Zustand nicht einfach so<br />

hinnehmen! Viele Platten<br />

sind unzumutbar, für die<br />

Nachbarn und die Obdachlosen<br />

selbst.<br />

Vertreibung kann auf<br />

diese Verelendung keine Antwort<br />

sein – aber sie ist so<br />

ziemlich die einzige Reaktion<br />

der Stadt. Ein nachhaltiges<br />

sozialpolitisches Konzept<br />

fehlt bislang. Beschämend.<br />

Mein Vorschlag: Öffnet<br />

die leeren Flüchtlingsunterkünfte<br />

für Obdachlose! Vielleicht<br />

klingt das angesichts<br />

der komplizierten Rechtslage<br />

naiv. Wirklich naiv sind aber<br />

diejenigen, denen angesichts<br />

des Elends nur Vertreibung<br />

einfällt. Und die glauben,<br />

dass die Menschen dadurch<br />

aus der Stadt verschwinden.<br />

Das werden sie nicht tun.<br />

PROTOKOLL: BELA<br />


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Gleiches Recht,<br />

vielfältige Werte,<br />

das ist die Basis!<br />

Ein Kommentar von Diakoniechef, Landespastor und Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Herausgeber Dirk Ahrens zur Integrationsdebatte.<br />

FOTO: GUIDO KOLLMEIER<br />

Die Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen<br />

Grenze werden bis in den Sommer fortgesetzt.<br />

Ich mag in diesem Sommer nicht nach<br />

Österreich fahren. Ich will keine Grenzkontrollen<br />

erleben, wo ich in den vergangenen Jahrzehnten<br />

die friedliche Freizügigkeit genossen habe, nachdem<br />

ich noch 1990 als deutscher Student in Wien ein Visum benötigte.<br />

Meine Heimat Europa zerbricht. Horst Seehofer verkündigt<br />

triumphierend im Radio, dass das Ende der Willkommenskultur<br />

nun notariell beglaubigt sei und erhält dafür Applaus<br />

von seinen Anhängern. Er hätte das bedauern können, hätte<br />

betonen können, dass es zurzeit leider nicht ohne Kontrolle<br />

ginge, aber er macht einen Triumph daraus. Und ich weiß:<br />

Herr Seehofer und ich teilen nicht die gleichen Werte!<br />

Das ist schmerzhaft und schwer auszuhalten, aber weder<br />

Herr Seehofer noch ich sehen sich der Frage ausgesetzt, ob<br />

wir denn mit diesen so unterschiedlichen Werten integrierbar<br />

seien. Selbstverständlich muss unsere Gesellschaft diese Unterschiedlichkeit<br />

aushalten. Keiner von uns fliegt raus! Wären<br />

wir allerdings Flüchtlinge, dann wären unsere unterschiedlichen<br />

Werte ein bedenkliches Zeichen: Passt so einer zu uns?<br />

Die gemeinsamen Werte scheinen entscheidend. Aber<br />

welche? Die Gleichberechtigung der Frau und das Diskriminierungsverbot<br />

gegenüber Homosexuellen werden schnell<br />

und gerne genannt. „Paschas und verhüllte und unterdrückte<br />

Kopftuchmäuse kommen da in unser Land“, so das häufig<br />

gehörte Vorurteil. Kann sein, aber die Zahlen sagen auch,<br />

dass es in vielen muslimischen Ländern deutlich mehr Professorinnen<br />

gibt als in unserem Land. Dafür dürfen die dann<br />

„Herr Seehofer<br />

und ich teilen nicht die<br />

gleichen Werte, …“<br />

vielleicht nicht im Bikini öffentlich baden gehen. Jedenfalls<br />

habe ich einige Bekannte, wenn die ungestört über Frauen<br />

reden, dann weiß man, was Paschas sind. Die sind übrigens<br />

alle keine Muslime. Im Gegensatz zu der Kopftuchträgerin,<br />

die ich neulich kennengelernt habe. Die war so scharf und<br />

schnell in ihrer Argumentation, dass Unterwürfigkeit und<br />

mangelnde Emanzipation eher nicht ihre Themen zu sein<br />

schienen. Alles sehr verwirrend.<br />

Verwirrend finde ich auch, dass neuerdings scheinbar alle<br />

Menschen dieses Landes meinen, dass die Gleichberechtigung<br />

Homosexueller selbstverständlich ein wichtiger gemeinsamer<br />

Wert wäre, dem nun doch auch die Flüchtlinge<br />

zuzustimmen hätten. Das würde mich ja sehr freuen, aber<br />

die vollständige rechtliche Gleichstellung lässt in Deutschland<br />

nach wie vor auf sich warten. Fast könnte man meinen,<br />

wir erwarten von Flüchtlingen mehr als von den anderen Bewohnerinnen<br />

und Bewohnern unseres Landes.<br />

Es ist wahr: Werte sind wichtig für das Zusammenleben<br />

einer Gesellschaft. Das wussten auch die Mütter und Väter<br />

des Grundgesetzes. Deshalb sollen sich die Bürgerinnen und<br />

Bürger dieses Landes mit der Vielfalt ihrer Werte und Haltungen,<br />

ihrer Religionen und Philosophien ins öffentliche Leben<br />

einbringen. Nicht nur in den Medien, sondern auch an<br />

den Stammtischen, zu Hause und am Arbeitsplatz werden<br />

tagein, tagaus Wertedebatten geführt. Aber alles was dort diskutiert<br />

wird, wird erst verbindlich, wenn es über den dafür<br />

vorgesehenen Prozess in Gesetze gefasst wird. Wenn wir also<br />

nach den für unsere Gesellschaft verbindlichen Werten fragen,<br />

die auch von Flüchtlingen geteilt werden müssen, dann<br />

kommen wir nicht umhin, auf die Einhaltung der Gesetze zu<br />

verweisen. In der Bibel gibt es eine Tradition, die Schönheit<br />

des Gesetzes zu loben. Das Gesetz gilt dort als Geschenk<br />

Gottes, denn es ermöglicht das friedliche Zusammenleben<br />

der Verschiedenen.<br />

Die Gesetze regeln alles, was für unsere Gesellschaft konstitutiv<br />

ist. Unter anderem auch das Verhältnis von Männern<br />

und Frauen, die rechtliche Stellung von Lesben und Schwulen<br />

16


Stadtgespräch<br />

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und auch das Verbot physischer und psychischer Gewaltanwendung.<br />

Natürlich wünschte auch ich mir von jedem Menschen<br />

in diesem Land ein begeistertes Eintreten für die Freiheit<br />

der individuellen Entfaltung, der religiösen Betätigung<br />

und des politischen Engagements, so wie es das Grundgesetz<br />

für uns bereithält. Aber dafür kann ich nur werben. Erwarten<br />

kann ich das nicht. Es besteht zwar die Pflicht, das geltende<br />

Gesetz einzuhalten, aber eine Pflicht, jedes geltende Gesetz<br />

auch gut zu finden, besteht nicht. Auch das gehört zu den<br />

Freiheiten, die wir haben.<br />

„… und keiner von<br />

uns fliegt raus. Wären wir<br />

allerdings Flüchtlinge …“<br />

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Es ist also nicht hilfreich, von Flüchtlingen die Einhaltung irgendwelcher<br />

Werte zu verlangen. Was verlangt werden kann,<br />

ist die Einhaltung geltenden Rechtes. Dadurch werden dann<br />

allerdings eine ganze Menge Werte verwirklicht. Im weltweiten<br />

Maßstab gesehen, leben wir an einem wunderbaren Ort<br />

der Freiheit und des Rechtes. Das ist ein wesentlicher Grund,<br />

warum so viele Menschen davon träumen, in diesem Land<br />

leben zu dürfen. Wir sind dennoch nicht im Himmel. Man<br />

kann scheitern und unter die Räder geraten, und viel zu tun<br />

bleibt immer. Aber das große Freiheitsversprechen des<br />

Grundgesetzes gilt allen Bewohnerinnen und Bewohnern<br />

dieses Landes. Damit auch Flüchtlinge diese Freiheit in ihrem<br />

Leben wahr werden lassen können, müssen sie zuerst<br />

einmal wissen, was hier verboten und was erlaubt ist. In der<br />

Folge sind die Beteiligung an der gesamtgesellschaftlichen<br />

Wertedebatte und die politische Teilhabe ausdrücklich erwünscht.<br />

Aber mehrheitlich sind das wohl spätere Schritte<br />

der Integration. •<br />

17<br />

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Hey, mach<br />

doch mal Platz!<br />

Wenn die Stadt demnächst in einem Hinterhof im Karoviertel eine Unterkunft<br />

für Flüchtlinge baut, dann bin ich mitverantwortlich dafür. Denn ich war dabei,<br />

als die Fläche bei dem Workshop Finding Places ausgewählt wurde.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Wo bis vor zwei Jahren<br />

das Theater „Fliegende<br />

Bauten“ seine Heimat hatte,<br />

sprießt jetzt viel Wildkraut.<br />

Die Fläche bietet mehr als<br />

genug PLATZ für eine<br />

Flüchtlingsunterkunft.<br />

18


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rubrik<br />

19


Unsere rote Fahne: kein Bekenntnis<br />

zum Kommunismus, sondern Hinweis<br />

auf empfohlene Flächen, auf denen<br />

man für Flüchtlinge bauen könnte.<br />

Oben: Eine FREIFLÄCHE neben<br />

dem Bunker an der Feldstraße wurde<br />

von der Stadt abgelehnt. Sie wird für<br />

einen Rettungsweg zum Dom benötigt.<br />

Rechts: Nachverdichten könnte man in<br />

einem idyllischen Hinterhof im Karolinenviertel.<br />

Das sieht auch die Zentrale<br />

Koordinierungsstelle Flüchtlinge so.<br />

Die vorgeschlagene Fläche der<br />

Monopolverwaltung für Branntwein<br />

(Foto Seite 21) wird inzwischen durch<br />

einen neuen Zaun „geschützt“.<br />

Die Stadt Hamburg würde hier gerne<br />

bauen, der Bund will genau das nicht.<br />

Und ihm gehört das Areal.<br />

20


Stadtgespräch<br />

Jetzt sollen es also die Hamburger richten. Sollen<br />

nachschauen, ob Senat und Bezirke Flächen für die<br />

Unterbringung von Flüchtlingen übersehen haben.<br />

Das neue Beteiligungsverfahren heißt „Finding<br />

Places“. Entwickelt wurde es an der Hafencity Universität<br />

(HCU). In 42 Workshops werden mithilfe<br />

eines interaktiven Stadtmodells städtische Flächen durchforstet.<br />

Jeder, wirklich jeder kann daran teilnehmen. „Und ich<br />

bin mir sicher, Sie werden etwas finden“, so Bürgermeister<br />

Olaf Scholz bei der Präsentation Mitte Mai. Und diese<br />

Fundstücke, so seine Devise, sollen dann auch bebaut werden.<br />

Schließlich benötige Hamburg schnellstmöglich 20.000<br />

weitere Plätze für Flüchtlinge.<br />

Mich hat die Idee fasziniert. Selber prüfen, ob nicht doch<br />

vielleicht rund um meinen Wohnort Flächen bereitstehen.<br />

Ich wohne im Karoviertel. Hier wurden im vergangenen<br />

Sommer Hunderte Flüchtlinge in einer Hauruck-Aktion in<br />

Faszinierende Idee: Jeder,<br />

wirklich jeder kann an den<br />

Workshops teilnehmen.<br />

der Messehalle einquartiert. Ein Notbehelf, der nur durch die<br />

Unterstützung der Anwohner funktionierte. Dass die Flüchtlinge<br />

später wegen der Hanseboot weichen mussten und in<br />

Baumärkte verfrachtet wurden, während nur wenige Meter<br />

entfernt zwei Saga-GWG-Häuser und ein altes Schulgebäude<br />

leer standen, habe ich nie verstanden.<br />

Deswegen melde ich mich für Finding Places an: In einem<br />

zweistündigen Workshop können die Teilnehmer alle<br />

städtischen Flächen einsehen und festlegen, welche Baufelder,<br />

sogenannte Flurstücke, sie für Modulbauten für geeignet halten.<br />

Diese zweistöckigen Leichtbauten sollen höchstens fünf<br />

Jahre stehen bleiben. Deswegen sind langwierige Genehmigungsverfahren<br />

hinfällig. Bereits nach zwei Wochen, so der<br />

Senat, sollten die Ergebnisse von der Zentralen Koordinierungsstelle<br />

Flüchtlinge (ZKF) überprüft sein.<br />

Wir sind 16 Leute: keine Politiker, vereinzelte Stadtteilaktivisten,<br />

aber sonst normale Bewohner aus dem Bezirk Mitte,<br />

zwischen Mitte 20 und Ende 60. Gleich mit den ersten Wortmeldungen<br />

blitzt erstaunliches Expertenwissen auf. Am südlichen<br />

Ende der Horner Rennbahn sei ausreichend Platz, erklärt<br />

ein Anwohner. Die Rennstrecke bliebe unberührt. „Und<br />

den Fußballplatz am Gehölzgraben könnte man auch noch<br />

bebauen“, so sein Vorschlag. Aus dem Stegreif listete er acht<br />

Fußballfelder in der Umgebung auf, die den Vereinen als<br />

21


Der südliche Abschnitt der Horner Rennbahn (oben): Idylle<br />

pur – und es gäbe genug Platz für Modulbauten. Die Stadt<br />

lehnte den Vorschlag ab: zu viel Lärm- und Luftbelastung.<br />

Das Gelände unweit der Peute (unten) wurde vom Workshop<br />

als UNGEEIGNET verworfen. Es ist wegen der vielbefahrenen<br />

Bahntrasse und den Elbbrücken schlicht zu laut.<br />

Ersatz dienen könnten. „Der Breitensport hat es eh schwer.<br />

Da können wir keinen Platz zubauen“, entgegnet ihm ein<br />

Teilnehmer und erntet deutlich mehr Zuspruch.<br />

Gerne hätte ich mehr Für- und Wider-Argumente gehört.<br />

Doch dafür ist kaum Zeit. Also schnell abstimmen:<br />

knappe Mehrheit gegen den Fußballplatz. Dafür 240 Plätze<br />

in Modulbauten am Rande der Rennbahn. Ich habe ein<br />

mulmiges Gefühl: Schließlich blockiere ich mit meiner Gegenstimme<br />

eine Flüchtlingsunterkunft auf einem Fußballplatz,<br />

zumindest virtuell.<br />

Eine Woche später stehe ich zusammen mit unserem Fotografen<br />

Dmitrij Leltschuk an der Horner Rennbahn. Ich bin<br />

beeindruckt von der Weite des Freizeitparks. Der Ruhe. Ein<br />

paar Modulhäuser am südlichen Rande der Bahn würden<br />

niemanden stören, da waren wir uns einig. Außerdem: Zur<br />

U-Bahn sind es nur wenige Meter, auch die nächste Kita und<br />

der nächste Supermarkt sind fußläufig erreichbar.<br />

Ich fiebere der Antwort entgegen. Die Ernüchterung<br />

nach zwei Wochen ist groß: „nicht geeignet“, wegen Lärmund<br />

Luftbelastung. „Aus diesem Grund wäre ein Abstand<br />

von mindestens 20 Metern zur Fahrbahnbegrenzung einzuhalten.“<br />

Die dann noch verbleibende Fläche würde nicht<br />

mehr ausreichen. Was dazu wohl Flüchtlinge sagen würden?<br />

Würden sie den Autoverkehr nicht dem Leben in einer<br />

22


Stadtgespräch<br />

Massenunterkunft vorziehen? Tatsächlich erscheint mir die<br />

Begründung vorgeschoben. Große Umbauten stehen an. Ein<br />

Einkaufszentrum ist geplant. Die Horner Rennbahn soll eine<br />

Doppelrennbahn erhalten. Da stört vermutlich eine<br />

Flüchtlingsunterkunft.<br />

Freunde hatten bereits im Vorfeld meine Begeisterung<br />

gedämpft: „Wenn so viel Datenmaterial vorliegt, warum<br />

kann die Stadt dann nicht selber alle Flächen untersuchen?“<br />

An der Kritik ist leider einiges dran. Denn ebenfalls „nicht<br />

weiter geprüft“ wird die ehemalige Monopolverwaltung für<br />

Branntwein. Dabei wäre ausreichend Platz für mehr als 200<br />

Flüchtlinge, hatten wir Workshop-Teilnehmer entschieden.<br />

Am Ende überwiegen<br />

eben doch wieder<br />

ökonomische Interessen.<br />

Die Fläche gegenüber dem Elbpark Entenwerder gehört<br />

aber nicht der Stadt, sondern dem Bund. Und der, das wird<br />

aus der Antwort deutlich, ist nicht am Verkauf oder wenigstens<br />

an einer Zwischennutzung interessiert.<br />

Das ist mehr als nur schade. Ich hatte das Gelände besichtigt.<br />

Und war hin und weg. Zwei Wohn- und Verwaltungsgebäude<br />

in gutem Zustand, ein großer Innenhof und alte,<br />

schöne Lagerhallen. Perfekt! Eventuell wären auch Gewerbezeilen<br />

oder gar Wohnungsbau mit Blick auf die Elbe möglich.<br />

Der Bund aber sieht das anders – und die Gebäude wurden<br />

sicherheitshalber mit einem neuen Zaun abgesperrt.<br />

Das nervt. Noch ein Vorschlag unseres Workshops scheitert:<br />

das Flurstück zwischen der U-Bahn Feldstraße und dem<br />

Bunker auf dem Heiligengeistfeld, weil es als Fluchtweg für<br />

den Dom nicht bebaut werden kann.<br />

Diese formalen Gründe spiegeln zugleich die Schwierigkeiten<br />

wider, vor denen Behörden und Bezirke real stehen.<br />

Umso größer ist daher Mitte Juni meine Freude, als die ZKF<br />

schließlich doch noch zwei Vorschläge aus dem Workshop für<br />

„geeignet in Ersteinschätzung“ erachtet. Die ehemaligen<br />

Fliegenden Bauten auf St. Pauli seien „sozial sowie verkehrstechnisch<br />

gut angebunden“, heißt es aus der Behörde. 160<br />

Flüchtlinge könnten auf der Brachfläche neben Planten un<br />

Blomen nach Einschätzung des Workshops leben. In direkter<br />

Nachbarschaft zu einem Innenhof im Karoviertel, den das<br />

ZKF ebenfalls als „geeignet“ für 50 Menschen erachtet.<br />

Zurück aber bleibt ein Geschmäckle. Anwohner bringen<br />

beeindruckende Kenntnisse ein, bieten von sich aus Flächen<br />

in ihrer Nachbarschaft an. Tatsächlich ungenutzte Flächen<br />

aber, wie der Rand der freizügigen Horner Rennbahn und<br />

die ehemalige Monopolverwaltung für Branntwein, bleiben<br />

unangetastet. Denn am Ende überwiegen eben doch wieder<br />

ökonomische Interessen. •<br />

Workshop-Anmeldung unter www.findingplaces.hamburg<br />

23


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Meldungen (1)<br />

Politik & Soziales<br />

Schuhe: „Made in Europe“ bedeutet oft Hungerlöhne<br />

Sogenannte deutsche oder italienische Schuhe werden oft in Südosteuropa zu<br />

Hungerlöhnen gefertigt. Das zeigen Recherchen der Clean Clothes Campaign<br />

und der Initiative Change your shoes. Demnach können Fabrikarbeiter in<br />

Alba nien, Mazedonien oder Rumänien von ihren Löhnen oft nicht ihre Familien<br />

ernähren und müssen sich zu Wucherzinsen verschulden. „Made in Europe“ sei<br />

kein Hinweis auf nachhaltig produzierte Schuhe, so die Initiativen. Sie fordern<br />

mehr „Transparenz in der Zulieferkette“. UJO<br />

•<br />

Mehr Infos im Internet unter www.lohnzumleben.de<br />

Mehr Wohnungslose in Wohnungen vermittelt<br />

Erstmals hat die Wohnungswirtschaft 2015 den Kooperationsvertrag<br />

erfüllt: Mit 1175 wohnungslosen Alleinstehenden und<br />

Familien haben die Unternehmen Mietverträge geschlossen,<br />

1029 waren vorgeschrieben. Mit 992 Haushalten hat Saga<br />

GWG das Gros der Wohnungslosen aufgenommen, die über<br />

die Fachstellen für Wohnungsnotfälle vermittelt wurden.<br />

Flüchtlinge werden dort als Wohnungslose gezählt. BELA<br />

•<br />

Mehr Infos im Internet unter www.huklink.de/kooperationsvertrag<br />

Landgericht bestätigt Mietwucher-Urteil<br />

Klagen gegen Mietwucherer haben in Hamburg künftig mehr<br />

Chancen auf Erfolg. Das ergibt sich aus einem Urteil des<br />

Landgerichts Hamburg (Az: 316 S 81/15). Demnach muss<br />

die Rauch&Veth GbR dem Jobcenter 52.500 Euro zu viel<br />

gezahlte Mieten zurückzahlen. Die Firma hatte in einem<br />

heruntergekommenen Haus in Ottensen Zimmer zu<br />

Wucherpreisen an Hilfeempfänger, vorwiegend Ex-Obdachlose<br />

und Haftentlassene, vermietet. UJO<br />

•<br />

Senat will Kosten beim Wohnungsbau senken<br />

Sozialverband wegen Bauprojekt in der Kritik<br />

Ein Bauprojekt in Langenhorn bringt den Sozialverband<br />

Deutschland (SoVD) in die Kritik: 81 Wohnungen plant die<br />

SoVD-Tochter Meravis am Buurredder, darunter mindestens<br />

48 Eigentumswohnungen. 44 preiswerte Wohnungen sollen<br />

dafür abgerissen werden. Altmietern, die zurückkehren wollen,<br />

versprach die Meravis „einen Mietnachlass von 10 bis 15<br />

Prozent auf zehn Jahre“. Und: „Der ausschließliche Bau von<br />

Sozialwohnungen ist ... wirtschaftlich nicht tragbar.“ UJO<br />

•<br />

Anfangsmieten zwischen acht und neun Euro pro Quadratmeter<br />

im Erstbezug: Das will der Senat mit dem „Hamburger<br />

Effizienzwohnungsbau“ erreichen. „Typisierung“ und „Standardisierung“<br />

sollen die Kosten senken, beschloss die Bürgerschaft.<br />

Die städtische Saga GWG soll „modellhaft“ einen Prototypen<br />

bauen. Die Architektenkammer erklärte, auch hohe<br />

Grundstückspreise, höhere Energiestandards und langwierige<br />

Genehmigungsverfahren machten das Bauen teuer. UJO<br />

•<br />

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Rubrik<br />

STADT-<br />

EXPEDITION:<br />

#9 Die Pilger-Tour<br />

Es muss nicht gleich Santiago de Compostela sein. Auch<br />

in Hamburg finden Pilger ihr Glück. Dass gleich mehrere<br />

Pilgerwege mitten durch die Stadt führen, wissen nur Kenner.<br />

Wir zeigen die schönsten Orte für eine innere Einkehr.<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Bernd Lohse (58)<br />

arbeitet seit acht Jahren als Pilgerpastor an<br />

der Hauptkirche St. Jacobi. Über seine Aufgabe<br />

sagt er: „Glauben ist für mich ein Weg. Eine<br />

Pfarrstelle, die ausdrücklich das Auf-dem-<br />

Weg-Sein zum Thema hat – da bin ich richtig.“<br />

1. Ein mit Stempeln<br />

gefülltes Pilgerbuch,<br />

zu bestaunen in der<br />

Kapelle von St. Jacobi<br />

in der City (unten).<br />

Outdoor und Religiosität gehören<br />

zusammen wie Gebet<br />

und Amen“, sagt Bernd<br />

Lohse. Hamburgs Pilgerpastor<br />

ist ein auf geistlichen Wegen Reisender<br />

aus Leidenschaft. Ein Mal im<br />

Jahr führt der gelernte Journalist und<br />

studierte Theologe Interessierte auf seiner<br />

Lieblings-Pilgertour durch Norwegen.<br />

Über den Olavsweg hat er nicht<br />

nur einen Führer geschrieben, auch einer<br />

seiner Krimis spielt dort. Doch auch<br />

im Norden Deutschlands ist Lohse häufig<br />

unterwegs und spinnt weiter am immer<br />

dichteren Netz der Pilgerfreunde.<br />

Ist er in der Stadt, erfreut er sich an<br />

„den kleinen Formen der Pilgerei“. Dass<br />

die immer mehr Menschen schätzen lernen,<br />

ist auch das Werk des unermüdlichen<br />

Pastors: „Pilgern in der Stadt ist etwas,<br />

das wir in Hamburg besonders<br />

entwickelt haben.“ •


Stadtexpedition<br />

HINZ&KUNZT N°277/ MÄRZ <strong>2016</strong><br />

Wer eine Ahnung vom Reiz des Pilgerns bekommen will, besucht<br />

die Hauptkirche St. Jacobi. Vor gut 750 Jahren wurde<br />

1.<br />

sie errichtet, „als Kapelle für Pilger, die vor den Toren der Stadt lagerten<br />

und nicht hineindurften“, so Pastor Lohse. Heute lädt das Pilgerzentrum<br />

in der Kapelle zum Gespräch ein wie zum Gebet. Interessierte<br />

erhalten einen Pilgerpass und Tipps für die nächste Tour,<br />

Neugierige stöbern im Buch „Erzählungen der Pilgernden“ und lassen<br />

sich so anregen. Wie der eigene Weg aussehen kann, entscheidet<br />

– anders als früher – jeder für sich selbst. Pastor Lohse: „Pilgern ist<br />

heute ein sehr befreites Pilgern.“ Ihren Stempel bekommen die Pilger<br />

übrigens am Eingang.<br />

Pilgerzentrum, Hauptkirche St. Jacobi, Jakobikirchhof 22, Di, 10–12 Uhr, Do,<br />

15.30–17.30 Uhr, Tel. 30 37 37 13, mehr Infos: www.pilgern-im-norden.de<br />

Im Mittelalter waren Pilger nicht wohlgelitten. „Sie<br />

rochen und sprachen fremde Sprachen“, beschreibt<br />

Pastor Lohse die Bilder in den Köpfen der Städter.<br />

„Sie waren Fremde – so wie es heute Obdachlose<br />

oder Flüchtlinge sind.“ Pilgern war zu jener Zeit<br />

vor allem eine Form der Buße, „aber auch die einzige<br />

Form des Reisens – und schon damals eine Volksbewegung“. Viele<br />

Wanderer hofften darauf, in Hamburg ein Schiff zu finden auf ihrem<br />

Weg zu den Pilgerzentren in Spanien oder Norwegen. Um sie<br />

sowie Alte und Kranke zu versorgen, gründeten Franziskanermönche<br />

vor mehr als 800 Jahren das Hospital zum Heiligen Geist. Heute<br />

erinnert der Name der Heiligengeistbrücke an die laut Pastor Lohse<br />

„erste diakonische Einrichtung der Stadt“.<br />

Heiligengeistbrücke (nahe U-Bahn Rödingsmarkt), Kurzfilm zur Geschichte des<br />

Hospitals im Internet: www.hzhg.de/ueber-uns/historie.html<br />

drei<br />

Eine Kinoleinwand, die mitten in der Kirche hängt.<br />

Tischtennisplatten und Tischkicker statt Gesangsbücher.<br />

Und im Raum nebenan ein Café, das sich zum Stadtteiltreff<br />

entwickelt: „Bei uns können Pilger lernen, dass Kirche sich verändert<br />

und neue Formen entwickelt“, sagt Uschi Hoffmann. Die Stadtteildiakonin<br />

sieht die Immanuelkirche auf der Veddel vor allem als<br />

„Ort der guten Angebote für Menschen, die wenig Geld haben“. Sogar<br />

Minigolf haben sie in der Kirche schon gespielt. Uschi Hoffmann<br />

geht es um den Dialog der Religionen und Kulturen. Diskussionen<br />

mit Vertretern der Islamischen Gemeinde stehen ebenso auf<br />

dem Programm wie gemeinsames Kochen mit Flüchtlingen. Ein besonderer<br />

Ort auf dem Jakobusweg im Hamburger Süden.<br />

Kirche auf der Veddel, Wilhelmsburger Straße 73, www.kirche-veddel.de<br />

1. So weit die müden Füße<br />

tragen: Für Pilger gibt<br />

es viele lohnenswerte Ziele.<br />

Vögel zwitschern vielstimmig. Nur das Rattern vorbeifahrender<br />

S-Bahnen hinter einer Wand aus Bäumen<br />

erinnert daran, dass wir uns mitten in Hamburg befinden.<br />

Wer innere Einkehr sucht, ist an der Dove Elbe<br />

(4a) goldrichtig. Eben noch führte der Jakobusweg<br />

beim Auswanderermuseum Ballinstadt an einer vielspurigen<br />

Autostraße entlang, nun taucht der Pilger ein in idyllische<br />

Flecken Natur. Rechts des Weges liegen kleine Yachten bewegungslos<br />

im Wasser, links wechseln Wald, Wiesen und Kleingärten ab. Immer<br />

wieder gibt das Grün den Blick frei auf weitläufige Anwesen auf<br />

der anderen Seite des Flussarms, die die Frage aufwerfen, was der<br />

Mensch zum Leben eigentlich braucht. So ein hübscher kleiner Pavillon<br />

am Wasser, würde der nicht ausreichen zum Glück? Bald er-<br />

26


8<br />

2<br />

1<br />

2. Unsere Tour führt zur Heiligengeistbrücke,<br />

deren Name an<br />

den historischen Standort des<br />

Hospitals zum Heiligen Geist<br />

erinnert. Heute gibt es ein<br />

gleichnamiges Seniorenheim<br />

in Poppenbüttel, über das ein<br />

güldener St. Ansgar wacht.<br />

7. Der Pilgerweg durch den<br />

Stadtpark ist gesäumt von<br />

großen, alten Bäumen.<br />

3<br />

4a<br />

4b<br />

6<br />

4a. Zum Pilgern<br />

braucht es Stille.<br />

Die findet man auf<br />

dem Jakobusweg entlang<br />

der Dove Elbe.<br />

7<br />

3. Die Immanuelkirche auf der Veddel ist ein<br />

Ort der Begegnung für Menschen aller<br />

Konfessionen.<br />

4b. Schönes Etappenziel:<br />

die Windmühle Johanna.<br />

5


Stadtexpedition<br />

hebt sich die Windmühle Johanna (4b)<br />

vor dem Wanderer, ein 140 Jahre alter<br />

Prachtbau, in dem heute Hochzeiten gefeiert<br />

werden, Mühlen- und Schlachtfeste.<br />

Ausdauernde führt der Weg über Harburg<br />

und Sinstorf bis nach Hittfeld.<br />

Museum Ballinstadt, Veddeler Bogen 2. Windmühle<br />

Johanna, Schönenfelder Str. 99. Einen<br />

Flyer zum Jakobusweg gibt es im Pilgerzentrum.<br />

„Zweieinhalb Stunden zu schweigen<br />

ist etwas sehr Intensives“, sagt<br />

5.<br />

Pilgerpastor Lohse. Wer das erleben<br />

möchte, geht gemeinsam mit anderen<br />

„Schweigend um die Alster“. Ein Mal im<br />

Monat lädt das Team des Pilgerzentrums<br />

zur besonderen Wanderung, „bei jedem<br />

Wetter und zu jeder Jahreszeit“. Neben der Gelegenheit zur<br />

inneren Einkehr bietet die Tour schöne Aussichten. „Ich liebe<br />

vor allem den Blick auf die Stadtsilhouette mit ihren fünf<br />

Hauptkirchen, dem Rathaus und neuerdings auch der Elbphilharmonie“,<br />

schwärmt Lohse. Eröffnet wird die Pilgerwanderung<br />

mit einem Gebet, einem Lied oder einem Text<br />

zum Nachdenken. Raum fürs Gespräch gibt es auch: „Bis<br />

wir die Alster erreicht haben, wird noch gesabbelt.“<br />

Jeden zweiten Freitag im Monat, 18 Uhr, Treff Pilgerwegweiser an St.<br />

Jacobi, Jakobikirchhof 22, ohne Anmeldung, Dauer 2,5 Stunden<br />

Welch besonderer Geist in der St. Marienkirche<br />

in Fuhlsbüttel herrscht, bezeugen Einträge von<br />

Pilgern ins Gästebuch: „Danke für den köstlichen<br />

Kuchen!“ – „Mit dem Abendgebet konnten wir gut ankommen.“<br />

– „Ein wunderbares Gemeindehaus, das ich nicht<br />

vergessen werde.“ Die Kirche nahe des Alsterlaufs ist einer<br />

der zahlreichen Gastgeber in der Stadt, die müden Pilgern<br />

ein Dach über dem Kopf anbieten. Vier Feldbetten stehen<br />

hier bereit, und weil diese Etappe des Jakobswegs mit 20<br />

6. Reich verziert: das Gästebuch<br />

der St. Marienkirche<br />

in Fuhlsbüttel.<br />

6. In der St. Marienkirche<br />

sind Pilger gern gesehen.<br />

Kilometern recht lang<br />

ist, „kommen die Menschen<br />

meist ziemlich erschöpft an“, berichtet<br />

Küsterin Petra Pätz. Brechen sie am nächsten Morgen auf,<br />

„verabschieden wir sie auch mal mit Glockengeläut“. Tipp<br />

der Küsterin: das Café Luise, wo der Bäckermeister noch ohne<br />

Zusatzstoffe backt.<br />

St. Marien, Maienweg 270; Café Luise, Erdkampsweg 12<br />

Um den Pilgerweg im Stadtpark zu erkunden,<br />

braucht es den kleinen, feinen Führer, den die umliegenden<br />

Kirchengemeinden mit dem Pilgerzentrum<br />

gemeinsam herausgegeben haben. „Wir durften<br />

den Weg leider nicht markieren“, erzählt Pastor Lohse.<br />

„Das Amt meinte, das sei eine religiöse Äußerung, und dann<br />

wollten am Ende auch Buddhisten ihre Gebetsfahnen aufhängen.“<br />

So ist ein Heft entstanden, das zu Ecken führt, „die<br />

selbst eingefleischte Hamburger nicht kennen“.<br />

Start: Café Trinkhalle, Südring 1. Den Führer „Rauswege – Pilgern im<br />

Stadtpark“ gibt es im Pilgerzentrum.<br />

Regelmäßig lädt der Pilgerpastor zu abendlichen<br />

Erkundungen der Stadt. Dann führt<br />

er an „unentdeckte Orte“, die „Ausblick ins<br />

Weite“ bieten. Oder zeigt „geistliche Spuren“,<br />

die nur wenige (er)kennen. Gutes Beispiel<br />

sind die Reste eines jüdischen Tempels, die ein Hinter-<br />

hof in der Poolstraße 12/13 verbirgt. Die Ruinen<br />

stehen unter Denkmalschutz und lassen erahnen, wie<br />

prächtig das Gotteshaus gewesen sein muss. Für Pas-<br />

tor<br />

Lohse sind sie Symbol für das Ziel der Juden, „in<br />

der Stadt, in der man lebt, zu Hause zu sein“. 1931<br />

weihte die jüdische Gemeinde einen neuen Tempel<br />

in<br />

der Oberstraße ein. Das Gebäude in der Neustadt<br />

wurde verkauft und 1944 von Bomben zerstört. Wo<br />

einst Menschen beteten, schrauben heute Mechaniker<br />

einer Autowerkstatt an Fahrzeugen herum. Und<br />

5. Schweigen<br />

geht auch in der<br />

Stadt – etwa am<br />

Ufer der Alster.<br />

8. Relikt der Vergangenheit: Früher stand hier<br />

in der Poolstraße ein jüdischer Tempel.<br />

dennoch fügt sich das Ganze zu einem irgendwie<br />

harmonischen Bild.<br />

„Workout-Pilgern“, 14.7., •<br />

18 Uhr, Pilgerwegweiser, Jakobikirchhof<br />

22, oder 18.30 Uhr, Maritimes<br />

Museum, Koreastr. 1, Anmeldung<br />

bis 12.7. unter exner@jacobus.de


Stadtgespräch<br />

Meldungen (2)<br />

Politik & Soziales<br />

Konto für alle endlich Gesetz<br />

Betroffene und Berater haben lange dafür gekämpft, nun ist<br />

es Gesetz: das Recht auf ein Konto für jedermann. Wer ein<br />

sogenanntes Basiskonto eröffnen will, darf ab sofort nicht<br />

abgewiesen werden – auch wenn er Schulden hat oder<br />

obdachlos ist und als Kunde wenig lukrativ erscheint. Das<br />

Basiskonto ist ein reines Guthabenkonto. Ein „Nein“ ist<br />

den Banken nur in wenigen Ausnahmen erlaubt. Wer sich<br />

ungerecht behandelt fühlt, kann vor Gericht klagen. UJO<br />

•<br />

Mehr Infos im Internet unter www.huklink.de/basiskonto<br />

Streit über Hartz IV für Ausländer<br />

Haben Ausländer in Deutschland Anspruch<br />

auf Sozialleistungen oder nicht? Das Bundessozialgericht<br />

(BSG) urteilte, dass EU-Bürger<br />

bei einem „verfestigten Aufenthalt“ nach<br />

sechs Monaten zwar keinen Anspruch auf<br />

Hartz IV, wohl aber auf Sozialhilfe hätten.<br />

Ungewöhnlich ist, dass anschließend mehrere<br />

Gerichte anders entschieden haben. So<br />

befand das Landessozialgericht Hamburg,<br />

dass bereits eine Übergangs- oder Rückkehrhilfe<br />

ausreichen kann. Dem Sozialgericht<br />

Mainz hingegen geht das BSG-Urteil nicht<br />

weit genug: Jeder in Deutschland Lebende<br />

habe Anspruch auf Hartz IV. Das soll nun<br />

das Bundesverfassungsgericht prüfen. „Das<br />

Bundessozialgericht ist unter Beschuss von<br />

allen Seiten“, erklärte der Sprecher des<br />

Missachten Jobcenter das<br />

Grundgesetz, wenn sie<br />

Hartz-IV-Empfängern die<br />

Hilfe kürzen oder streichen?<br />

Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat diese Frage offengelassen.<br />

Eine Prüfvorlage<br />

des Sozialgerichts Gotha<br />

wiesen die Richter wegen<br />

Formfehlern als „unzulässig“<br />

zurück. Das Gothaer Sozialgericht<br />

hatte die Menschenwürde<br />

bedroht gesehen. UJO<br />

•<br />

Sozialgerichts Mainz. BELA<br />

•<br />

Sanktionen bleiben<br />

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Senat und Stadtteilinitiative vereinbaren Bürgervertrag<br />

Nach monatelangem Streit um den Wohnungsbau für Flüchtlinge hat der Senat die erste Einigung<br />

erreicht. Statt der geplanten 5000 Flüchtlinge kommen in Neugraben-Fischbek jetzt<br />

1500 Flüchtlinge in Unterkünften und Wohnungen unter. Exakt diese Anzahl hatte die lokale<br />

Initiative von Beginn an gefordert. Weil aber keine Einigung in Sicht war, starteten Anwohner<br />

mit Bürgerinitiativen aus anderen Stadtteilen ein Volksbegehren gegen Großunterkünfte.<br />

Der jetzt geschlossene Bürgervertrag wäre allerdings ohne sinkende Flüchtlingszahlen<br />

nicht möglich geworden. Erreichten vergangenen Spätsommer täglich bis zu 300 Flüchtlinge<br />

Hamburg, kamen im gesamten Mai nur noch 948 Menschen. Der Senat will deswegen statt<br />

36.000 nur noch 21.000 neue Unterkunftsplätze bis Ende 2017 schaffen. Sollte dem Senat<br />

bis Anfang dieses Monats in allen Bezirken eine Einigung mit den protestierenden Bürgern<br />

gelingen, will der Initiativen-Dachverband sein Volksbegehren zurückziehen. JOF<br />

•<br />

29<br />

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Treppen: Das größte Hindernis für Rollifahrer? Nicht für Toni Hömpler.<br />

Er hat sich eine Treppenbremse ausgedacht, mit der er ohne Hilfe klarkommt.<br />

Er nutzt einen „Hill Holder“, eine Rückrollsperre, die einen Rollstuhl<br />

an einer Steigung nach hinten abbremsen soll. Den tüftelte Toni so für<br />

seinen Rollstuhl aus, dass er ein Wegrollen nach vorne verhindert. Wie man<br />

damit Treppen hochfahren kann, zeigt Toni am Dockland (Foto S. 30 und<br />

links): eine Hand am Geländer, eine auf der nächsthöheren Treppenstufe<br />

und dann mit Schwung hochdrücken. Eine anstrengende Angelegenheit,<br />

aber sie macht UNABHÄNGIG: „Wenn ich nachts nach Hause komme<br />

und der Fahrstuhl kaputt ist, komme ich trotzdem ganz allein bis in meine<br />

Wohnung.“ Leichte Übung für ihn (unten): mit dem Handbike auf zwei<br />

Rädern fahren. „Das ist zwar ein Trick, aber auch wichtig, um in engen<br />

Kurven nicht zu stürzen“, sagt Toni. Schon kniffliger: Longboard fahren.<br />

Der Himmelsstürmer<br />

Seine Behinderung nimmt Francisco Antonio Hömpler buchstäblich sportlich. Schon<br />

vor seiner Querschnittlähmung durch einen Unfall war der 30-jährige Hamburger eine<br />

Sportskanone. Daran hat sich nichts geändert – auch dank seiner Kreativität.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Der Mann ist ein Wahnsinniger!<br />

Da kommt er angezischt<br />

auf seinem Wakeboard.<br />

Die Hände fest am<br />

Griff des Seils, mit dem sich die Wasserski-<br />

und Wakeboardfahrer über den See<br />

ziehen lassen. Doch im Gegensatz zu<br />

den meisten Leuten, die sich heute an<br />

der Wasserskianlage im Norderstedter<br />

Stadtpark eingefunden haben, fährt<br />

Francisco Antonio Hömpler genau auf<br />

die große Rampe zu. Er will darüber<br />

springen. „Auf dem Wasser kann ich<br />

mir ja nicht den Rücken brechen“, hat<br />

Toni, wie ihn seine Freunde nennen, gerade<br />

noch gescherzt.<br />

Stimmt schon, Tonis Rücken ist eh<br />

schon im Eimer. Er ist querschnittgelähmt.<br />

Seine Beine kann der 30-Jährige<br />

nicht mehr bewegen. Aber den Hals<br />

könnte er sich brechen. Doch das<br />

scheint ihn nicht zu interessieren.<br />

Er weiß aber auch genau, was er<br />

tut. Für sein Wakeboard hat er sich eine<br />

Spezialkonstruktion anfertigen lassen:<br />

Er sitzt in einer Hartschale, die wie ein<br />

Stuhl auf das Brett geschraubt ist. Die<br />

Beine fixiert er an den Fußgelenken mit<br />

Klettverschluss-Bändern. So schießt er<br />

übers Wasser. Mal in geschmeidigen<br />

Kurven, mal nur mit einer Hand am<br />

Griff, während die andere locker die<br />

Wasseroberfläche streichelt. Dann der<br />

Sprung über den Kicker, wie die Rampen<br />

im Sportlerjargon heißen. Was Toni<br />

mit seinem „Sit-Wakeboard“ anstellt,<br />

31<br />

macht ihm nur ein anderer gelähmter<br />

Sportler in Deutschland nach, sagt er.<br />

Und wenige von denen, die heute sonst<br />

noch an der Seilwinde Schlange stehen.<br />

Es wird gefachsimpelt und gelacht. Toni<br />

lässt sich nach einem missglückten<br />

Flug über den Kicker von einem versierten<br />

Fahrer sagen, dass er die Arme<br />

beim Sprung weiter nach unten drücken<br />

muss. Er selbst gibt einer Anfängerin<br />

Tipps, wie sie direkt nach dem Start<br />

auf den Wasserskiern besser zum Stehen<br />

kommt. Toni ist ein guter Lehrer,<br />

das merkt man gleich.<br />

Ursprünglich wollte der gebürtige<br />

Hamburger tatsächlich als Snowboardlehrer<br />

arbeiten. 2008 flog er zunächst<br />

nach Australien, verbrachte dort ein


Fliegen mit dem SIT-WAKEBOARD: Den Sprung über den Kicker steht Toni Hömpler<br />

ohne Probleme (oben). Auch 180-Grad-Drehungen in der Luft beherrscht er. Während<br />

viele Sportler an der Wasserskianlage in Norderstedt nur eine Stunde Wasserzeit buchen,<br />

ist Toni erst nach zwei Stunden endlich K.o. (kleines Bild, Mitte). Profisportler will<br />

Toni trotzdem nicht sein. „Ich habe keine Lust, 30 Stunden die Woche für eine Sportart<br />

zu trainieren“, sagt er. „Ich will nicht der Beste im Trainieren sein, sondern viel Neues<br />

lernen.“ Und Neues erfinden – wie sein rollstuhltaugliches Longboard (siehe Seite 31).<br />

Zwei Schienen, die Toni auf das Board geschraubt hat, verhindern das Runterrollen der<br />

Rollstuhlräder. Eine Handbremse ermöglicht das Bremsen.<br />

ganzes Jahr. Im Dezember 2009 kehrte<br />

er kurz nach Hamburg zurück, nur um<br />

gleich weiter nach Österreich zu reisen,<br />

wo er sich in Tirol schon eine Stelle als<br />

Snowboardlehrer besorgt hatte. Danach<br />

sollte es am liebsten weiter nach<br />

Chile gehen, wo sein Vater herkommt,<br />

ins höchste Skigebiet der Welt. „Da wäre<br />

mein Blut richtig schön dick geworden“,<br />

schwärmt Toni.<br />

Doch daraus wurde nichts. Noch in<br />

Österreich stürzte Toni schwer – bei einem<br />

Sprung mit dem Snowboard über<br />

eine Rampe. Der Boden hinter der<br />

Rampe war vereist und hart wie Beton.<br />

Toni brach sich beim Aufprall Wirbel<br />

und mehrere Rippen. Seitdem ist er<br />

querschnittgelähmt. Das ist noch nicht<br />

lange her, „aber lange genug, um sich<br />

daran zu gewöhnen“, sagt Toni, der seine<br />

Geschichte ohne jede Spur von Bitterkeit<br />

erzählt.<br />

Die Zeit nach dem Unfall war<br />

schwer. „Du musst drei Traumata überwinden:<br />

das Unfalltrauma, das Rehatrauma<br />

und danach das Trauma mit<br />

dem neuen Leben“, erklärt er. Mit den<br />

Bildern des Unfalls fertigzuwerden ist<br />

dabei noch die leichteste Übung, findet<br />

Toni. Schwerer ist die Reha, während<br />

32<br />

der der Patient lernen soll, mit der Bewegungsunfähigkeit<br />

von der Hüfte abwärts<br />

klarzukommen. Noch schwerer<br />

aber ist die Rückkehr in den Alltag, der<br />

so sehr anders ist als das, was man bis<br />

dahin kannte.<br />

„Ich hatte mit Hamburg eigentlich<br />

schon einen Cut gemacht“, erinnert er<br />

sich. Doch nun bezog er eine barrierefreie<br />

Wohnung in Farmsen. Im Sommer<br />

2011 war das. „Ich war extrem<br />

frustriert“, erzählt er. Wieder bei seiner<br />

Familie einzuziehen kam nicht in Frage,<br />

selbst wenn deren Wohnung rollstuhlgerecht<br />

gewesen wäre. „Das wäre


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die totale Trauerveranstaltung geworden“,<br />

meint Toni. Denn die Eltern und<br />

auch die alten Hamburger Freunde waren<br />

geschockt von Tonis Unfall. Sie<br />

wussten nicht, wie sie damit umgehen<br />

sollten, fühlten sich hilflos. „Wenn das<br />

Umfeld ständig betroffen ist und man<br />

bemitleidet wird, macht das ziemlich<br />

depressiv“, sagt Toni. „Die Leute denken<br />

immer: Oh Gott, wenn mir so etwas<br />

passieren würde, ich würde mich<br />

umbringen!“ Aber man erlebe sich ja<br />

ständig selbst und gewöhne sich schneller<br />

an die Situation. Toni will deshalb<br />

auch nicht als der „ewige Rollifahrer“<br />

wahrgenommen werden, sondern als<br />

Person. „Meine größte Behinderung<br />

„Wenn man<br />

ständig bemitleidet<br />

wird, macht das<br />

depressiv.“<br />

ist, dass die meisten Leute mich behindert<br />

finden und mich daher anders behandeln“,<br />

sagt er. „Aber ich fühle mich<br />

nicht krank, schwach oder hilflos. Ich<br />

bewältige meinen Alltag komplett allein,<br />

und wenn ich Hilfe brauche, sage<br />

ich Bescheid.“<br />

In dem ersten schweren Jahr nach<br />

dem Unfall begann Toni, Handbike zu<br />

fahren. „Es war eine Zeit lang das Einzige,<br />

was mir noch Spaß gemacht hat“,<br />

erinnert er sich – und preist Fahrräder<br />

sofort als die beste Erfindung seit Menschengedenken.<br />

Mit der wiedergewonnenen<br />

Mobilität lernte Toni auch seinen<br />

Behindertenausweis schätzen: Er<br />

darf überall eine Begleitperson mit hinnehmen.<br />

„An der Kasse habe ich dann<br />

immer Leute angequatscht, ob ich auf<br />

ihr Ticket rein darf – und sie kommen<br />

umsonst als mein Begleiter mit.“<br />

50 Konzerte hat Toni 2012 besucht<br />

und dabei gleich zwei Fliegen mit einer<br />

Klappe geschlagen: gute Musik gehört<br />

und neue Freundschaften geschlossen.<br />

Denn: „Was hilft, ist, neue Leute kennenzulernen,<br />

die dich nur als Rollifahrer<br />

kennen“, sagt Toni. „Die alten<br />

Lebenslinien<br />

Freundschaften verleiten einen dazu,<br />

das frühere Leben mit dem neuen zu<br />

vergleichen. Aber das darf man nicht.<br />

Man sollte sich eher bewusst sein, was<br />

man im neuen Leben alles machen<br />

kann, anstatt sich das alte wieder zurückzuwünschen.“<br />

Auch seine erste<br />

Freundin nach dem Unfall begegnete<br />

ihm auf einem Konzert. Dann zog er<br />

nach Altona, mitten in den Trubel der<br />

Stadt. Toni war angekommen in seiner<br />

neuen Zeitrechnung.<br />

Und auch sein Sportlerherz begann<br />

wieder zu schlagen. Was Toni heute mit<br />

oder ohne seinen Rollstuhl anstellt, ist<br />

eine Mischung aus Pragmatismus, Erfindergeist,<br />

Neugier auf neue Bewegungserfahrungen<br />

und Extremsport. Er<br />

fährt die Treppen von siebenstöckigen<br />

Gebäuden mit seinem Rollstuhl hinauf,<br />

donnert mit seinem Handbike in rasender<br />

Geschwindigkeit auch Mountainbike-Strecken<br />

hinunter, er bewältigt mit<br />

seinem Rollstuhl steile Hügel und kurvt<br />

auf einem Longboard durch die Gegend.<br />

Rollstuhlbasketball spielt er auch.<br />

Das mitzuerleben ist erfrischend einerseits<br />

und anstrengend andererseits.<br />

Denn Toni Hömpler ist unermüdlich.<br />

Bis der Psychologiestudent endlich ausgepowert<br />

ist, sind normal sportliche Begleiter<br />

längst total platt.<br />

Auch beim Plausch mit den Wasserski-<br />

und Wakeboardfahrern in Norderstedt<br />

stellt sich heraus: Die meisten<br />

haben nur eine Stunde Wasserzeit gebucht.<br />

Mehr, gestehen sie, halten sie<br />

nicht durch. Toni dagegen will zwei<br />

Stunden fahren – und jede Minute bis<br />

zum Schluss auskosten. Immer wieder<br />

dreht er seine Runden, bis er stürzt.<br />

Dann schwimmt er an Land, wuchtet<br />

sein Brett aus dem Wasser und sich<br />

selbst hinterher. „Hach, das macht<br />

Spaß!“, schwärmt er. Er ist in seinem<br />

Element. Dann ist es endlich so weit.<br />

Am Ende der zwei Stunden bleibt er ermattet<br />

auf dem Steg liegen. „Ich muss<br />

mal eben entspannen.“ Eine Minute<br />

später ist Toni wieder fit. Und bereit,<br />

seine gelähmten Beine aus dem engen<br />

Neoprenanzug zu schälen. Wie er das<br />

schafft, bleibt sein Geheimnis. •<br />

Wer Toni Hömpler beim Sport<br />

zusehen will, kann folgenden Link<br />

anklicken: www.huklink.de/toni<br />

Lokale Onlinemedien<br />

Ohne Geld<br />

geht’s nicht<br />

Die Medienstadt Hamburg<br />

ist ärmer geworden: HH-<br />

Mittendrin berichtet nicht<br />

mehr. Altona.Info steht zum<br />

Verkauf. Und auch bei WilhelmsburgOnline.de<br />

ist<br />

Schluss. Tausenden Lesern<br />

wird etwas Wichtiges fehlen:<br />

Nachrichten über die Welt<br />

vor der Tür, die zeigen, wo<br />

etwas in der Nachbarschaft<br />

schiefläuft und was man dagegen<br />

tun kann.<br />

Das Ende von WilhelmsburgOnline.de<br />

schmerzt<br />

mich sehr, denn ich habe das<br />

Magazin selbst gegründet.<br />

Drei Jahre lang war es mir<br />

Herzens- und Ehrensache,<br />

die Menschen auf der Elbinsel<br />

gut und kritisch zu informieren.<br />

Gerade Wilhelmsburg,<br />

wo sich viele abgehängt<br />

fühlen, verdient es.<br />

Es ist toll, wenn Leser<br />

„unser Lokalmedium“ sagen<br />

und damit WilhelmsburgOnline.de,<br />

HH-Mittendrin, die<br />

Eimsbütteler Nachrichten<br />

oder das Magazin Elbmelancholie<br />

meinen. Es macht die<br />

vielen Recherchetermine<br />

wett, das Schreiben bis in die<br />

Nacht, die Wochenendarbeit.<br />

Alle Profijournalisten kennen<br />

das. Doch wenige ahnen, wie<br />

es ist, neben dem Vollzeitjob<br />

Geld verdienen zu müssen,<br />

weil Onlinemedien kaum<br />

Geld einbringen.<br />

Mit dem Ende von WilhelmsburgOnline.de<br />

fällt ein<br />

gewaltiger Arbeitsdruck von<br />

meinen Schultern. Das gute<br />

Gefühl, für mein Viertel einen<br />

wichtigen Job zu machen,<br />

wird mir jedoch fehlen.<br />

Aber es geht nicht, dass Leser<br />

professionelle Beiträge im<br />

Netz aufsammeln wie angespültes<br />

Treibgut. Es gibt Bezahlmodelle.<br />

Also, liebe<br />

Hamburger, nutzt sie! Damit<br />

der Medienreichtum unserer<br />

Stadt erhalten bleibt. ATW<br />

•<br />

33


Geschäftsbericht<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Danke für Ihr<br />

Engagement!<br />

Unsere Bilanz 2015: leichter Rückgang des Magazinverkaufs, ein sensationeller<br />

Spendenerfolg, neue Projekte und neue Arbeitsplätze. Und ein Ausblick auf <strong>2016</strong>.<br />

TEXT: JENS ADE; FOTO: CORNELIUS M. BRAUN; GRAFIK: GRAFIKDEERNS.DE<br />

2015 war ein besonders aufregendes<br />

Jahr für uns. Denn auch uns hat die Situation<br />

der Flüchtlinge menschlich und<br />

politisch sehr bewegt. Viele Obdachund<br />

Wohnungslose fühlen sich durch<br />

die große Solidarität, die die Flüchtlinge<br />

erfahren haben, allerdings noch<br />

mehr an den Rand gedrängt. Um mehr<br />

Verständnis zu wecken, haben wir mit<br />

Verkäufern Flüchtlinge in den Messehallen<br />

besucht. Der Schock über die<br />

Zustände dort war groß und hat einige<br />

sehr nachdenklich gemacht.<br />

Happy End am Flughafen: Erst<br />

hatten wir Auseinandersetzungen mit<br />

dem Flughafen, weil dort gegen Flaschensammler<br />

Strafanzeigen verhängt<br />

wurden. Dann bot uns der Flughafen<br />

zusammen mit dem Grünen Punkt ein<br />

Kooperationsprojekt an: Im September<br />

startete „Spende Dein Pfand“: Vier<br />

Hinz&Künztler wurden von uns fest<br />

eingestellt. Seitdem leeren sie am Flughafen<br />

Sammelbehälter für Pfandflaschen<br />

und sortieren sie. Der Grüne<br />

Punkt holt sie ab und zahlt uns das<br />

Pfand, wovon wir wiederum die Gehälter<br />

der Leergutbeauftragten bezahlen.<br />

Der Flughafen stellt uns kostenlos Räume<br />

und die Flaschenbehälter zur Verfügung.<br />

Dank unserer Rücklagen können<br />

wir die Gehälter für mindestens ein<br />

Jahr garantieren.<br />

Weniger erfreulich: Der Zeitungsverkauf<br />

und die Anzeigenerlöse waren<br />

leicht rückläufig. Statt 830.558 haben<br />

wir nur 814.367 Exemplare verkauft.<br />

Trotzdem waren die Umsatzerlöse stabil.<br />

Wir haben im Herbst den Verkaufspreis<br />

erstmalig seit vier Jahren erhöht,<br />

Dr. Jens Ade ist seit zwölf Jahren<br />

GESCHÄFTSFÜHRER von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

um die erhöhten Druck-, Papier-, Herstellungs-<br />

und Personalkosten aufzufangen.<br />

Die Verkäufer kaufen jetzt die Magazine<br />

für 1,10 Euro bei uns und<br />

verkaufen sie für 2,20 Euro.<br />

Womit wir nicht gerechnet haben:<br />

Das erste Mal haben Sie uns eine Million<br />

Euro gespendet – und das in einem<br />

Jahr, in dem bei anderen Organisationen<br />

die Spenden eingebrochen<br />

sind. Wir bedanken uns für die große<br />

Anteilnahme und Solidarität für die<br />

Hinz&Künztler!<br />

Um besser auf die Herausforderungen<br />

Wohnen und Arbeit reagieren zu<br />

können, haben wir unsere Satzung erweitert.<br />

Unser Zweck besteht unverändert<br />

in der Hilfe für Wohnungslose<br />

auch über die Zeit der Wohnungslosigkeit<br />

hinaus „durch die Herstellung und<br />

den Vertrieb des Magazins“. Dieser<br />

wurde erweitert durch den Zusatz: „Im<br />

34<br />

Kontext zu diesem Gesellschaftszweck<br />

strebt die Gesellschaft auch das Schaffen<br />

von Arbeitsplätzen und die Bereitstellung<br />

von Wohnraum an.“<br />

Unsere Arbeit zielt darauf schon<br />

lange ab. Zurzeit sind wir Bürge oder<br />

Hauptmieter bei 13 Wohnungen für<br />

insgesamt 34 Hinz&Künztler. Und wir<br />

sehen jeden Tag, wie positiv sich ein<br />

Dach über dem Kopf auf die Menschen<br />

auswirkt.<br />

Einen vorläufigen Dämpfer hat unser<br />

Bauprojekt erhalten. Zusammen mit<br />

einem Sozialinvestor wollen wir ja ein<br />

Haus bauen, in dem unten Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

einzieht und oben Wohnungen für Verkäufer<br />

entstehen. Leider haben wir<br />

nicht den Zuschlag für das Grundstück<br />

bekommen, auf das wir uns beworben<br />

haben. Aber wir geben nicht auf!<br />

Weil das Hausprojekt noch nicht realisiert<br />

wurde, haben wir derzeit auch<br />

so hohe Rücklagen: 1,8 Millionen Euro.<br />

Wir überlegen, uns nach einem Mehrfamilienhaus<br />

umzusehen, wenn sich das<br />

Bauvorhaben zu lange hinzieht.<br />

Nach dem Start unseres Arbeitsprojekts<br />

„Spende Dein Pfand“ haben wir<br />

ein Angebot von der Bäckerei Junge bekommen:<br />

eine gemeinsame Filiale, in<br />

der Hinz&Künztler Brot von gestern<br />

verkaufen. Was 2015 noch wie ein<br />

Traum erschien, haben wir inzwischen<br />

realisiert: Fünf Hinz&Künztler arbeiten<br />

jetzt als BrotRetter in der Alten<br />

Holstenstraße 12 in Bergedorf.<br />

Dass wir den Mut und die finanziellen<br />

Mittel hatten, dieses Projekt auch<br />

noch zu starten, verdanken wir Ihrer<br />

Unterstützung! •


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Geschäftsbericht<br />

Das Betriebsergebnis 2015<br />

ERLÖSE<br />

2015<br />

2014<br />

2013<br />

Verkaufte Exemplare<br />

Umsatzerlöse Zeitungsverkauf<br />

Umsatzerlöse Sonderheft<br />

Umsatzerlöse Anzeigen<br />

Übrige Erlöse (Stadtrundgänge, Veranstaltungen, Flughafen)<br />

Umsatzerlöse Warenverkauf<br />

814.367<br />

707.000 €<br />

57.000 €<br />

102.000 €<br />

51.000 €<br />

33.000 €<br />

950.000 €<br />

830.558<br />

679.000 €<br />

86.000 €<br />

109.000 €<br />

29.000 €<br />

26.000 €<br />

929.000 €<br />

819.619<br />

727.000 €<br />

98.000 €<br />

113.000 €<br />

61.000 €<br />

999.000 €<br />

Allgemeine Spenden<br />

Erlöse Freundeskreis<br />

Sponsoring<br />

Spenden/Vermächtnisse für Sonderprojekte<br />

Zuschüsse (für Langzeitarbeitslose, bezahlt die Agentur für Arbeit)<br />

Übrige Erträge (Auflösung Rückstellung, Investitionszuschüsse)<br />

671.000 €<br />

257.000 €<br />

28.000 €<br />

87.000 €<br />

16.000 €<br />

40.000 €<br />

579.000 €<br />

244.000 €<br />

28.000 €<br />

41.000 €<br />

34.000 €<br />

30.000 €<br />

871.000 €<br />

66.000 €<br />

27.000 €<br />

SUMME ERLÖSE<br />

2.049.000 €<br />

1.885.000 €<br />

1.963.000 €<br />

davon 34,5%<br />

Magazinverkauf<br />

42% Erlöse Monatsmagazin<br />

33%<br />

Spenden<br />

2,5% Sonderhefte<br />

5% Anzeigen<br />

5,5% Sponsoring<br />

7% Übrige<br />

12,5% Freundeskreis-<br />

Beiträge<br />

58% Spenden, Sponsoring und übrige Erlöse<br />

Das Magazin muss sich durch die ERLÖSE<br />

aus dem Magazinverkauf, den Sonderheften und<br />

Anzeigen selbst finanzieren. In diesem Jahr<br />

haben wir weniger Magazine verkauft und<br />

weniger Erlöse bei den Anzeigen erzielt.<br />

Außerdem sind die Kosten für Papier und<br />

Druck gestiegen. Deshalb haben wir im<br />

November 2015 erstmalig nach vier Jahren den<br />

Preis des Magazins erhöht: von 1,90 auf<br />

2,20 Euro. Die Verkäufer bezahlen 1,10 Euro.<br />

Eine Million Euro wurden uns 2015 gespendet.<br />

Das ist ein Rekord. Alles Geld, was wir nicht<br />

für das laufende Jahr brauchen, geht in die<br />

Rücklagen. Damit fangen wir die Schwankungen<br />

bei Verkauf und Spenden während des laufenden<br />

Jahres auf. Und vor allem können wir mit den<br />

Rücklagen neue Projekte realisieren wie „Spende<br />

Dein Pfand“ – und hoffentlich bald ein<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Haus.<br />

35


Geschäftsbericht<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Das Betriebsergebnis 2015<br />

AUFWENDUNGEN<br />

2015<br />

2014<br />

2013<br />

Personal (Gehälter, Sozialabgaben, Altersvorsorge)<br />

Betriebliche Aufwendungen (Miete, Instandhaltung, Heizung etc.)<br />

Betreuungsaufwand (Lebensmittel, Kaffee, Einzelhilfen)<br />

Honorare (freie Redakteure, Fotografen, Layout)<br />

Foto-, Belichtungs-, Druckkosten<br />

Abschreibungen<br />

Übrige Aufwendungen (Mitgliedsbeiträge, Versicherungen, Bankgebühren)<br />

1.024.000 €<br />

363.000 €<br />

90.000 €<br />

242.000 €<br />

181.000 €<br />

18.000 €<br />

24.000 €<br />

958.000 €<br />

424.000 €<br />

42.000 €<br />

261.000 €<br />

160.000 €<br />

21.000 €<br />

12.000 €<br />

912.000 €<br />

413.000 €<br />

261.000 €<br />

179.000 €<br />

25.000 €<br />

29.000 €<br />

SUMME AUFWENDUNGEN<br />

1.942.000 €<br />

1.878.000 €<br />

1.819.000 €<br />

Steuern, Einkommen, Ertrag<br />

Rücklagen-Einstellung<br />

Rücklagen-Entnahme<br />

7.000 €<br />

157.000 €<br />

57.000 €<br />

16.000 €<br />

156.000 €<br />

155.000 €<br />

10.000 €<br />

285.000 €<br />

151.000 €<br />

BILANZGEWINN<br />

0 €<br />

0 €<br />

0 €<br />

53% Personalaufwand<br />

2% Übrige<br />

34%<br />

Personalkosten<br />

4,5% Betreuungsaufwand<br />

18,5% Betriebliche<br />

Aufwendungen<br />

19% Personalkosten<br />

für ehemalige<br />

Verkäufer<br />

22% Herstellungskosten<br />

Zeitung<br />

Im Jahr 2015 brauchten wir 1.942.000 Euro.<br />

Den Löwenanteil, 53 PROZENT unseres<br />

Geldes, geben wir für Personalkosten aus.<br />

2015 hatten wir insgesamt 33 Mitarbeiter.<br />

Die meisten arbeiten in Teilzeit. Davon sind<br />

16 ehemalige Verkäufer. Mitgerechnet sind<br />

die vier Hinz&Künztler, die in unseren<br />

Kooperationsprojekten „Spende Dein Pfand“<br />

am Hamburger Flughafen arbeiten.<br />

Alle Kollegen werden nach Diakonie-Tarif<br />

(AVR) eingestuft und bezahlt.<br />

47% sonstige Kosten<br />

36


Was Sie über uns<br />

wissen sollten!<br />

Wir schaffen auch ARBEITS-<br />

PLÄTZE: im Projekt selbst, am<br />

Flughafen als Leergutbeauftragte<br />

und seit <strong>2016</strong> als BrotRetter.<br />

Wie hilft Hinz&<strong>Kunzt</strong> den Verkäufern?<br />

Wir bieten umfassende Sozialarbeit,<br />

Geldverwaltung, Freizeitangebote, Hilfe<br />

im Umgang mit Behörden, Einzugsund<br />

Umzugshilfen oder kostenlose Erstberatung<br />

in Rechtsfällen. Außerdem<br />

treten wir bei Vermietern als Bürge oder<br />

Hauptmieter auf. Wir verwalten derzeit<br />

13 Wohnungen für 34 Hinz&Künztler.<br />

Und wir initiieren Arbeitsprojekte mit<br />

Kooperationspartnern wie „Spende<br />

Dein Pfand“ am Flughafen Hamburg<br />

und die „BrotRetter“ mit der Bäckerei<br />

Junge.<br />

Sind alle Verkäufer obdachlos?<br />

Nein. Als sie bei uns anfingen, waren<br />

die meisten Hinz&Künztler obdachoder<br />

wohnungslos. Aber das bleibt zum<br />

Glück nicht so. Unser Ziel ist es, dass alle<br />

Hinz&Künztler eine Wohnung bekommen.<br />

Bei unserer letzten Umfrage<br />

im Herbst 2014 waren 29 Prozent der<br />

Hinz&Künztler obdachlos, 30 Prozent<br />

wohnungslos: Sie leben in einer Notunterkunft,<br />

in einem Wohnheim oder in<br />

anderen prekären Wohnverhältnissen.<br />

41 Prozent der aktiven Verkäufer haben<br />

eine eigene Wohnung, vermittelt von<br />

Beratungsstellen, von uns oder von<br />

Kunden.<br />

Dürfen Hinz&Künztler mit eigener Wohnung<br />

weiter Magazine verkaufen?<br />

Ja. Mit einer eigenen Wohnung sind<br />

noch lange nicht alle Probleme gelöst.<br />

Und eine Arbeit zu finden, ist schwierig.<br />

Deshalb ist es uns wichtig, die Verkäufer<br />

weiter zu begleiten, bis sie auch eine feste<br />

Arbeit gefunden haben. Was sehr<br />

schwierig ist.<br />

Dürfen Verkäufer ihre Einnahmen behalten?<br />

Ja, aber … Die Hinz&Künztler bekommen<br />

anfangs zehn Magazine als Startkapital<br />

geschenkt. Danach erwerben sie<br />

die Zeitungen für 1,10 Euro und verkaufen<br />

sie für 2,20 Euro.<br />

Hinz&Künztler, die Hartz IV bekommen,<br />

müssen wie andere Hilfeempfänger<br />

auch ihren Zuverdienst beim<br />

Jobcenter angeben.<br />

Warum braucht Hinz&<strong>Kunzt</strong> Rücklagen?<br />

Die Einnahmen aus dem Zeitungsverkauf<br />

und die Spenden schwanken erheblich.<br />

Mit den Rücklagen gleichen<br />

wir dieses nicht vorher kalkulierbare<br />

Auf und Ab aus. Rücklagen brauchen<br />

wir auch, damit wir als Bürge und<br />

Hauptmieter für Wohnungen für unsere<br />

Verkäufer auftreten können. Ohne<br />

Rücklagen könnten wir auch unsere<br />

37<br />

Arbeitsprojekte nicht realisieren. Wir<br />

garantieren nämlich die Gehälter für<br />

mindestens ein Jahr.<br />

Dass wir derzeit so hohe Rücklagen<br />

haben, nämlich 1,8 Millionen, liegt daran,<br />

dass unser Bauvorhaben mit einem<br />

Sozialinvestor noch nicht realisert wurde<br />

(siehe Seite 34).<br />

Wer kontrolliert Hinz&<strong>Kunzt</strong>?<br />

Der Geschäftsführer muss drei Mal<br />

jährlich den ebenfalls gemeinnützigen<br />

Gesellschaftern Diakonie Hamburg<br />

und Patriotische Gesellschaft von 1765<br />

Rechenschaft ablegen.<br />

Ein Mal jährlich lassen wir unseren<br />

Jahresabschluss und die Ordnungsmäßigkeit<br />

der Buchführung von einer<br />

unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />

kontrollieren.<br />

Auch als gemeinnützige GmbH<br />

muss Hinz&<strong>Kunzt</strong> Steuererklärungen<br />

erstellen. Die Steuerbehörde kontrolliert<br />

diese auch „hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit<br />

der Geschäftsführung<br />

auf die ausschließliche und unmittelbare<br />

Erfüllung“ der steuerbegünstigten<br />

Zwecke von Hinz&<strong>Kunzt</strong> und erstellt<br />

daraufhin einen Steuerbescheid. •<br />

Mehr Infos unter www.hinzundkunzt.de


Als Jörg Modrow die kleine<br />

CATHERINE fotografierte,<br />

lebte das Mädchen zusam-<br />

men mit ihrer Mutter in<br />

Slab City. Heute hat die<br />

Mutter keinen Kontakt mehr<br />

zu ihrem Kind.<br />

WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Fotoreportage<br />

Mobile Homes<br />

Fotograf Jörg Modrow reist immer wieder in die USA. Dort trifft er<br />

Arme und Reiche, Lebenskünstler und Gestrandete, die eines eint: Sie leben<br />

den amerikanischen Freiheitstraum in ihrem fahrbaren Zuhause.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />

Catherine war ein echter Sonnenschein.<br />

Und so smart!“, schwärmt<br />

Jörg Modrow und schaut auf das<br />

Foto eines achtjährigen Mädchens.<br />

Die Lütte sitzt mitten auf einem alten, grünen<br />

Sofa, das unter freiem Himmel vor einem ramponierten<br />

Wohnwagen steht. In ihrem langen<br />

blauen Kleid, den in der Luft baumelnden<br />

Füßchen und mit dem Sonnenschutz, der wie<br />

ein gelber Heiligenschein um ihren Kopf läuft,<br />

schaut sie frech, vergnügt und wild entschlossen<br />

in die Kamera. Dabei waren die Lebensbedingungen<br />

von Catherine alles andere als rosig,<br />

als Jörg Modrow das Mädchen traf. 2005 war<br />

das. Damals begann der Fotograf damit, in<br />

den USA Menschen zu fotografieren, die in sogenannten<br />

Mobile Homes leben. In Wohnwagen,<br />

Wohnmobilen, in umgebauten Bussen<br />

oder in ihren Autos.<br />

Mehr als zehn Jahre später hat Jörg Modrow<br />

sein Fotoprojekt noch immer nicht abgeschlossen.<br />

Denn er ist fasziniert von dieser<br />

Wohnform. „In den USA leben Menschen aus<br />

allen Gesellschaftsschichten in Mobile Homes.<br />

Da ist der Banker, der mit seinem 200.000-Dollar-Bus<br />

herumfährt genauso wie den Arbeitslosen,<br />

der die letzte Kohle zusammenkratzt, um<br />

eine Garage für seine Möbel zu mieten und im<br />

Auto zu leben“, erzählt der 52-Jährige. Wann<br />

immer er in die Staaten reist, trifft er auf schräge<br />

Vögel, erzkonservative Republikaner, Rentner<br />

oder Hippies, die eines eint: ihre fahrbaren<br />

Behausungen. „Mir kommt das vor wie die<br />

Verlängerung des amerikanischen Traums“,<br />

versucht Modrow das Phänomen zu erklären.<br />

Früher seien die Menschen mit dem Planwagen<br />

losgezogen, um den Westen zu erobern.<br />

Immer auf der Suche nach einem besseren Leben.<br />

Das sei im Grunde bis heute so geblieben.<br />

Auch die kleine Catherine lebte in einem<br />

Mobile Home. Gemeinsam mit ihrer Mutter<br />

und deren Freund. Slab City heißt der Ort, in<br />

dem der Wohnwagen von Catherines Mutter<br />

vermutlich bis heute steht. Ein Ort im Süden<br />

Kaliforniens, der früher Truppenübungsplatz<br />

war und heute aus einer Ansammlung fahrbarer<br />

Häuser besteht. Einen Laden, eine Tankstelle<br />

und eine Kneipe gibt es im nahe gelegenen<br />

Nachbarort. Und eine kleine Schule, die<br />

Catherine besuchte – immer als Klassenbeste.<br />

2011 reiste Jörg Modrow erneut nach Slab<br />

City. Catherines Mutter lebte noch dort. Das<br />

Mädchen nicht. „Für das Amt waren die Lebensumstände<br />

bei der Mutter nicht tragbar.<br />

Deshalb wurde die Kleine zur Adoption freigegeben“,<br />

erzählt Jörg Modrow. „Ich hab ihr das<br />

Foto gegeben, das ich von Catherine gemacht<br />

hatte. Sie hat sich immer und immer wieder<br />

bedankt. Es war das einzige Bild, das sie von<br />

ihrer Tochter hatte.“<br />

Diese Begegnung hat Jörg Modrow nachhaltig<br />

berührt: „Ich war so froh, wieder nach<br />

Slab City gefahren zu sein“, erzählt er. „Wie<br />

oft sagt man das: ,Ich schick dir ein Foto oder<br />

bringe es vorbei‘ – und dann schaffst du es<br />

nicht.“ Das Wiedersehen mit Catherines Mutter<br />

hat den Fotografen darin bestärkt, auf<br />

seinen USA-Reisen nach den Leuten zu schauen,<br />

die er vor ihren Mobile Homes fotografiert<br />

hat. Um zu sehen, was aus ihnen geworden ist<br />

und ihnen ihr Bild zu bringen. Was nicht oft<br />

gelingt. Schließlich sind die fahrbaren Häuser<br />

darauf ausgerichtet, dass man mit ihnen<br />

weiterzieht. Jörg Modrow sieht das trotzdem als<br />

Möglichkeit, sich zu revanchieren: „Natürlich<br />

geht es mir darum, gute Bilder zu machen und<br />

eine Situation zu dokumentieren. Aber es ist<br />

immer auch eine Ehre für mich, dass mich<br />

Menschen in ihr Leben gucken lassen.“ •<br />

Mehr Infos zu Jörg Modrow im Internet unter<br />

www.modrowgrafie.de<br />

39


SHARON lebt in Keeler, einem Künstlerdorf in der Nähe des Death<br />

Valley im Norden Kaliforniens. Für einen Plausch am Zaun unterbrachen<br />

sie und ihr Dalmatiner die Gartenarbeit mitten in der Wüste. Ihr Mobile<br />

Home hat mittlerweile keine Räder mehr. Aber Sharon könnte jederzeit<br />

wieder welche anbringen lassen – und weiterziehen.


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Fotoreportage<br />

HERMANN und seine<br />

Frau genießen ihre Rente.<br />

Gut gegen Rheuma: Wann<br />

immer in ihrem Zuhause im<br />

Nordwesten der USA Winter<br />

herrscht, fahren sie mit Pickup<br />

und Trailer in die Wüste.<br />

Rund 250.000 Dollar kostet<br />

ihr Mobile Home. Zwei<br />

Seitenteile am Trailer lassen<br />

sich bei Bedarf so ausfahren,<br />

dass ein etwa 25 Quadratmeter<br />

großer Innenraum<br />

entsteht. Jörg Modrow<br />

traf das Paar auf einem<br />

Parkplatz in der Nähe vom<br />

Anza-Borrego-Nationalpark.<br />

ABRAHAM steht tagsüber<br />

mit seinem bunt bemalten<br />

Wohnmobil auf der Promenade<br />

von Venice Beach.<br />

Nachts müssen der Künstler<br />

und seine Freunde weichen,<br />

obwohl an der Promenade<br />

riesige Parkplätze liegen. Die<br />

Polizei geht rigoros gegen die<br />

Menschen in ihren fahrbaren<br />

Unterkünften vor. Obdachlose,<br />

die sie erwischt, können eingesperrt<br />

werden, erzählt Jörg<br />

Modrow. Abraham hat sich<br />

zu einer Art Aktivist für die<br />

Rechte von Obdachlosen<br />

entwickelt. Auf seinem<br />

Wohnmobil steht der Spruch:<br />

„Jesus was homeless“.<br />

41


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Fotoreportage<br />

Der ÄLTERE HERR (links) war nur auf der Durchreise, als Jörg Modrow ihn traf und mit ihm über das Leben und<br />

die Liebe philosophierte. Der belesene Rentner war auf dem Weg zu einem Angehörigen. Aber dort, wo der wohnte, war es<br />

noch zu kalt und so machte er eben Station in Slab City. Dass es dort keinen Strom gibt und somit auch Klimaanlagen nicht<br />

funktionieren, störte den Mann nicht. Stoffbahnen spendeten Schatten, zum Schlafen legte er sich unter Kaliforniens Himmel.<br />

„FEATHER 1“ lebt seit Jahren an der kalifornischen Küste in seinem Art Car. In den USA gibt es eine richtige Szene,<br />

in der Menschen ihre Wagen mit allerlei Krimskrams aufpimpen, erzählt Jörg Modrow. Sie bekleben ihren fahrbaren Untersatz<br />

zum Beispiel mit Kunstrasen, sodass es aussieht, als fahre eine grüne Wiese vorbei. Oder – wie Feather 1 – mit kleinen<br />

Plastikteilen und Spielzeugen, die der Mann findet. Ständig wird an der Optik gefeilt. Auch im Inneren von Feathers Wagen<br />

wuchert das Plastik an den Wänden. Solange Platz für die Matratze bleibt, wird er weitermachen.<br />

43


Freunde<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

„Wo ist das Problem<br />

mit Nächstenliebe?“<br />

Die Welt BESSER machen?<br />

Nicht ganz so leicht. Außer – man<br />

fängt einfach mal damit an. So<br />

wie Peter Kohl. Als einer von<br />

2300 Mitgliedern des Freundeskreises<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Warum sich Peter Kohl im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> engagiert.<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Ungerechtigkeit kann Peter Kohl<br />

nicht leiden. „Wenn in Hamburg<br />

für Zigtausende Euro Feuerwerk<br />

abgebrannt wird und ein paar<br />

Meter weiter schlafen Menschen unter<br />

Brücken, dann stimmt da für mich die<br />

Verhältnismäßigkeit nicht“, sagt der<br />

35-Jährige bestimmt.<br />

Klar kann er nicht die Welt retten.<br />

Aber ein kleines bisschen besser kann<br />

man sie schon machen, findet er. Seit<br />

2014 gehört der Diplom-Designer als<br />

einer von 2300 regelmäßigen Spendern<br />

zum Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> –<br />

bereits mit einer Jahresspende von 100<br />

Euro kann man dabei sein, das sind<br />

8,33 Euro im Monat. Die zahlt auch<br />

Peter Kohl, der obendrein noch an andere<br />

Projekte spendet: „Es gibt so viele<br />

Ansatzpunkte, so viele gute Projekte.<br />

Ich finde alles wichtig, deshalb streue<br />

ich das Geld.“<br />

Der sportliche junge Mann ist einer<br />

mit sozialem Gewissen und fein austariertem<br />

Gerechtigkeitssinn. Das hat er<br />

von seinem Vater, glaubt er. Der ist<br />

ehrenamtlich aktiv in vielen Vereinen<br />

und Verbänden, von der Katholischen<br />

Arbeitnehmerbewegung bis zum<br />

Faschingsverein. In Hessen leben die<br />

Eltern, mitten im Rhein-Main-Gebiet,<br />

„direkt in der Einflugschneise vom<br />

Flughafen Frankfurt“. Meine Eltern<br />

sind sehr katholisch, erzählt Peter Kohl,<br />

der es selbst mit der Kirche nicht so hat.<br />

„Aber selbstverständlich unterschreibe<br />

ich jeden christlichen Wert“, holt er sich<br />

selbst wieder ein. „Wo ist denn das Problem<br />

mit Nächstenliebe?“<br />

Das versucht er auch seinem vierjährigen<br />

Sohn zu vermitteln, doch der<br />

hat es lieber wild. Er interessiert sich im<br />

Moment vor allem für Tiere, „auf jeden<br />

Fall gefährlich und sehr gern fies“.<br />

Vielleicht könne er ja später Wildhüter<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

44


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

werden, sinniert der Vater. Doch der<br />

Lütte hat andere Pläne. „Wir haben ihn<br />

gefragt, was er mal werden will. ,Dasselbe<br />

wie ihr‘, hat er gesagt.“ Wie das aussieht,<br />

weiß er genau, denn seine Mutter<br />

ist ebenfalls Designerin. Peter Kohl baut<br />

nach langen Jahren der Selbstständigkeit<br />

gerade die Hamburger Dependance<br />

einer Agentur auf, für die er bereits in<br />

Wiesbaden gearbeitet hat. Der Start in<br />

Hamburg war schwierig, „die Stadt hatte<br />

nicht auf uns gewartet“.<br />

Mittlerweile läuft es gut. Die junge<br />

Familie lebt in Altona in einer familienfreundlichen<br />

Ecke, im Herbst wird das<br />

Freunde<br />

Dankeschön<br />

zweite Kind kommen. Viel mehr als die<br />

Frage, ob es Junge oder Mädchen werden<br />

wird, beschäftigt den jungen Vater<br />

das Temperament des neuen Nachwuchses.<br />

„Die Natur findet deine<br />

Schwachstelle und gibt dir das passende<br />

Kind“, sagt er grinsend, und es klingt<br />

durch, dass der Alltag zweier berufstätiger<br />

Menschen mit Familie ganz schön<br />

stressig sein kann. Trotzdem: Zeit für<br />

ein bisschen Engagement – und sei es<br />

finanziell – bleibe immer. „Wenn man<br />

ausgleichende Gerechtigkeit will, dann<br />

kann man lange warten, wenn man<br />

nicht selbst den Hebel umlegt.“ •<br />

Endlich Ordnung: ein<br />

Schrank für Magazine<br />

Ein Königreich für einen<br />

Schrank! In dem unsere Zeitungen<br />

auf kleinstem Raum<br />

untergebracht und zugleich<br />

sofort zur Hand sind, wenn<br />

sich im Vertrieb die Verkäufer<br />

drängeln, um sich neue<br />

Zeitungen zu holen. Nun ist<br />

er da. Praktisch! Solide! Und<br />

eine tolle Handwerkerarbeit<br />

vom Tischlerteam der Autonomen<br />

Jugendwerkstätten.<br />

Ermöglicht hat das der Fanbeirat der Hamburg Freezers, der während der<br />

Heimspiele seiner Eishockeymannschaft Lose verkaufte. Deren Erlöse gingen zum<br />

Teil an Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Flotte 2000 Euro kamen so zusammen. Weitere 1000 Euro<br />

spendete HASPA Lotteriesparen. Und unser Vetriebsmitarbeiter Sergej Machov<br />

(Foto) kann entspannt den nächsten Zeitungspacken schultern. FK •<br />

JA,<br />

ICH WERDE<br />

MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum; Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Beruf<br />

Geburtsjahr<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Wir danken allen, die im Juni an<br />

uns gespendet haben, sowie allen<br />

Mitgliedern im Freundeskreis von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />

Unterstützung unserer Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

• IPHH • wk it services<br />

• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

• Hamburger Tafel • Axel Ruepp Rätselservice<br />

• Hamburger Kunsthalle<br />

• bildarchiv-hamburg.de • Firma Ute Orth<br />

• Uli Pforr und Träume werden wahr<br />

• Treuhandstiftung August Mohr<br />

(in Trägerschaft der BürgerStiftung Hamburg)<br />

45<br />

• Hamburger Camerata mit<br />

Gustav Frielinghaus • Joana Kamenarska<br />

• St. Georgskirche am Hauptbahnhof<br />

und Pastor Gunter Marwege<br />

• Sabine Hengesbach, in medias<br />

• Michael Winzer<br />

• Anna-Warburg-Schule in Niendorf,<br />

Diren Celik und das Organisationsteam<br />

NEUE FREUNDE:<br />

• Lea Balkenhol<br />

• Anke und Ernst-Günther Bern<br />

• Roger Kortum • Christiane Kutter-Deest<br />

• Bernd Muhl • Renata Stiller<br />

• Franziska Wolgast<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />

Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />

Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />

www.hinzundkunzt.de/so-koennen-sie-helfen/<br />

HK <strong>281</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Was unsere Leser meinen<br />

„Von diesen Konzepten bräuchten wir mehr“<br />

„Helfen wäre eine gute Idee“<br />

H&K Online, Räumung am Nobistor, siehe<br />

auch diese Ausgabe ab Seite 12<br />

Die Obdachlosen sind doch<br />

schon am Ende angekommen. Und<br />

jetzt noch die Räumung. Helfen wäre<br />

eine gute Idee.<br />

RAINER SCHOLZE<br />

Dass die Fläche geräumt wurde,<br />

ist absolut richtig. Eine öffentliche<br />

Grünfläche ist kein Campingplatz.<br />

Absolut unsozial ist allerdings, dass für<br />

Flüchtlinge Unterkünfte bereitgestellt<br />

werden und für Obdachlose nicht. Viele<br />

Obdachlose sind nicht wohnfähig in einer<br />

eigenen Wohnung und brauchen<br />

genau diese betreuten Unterkünfte.<br />

CHRISTIAN HINZ<br />

Die Menschen haben nichts und<br />

dann nimmt man ihnen auch noch ihre<br />

„Unterkunft“. Solange sie sich nicht<br />

rechtswidrig im Sinne von Gewalt et<br />

cetera verhalten, sollen sie doch da leben.<br />

Stört doch niemanden beziehungsweise<br />

sollte es nicht. Wenn das Amt die<br />

Menschen dort wegscheuchen muss,<br />

sollte man humanitär handeln und eine<br />

Alternative bereithaben! MELINA KAH<br />

Millionäre nicht diskriminieren?<br />

H&K 279, Bedingungsloses<br />

Grundeinkommen<br />

Ich bin entsetzt, dass sich bei dem<br />

bedingungslosen Grundeinkommen<br />

(des Berliner Projektes „mein-grundeinkommen.de“,<br />

Anm. der Redaktion) auch Millionäre<br />

bewerben können. Wollen sie<br />

Millionäre nicht diskriminieren?<br />

Sorry, aber das ist lächerlich. S. ESCOTÉ<br />

Tolle Zusammenarbeit<br />

H&K 279, BrotRetter<br />

Eure Idee und Zusammenarbeit<br />

mit der Bäckerei Junge finde ich ganz<br />

toll, der Artikel hat mich sehr berührt.<br />

Wäre schön, wenn sich auch eine<br />

zen trumsnahe Filiale eröffnen ließe!<br />

Von diesen Konzepten bräuchten wir<br />

mehr: offizielle Shops als Anlaufstellen<br />

für gerettete Lebensmittel.<br />

ANNE BRETTSCHNEIDER<br />

Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />

wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />

uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

Wir trauern um<br />

Frank Schneider<br />

8. Mai 1967 – 8. Juni <strong>2016</strong><br />

Frank ist – viel zu jung – im Altonaer<br />

Krankenhaus verstorben.<br />

Die Verkäufer und das Team von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />

DER ETWAS<br />

ANDERE<br />

STADTRUNDGANG<br />

Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />

Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />

keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />

Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />

statt Einkaufspassage.<br />

Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />

oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />

Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />

nächste Termine: 10. + 24.7.<strong>2016</strong>, 15 Uhr


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Nachdenken: Schauspielerin Gabriela Maria Schmeide über<br />

Minderheiten, Jugendämter und Pegida (S. 50).<br />

Nachfragen: Stück über Straßenkids im Ohnsorg Theater (S. 52).<br />

Nachmachen: Chicken Masala von unserem Koch des<br />

Monats Gurbhej Singh (S. 56).<br />

Können eine Tanke und ein Plat-<br />

tenbau SEHNSUCHTSORTE<br />

sein? In Hamburg schon. Dem<br />

Kiez und den 2014 abgerissenen<br />

Esso-Häusern setzt CP Krenkler ein<br />

fotografisches Denkmal (S. 52).<br />

FOTO: CP KRENKLER


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

„ICH BIN<br />

NUR DER<br />

NARR –<br />

IM BESTEN<br />

SINNE!“<br />

Gabriela Maria Schmeide gehört zu den renommiertesten Schauspielerinnen<br />

Deutschlands und zum Ensemble des Thalia Theaters.<br />

Ein Gespräch über ihren langen Weg zum Theater, ihre Rolle als Jugendamtsmitarbeiterin<br />

Sylvia und warum die Welt bunter werden wird.<br />

TEXT: FRANK KEIL<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />

Vom Berliner Ensemble ging<br />

Gabriela Maria Schmeide ans<br />

Bremer Theater und 2009 ans<br />

THALIA THEATER.<br />

Doch Bremen ist ihr<br />

Lebensmittelpunkt geblieben.<br />

Wohin soll sie schauen?<br />

Direkt in die Kamera<br />

oder knapp darüber<br />

hinweg? Und wie soll sie<br />

sich auf den Hocker setzen, wie drehen,<br />

damit das Licht, das seitlich durch ein<br />

schmales Fenster auf sie fällt, ihr Gesicht<br />

gut erhellt? Allzu viel Zeit bleibt<br />

nicht, eigentlich sofort beginnen die<br />

Proben für ihr nächstes Stück. „Immer<br />

wollt ihr eine Schauspielerin vorstellen“,<br />

sagt Gabriela Maria Schmeide augenzwinkernd<br />

zum Abschluss. „Warum<br />

nehmt ihr nicht mal jemand Interessantes?<br />

Einen Arzt oder eine Ärztin?“<br />

Ärztin – das wäre die heute 51-Jährige<br />

gerne geworden. Ein Medizinstudium<br />

entsprechend ihr Traum, nur leider<br />

unerfüllbar. „Ein Jahr vor meinem<br />

Abitur hat mein Vater unser Land, die<br />

DDR, illegalerweise verlassen“, erzählt<br />

sie. „Da war mir klar, dass ich trotz<br />

einer Abiturnote von 1,0 keinen Studienplatz<br />

bekommen würde.“ Sie konnte<br />

sich bewerben wo sie wollte, sie wurde<br />

nicht genommen.<br />

Durch Zufall landet sie als Souffleuse<br />

am deutsch-sorbischen Volkstheater,<br />

einem staatlichen Haus in Bautzen. In<br />

der Stadt wurde sie 1965 geboren, ganz<br />

in der Nähe wuchs sie auf. Als Angehörige<br />

der Volksgruppe der Sorben spricht<br />

sie sowohl Deutsch als auch Sorbisch.<br />

„Ich hatte keinerlei Theater-Ambitionen,<br />

ich kam ja aus der Provinz, alle<br />

waren katholisch, alles hatte seine Ordnung,<br />

und da fand ich dieses Schauspielerleben<br />

damals doch sehr anrüchig.“<br />

Was seinerzeit auch seinen politischen<br />

Hintergrund hat, denn das Theater<br />

ist in der DDR eine Art Auffangbecken<br />

für die Leute, die sonst geächtet<br />

sind: die Unangepassten, die politisch<br />

Verfolgten, die Homosexuellen. „Bei uns<br />

49


Eigentlich wollte Gabriela<br />

Maria Schmeide Ärztin werden.<br />

Zum Glück hat das nicht geklappt.<br />

Derzeit ist sie in ELF<br />

Theater produktionen zu sehen.<br />

„Wir Sorben waren auch in der<br />

DDR nicht sonderlich akzeptiert.“<br />

haben Leute, die etwas Technisches studiert<br />

und auch in ihrem Fach als Ingenieure<br />

gearbeitet hatten, Kulissen geschoben.<br />

Nur weil sie einen Ausreiseantrag<br />

gestellt hatten oder auf irgendwelchen<br />

schwarzen Listen standen“, sagt sie.<br />

Und sie ist nun mitten unter ihnen,<br />

die doch nur die Zeit überbrücken will;<br />

bis sie vielleicht irgendwann doch noch<br />

einen Studienplatz für Medizin oder<br />

auch Psychologie erhält. „Doch dann<br />

haben die am Haus gemerkt, dass ihre<br />

jüngste Schauspielerin 38 Jahre alt war,<br />

während ich da als 18-Jährige saß.“<br />

Bald wird sie gefragt, ob sie nicht mal<br />

was spielen will: „Und da ich niemanden<br />

überzeugen wollte, wie toll ich bin,<br />

war ich locker.“<br />

Sie spielt ab nun ohne große Absichten<br />

in dem einen und anderen Stück<br />

mit, bis jemand von der Schauspielschule<br />

Ernst Busch aus der Hauptstadt<br />

Berlin vorbeikommt, der wichtigsten<br />

Theaterschule der DDR. „Der hat gesagt:<br />

‚Die ist doch toll? Warum schickt<br />

ihr die nicht zum Studium?‘ –‚Ach, nee<br />

– die will nicht.‘ – ‚Na, dann schieben<br />

wir die mal ein bisschen an.‘ Und dann<br />

haben sie mich quasi hingeschoben, ich<br />

wurde nach Berlin delegiert.“<br />

Als sie 1987 nach Ost-Berlin zieht,<br />

ist sie noch immer nicht von der großen<br />

Theaterleidenschaft gepackt, vermutet<br />

in ihrer Studienplatzzuweisung eher eine<br />

Art Minderheitenpflege. Genauso<br />

wie sie davon ausgeht, dass man sie<br />

nach dem Studium nach Bautzen zurückschicken<br />

wird. „Erst mitten im Studium<br />

habe ich gedacht: Ach, vielleicht<br />

ist das ja was für mich! Ein Beruf …“<br />

Und sie stürzt sich mit Verve in ihre<br />

Ausbildung. In Berlin erlebt sie die<br />

Wende und nach dem Abschluss 1991<br />

wird sie beim renommierten Berliner<br />

Ensemble angenommen.<br />

Viele Rollen später – auf der Bühne<br />

und im Fernsehen – kommt sie 2009<br />

nach Hamburg und wird ins Ensemble<br />

des Thalia Theater aufgenommen. Zu<br />

sehen ist sie aktuell in elf Produktionen,<br />

unter anderem in den Theateradaptionen<br />

der Romane „Deutschstunde“,<br />

„Die Blechtrommel“ und „Jeder stirbt<br />

für sich allein“.<br />

Frisch hinzugekommen ist das<br />

Stück „Kaspar Häuser Meer“, in dem<br />

sie die Silvia spielt, eine ältere Mitarbeiterin<br />

im Jugendamt. Zusammen mit ihrer<br />

Kollegin Barbara (Victoria Trauttmansdorff)<br />

versucht sie ihre junge<br />

Kollegin Anika (Birte Schnöink) einzuarbeiten,<br />

die vor lauter überbordendem<br />

Engagement nicht weiß, wo sie zuerst<br />

anpacken soll, und die zugleich so große<br />

Angst hat, alles falsch zu machen.<br />

Fehlt noch der abwesende Kollege<br />

Björn, Spitzname: Björn-out, weil er<br />

ein Burn-out hat. Hätte der nicht wenigstens<br />

seine Akten ordentlich abschließen<br />

können, statt dass sie die nun<br />

auch noch auf ihren Schreibtischen haben,<br />

wo sie doch schon mit ihren eigenen<br />

Fällen nicht fertig werden? Und<br />

überhaupt geht es so nicht weiter, während<br />

es einfach weitergeht.<br />

So ist das Stück eben keine anklagend-ernste<br />

Dokumentation über die<br />

Arbeit in den Jugendämtern, sondern<br />

weit mehr ein dreistimmiger Wortstrom<br />

aus Anklagen und Entschuldigungen,<br />

aus noch so banalen Rechtfertigungen,<br />

warum etwas so ist, wie es ist,<br />

und warum sich nichts ändert, was sich<br />

50


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

ändern müsste. „Wir haben uns natürlich<br />

intensiv mit dem Text beschäftigt,<br />

und wir waren natürlich erschrocken,<br />

wenn man liest, was da über misshandelte<br />

Kinder geschrieben ist.“ Aber es<br />

ist und bleibt nun mal ein Theatertext:<br />

„Man ist als Schauspieler doch nur ein<br />

ausführendes Element. Der etwas umsetzt,<br />

was sich jemand anderes ausgedacht<br />

und geschrieben hat.“ Sie sagt:<br />

„Ich bin nur der Narr – im besten<br />

Sinne!“<br />

Entsprechend reserviert war sie, als<br />

man im Haus diskutierte, ob man sich<br />

angesichts der Brisanz, die das Stück<br />

zum Thema Jugendamt hat, nach den<br />

Vorstellungen dem Publikum im Gespräch<br />

stellen soll: „Ich habe davor gewarnt,<br />

dass man uns da nun als Expertinnen<br />

hinsetzt. Denn die Zuschauer<br />

denken oft: Aha, die haben jetzt drei<br />

Frauen vom Jugendamt gespielt, also<br />

wissen die Bescheid. Aber wir wissen<br />

nichts, gar nichts. Was wir spielen, ist<br />

kein Abbild der Realität.“ Und sie erzählt<br />

kurz amüsiert von einem Kollegen,<br />

der mal zu einer Talkshowrunde<br />

über die Gesundheitsreform eingeladen<br />

war, nur weil er in einem Fernsehfilm<br />

einen Arzt gespielt hatte.<br />

Und dann sei es schließlich auch ihre<br />

Aufgabe, zu unterhalten. „Die Leute<br />

nehmen das Stück gut an. Es ist ja auch<br />

eine gute Mischung: mit Humor draufschauen<br />

und dennoch erschrecken.“<br />

Das sei der beste Weg, um jemanden<br />

auf ein wichtiges Problem aufmerksam<br />

zu machen. „Nur einen Text ablesen<br />

oder nachsprechen und das Publikum<br />

agitieren, das ist kein Theaterabend.“<br />

Wobei das Stück ihr diesmal einiges<br />

abverlangt habe. „Mein Mann musste<br />

mich abhören, wieder und wieder und<br />

noch einmal. Man hat ja am Anfang<br />

den Ehrgeiz, alles genau richtig zu sprechen.“<br />

Bis sie schließlich merkt, dass sie<br />

besser locker lassen sollte. Und sie lacht:<br />

„Für diesen Text muss man nicht der<br />

klassische Orchestermusiker sein, der jede<br />

Note exakt spielt, sondern irgendwie<br />

Jimi Hendrix.“<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

51<br />

Ganz und gar nicht locker ist sie dagegen,<br />

schaut sie auf das, was es in ihrer<br />

Heimat an fremdenfeindlichen Stimmungen<br />

gibt, bis hin zu handgreiflichen<br />

Übergriffen. Dabei ist sie gerne wieder<br />

da, wo sie aufgewachsen ist: „Es ist die<br />

Heimat, wir haben da Freunde, Verwandte,<br />

alles ist noch da. Aber diese<br />

Engstirnigkeit zu sehen, das tut weh.“<br />

Zugleich ist ihr eine feindliche Stimmung<br />

gegen vermeintliche oder tatsächliche<br />

Fremde in Sachsen nicht unvertraut:<br />

„Wir Sorben hatten immer<br />

unsere Schwierigkeiten, waren auch in<br />

der DDR nicht sonderlich akzeptiert.“<br />

Denn die Sorben, die im Gegensatz<br />

etwa zu den Sachsen, nicht zu den germanischen,<br />

sondern zu den slawischen<br />

Völkern gehören, auch wenn das Jahrhunderte<br />

über Jahrhunderte her ist,<br />

wurden immer wieder als anders und<br />

fremd und eben als nicht deutsch abgestempelt.<br />

„Euch haben sie wohl vergessen<br />

zu vergasen!‘, so was mussten wir<br />

Sorben uns nicht nur gleich nach dem<br />

Krieg anhören.“<br />

Und nun eben Pegida und Co, die<br />

mit ihrem Protest in der Mitte der Gesellschaft<br />

angekommen sind. Sie nimmt<br />

auch in ihrem eigenen Umfeld tiefe<br />

Einbrüche wahr: „Es gibt bei uns daheim<br />

einen Bäcker, zu dem sind wir immer<br />

gegangen. Einfach weil er gutes<br />

Brot backt; er gehört zum Mittelstand,<br />

ist ein netter Mann. Aber nun liegen<br />

auch bei ihm diese Zettel aus, dass man<br />

gegen die Flüchtlinge protestieren soll –<br />

da kann ich nicht mehr hingehen.“ Sie<br />

fragt: „Warum können die Leute nicht<br />

ihren Verstand einschalten? Das ist<br />

doch alles nur Gefühl.“<br />

Doch am Ende, da ist sie sich sicher,<br />

wird es gut ausgehen: „Die Zeit<br />

wird es bringen.“ Sie sagt: „Die Leute<br />

sind doch längst da, die gehen auch<br />

nicht wieder weg. Und die Welt wird<br />

bunter werden.“ •<br />

„Kaspar Häuser Meer“: So,10.7., 19 Uhr,<br />

Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190,<br />

Karten: 22 Euro<br />

<br />

JOSÉ JAMES<br />

<br />

<br />

TRAVIS SCOTT<br />

<br />

ANDERSON .PAAK<br />

& THE FREE NATIONALS<br />

<br />

CAGE THE ELEPHANT<br />

Logo<br />

INTRONAUT / SHINING (NO)<br />

<br />

<br />

BEN HARPER & THE<br />

INNOCENT CRIMINALS<br />

<br />

<br />

MIKE & THE MECHANICS<br />

<br />

<br />

ALIN COEN BAND<br />

<br />

<br />

HUBERT VON GOISERN<br />

<br />

<br />

3 DOORS DOWN<br />

<br />

<br />

BEAR‘S DEN<br />

<br />

ZUCCHERO<br />

<br />

<br />

MARIA MENA<br />

<br />

<br />

GORAN BREGOVIC AND HIS<br />

WEDDING & FUNERAL BAND<br />

<br />

TWENTY ONE PILOTS<br />

<br />

<br />

RUNRIG<br />

<br />

<br />

NAO<br />

<br />

XAVIER NAIDOO<br />

<br />

<br />

JULIA ENGELMANN<br />

<br />

TICKETS:<br />

KARSTEN JAHNKE<br />

<br />

GMBH<br />

/<br />

KJ.DE


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Tipps ( 1)<br />

1. bis 15. <strong>Juli</strong> <strong>2016</strong><br />

VORTRAG<br />

Führung durch das historische<br />

Beinhaus auf St. Pauli<br />

Mitten auf St. Pauli, zwischen Bars und<br />

Bordellen, befindet sich ein Beinhaus.<br />

Dicht an dicht liegen dort die Knochen<br />

von 350 Menschen, die im 18. und 19.<br />

Jahrhundert unter der katholischen<br />

St.-Joseph-Kirche bestattet wurden.<br />

Kürzlich wurde die verwahrloste Gruft<br />

aufwendig renoviert. Jetzt ist sie gelegentlich<br />

für die Öffentlichkeit zugänglich.<br />

Zu sehen sind nicht nur Gebeine,<br />

sondern auch andere Fundstücke: Kämme,<br />

Gewänder und Kinderspielzeug. •<br />

Sankt-Pauli-Museum, Davidstraße 17,<br />

Mi, 6.7., 19 Uhr, 18/16 Euro, Anmeldung<br />

erwünscht: info@sankt-pauli-museum.de<br />

AUSSTELLUNG<br />

„Buy, buy, St. Pauli“ – Stadtteilgeschichte<br />

zum Anfassen<br />

Die Fotografin CP Krenkler liebt St.<br />

Pauli und hat dem Stadtteil mit der Kamera<br />

ein Denkmal gesetzt (Foto oben).<br />

Vor allem die 2014 abgerissenen Esso-<br />

Häuser und deren Bewohner haben es<br />

ihr angetan. Sie hatte damals viele der<br />

Mieter besucht und diese vor ihren<br />

Wohnungstüren porträtiert. Und sie hat<br />

all die kleinen Läden, Kaschemmen und<br />

Clubs fotografiert, die mit ihren Wirten,<br />

Türstehern und Gästen das Herz des<br />

Kiez bilden. Viele dieser Kleinode sind<br />

schon Opfer der Gentrifizierung geworden.<br />

CP Krenkler hat diesen Prozess<br />

festgehalten. „Es macht mich traurig,<br />

wie achtlos die Stadt Hamburg mit ihrer<br />

Geschichte umgeht“, sagt sie. Einige ihrer<br />

Fotos sind jetzt in der Doppelausstellung<br />

„Buy, buy, St. Pauli“ zu sehen. •<br />

St.-Pauli-Kirche, Pinnasberg 80, Fr, 8.7.,<br />

18 Uhr, danach bis 7.8., Sa, 15–17 Uhr<br />

Millerntorgallery, Heiligengeistfeld 1,<br />

14.–17.7., Uhrzeiten und Programm unter<br />

www.millerntorgallery.org, 7/3 Euro<br />

LESUNG<br />

Noch ist offen: Fotografin CP<br />

Krenklers Arbeiten sind eine<br />

HOMMAGE an den alten Kiez.<br />

Anna Katharina Hahns surrealer<br />

Roman über Verarmung<br />

Die spanische Lehrerin Anita versucht<br />

nach mehreren vergeblichen Anläufen<br />

auf dem heimischen Arbeitsmarkt ihr<br />

Glück in Deutschland – und scheitert.<br />

Zurück in Madrid zieht sie frustriert in<br />

ihr früheres Kinderzimmer. Doch die<br />

Wirtschaftskrise dauert an. Hier nimmt<br />

Anna Katharina Hahns Roman „Das<br />

Kleid meiner Mutter“ eine surreale<br />

Wendung: Eines Tages liegen die Eltern<br />

tot in der Wohnung – warum,<br />

bleibt im Ungewissen. Unversehens<br />

rutscht Anita in das Leben ihrer Mutter.<br />

Eine Parallelrealität entwickelt sich,<br />

in der Anita ihrer Mutter immer ähnlicher<br />

wird. Die mehrfach ausgezeichnete<br />

Autorin liest aus ihrem neuen Buch<br />

bei der „Literatur Altonale“. •<br />

Bücherhalle Holstenstraße, Norderreihe<br />

5–7, Mi, 13.7., 19.30 Uhr, 8 Euro, gesamtes<br />

Programm unter www.altonale.de<br />

Wir verlosen drei Mal zwei Karten.<br />

Einfach bis zum 11.7. eine Mail an<br />

info@hinzundkunzt.de schicken.<br />

DRAUSSEN<br />

KulturflutFestival für kleine<br />

und große Gäste<br />

Schon zum dritten Mal findet in<br />

Finkenwerder das „KulturflutFestival“<br />

statt. Mit Blick auf die Elbe können<br />

sich tagsüber die Kleinen beim Kindertheater<br />

amüsieren. Ab dem frühen<br />

Abend feiern die Großen zur Musik<br />

der Ska-Band „Big Banders“, der<br />

Reggae-Lokalmatadoren „I-Fire“ und<br />

vieler anderer Combos. •<br />

Kulturflut Festival, Gorch-Fock-Park,<br />

8.+9.7., 17/14 Euro, Kinderprogramm 5/4<br />

Euro, Programm unter www.kulturflut.info<br />

BÜHNE<br />

Ohnsorg Theater thematisiert<br />

Schicksal von Straßenkindern<br />

Das Ohnsorg-Theater greift in<br />

„Tohuus“ Probleme aus seiner unmittelbaren<br />

Nachbarschaft auf: Es erzählt<br />

aus dem Alltag einer Gruppe von Straßenkindern.<br />

Sie kämpfen jeden Tag<br />

um das Überleben und träumen dennoch<br />

von einer glücklichen Zukunft.<br />

Auf der Bühne stehen Jugendliche<br />

zwischen 14 und 18 Jahren. Die Texte,<br />

die sie sprechen, sind in Zusammenarbeit<br />

mit jungen Menschen entstanden,<br />

die wirklich auf der Straße leben. •<br />

Ohnsorg-Theater, Heidi-Kabel-Platz 1,<br />

3.–7.7., 18 Uhr, 22/11 Euro<br />

52


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

FOTOS: CP KRENKLER (SEITE 52), SHANE LAVALETTE; COLLAGE: GRAFIKDEERNS<br />

KINO<br />

Liebe in Beirut: dramatisch<br />

und ganz schön komisch<br />

Integration ist ein großes Wort. Viel bemüht<br />

und je nach Neigung meist dann<br />

verwendet, wenn andere Menschen<br />

eben das sind – anders. Keine Angst.<br />

Das ist eine Kinokolumne und keine<br />

politische Streitschrift. Aber ich hatte<br />

im Kinosessel eine Erkenntnis: nämlich,<br />

dass die unterschiedlichsten<br />

Menschen etwas eint. Egal, ob Hindu,<br />

Muslim oder Katholik: Liebe, vor allem<br />

aber das Bedürfnis, geliebt zu werden,<br />

scheinen universelle Eckpfeiler einer<br />

jeden Gesellschaft zu sein. Liebe und<br />

gegenseitiger Respekt machen glücklich<br />

– vieles andere ist zweitrangig.<br />

„Liebe Halal“ heißt die Tragikomödie<br />

von Assad Fouladkar, die der Frage<br />

nachgeht, wie sich eine konservative<br />

muslimische Lebensweise mit Begehren<br />

und sexueller Selbstbestimmung vereinbaren<br />

lässt. Klingt nach schwerer<br />

Kost, ist aber erfreulich angenehm zu<br />

verdauen. Das liegt an der schnellen<br />

Erzählweise und den in sich abgeschlossenen<br />

vier Episoden, die in streng<br />

religiösen Vierteln von Beirut spielen.<br />

Dort pulsiert das Leben: Junge Menschen<br />

feiern Partys, lieben und probieren<br />

sich aus. Und müssen doch ihr Verlangen<br />

mit den strengen Regeln ihres<br />

Glaubens verbinden. Gar nicht so<br />

einfach. Denn was erlaubt und was<br />

verboten ist, bestimmt nicht selten die<br />

Auslegung ihrer Religion. Daraus zieht<br />

Fouladkar nicht nur eine Menge<br />

Humor, sondern eben auch kleine und<br />

große Dramen, die in unserer Kultur<br />

zwar fremd wirken, es auf den zweiten<br />

Blick aber viel weniger sind. Da gibt es<br />

überarbeitete Hausfrauen auf der Suche<br />

nach einer entlastenden Zweitfrau<br />

für ihre Männer, Eifersuchtsdramen<br />

und neugierige Kinder, verschmähte<br />

Liebe und rasende Leidenschaft. Kennt<br />

man doch. Und ist dann plötzlich gar<br />

nicht mehr so fremd.<br />

Lebensklug, warmherzig, originell –<br />

Regisseur Assad Fouladkar gelingt mit<br />

„Liebe Halal“ ein leichtfüßiges Gute-<br />

Laune-Movie über Liebe und Erotik in<br />

der arabischen Kultur. Ein toller Sommerfilm.<br />

ASCHMI<br />

•<br />

Neu im Kino ab Do, 7.7.<br />

DRAUSSEN<br />

Einweihung des Lohseparks<br />

Die größte Grünfläche der HafenCity<br />

wird mit einem Fest eröffnet. Unter<br />

dem Motto „Stadt.Park.Fluss“ kann<br />

man im Lohsepark zum Beispiel vor<br />

zwei Bühnen Musik hören, Urban<br />

Gardening ausprobieren oder beim<br />

Trommelworkshop mitmachen.<br />

Wer sich für die Architektur des vier<br />

Hektar großen Geländes mit seiner<br />

markanten Wellenform interessiert,<br />

erfährt bei Führungen Details zur<br />

Entstehung. Die Erfinder höchstpersönlich,<br />

die Landschaftsarchitekten<br />

Vogt aus Zürich, plaudern aus dem<br />

Nähkästchen. Regelmäßig finden auch<br />

Führungen zum nahe liegenden Denkmal<br />

des Hannoverschen Bahnhofs statt.<br />

Von hier wurden in den 1940er-Jahren<br />

mehr als 7000 Juden, Sinti und Roma<br />

in Gettos und Vernichtungslager<br />

deportiert. •<br />

Lohsepark, Am Lohsepark, 9.7.,<br />

13–21 Uhr, 10.7., 10–19 Uhr, Eintritt frei<br />

AUSSTELLUNG<br />

Poetische Bilder aus den<br />

amerikanischen Südstaaten<br />

Shane Lavalette ist einer der einflussreichsten<br />

jungen Fotografen in den<br />

USA. Der 29-Jährige hat schon für den<br />

New Yorker und das New York Times<br />

Magazine gearbeitet und in Museen<br />

ausgestellt. Nun sind seine Arbeiten<br />

erstmals in Europa zu sehen. Gezeigt<br />

werden Bilder aus seiner Serie „One<br />

Sun, One Shadow“ (Foto unten). Darin<br />

beschäftigt sich Lavalette mit der<br />

Musik der Südstaaten. Dabei hat er<br />

sich von der dortigen Musik inspirieren<br />

lassen, um „poetische ‚musikalische‘<br />

Bilder für die Landschaft der amerikanischen<br />

Südstaaten zu finden“. Das ist<br />

dem Künstler mit seinen Porträts und<br />

Landschaftsfotos gelungen. •<br />

Galerie Robert Morat, Kleine Reichenstraße<br />

1, noch bis 30.7., Fr+Sa,<br />

12–18 Uhr, Eintritt frei<br />

FESTIVAL<br />

Tänzerische Experimente<br />

beim DanceKiosk<br />

Wer sich für zeitgenössischen Tanz<br />

interessiert, ist beim Festival „Dance<br />

Kiosk – 48 Stunden Nomaden“ richtig.<br />

Für zwei Tage stehen auf dem<br />

Deichtorhallen-Platz Wohnwagen,<br />

Zelte und eine Bühne. Dort treffen sich<br />

Künstler aus aller Welt zu Performances,<br />

Vorträgen und Trainings. Besucher<br />

können Tanzvorführungen und DJ-<br />

Sets genießen, sich mit Künstlern und<br />

Besuchern austauschen oder an Tanzund<br />

Fotoworkshops teilnehmen. •<br />

DanceKiosk-Hamburg, Deichtorstraße<br />

1–2, 8.–10.7., Programm und Uhrzeiten<br />

unter www.dancekiosk-hamburg.de,<br />

Eintritt frei, Spende erwünscht<br />

MUSIK<br />

BANJO-BLUES: Bei Fotograf Shane<br />

Lavalette sieht sogar ein verpennter Musiker<br />

am frühen Morgen poetisch aus.<br />

Ausnahmesänger José James<br />

José James gilt als neue Stimme des<br />

Jazz. Für seinen sanften und vollen Bariton<br />

erhielt der 38-Jährige bereits den<br />

Jazz-Echo. In den Schoß gefallen ist<br />

dem Künstler die Auszeichnung nicht.<br />

Seine Kindheit in Minneapolis in den<br />

1980er-Jahren war geprägt von Armut<br />

und Rassismus. Ein Highschool-Lehrer<br />

holte ihn in den Schulchor. Später bekam<br />

er ein Stipendium für eine musikalische<br />

Ausbildung. Bis heute ist Diskriminierung<br />

sein Thema: „Ich erlebe es<br />

jeden Tag.“ Bei seinem Konzert spielt<br />

der Künstler Songs aus seinem erst im<br />

nächsten Jahr erscheinenden Album. •<br />

Mojo Club, Reeperbahn 1, Fr, 15.7., 20 Uhr,<br />

29,20 Euro<br />

53


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Tipps (2)<br />

16. bis 31. <strong>Juli</strong> <strong>2016</strong><br />

AUSSTELLUNG<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Hans Förster, Chronist des<br />

Hamburger Alltags<br />

Das Altonaer Museum erinnert<br />

anlässlich des 50. Todestages von Hans<br />

Förster an den Hamburger Maler und<br />

Grafiker (1885–1966). Mit seinen<br />

Drucken, Postkarten und Zeichnungen<br />

hat der Künstler detailreich Alltagsszenen<br />

festgehalten. Förster verdanken<br />

wir zahlreiche zeichnerische Dokumentationen<br />

des Hamburger Stadtbildes,<br />

von Speichern und Kontorhäusern,<br />

Bauernhöfen, Booten und Trachten.<br />

Romantik und Idylle, die Hans Förster<br />

gern auf seinen Bilder zeigte, spielten<br />

im Leben des Künstlers keine Rolle.<br />

Der Maler konnte von seinen Werken<br />

nicht leben. Er war permanent auf<br />

finanzielle Unterstützung von<br />

Freunden angewiesen und verbitterte<br />

darüber im Alter zunehmend. •<br />

Altonaer Museum, Museumstraße 23, bis<br />

5.2.2017, Di–So, 10–17 Uhr, 7,50/4,50<br />

Euro, unter 18 Jahren frei<br />

Das WESTWERK rollt<br />

den roten Teppich für die neue<br />

Ausstellung „Response“ aus.<br />

AUSSTELLUNG<br />

Jubiläum: 30 Jahre Westwerk<br />

Unter dem kämpferischen Motto<br />

„Senat fressen Straße auf“ (Bild oben)<br />

wandten sich vor 30 Jahren Hamburger<br />

Künstler an die Öffentlichkeit. Sie wollten<br />

das von ihnen gemietete Haus in<br />

der Admiralitätstraße für die Kunst<br />

erhalten und vor dem Verkauf an einen<br />

Investor bewahren. Mit Erfolg. Bis<br />

heute wird das dort ansässige Westwerk<br />

von Künstlern aller Art genutzt. Im<br />

<strong>Juli</strong> sind zehn Künstler aus dem Kieler<br />

Kunstverein „Haus 8“ zu Gast. Unter<br />

dem Titel „Response“ zeigen sie<br />

Bilder, Grafiken, Rauminstallationen,<br />

Skulpturen und Videos zur politischen<br />

Geschichte des Westwerks. •<br />

Westwerk, Admiralitätstraße 74,<br />

16.–30.7., Di–Fr, 19 Uhr, Sa+So,<br />

12 –16 Uhr, Eintritt frei<br />

MUSIK<br />

Kulturelles Feuerwerk mit<br />

„Les Tristes Cannibalistes“<br />

Musikalische Schubladen kümmern<br />

die Hamburger Band „Les Tristes<br />

Cannibalistes“ nicht. Umso wichtiger<br />

ist die Pflege ihrer vielfältigen kulturellen<br />

Wurzeln: In ihren Indie-Rock fließen<br />

Balkan-Klänge, persische Lieder<br />

und französische Chansons mit ein. Um<br />

ihren musikalischen Kosmos noch mehr<br />

zu erweitern, lädt sie zu ihren Konzerten<br />

oft gezielt Musiker aus anderen<br />

Ländern ein: Dieses Mal stehen gemeinsam<br />

mit den Cannibalistes der indische<br />

Tabla-Virtuose Swapan Bhattacharya<br />

und dessen Landsmann<br />

Koushik Batterjee auf der Bühne. •<br />

Goldbekhaus, Moorfurthweg 9, „Les Tristes<br />

Cannibalistes featuring Swapan: Kalkutta<br />

Sessions“, Fr, 22.7., 20.30 Uhr, 10/8 Euro<br />

LESUNG<br />

Isabel Bogdan liest aus ihrem<br />

Debütroman „Der Pfau“<br />

Lord und Lady McIntosh vermieten<br />

einige Zimmer ihres leicht bröckelnden<br />

Herrenhauses in den schottischen<br />

Highlands an Gäste. Für ein verlängertes<br />

Wochenende kündigen sich<br />

Investmentbanker einer Londoner Privatbank<br />

für ein Teambuilding-Seminar<br />

an. Leider hat einer der fünf Pfauen<br />

seiner Lordschaft die Angewohnheit,<br />

alles Blaue und Glänzende als Konkurrenz<br />

anzusehen und tätlich anzugreifen.<br />

Auch die Blaumetallic-Lackierung des<br />

Wagens der Abteilungsleiterin bekommt<br />

das zu spüren. Hieraus ergeben sich<br />

zahlreiche Verwicklungen. Die<br />

Hamburger Übersetzerin und Autorin<br />

Isabel Bogdan liest die schönsten<br />

Passagen aus ihrem Debütroman<br />

„Der Pfau“ beim Lesefest „Hamburger<br />

Ziegel“. Ebenfalls auf der Bühne<br />

vertreten: Renate Ahrens, Susanne<br />

Neuffer und Horst Evers. •<br />

Magellan-Terrassen, So, 17.7., „Schade um<br />

den schönen Pfau“, 18 Uhr, Eintritt frei, bei<br />

Regen im Kesselhaus, Am Sandtorkai 30<br />

54


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

BILD SEITE 54: CHILI SEITZ; FOTO SEITE 55: DANIEL BUTOWSKI; COLLAGE: GRAFIKDEERNS<br />

BÜHNE<br />

Verwechslungskomödie am<br />

Falkensteiner Ufer<br />

Alles beginnt mit einem Hut.<br />

Ausgerechnet am Tag von Fadinards<br />

Hochzeit frisst sein Pferd den prächtigen<br />

Florentinerhut von Madame<br />

Beauperthuis. Sie hatte ihn während<br />

eines Techtelmechtels mit einem<br />

jungen Offizier abgenommen. Nun<br />

braucht sie ihn dringend zurück, damit<br />

ihr Mann keinen Verdacht schöpft.<br />

Der arme Fadinard muss nun, während<br />

die Hochzeitsgäste schon auf ihn<br />

warten und ihm sein nörgelnder Schwiegervater<br />

im Nacken sitzt, die Kopfbedeckung<br />

wiederbeschaffen. Das Theater<br />

N.N. zeigt die französische Komödie<br />

„Der Florentinerhut“ von Altmeister<br />

Eugène Labiche open air – in traumhafter<br />

Kulisse am Falkensteiner Ufer.<br />

Picknickkorb nicht vergessen. •<br />

Römischer Garten, Falkensteiner<br />

Ufer, 16./21./22./23.7., 19.30 Uhr,<br />

25/17,50 Euro<br />

KINO<br />

Filmische Reise durch Länder<br />

im Süden Afrikas<br />

10.000 Kilometer sind die beiden<br />

Filmemacher Silke Schranz und Christian<br />

Wüstenberg mit ihrem Campingbus<br />

durch Südafrika gefahren. Aus ihren<br />

Erlebnissen entstand die Reisereportage<br />

„Südafrika – Der Kinofilm“.<br />

Die Tour beginnt in Kapstadt auf dem<br />

Tafelberg, führt entlang der berühmten<br />

Garden Route durch die vielen Nationalparks<br />

bis nach Durban. Nach Abstechern<br />

in die Nachbarländer Lesotho<br />

und Swasiland geht es über den riesengroßen<br />

Krüger Nationalpark bis in die<br />

Metropole Johannesburg. Dazwischen<br />

machen die Reisefreunde an mehr als<br />

50 Stationen halt. Im Film wechseln<br />

sich üppige Landschaftsaufnahmen,<br />

Beobachtungen von Tieren und Begegnungen<br />

mit Menschen ab. Die Schattenseiten<br />

werden nur gestreift. Das Ziel<br />

von Schranz und Wüstenberg: „Unser<br />

Film soll die Zuschauer inspirieren,<br />

auf eigene Faust loszuziehen.“ •<br />

Innenhof Altonaer Rathaus, Platz der<br />

Republik 1, Mi, 27.7., 21.30 Uhr, 8/7 Euro<br />

LESUNG<br />

Poeten am Strand<br />

Wo kann man schon während einer<br />

Lesung die Zehen in den Sand bohren<br />

und Schiffe bestaunen? Bei „Poets on<br />

the Beach“ geht das schon seit fast 30<br />

Jahren (Foto unten). Direkt neben der<br />

Strandperle lesen Cenk Bekdemir, Arne<br />

Poeck, Bente Varlemann und ein Überraschungsgast<br />

Texte, Romanausschnitte<br />

und Gedichte. Dank einer Verstärkeranlage<br />

versteht man jedes Wort, selbst<br />

wenn tutende Schiffe vorbeiziehen. •<br />

Elbstrand Övelgönne, Höhe Schulberg,<br />

So, 31.7., 18 Uhr, Eintritt frei, Spenden<br />

erwünscht, die Veranstaltung findet bei<br />

jedem Wetter statt.<br />

MUSIK<br />

Schunkeln und Schluchzen mit<br />

dem Musiker White Buffalo<br />

Hierzulande ist „White Buffalo“ eher<br />

unbekannt, aber in seiner Heimat USA<br />

ist der Musiker mit den langen Haaren<br />

und dem Rauschebart total beliebt.<br />

Das liegt an der markanten dunklen<br />

Stimme und der originellen Mischung<br />

aus Country, Blues, Rock und<br />

Rockabilly. Aber Jake Smith, wie der<br />

Künstler eigentlich heißt, ist nicht<br />

nur Spezialist für raue Töne. Der<br />

Kalifornier hat auch herzerweichende<br />

Balladen im Programm – und überzeugt<br />

mit sozialkritischen Texten. •<br />

Knust, Neuer Kamp 30, Mo, 25.7., 21 Uhr,<br />

23,70 Euro<br />

Pack die Lesebrille ein: Am Elbstrand in<br />

Övelgönne wird’s bei „Poets on the Beach“<br />

mal wieder LITERARISCH.<br />

LESUNG<br />

Erinnerung an den Widerstand<br />

Ein Stolperstein vor der Gertigstraße 56<br />

erinnert an Familie Stender. Werner,<br />

Ernst und Ludwig wuchsen über der<br />

Schusterwerkstatt ihres Vaters in einem<br />

sozialdemokratischen Elternhaus auf.<br />

Sie wurden Mitglied der kommunistischen<br />

Partei und kämpften gegen die<br />

Nationalsozialisten. Ernst kam dabei<br />

um. Ludwig und Werner überlebten<br />

durch Flucht ins Ausland. Werners<br />

Tochter Ruth hat die Geschichte der<br />

Familie unter dem Titel „Gertigstraße<br />

56“ veröffentlicht. Daraus liest sie beim<br />

„Ohlsdorfer Friedensfest <strong>2016</strong>“. •<br />

Bombenopfer-Mahnmal im Ohlsdorfer<br />

Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756, So,<br />

31.7., 12 Uhr, Eintritt frei, Spenden erbeten<br />

KINDER<br />

Imkertag am Kiekeberg<br />

Wie sieht ein Bienenstock eigentlich<br />

von innen aus? Und wie kommt der<br />

Honig ins Glas? Bienenexperten<br />

bringen kleinen und großen Besuchern<br />

beim Imkertag ihr Handwerk und das<br />

Leben der nützlichen Insekten näher.<br />

Museumsimker Clemens Tandler zeigt<br />

auch, wie er die Waben öffnet und den<br />

Honig herausschleudert. Bei diversen<br />

Mitmach-Aktionen können Kinder<br />

auch selbst Hand anlegen. •<br />

Freilichtmuseum am Kiekeberg, Am<br />

Kiekeberg 1, So, 31.7., 10–18 Uhr, 9 Euro,<br />

unter 18 Jahren frei


GURBHEJ SINGH<br />

lebt seit sieben Jahren in Hamburg<br />

und Rostock. Immer, wenn der in der<br />

Region Panjab geborene Inder wieder<br />

keine Arbeit in der Gastronomie findet,<br />

verkauft er Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Als Analphabet<br />

hat er es schwer, dabei hat der<br />

46-Jährige schon in seiner Heimat als<br />

Koch gearbeitet. Zum Verkaufsstart<br />

der Juni-Ausgabe konnten sich rund<br />

100 Hinz&Künztler von seinen<br />

Künsten am Herd überzeugen.<br />

Und die sind: spitze!<br />

Chicken Masala<br />

mit Erbsen-Reis<br />

(für vier Personen)<br />

3 rote Zwiebeln<br />

1 kleine Stange Porree<br />

2 Knoblauchzehen<br />

2 grüne Chilischoten<br />

40 g frischer Ingwer<br />

800 g H hnchenbrustfilet<br />

300 ml Kokosmilch<br />

100 ml Sahne<br />

1 Dose gesch. Tomaten<br />

250 g Basmatireis<br />

200 g Erbsen (TK)<br />

Pflanzenöl<br />

Gewürze:<br />

1 TL Pfeffer, 2 TL Salz<br />

3 EL Garam Masala<br />

2 TL Kurkuma-Pulver<br />

2 TL Koriander<br />

2 TL Bockshornklee<br />

2 TL Kreuzkümmel<br />

Ein Feuerwerk<br />

aus Gewürzen<br />

Hinz&Künztler Gurbhej Singh verrät sein Rezept für zartes Hühnchen in<br />

indischer Tomatensoße. Dazu gibt’s duftenden Reis.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE, BEATRICE BLANK<br />

FOTO: CHRISTIAN HAGEN<br />

SO WIRD ES GEKOCHT:<br />

1. Am besten zunächst alle Zutaten vorbereiten. Die Erbsen auftauen lassen. Aus den<br />

getrockneten Gewürzen eine Mischung vorbereiten. Zwiebeln und Porree schälen<br />

beziehungsweise putzen und würfeln. Die Chilischoten fein hacken. Den Ingwer und<br />

den Knoblauch schälen und fein hacken.<br />

2. Zwiebeln, Porree, Chilis, Ingwer und Knoblauch in einer Schüssel vermischen.<br />

Ein Drittel der Mischung beiseitestellen.<br />

3. 4 El Öl in einem großen Topf erhitzen. Die Gewürzmischung hineingeben und<br />

kurz anschwitzen. Zwei Drittel der Zwiebelmischung zufügen und mit anbraten.<br />

4. Kokosmilch, Sahne und die geschälten Tomaten in den Topf geben. Aufkochen und<br />

zehn Minuten köcheln lassen.<br />

5. In dieser Zeit das Hähnchenfleisch waschen und in Würfel schneiden. Den Topfinhalt<br />

mit einem Pürierstab pürieren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Damit ist die<br />

Masala-Soße fertig.<br />

6. Das Fleisch in die Soße geben und darin bei geringer Hitze 10 bis 15 Minuten garen.<br />

7. Währenddessen den Reis zubereiten: Den Basmati-Reis waschen und in Salzwasser<br />

nach Packungsanleitung garen.<br />

8. 4 El Öl in einer Pfanne erhitzen und die restliche Zwiebelmischung darin einige<br />

Minuten weichdünsten. Erbsen hinzugeben und den Reis unterheben. Zusammen mit<br />

dem Hähnchen in Masala-Soße servieren. Guten Appetit!<br />

Getestet von MAMPF: www.mampf-hh.de<br />

56


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

ILLUSTRATION (BLEISTIFT): BERND MÖLCK-TASSEL<br />

bischöfliche<br />

Hauptkirche<br />

Stadt in<br />

Rumänien<br />

bestimmtes<br />

Quantum<br />

arabisch:<br />

Vater von<br />

(bei<br />

Namen)<br />

dem Wind<br />

abgekehrte<br />

Seite<br />

gereizt,<br />

hektisch,<br />

nervös<br />

Fluss in<br />

Schleswig-<br />

Holstein<br />

astronomisches<br />

Planbild<br />

japanischer<br />

Kaisertitel<br />

5<br />

6<br />

9<br />

1<br />

7<br />

1<br />

2<br />

6<br />

7<br />

9<br />

2<br />

4<br />

Bewohner<br />

makellos Süd-<br />

sauber deutsch-<br />

lands<br />

Hautfärbung<br />

Brustumfang<br />

(Kleidung)<br />

3<br />

3<br />

4<br />

2<br />

3<br />

5<br />

Leere,<br />

Langeweile<br />

Monatsmitte<br />

im röm.<br />

Kalender<br />

5<br />

9<br />

8<br />

4<br />

4<br />

8<br />

Hispanoamerikaner<br />

Geliebte<br />

Tristans<br />

zäh, unbeirrbar<br />

6<br />

1<br />

3<br />

Geliebte<br />

des Zeus<br />

5<br />

4<br />

2<br />

6<br />

5<br />

7<br />

Figur<br />

aus der<br />

„Fledermaus“<br />

Stadt<br />

in Ostfriesland<br />

wunschlos<br />

glücklich<br />

Fluss<br />

durch<br />

Pisa<br />

7<br />

8<br />

farbiger<br />

Vorstoß<br />

an Uniformen<br />

Teil<br />

eines<br />

Baumes<br />

englische<br />

Bezeichnung<br />

für:<br />

Graf<br />

mehr als<br />

feucht<br />

Füllen Sie das Gitter so<br />

aus, dass die Zahlen von<br />

1 bis 9 nur je einmal in jeder<br />

Reihe, in jeder Spalte und<br />

in jedem Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken Sie<br />

uns bitte die unterste, farbig<br />

gerahmte Zahlenreihe.<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

per Fax an 040 30 39 96 38 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 29. <strong>Juli</strong> <strong>2016</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder eines von zwei Büchern<br />

„Babys machen & Andere Storys“ von Laurie Penny (Nautilus Verlag)<br />

gewinnen. Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war: Zentimeter. Die<br />

Sudoku-Zahlenreihe war: 512 796 483.<br />

6<br />

5<br />

1<br />

9<br />

7<br />

1<br />

Nelkengewächs<br />

Spielkarte<br />

schweizerisch<br />

kurz für:<br />

Motorrad<br />

Weltmeer<br />

8<br />

2<br />

Gutschein,<br />

Kassenzettel<br />

Metallschlaufe<br />

Oker-<br />

Zufluss<br />

(Harz)<br />

10<br />

Papagei<br />

Mittelund<br />

Südamerikas<br />

9<br />

Fernsehen<br />

(Fremdwort)<br />

ital.<br />

Schauspieler<br />

(Terence)<br />

Disney-<br />

Trickfilmreh<br />

7<br />

mild,<br />

sanft<br />

Übriggebliebenes<br />

Rechenverfahren<br />

Wurfpfeilspiel<br />

(engl.)<br />

10<br />

zukünftig<br />

(latein.)<br />

9<br />

französischer<br />

Mehrzahlartikel<br />

AR1115-0116_6<br />

57<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 30 39 96 38<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens,<br />

Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />

Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.),<br />

Annette Woywode (CvD, Stellv.), Frank Keil<br />

Mitarbeit Sybille Arendt, Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />

Ulrich Jonas, Benjamin Laufer, Uta Sternsdorff,<br />

Annabel Trautwein und Kerstin Weber<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad,<br />

Dina Fedossova<br />

Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />

Benjamin Laufer<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />

Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar 2015<br />

Vertrieb Marcus Chomse, Christian Hagen (Leitung),<br />

Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />

Frank Nawatzki, Cristina Stanculescu, Marcel Stein,<br />

Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Ana-Maria Ilisiu, Stephan Karrenbauer (Leitung), Isabel Kohler<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 200505501280167873<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />

17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />

§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

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dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />

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Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />

ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 2. Quartal <strong>2016</strong>:<br />

75.000 Exemplare


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />

Ohne ANDREE fehlt was beim<br />

Famila Markt in Bad Oldesloe. Als<br />

er länger krank war, hielt der Marktleiter<br />

sogar seinen Stammplatz frei.<br />

„Ich habe richtig<br />

gehungert und gefroren“<br />

Andree, 53, verkauft vor dem Famila Markt in der<br />

Lily-Braun-Straße in Bad Oldesloe.<br />

TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Endlich hat Andree seinen Platz gefunden.<br />

Wer den 53-Jährigen vor Famila in<br />

Bad Oldesloe stehen sieht, merkt gleich:<br />

Der gehört hier hin. Fast alle Kunden<br />

grüßen ihn, viele bleiben stehen und<br />

schnacken. Für Marktleiter Thomas<br />

Böttcher ist er schon wie ein fester Mitarbeiter.<br />

Für Andree bedeutet es noch<br />

viel mehr: „Das hier ist mein Zuhause.“<br />

Andree hatte es schwer, im Leben<br />

Fuß zu fassen. Dabei hat er zwei Berufe<br />

gelernt. In seiner Heimatstadt Marl zog<br />

er eine Lehre zum Chemiefacharbeiter<br />

durch. Als er keinen Job fand, schulte er<br />

um: Tischler wollte er immer mal lernen.<br />

Im zweiten Anlauf schaffte er es.<br />

Doch dann warf ihn eine schwere<br />

Krankheit aus der Bahn. „Die hat mein<br />

ganzes Leben versaut“, sagt er.<br />

Mit 37 wurde Andree zum Frührentner.<br />

Rastlos war er dennoch. 2003 brach er<br />

alle Kontakte ab und zog nach Berlin.<br />

„Das ist dann richtig in die Hose gegangen“,<br />

erzählt er. Ohne Job, ohne Freunde<br />

landete er direkt auf der Straße. „Ich<br />

habe richtig gehungert und gefroren.“<br />

Immer wieder griff die Polizei ihn<br />

betrunken auf, sperrte ihn über Nacht<br />

ein. Bis ihn 2006 ein Gericht zu einer<br />

Maßnahme verpflichtete: Ein Jahr Imkern<br />

an der Ostsee bei Wismar. „Das<br />

war schön“, sagt Andree. Die Arbeit<br />

baute ihn auf. Als das Jahr um war, entdeckte<br />

er Bad Oldesloe. Das ruhige<br />

Städtchen tat ihm gut. Bald fand er sogar<br />

eine Wohnung.<br />

Doch seine Krankheit, die Erlebnisse<br />

auf der Straße ließen Andree nicht los.<br />

Er kam zu Hause nicht zur Ruhe, fing<br />

wieder an zu trinken. „Es war mir schon<br />

wieder alles ziemlich schnuppe“, sagt<br />

er. Im Winter 2011 zog es ihn nach<br />

Hamburg – auf die Straße. Die Tage<br />

verbrachte er mit Bierchen am Hauptbahnhof.<br />

Doch nachts wich das Freiheitsgefühl<br />

der nackten Not. „Das war<br />

echt ein Dreck“, sagt Andree. Bis er bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> landete. „Von da an wurde<br />

alles besser.“ Er rettete seine Wohnung<br />

vor der Räumung und wurde<br />

Hinz&Künztler vor dem Famila-Markt.<br />

„Die Arbeit strukturiert meinen Tag,<br />

das hält mich zusammen“, sagt er.<br />

Sein Stammplatz ist ihm sicher –<br />

darauf kann Andree sich dank Thomas<br />

Böttcher verlassen. Als er erneut schwer<br />

erkrankte und für ein Jahr in die Klinik<br />

ging, hielt der Famila-Marktleiter seinen<br />

Verkaufsplatz frei. „Ich musste den<br />

richtig verteidigen“, erzählt der Marktleiter.<br />

Ständig tauchten Verkäufer ohne<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausweis auf. Thomas<br />

Böttcher schickte alle weg. Er wollte<br />

Andree zurück, der auch seinen Kunden<br />

ans Herz gewachsen war. „Mir ist<br />

wichtig, dass alles seine Ordnung hat“,<br />

so Böttcher. „Darum halte ich zu ihm.“<br />

Auch die Kunden vermissten „ihren“<br />

Verkäufer. Viele fragten im Markt<br />

nach ihm oder riefen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

an – und waren froh, als Andree zurückkam.<br />

„Inzwischen gibt es keinen<br />

mehr, der nur ‚Nein danke‘ sagt und<br />

schnell vorbeigeht“, erzählt er. Manche<br />

Stammkunden bringen ihm Käsebrötchen<br />

mit, zu Weihnachten kaufte eine<br />

Kundin für ihn ein – „lauter edle Sachen,<br />

die ich mir nicht leisten würde.<br />

Das war toll!“<br />

Nach langem Sparen hat sich Andree<br />

nun ein Fahrrad geleistet. Am Wochenende<br />

radelt er damit die Trave entlang.<br />

Oder er trifft seine Freundin. Seit<br />

einem Jahr sind sie ein Paar. „Mir ist<br />

wichtig, jeden Tag wahrzunehmen, zu<br />

füllen und zu genießen“, sagt Andree.<br />

„Die Vergangenheit lässt sich eh nicht<br />

mehr ändern.“ •<br />

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4.<br />

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Chocoladenmuseum Chocoversum.<br />

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1.<br />

2. 3.<br />

5.<br />

2.<br />

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3. „Gegens Abstempeln“<br />

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mit Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />

Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />

Preis: 11 Euro<br />

4. 5.<br />

6.<br />

4. „Hamburg Hommage“ – Klappkarten<br />

5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />

DIN A6, Fotograf Mauricio Bustamante<br />

Preis: 8 Euro<br />

3.<br />

5. „Hamburg Hommage“ – Print<br />

Format 40 x 40 x 2,5 cm, fotokaschiert auf<br />

MDF-Platte, mit Bienenwachs versiegelt, einzeln<br />

angefertigter Rahmen aus Palettenholz,<br />

5 verschiedene Motive:<br />

1. #118 / 2. #058 / 3. #153 / 4. #095 / 5. #117<br />

Preis: 99 Euro<br />

6. „Hamburg zeigt Herz“-Becher<br />

Porzellanbecher mit Silikondeckel, in<br />

Deutschland gefertigt. Idee und Design von einer<br />

Auszubildendengruppe der Firma OTTO.<br />

Preis: 8,50 Euro<br />

7.<br />

7. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder über Obdachlosigkeit<br />

von Kirsten Boie, illustriert von Jutta Bauer.<br />

Preis: 4,80 Euro


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