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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
N O <strong>281</strong><br />
<strong>Juli</strong>.16<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Mehr Müll muss nicht!<br />
Ein Monat, kaum Abfall:<br />
Zwei Hamburgerinnen machen es vor
GESUCHT: IHR<br />
LIEBLINGS-IMBISS<br />
Jetzt ’ne Currywurst. Oder einen Kebab. Oder ein Nata. Aber wohin, wenn einen<br />
unterwegs der Hunger packt? Verraten Sie uns, zu welchem Imbiss Sie gehen<br />
und vor allem: warum. Ist es das leckere Essen? Oder der nette Chef? Ist es<br />
die schöne Location oder die tolle Stimmung unter den Gästen? Ganz egal.<br />
Wenn Sie unsicher sind, was als „Imbiss“ zählt: Eine Gästetoilette darf er<br />
nicht haben! Die besten Tipps veröffentlichen wir in unserem neuen Kochheft!<br />
SCHREIBEN SIE UNS<br />
bis zum 31.7.<strong>2016</strong> an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter<br />
Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
oder info@hinzundkunzt.de,<br />
Stichwort „Lieblingsimbiss“.<br />
Bitte vergessen Sie nicht,<br />
Ihre Telefonnummer<br />
anzugeben!
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
Titel: Nur so wenig MÜLL in einem Monat?<br />
Kein Problem – finden zwei Hamburgerinnen<br />
TITELBILD: MAURICO BUSTAMANTE<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Wahnsinn: Zwei Hamburgerinnen schaffen es, im Monat nur ein Marmeladenglas<br />
voll Müll zu produzieren. Und angeblich ist das gar nicht so schwer. Die<br />
Müllvermeidungs-Queen Bea Johnson behauptet sogar, dass ihre Familie seither<br />
Geld spart, stolze 40 Prozent (Seite 6)!<br />
Es ist Sommer – und trotzdem sind die Parks und Straßen voller Obdachloser.<br />
Statt ihnen zu helfen, werden sie vertrieben. Als ob sie damit aus der Stadt verschwinden<br />
würden! „Bitte schauen Sie nicht weg!“, sagt deshalb unser Sozialarbeiter<br />
und politischer Sprecher Stephan Karrenbauer (Seite 12).<br />
Wir haben in Hamburg einen Bekanntheitsgrad von 92 Prozent. Trotzdem<br />
wissen Sie vielleicht nicht alles über uns. Damit sich das ändert, haben wir zu<br />
unserem Geschäftsbericht 2015 Fragen und Antworten für Sie vorbereitet (Seite 34).<br />
Was macht Integration aus? Dass wir alle die gleichen Werte haben? Nein,<br />
sagt Diakoniechef und Landespastor Dirk Ahrens. Als Basis reicht es, wenn die<br />
Flüchtlinge unsere Gesetze akzeptieren (Seite 16). Ihr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
Nur aufmunternde Nachrichten<br />
06 No Müll today<br />
Zwei Hamburgerinnen leben mit<br />
Spaß nahezu müllfrei<br />
Fotoreportage<br />
38 Mobile Homes<br />
Jörg Modrow fotografiert Amerikaner<br />
und ihr fahrbares Zuhause<br />
Freunde<br />
18<br />
ANZEIGENFOTO SEITE 2: MAURICIO BUSTAMANTE; FOTOS SEITE 3: DMITRIJ LELTSCHUK, ANDREAS HORNOFF, JÖRG MODROW<br />
10 Zahlen des Monats<br />
Geputzt wird im Akkord<br />
12 Katz und Maus mit Obdachlosen<br />
Polizeieinsätze, Platzverweise<br />
und ein Zaun<br />
16 Gesetze wichtiger als Werte<br />
Kommentar von Herausgeber Dirk<br />
Ahrens zur Integrationsdebatte<br />
18 Hey, mach mal Platz!<br />
Bauplätze für Flüchtlinge gesucht –<br />
das Projekt „Finding Places“<br />
Lebenslinien<br />
30 Der Himmelsstürmer<br />
Querschnittgelähmt – na und?<br />
Der Sportler Toni Hömpler zeigt,<br />
was mit und ohne Rolli alles geht<br />
Stadtexpedition<br />
25 #9 Die Pilger-Tour<br />
Kirchen, Wege und ein Flussufer –<br />
acht Orte für die innere Einkehr<br />
34 Unser H&K-Geschäftsbericht<br />
Zahlen, Fakten und Tendenzen<br />
44 Kein Problem mit Nächstenliebe<br />
Freundeskreismitglied Peter Kohl<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
48 „Ich bin der Narr – im besten Fall“<br />
Schauspielerin Gabriela Maria<br />
Schmeide im Gespräch<br />
52 20 Tipps für den <strong>Juli</strong><br />
56 Koch des Monats<br />
Hinz&Künztler Gurbhej serviert<br />
Chicken Masala mit Erbsenreis<br />
58 Momentaufnahme<br />
Ex-Hinz&Künztler Andree<br />
Rubriken<br />
05, 09, 15, 33 Kolumnen<br />
24, 29 Meldungen<br />
46 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
48<br />
38<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Homeless World Cup<br />
Neuzugang für das<br />
Nationalteam<br />
Ist das David Beckham? Nein, auch<br />
wenn die Ähnlichkeit frappierend ist.<br />
Nicht nur äußerlich. Stefan ist Nationalspieler.<br />
Trainer Jiri Pacourek berief<br />
den 26-Jährigen in die deutsche<br />
Auswahl für den Homeless World<br />
Cup. Die Weltmeisterschaft der<br />
Wohnungslosen findet vom 10. bis<br />
16. <strong>Juli</strong> in Glasgow statt. Eine große<br />
Ehre für den gebürtigen Rumänen,<br />
der vor einigen Monaten in Hamburg<br />
seine Arbeit verlor. Seitdem lebt<br />
er auf der Straße. „Endlich wieder<br />
eine gute Nachricht“, freute sich der<br />
begeisterte Fußballer über seine<br />
Nominierung. JOF<br />
•
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Jubiläum<br />
Ersatzfamilie<br />
für Seeleute<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE (SEITE 4 UND OBEN RECHTS), LENA MAJA WÖHLER,<br />
AFRIKANISCHES ZENTRUM, JONAS FÜLLNER<br />
Bild des Monats<br />
Das beste Hotel Europas<br />
Es gibt dort weder Pool noch Roomservice, aber<br />
trotzdem ist das City Plaza in Athen das vielleicht<br />
beste Hotel in Europa. Jahrelang stand das Hotel leer,<br />
seit April leben dort 400 Flüchtlinge, darunter 185<br />
Kinder. Staatliche Hilfe gibt es nicht. Wenn Sie helfen<br />
wollen: Infos unter www.europas-bestes-hotel.eu. JOF<br />
•<br />
Halleluja!<br />
In diesen Gottesdiensten geht die<br />
Post ab: Im Afrikanischen Zentrum<br />
in Borgfelde kommen seit zehn Jahren<br />
alle zwei Wochen Menschen<br />
zum Gospel-Gottesdienst zusammen.<br />
Der wird – wenn nicht gerade<br />
gesungen wird – in deutscher und<br />
englischer Sprache gehalten. Im<br />
Juni trafen sich die stimmgewaltigen<br />
Gläubigen zum 120. Mal in der<br />
Erlöserkirche und feierten unter<br />
dem Motto „Different Colours.<br />
One People.“ LEU<br />
•<br />
Jung, engagiert und hartnäckig<br />
Junge Wohnungslose in Hamburg<br />
haben ein eigenes Sprachrohr:<br />
Trietze (links), Lucas und Oxana.<br />
Früher lebten sie auf der Straße.<br />
Jetzt bereiten sie den nächsten Straßenkinderkongress<br />
vor und helfen<br />
jungen Wohnungslosen bei Konflikten<br />
mit Sozialarbeitern. JOF<br />
•<br />
Die Ständige Vertretung der Straßenkinder<br />
ist Mo–Fr von 10–14 Uhr unter<br />
Telefon 28 47 33 84 zu erreichen.<br />
Herzlichen Glückwunsch!<br />
Seit nunmehr 125 Jahren ist<br />
die Seemannsmission am<br />
Michel ein beliebter Anlaufpunkt.<br />
Neben Ruhe und<br />
Ent spannung wird den Seeleuten<br />
Hilfe bei Behördengängen<br />
und Papierkram geboten.<br />
Felix Tolle kennt die<br />
Mission am Krayenkamp seit<br />
seiner Zivildienstzeit. Damals<br />
standen die Seeleute noch<br />
Schlange für Telefonkarten,<br />
erinnert sich der stellvertretende<br />
Geschäftsführer. Obwohl<br />
heute jeder ein Handy<br />
besitzt, haben die Männer<br />
auf See immer noch kaum<br />
Kontakt zur Außenwelt. Viele<br />
loggen sich daher als Erstes<br />
ins WLAN ein.<br />
„Wir unterstützen die<br />
Seemänner, sodass gar nicht<br />
erst ein Gefühl von Heimweh<br />
aufkommt“, sagt der 38-Jährige.<br />
Wohl auch deswegen<br />
verbringen etwa 1000 Seemänner<br />
auf ihren Reisen regelmäßig<br />
die Nächte in der<br />
Mission. „Für sie und für unsere<br />
35 Dauergäste sind wir<br />
eine Art Familie“, sagt Tolle.<br />
Davon überzeugen kann<br />
sich inzwischen jedermann.<br />
Für Touristen, die gerne eine<br />
Nacht mit Blick auf den Michel<br />
und ein Frühstück mit<br />
echten Seemännern am Tisch<br />
verbringen möchten, ist die<br />
Seemannsmission genau das<br />
Richtige. Bereits ab 74 Euro<br />
kann man ein Doppelzimmer<br />
mit einfacher Ausstattung<br />
buchen. JOF<br />
•<br />
5
No Müll today!<br />
Leben, ohne Müll zu produzieren – Vanessa Riechmann und Erdmuthe Kriener schaffen das.<br />
Fast zumindest. Ihr monatlicher Abfall passt in ein Marmeladenglas. Wir wollten wissen,<br />
warum die beiden Hamburgerinnen müllfrei leben wollen und wie das funktioniert.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE, ALLTERNULLTIV (SEITE 7 OBEN)<br />
Vanessa Riechmann kann Menschen<br />
verstehen, die sie für eine<br />
Spinnerin halten. „Manchmal<br />
denke ich auch, ich spinne“, sagt<br />
die 35-Jährige. Dabei übt sie gar kein<br />
schräges Hobby aus. Sie verrenkt sich<br />
auch nicht für eine neue, unaussprechliche<br />
Trendsportart. Eigentlich führen<br />
Vanessa Riechmann und ihre Freundin<br />
und Kollegin Erdmuthe Kriener<br />
6<br />
ein stinknormales Leben. Bis auf die<br />
Tatsache, dass sie so gut wie keinen<br />
Müll produzieren.<br />
Zero Waste, also kein Abfall, heißt<br />
die Bewegung. Sie kommt, wie soll es
Stadtgespräch<br />
Mehr Müll muss nicht!<br />
Zwei Frauen, ein Ziel: so wenig<br />
Müll wie möglich zu hinterlassen.<br />
Die Musicaldarstellerinnen<br />
Vanessa Riechmann (links) und<br />
Erdmuthe Kriener verzichten seit<br />
dem Sommer 2015 auf PLASTIK<br />
und überflüssige Verpackungen. In<br />
ihrem Blog „Alternulltiv“ schreiben<br />
sie über ihre Erfahrungen.<br />
anders sein, aus Amerika. 2006 beginnt<br />
Bea Johnson (siehe Interview Seite 9)<br />
damit, ihr bisheriges Leben zu hinterfragen.<br />
Der Auslöser: Ein Umzug von<br />
einem großen in ein sehr viel kleineres<br />
Haus. Zunächst lagert die vierköpfige<br />
Familie 80 Prozent ihres Hab und Guts<br />
zwischen. Bis sie merken: Wir kommen<br />
auch ganz gut ohne all die Dinge aus.<br />
Bea Johnson wird nachdenklich: Was<br />
brauchen wir wirklich zum Leben? Können<br />
wir unseren Müll radikal reduzieren?<br />
Ihre eindeutige Antwort: Und ob!<br />
Vanessa Riechmann sieht eines Abends<br />
eine Dokumentation auf 3sat. Danach<br />
ist nichts mehr wie zuvor. Die Doku<br />
handelt von einer Familie aus Hamburg,<br />
die für vier Wochen probiert, ohne<br />
Plastik zu leben. Nachdem sie 50<br />
Kisten voll mit Kinderspielzeug, Küchenutensilien<br />
und anderem Kunstoffkram<br />
aus dem Haus geräumt haben,<br />
sieht man die Familie leicht überfordert<br />
am Küchentisch sitzen. Ob Käse,<br />
Wurst, Kosmetik oder CDs – fast alles<br />
ist in Plastik verpackt. Kann man ihm<br />
7<br />
überhaupt entkommen? Begleitet wird<br />
der Test von einer Toxikologin des Umweltbundesamtes.<br />
Sie untersucht Urin<br />
und Blut der Familie auf Schadstoffe.<br />
Denn in Plastik sind Stoffe wie<br />
Phthalate (Weichmacher) und Bisphenol<br />
A (wird zur Kunststoffherstellung<br />
genutzt) enthalten, denen eine gesundheitsgefährdende<br />
Wirkung nachgesagt<br />
wird. Neue Studien deuten darauf hin,<br />
dass es einen Zusammenhang geben<br />
könnte zwischen erhöhten Bisphenol-<br />
A-Werten und Diabetes sowie Störungen<br />
der Fruchtbarkeit bei Männern. In<br />
Babyfläschchen darf der Stoff EU-weit<br />
schon seit 2011 nicht mehr verwendet<br />
werden. Das Vorher-Nachher-Ergebnis<br />
bei der Testfamilie ist eindeutig: Während<br />
anfangs noch deutliche Spuren von<br />
Phthalaten und Bisphenol A nachzuweisen<br />
sind, nehmen diese in der plastikfreien<br />
Zeit um bis zu 80 Prozent ab. Dabei<br />
war die Familie überzeugt, schon<br />
ziemlich gesund zu leben.<br />
„Da bei dieser Familie die Werte so<br />
stark sanken, war mir klar: Ich will etwas<br />
ändern“, sagt Vanessa Riechmann. Der<br />
Zeitpunkt passte: Riechmann und Kriener,<br />
die sich 2011 als Musicaldarstellerinnen<br />
bei „Sister Act“ kennenlernten,
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
„Manchmal<br />
denke ich auch,<br />
ich spinne.“<br />
VANESSA RIECHMANN<br />
haben gerade zwei Monate Pause zwischen<br />
Engagements. Sie machen zusammen<br />
Sport („man muss ja fit bleiben“),<br />
setzen sich danach ins Café und quatschten.<br />
Vor allem übers Kochen und Essen.<br />
„Wir haben uns da so hochgeschaukelt“,<br />
sagt Erdmuthe Kriener. Während<br />
„Ich will nicht,<br />
dass der Müll in<br />
den Weltmeeren<br />
landet.“ ERDMUTHE KRIENER<br />
Freundin Vanessa sehr auf ihre Gesundheit<br />
achtet, treibt die 31-Jährige etwas<br />
anderes an: „Ich will einfach nicht,<br />
dass der ganze Müll in den Weltmeeren<br />
landet.“<br />
Anfang des Jahres wurde eine Studie<br />
veröffentlicht, die besagt, dass im<br />
Jahr 2050 im Meer schon mehr Plastik<br />
schwimmen könnte als Fische. Jährlich<br />
landen rund neun Millionen Tonnen<br />
Plastik in den Ozeanen. Dabei benötigt<br />
eine Plastiktüte rund 450 Jahre, bis sie<br />
zersetzt ist. Meeresvögel verwechseln<br />
den Müll oftmals mit Nahrung: Bis zu<br />
100.000 Tiere verenden daran jährlich,<br />
so der NABU, auch Delfine und Schildkröten<br />
verheddern sich in den Resten.<br />
Oder der Plastikmüll landet in Form<br />
von zersetzten Mikroplastikkügelchen<br />
in den Mägen der Fische und so am Ende<br />
auch wieder bei uns auf dem Tisch.<br />
Erdmuthe Kriener verdankt nicht<br />
nur ihren ungewöhnlichen Vornamen<br />
ihren Eltern („man kann sie schon als<br />
Hippies bezeichnen“), auch ihre Einstellung:<br />
Die Milch holten sie früher immer<br />
direkt vom Bauernhof. Einkaufen<br />
kennt sie sowieso nur mit Jutebeutel<br />
oder Korb. „Ich habe das nie verstan-<br />
8<br />
den, wieso ich da jedes Mal eine neue<br />
Plastiktüte mitnehmen sollte“, sagt sie<br />
und schüttelt den Kopf. Darüber, dass<br />
mit REWE erstmals eine große Supermarktkette<br />
freiwillig auf Plastiktüten<br />
verzichtet, freut sie sich. Das bedeutet<br />
ein Minus von 140 Millionen Plastiktüten<br />
im Jahr. Insgesamt werden in<br />
Deutschland allerdings circa sechs Milliarden<br />
Tüten ausgegeben.<br />
Die Tüten waren nicht das Problem,<br />
als Erdmuthe Kriener und Vanessa<br />
Riechmann im Sommer 2015 beschlossen,<br />
auf Plastik zu verzichten und<br />
so wenig Müll wie möglich zu produzieren.<br />
Das Tomatenmark schon. „Das habe<br />
ich am Anfang sehr vermisst“, sagt<br />
Erdmuthe Kriener, „das gibt es ja standardmäßig<br />
in der Tube oder in der Dose.“<br />
Irgendwann fragte ihr Freund im<br />
Biomarkt einfach mal nach. „Und siehe<br />
da: Auch Tomatenmark gibt es im Glas.<br />
Man muss nur mit offenen Augen durch<br />
die Stadt laufen.“<br />
Der Wochenmarkt wird zum Lieblingstreffpunkt<br />
der Freundinnen. Nicht<br />
nur, weil sie hier problemlos unverpacktes<br />
Obst, Gemüse und Brot bekommen.<br />
Auch Käse, Fisch und Fleisch – wenn
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Drei Fragen an<br />
Aktivistin<br />
Bea Johnson<br />
FOTO KOLUMNE: ZEROWASTEHOME.COM<br />
auch nicht auf Anhieb: „Ich war da anfangs<br />
sehr schüchtern“, sagt Erdmuthe<br />
Kriener. „Okay, wenn Sie das nicht unverpackt<br />
haben, dann kaufe ich nichts,<br />
danke!“, sei ihre Standardantwort gewesen.<br />
Ihre Freundin Vanessa ist da<br />
deutlich forscher unterwegs. „Die geht<br />
einfach hin und sagt: ‚Ich möchte das<br />
gern in meine Dose!‘“ Eigentlich dürfen<br />
selbst mitgebrachte Gefäße aus lebensmittelrechtlichen<br />
Gründen nicht<br />
hinter den Verkaufstresen gelangen.<br />
Aber es gibt einen kleinen Trick: Man<br />
kann das Gefäß auf die Theke stellen<br />
und den Verkäufer bitten, die Ware<br />
selbst hineinzulegen. „Manche drücken<br />
„Wir wollen die<br />
Leute nicht<br />
missionieren.“<br />
ERDMUTHE KRIENER<br />
da ein Auge zu“, sagt Erdmuthe Kriener.<br />
Doch nicht immer läuft es glatt:<br />
„Im Supermarkt wollte Vanessa einmal<br />
Wurst in ihre Dose füllen lassen, doch<br />
der Verkäufer weigerte sich. Außerdem<br />
meckerte er, dass sei doch sowieso nur<br />
ein Tropfen auf den heißen Stein.“<br />
Nicht nur Verkäufer reagieren so.<br />
„Sehr skeptisch“ seien Freunde und Familie<br />
anfangs gewesen, als die Freundinnen<br />
von ihrem Plan erzählten. Der Satz,<br />
den Erdmuthe und Vanessa am häufigsten<br />
zu hören bekommen: „Ich könnte<br />
das nicht!“, direkt gefolgt von: „Das ist<br />
aber bestimmt total teuer und zeitaufwendig!“<br />
Andere sagen, es sei kein Wunder,<br />
dass die zwei nicht mehr als ein<br />
Marmeladenglas Müll pro Monat produzieren,<br />
sie hätten ja keine Kinder.<br />
9<br />
Mit der Kritik können die zwei Freundinnen<br />
leben. Gut sogar, denn: „Was<br />
wir nicht wollen: Leute missionieren“,<br />
sagt Erdmuthe Kriener. Von heute auf<br />
morgen sind auch sie nicht zu Müllvermeiderinnen<br />
geworden. Worüber sie<br />
sich aber freuen: Wenn sie andere inspirieren<br />
– und sei es nur, eine eigene Wasserflasche<br />
zu benutzen statt sich immer<br />
wieder neue, kleine Trinkwasserfläschchen<br />
zu kaufen.<br />
Ihr Start sah so aus: Sie brauchten<br />
alle Lebensmittel auf, die noch in Plastik<br />
verpackt waren. Verschenkten ihre<br />
Tupperware. Stellten eigene Zahncreme<br />
und Deos her. Durchsuchten die<br />
Keller ihrer Schwiegermütter<br />
nach Einweckgläsern.<br />
Und fanden<br />
auch in Hamburg Läden,<br />
in denen man unverpackte<br />
Ware einkaufen<br />
kann, etwa bei<br />
Twelve Monkeys auf<br />
St. Pauli oder bei Erdkorn<br />
in Eppendorf.<br />
Ihre Erfahrungen<br />
teilen sie in ihrem Blog<br />
„Alternulltiv“. Gerade<br />
ist Vanessa Riechmann<br />
beruflich in der Schweiz<br />
und ein bisschen verzweifelt.<br />
„Hier ist es<br />
wirklich eine große Herausforderung,<br />
müllarm zu leben, nicht so wie in Hamburg.“<br />
Besonders diszipliniert oder reich<br />
müsse man für ein müllfreies Leben<br />
auch nicht sein: „Man braucht lediglich<br />
den Willen, eine Umgewöhnungsphase<br />
und ein Auge dafür.“ Erdmuthe Kriener<br />
ist sich sicher: „Es gibt kein Zurück<br />
mehr.“ Wieso auch? „Uns geht es jetzt<br />
viel besser.“ •<br />
Weitere Infos zur Müllvermeidung:<br />
Blog Alternulltiv:<br />
http://alternulltivhamburg.blogspot.de/<br />
Studie des Weltwirtschaftsforums:<br />
www.huklink.de/weltwirtschaftsforum<br />
Experiment der Hamburger Familie<br />
„Vier Wochen ohne Plastik“ bei 3sat:<br />
www.huklink.de/3sat<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Sie sagen „Zero<br />
Waste ist kein Trend, es ist eine<br />
Notwendigkeit.“ Für wen?<br />
BEA JOHNSON: Für alle Menschen.<br />
Unsere Ressourcen<br />
werden knapp. Die Umweltverschmutzung<br />
steigt. Wir<br />
res pektieren die Erde nicht<br />
mehr. Es ist höchste Zeit, daran<br />
etwas zu ändern.<br />
Müllfrei leben klingt kompliziert!<br />
Nicht, wenn man sich an<br />
fünf einfache Regeln hält:<br />
1.) Ablehnen. Üben Sie,<br />
„nein“ zu sagen!<br />
2.) Reduzieren. Verabschieden<br />
Sie sich von Dingen, die<br />
Sie nicht wirklich brauchen!<br />
3.) Verwenden Sie Dinge<br />
mehrfach!<br />
4.) Recyceln Sie, was Sie<br />
nicht ablehnen, reduzieren<br />
oder mehrfach verwenden<br />
können!<br />
5.) Kompostieren Sie organische<br />
Abfälle!<br />
Ist Zero Waste nicht nur ein<br />
Hobby für reiche Leute?<br />
Ganz im Gegenteil! Wer<br />
Dinge kauft, die man nur<br />
einmal benutzen kann, wirft<br />
Geld zum Fenster raus. Wir<br />
geben heute 40 Prozent<br />
weniger im Monat aus als<br />
früher. SIM<br />
•<br />
Bea Johnson lebt in den USA.<br />
Dort hat sie die Zero-Waste-<br />
Bewegung ins Leben<br />
gerufen. Mehr Infos unter<br />
www.zerowastehome.com
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Zahlen des Monats<br />
„Turbo-Putzen“<br />
als Trend<br />
2 Minuten, 19 Sekunden<br />
hat eine Putzkraft oft nur noch Zeit, um ein 18-Quadratmeter-Büro komplett<br />
zu reinigen. Exakt 8,4 Sekunden bleiben ihr für das Abstauben einer<br />
Schreibtischlampe. Das ergibt sich aus Berechungen der Gewerkschaft Bau,<br />
Agrar, Umwelt (IG BAU) auf der Grundlage von Kalkulationsbeispielen<br />
des Gebäudereinigerhandwerks.<br />
Der Trend zum „Turbo-Putzen“ nehme stetig zu, sagt André Grundmann<br />
von der Hamburger IG BAU: „Reinigungskräfte müssen immer<br />
mehr Flächen sauber machen – ohne dafür auch nur eine Minute mehr<br />
Zeit zu bekommen.“ Den wachsenden Druck veranschaulichen Zahlen<br />
einer Gewerkschaftsumfrage unter Gebäudereinigerinnen und Fensterputzern:<br />
Acht von zehn Befragten gaben an, bei ihrer Arbeit unter Stress<br />
zu stehen. 57 Prozent erklärten, dass sie in den vergangenen zwei Jahren<br />
größere Reinigungsreviere zugewiesen bekommen haben – bei gleichbleibender<br />
Stundenzahl. 28 Prozent müssen nach eigenen Angaben täglich Überstunden<br />
machen, nahezu jeder Dritte gab an, dass er Mehrarbeit nicht bezahlt bekommt.<br />
Seit Jahren fordert die IG BAU klare Regelungen, um den Umfang der<br />
Arbeit zu begrenzen. Der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks<br />
lehnt einen entsprechenden Tarifvertrag jedoch ab. Eine gemeinsame<br />
Arbeitsgruppe „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ konnte bislang keine<br />
Einigung erzielen. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS; ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Mehr Infos im Internet: www.igbau.de und www.die-gebaeudedienstleister.de<br />
11
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Katz & Maus<br />
mit Obdachlosen<br />
Die Bezirke vertreiben Obdachlose aus Parkanlagen: In Altona mit<br />
Platzverweisen und Polizeieinsätzen, in Eimsbüttel obendrein mit einem Zaun.<br />
Das eigentliche Problem: Der Senat hilft den Menschen kaum und duckt sich weg.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER; MITARBEIT: CRISTINA STANCULESCU<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
12
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Kein schöner Anblick. Das Bezirksamt Altona lässt am Nobistor aber nicht nur den Müll, sondern auch die DECKEN, LATTENROSTE UND MATRATZEN<br />
der Obdachlosen entsorgen. Vasile (links) sucht in Hamburg eine Wohnung und einen Job – und findet das eine ohne das andere nicht. Deswegen schläft er im Park.<br />
In Hamburg gibt es immer mehr<br />
Obdachlose – und die Stadt hat<br />
kein Konzept, um ihnen nachhaltig<br />
zu helfen. An einem Donnerstagmorgen<br />
im Juni wird das offenbar.<br />
Um kurz nach 7 Uhr rückt das Altonaer<br />
Ordnungsamt mit der Unterstützung<br />
mehrerer Mannschaftswagen der Polizei<br />
im Park am Nobistor an. Ein Mann mit<br />
Aktentasche weckt die Obdachlosen, die<br />
dort unter einem Dach Schutz gesucht<br />
hatten. „Guten Morgen, das Bezirksamt<br />
Hamburg-Altona“, ruft er ihnen zu.<br />
„Aufstehen!“ Dann zückt er seinen<br />
Dienstausweis und spricht denen, die<br />
hier auf alten Matratzen schlafen, einen<br />
Platzverweis aus. Wo sie stattdessen<br />
hinsollen? Keine Auskunft dazu vom<br />
Bezirk. Unterkunftsangebote für die<br />
Obdachlosen? Fehlanzeige.<br />
Natürlich löst man mit Platzverweisen<br />
keine sozialen Probleme. Nachdem<br />
die Altonaer Ordnungshüter Lattenroste,<br />
Kleidungsstücke und Müll von der<br />
Platte am Nobistor entsorgt haben,<br />
kommen die Obdachlosen schnell wieder<br />
in den Park. Einige hatten ihre Matratzen<br />
und Zelte für die Dauer des Einsatzes<br />
einfach kurz um die Ecke gelagert<br />
und sie danach wieder zurückgebracht.<br />
Die Männer, die wir im Park treffen,<br />
kommen aus Bulgarien und suchen<br />
in Hamburg Arbeit. „Wir würden jede<br />
Arbeit annehmen“, sagte der 38-jährige<br />
13<br />
Adrian unserer Dolmetscherin. Bislang<br />
schlage er sich mit Gelegenheitsjobs<br />
durch – oder mit Flaschensammeln.<br />
Sein Freund Valentin würde sich gerne<br />
regelmäßig rasieren und duschen: „Ich<br />
brauche eine Wohnung, aber die kann<br />
ich mir nicht leisten“, sagt er. Der Wohnungsmarkt<br />
in Hamburg bietet den<br />
Wanderarbeitern kaum eine Chance<br />
auf ein richtiges Zuhause. Und weil sie<br />
nicht wissen, wohin sie sonst gehen sollen,<br />
beziehen sie am Abend nach der<br />
Räumung wieder ihre Platte an der<br />
Königstraße.<br />
Am nächsten Morgen kommt dann<br />
erneut die Polizei und schickt die Menschen<br />
wieder weg. Tagelang geht das so
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Der Protest nützte nichts: Gedrängt durch einen massiven POLIZEIEINSATZ mussten die Obdachlosen erstmals am 9. Juni ihre Platte räumen.<br />
Der Bulgare Valentin (unten links) war am Tag davor noch ahnungslos – die in Amtsdeutsch verfasste Räumungsandrohung des Bezirks hatte er nicht verstanden.<br />
weiter. Seit 2015 hat das Bezirksamt<br />
hier schon sechs Mal aufgeräumt.<br />
Manchmal, wie im Juni, bekommen die<br />
Medien davon Wind und berichten.<br />
Meistens passiert es im Stillen. Immer<br />
kommen die Obdachlosen wieder.<br />
„Wenn es die Situation erforderlich<br />
macht, wird auch wieder geräumt werden“,<br />
kündigt Bezirkssprecher Martin<br />
Roehl gegenüber Hinz&<strong>Kunzt</strong> an.<br />
„Wir versuchen immer, einen Ausgleich<br />
zwischen den Bedürfnissen der Anwohner<br />
und der Menschen ohne Obdach<br />
zu finden.“ Übersetzt heißt das: Erst<br />
wenn die Situation für Obdachlose und<br />
Anwohner unerträglich wird, schreitet<br />
das Amt ein.<br />
Es hatte vor der Räumung Beschwerden<br />
gegeben, wegen Lärm und Vermüllung<br />
des Parks. Und tatsächlich war es<br />
wenig einladend rund um die Schlafstätte<br />
der Obdachlosen. An vielen<br />
Ecken sammelte sich Müll, obwohl drei<br />
Mal in der Woche ein Reinigungsdienst<br />
anrückt. Manche der Drogenkranken,<br />
die sich hier seit ein paar Monaten zu<br />
den Wanderarbeitern gesellt hatten, ließen<br />
Spritzen herumliegen. Ein Stück<br />
des nahen Spielplatzes benutzten die<br />
Plattenbewohner mangels Alternative<br />
als Toilette. Doch statt den Menschen<br />
hier wirklich zu helfen, vertrieb das Bezirksamt<br />
sie und nahm ihre Sachen weg.<br />
Holzhammer statt Sozialpolitik.<br />
14<br />
Deswegen nur auf das Bezirksamt zu<br />
schimpfen, greift aber zu kurz. Es ist in<br />
einer undankbaren Lage: Für Obdachlosenunterkünfte<br />
ist das Amt nicht zuständig<br />
– das ist Aufgabe der Sozialbehörde.<br />
Doch die kümmert sich nur unzureichend:<br />
Weil viele der Obdachlosen<br />
aus dem Ausland kommen, hätten sie<br />
keinen Anspruch auf eine städtische<br />
Unterkunft, heißt es von dort. Die Behörde<br />
verweist darauf, dass die Arbeitsmigranten<br />
von Beratungsstellen Unterstützung<br />
bei der Rückkehr ins Heimatland<br />
bekommen könnten, oft sei das die<br />
„realistischste Option“. Die Erfahrung<br />
aber zeigt: Viele Menschen bleiben.<br />
„Ich verdiene in Hamburg mehr mit
FOTO KOLUMNE: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Flaschensammeln, als ich in Rumänien<br />
mit einem Vollzeitjob verdienen würde“,<br />
sagt Adrian vom Nobistor. Also<br />
bleibt er hier.<br />
Und so werden er und seine Freunde<br />
ein Fall für das Bezirksamt Altona.<br />
Denn für die Grünflächen und die Einhaltung<br />
der Regeln dort sind die Bezirke<br />
verantwortlich – Zelten und nächtliches<br />
Lagern verbietet eine Verordnung.<br />
Bezirksmitarbeiter sprechen Platzverweise<br />
aus, die eigentlich der Senat politisch<br />
zu verantworten hätte.<br />
„Wir würden<br />
jede Arbeit<br />
annehmen.“<br />
ADRIAN VOM NOBISTOR<br />
Stadtgespräch<br />
15<br />
Nicht nur in Altona. Am Kaiser-Friedrich-Ufer<br />
entlang des Isebekkanals in<br />
Eimsbüttel hat das zuständige Bezirksamt<br />
in diesem Jahr schon elf Mal Obdachlose<br />
aufgefordert, ihre Platte zu<br />
räumen. Zehn Mal sprach die Verwaltung<br />
Platzverweise aus, zwei Mal ließ<br />
sie eine Platte räumen. Und sie ließ einen<br />
Zaun errichten, der den Zugang zu<br />
zwei Platten unter der Goebenbrücke<br />
versperrt. Dort schliefen regelmäßig<br />
Obdachlose. Vorgeblich sollte der Zaun<br />
sie vor dem Ertrinken bewahren – ein<br />
offensichtliches Scheinargument.<br />
Inzwischen hat die Bezirksversammlung<br />
entschieden, dass der Zaun<br />
im Herbst entweder wieder ganz abgebaut<br />
oder so umgesetzt werden soll,<br />
dass er zwischen dem Schlafplatz und<br />
dem Wasser steht. Ungeachtet dessen<br />
hat die Verwaltung aber angekündigt,<br />
weiter mit Platzverweisen gegen die<br />
Obdachlosen am Kanal vorzugehen.<br />
Freilich bringt das reichlich wenig.<br />
„Vor zwei Wochen war das Ordnungsamt<br />
da und hat gesagt, dass wir nicht<br />
unter der Brücke schlafen dürfen“, erzählt<br />
uns Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer Andrej,<br />
der am Isebekkanal Platte macht.<br />
„Wir haben dann die Seite gewechselt.“<br />
Von einem „Katz-und-Maus-Spiel“<br />
zwischen Obdachlosen und Ordnungshütern<br />
spricht deshalb Johan Graßhoff,<br />
Straßensozialarbeiter der Diakonie:<br />
„Das macht überhaupt keinen Sinn.“<br />
Graßhoff wundert es nicht, dass<br />
vermehrt Obdachlose in Parks nächtigen.<br />
„Die Leute gehen in die Außenbezirke,<br />
weil die Platten in der Innenstadt<br />
alle voll sind“, sagt er. Grünanlagen seien<br />
da begehrte Rückzugsorte. „Hier im<br />
Grünen gibt es viele Orte, an denen<br />
man vor Blicken geschützt ist.“<br />
An so einem hat auch Andrej seine<br />
Isomatte ausgerollt – obwohl er einen<br />
rechtlichen Anspruch auf eine städtische<br />
Unterkunft hat. Einige Jahre hat er<br />
in Hamburg als Putzer auf dem Bau gearbeitet.<br />
Und mithilfe der Beratung im<br />
Winternotprogramm hat er es auch geschafft,<br />
auf die Warteliste eines Männerwohnheims<br />
zu kommen. Trotzdem<br />
schläft er draußen, denn wann er dort<br />
wirklich einziehen kann, weiß er nicht –<br />
die Wartezeiten sind lang. „Im Sommer<br />
ist es nicht so schlimm“, beschwichtigt<br />
Andrej.<br />
Das Hilfesystem für Obdachlose ist<br />
am Limit. Als sogenannter Anspruchsberechtigter<br />
könnte Andrej zwar in die<br />
Notunterkunft Pik As ziehen, bis ihn<br />
das Wohnheim aufnimmt. Doch mit<br />
vielen anderen Obdachlosen in einem<br />
Zimmer schlafen, die womöglich betrunken<br />
sind und schnarchen, will er<br />
nicht. Die Belegungszahlen der Zimmer<br />
hat die Unterkunftsleitung gerade<br />
erst erhöht: Inzwischen teilen sich immer<br />
häufiger zwölf Wohnungslose einen<br />
Raum statt früher acht. Immer<br />
wieder werden auch Menschen vom Pik<br />
As abgewiesen. Nach Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Informationen<br />
reichen manchmal die<br />
Betten schlicht nicht aus.<br />
Man könnte den Obdachlosen<br />
schnell und unbürokratisch helfen. Im<br />
Mai waren 7000 Unterkunftsplätze in<br />
den Zentralen Erstaufnahmen für<br />
Flüchtlinge nicht belegt. Deswegen<br />
schlug Hinz&<strong>Kunzt</strong> unterstützt von der<br />
Caritas vor, sie für die Obdachlosen zu<br />
öffnen. Dann hätten sie eine Adresse<br />
und so mehr Chancen bei der Jobsuche.<br />
Doch die Sozialbehörde lehnt kategorisch<br />
ab: Eine Unterbringung scheide<br />
für Menschen ohne Leistungsanspruch<br />
– also viele der Wanderarbeiter – aus.<br />
Um sie müssen sich also weiterhin die<br />
Bezirke „kümmern“. •<br />
Stephan Karrenbauer<br />
Bloß nicht<br />
wegschauen!<br />
Dass in so vielen Parks inzwischen<br />
Obdachlose leben,<br />
darf niemanden wundern.<br />
Mit dem Ende des Winternotprogramms<br />
hat die Stadt<br />
800 Menschen auf die Straße<br />
gesetzt, viele von ihnen ohne<br />
Perspektive auf alternative<br />
Unterkünfte oder gar Wohnraum.<br />
Dass das zu Konflikten<br />
mit Nachbarn und Beamten<br />
führen würde, war abzusehen:<br />
Je länger Menschen im<br />
Freien leben, desto mehr verelenden<br />
sie.<br />
Das ist das hässliche Gesicht<br />
der Obdachlosigkeit,<br />
kaum jemand lebt freiwillig<br />
so. Deswegen dürfen wir diesen<br />
Zustand nicht einfach so<br />
hinnehmen! Viele Platten<br />
sind unzumutbar, für die<br />
Nachbarn und die Obdachlosen<br />
selbst.<br />
Vertreibung kann auf<br />
diese Verelendung keine Antwort<br />
sein – aber sie ist so<br />
ziemlich die einzige Reaktion<br />
der Stadt. Ein nachhaltiges<br />
sozialpolitisches Konzept<br />
fehlt bislang. Beschämend.<br />
Mein Vorschlag: Öffnet<br />
die leeren Flüchtlingsunterkünfte<br />
für Obdachlose! Vielleicht<br />
klingt das angesichts<br />
der komplizierten Rechtslage<br />
naiv. Wirklich naiv sind aber<br />
diejenigen, denen angesichts<br />
des Elends nur Vertreibung<br />
einfällt. Und die glauben,<br />
dass die Menschen dadurch<br />
aus der Stadt verschwinden.<br />
Das werden sie nicht tun.<br />
PROTOKOLL: BELA<br />
•
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Gleiches Recht,<br />
vielfältige Werte,<br />
das ist die Basis!<br />
Ein Kommentar von Diakoniechef, Landespastor und Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Herausgeber Dirk Ahrens zur Integrationsdebatte.<br />
FOTO: GUIDO KOLLMEIER<br />
Die Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen<br />
Grenze werden bis in den Sommer fortgesetzt.<br />
Ich mag in diesem Sommer nicht nach<br />
Österreich fahren. Ich will keine Grenzkontrollen<br />
erleben, wo ich in den vergangenen Jahrzehnten<br />
die friedliche Freizügigkeit genossen habe, nachdem<br />
ich noch 1990 als deutscher Student in Wien ein Visum benötigte.<br />
Meine Heimat Europa zerbricht. Horst Seehofer verkündigt<br />
triumphierend im Radio, dass das Ende der Willkommenskultur<br />
nun notariell beglaubigt sei und erhält dafür Applaus<br />
von seinen Anhängern. Er hätte das bedauern können, hätte<br />
betonen können, dass es zurzeit leider nicht ohne Kontrolle<br />
ginge, aber er macht einen Triumph daraus. Und ich weiß:<br />
Herr Seehofer und ich teilen nicht die gleichen Werte!<br />
Das ist schmerzhaft und schwer auszuhalten, aber weder<br />
Herr Seehofer noch ich sehen sich der Frage ausgesetzt, ob<br />
wir denn mit diesen so unterschiedlichen Werten integrierbar<br />
seien. Selbstverständlich muss unsere Gesellschaft diese Unterschiedlichkeit<br />
aushalten. Keiner von uns fliegt raus! Wären<br />
wir allerdings Flüchtlinge, dann wären unsere unterschiedlichen<br />
Werte ein bedenkliches Zeichen: Passt so einer zu uns?<br />
Die gemeinsamen Werte scheinen entscheidend. Aber<br />
welche? Die Gleichberechtigung der Frau und das Diskriminierungsverbot<br />
gegenüber Homosexuellen werden schnell<br />
und gerne genannt. „Paschas und verhüllte und unterdrückte<br />
Kopftuchmäuse kommen da in unser Land“, so das häufig<br />
gehörte Vorurteil. Kann sein, aber die Zahlen sagen auch,<br />
dass es in vielen muslimischen Ländern deutlich mehr Professorinnen<br />
gibt als in unserem Land. Dafür dürfen die dann<br />
„Herr Seehofer<br />
und ich teilen nicht die<br />
gleichen Werte, …“<br />
vielleicht nicht im Bikini öffentlich baden gehen. Jedenfalls<br />
habe ich einige Bekannte, wenn die ungestört über Frauen<br />
reden, dann weiß man, was Paschas sind. Die sind übrigens<br />
alle keine Muslime. Im Gegensatz zu der Kopftuchträgerin,<br />
die ich neulich kennengelernt habe. Die war so scharf und<br />
schnell in ihrer Argumentation, dass Unterwürfigkeit und<br />
mangelnde Emanzipation eher nicht ihre Themen zu sein<br />
schienen. Alles sehr verwirrend.<br />
Verwirrend finde ich auch, dass neuerdings scheinbar alle<br />
Menschen dieses Landes meinen, dass die Gleichberechtigung<br />
Homosexueller selbstverständlich ein wichtiger gemeinsamer<br />
Wert wäre, dem nun doch auch die Flüchtlinge<br />
zuzustimmen hätten. Das würde mich ja sehr freuen, aber<br />
die vollständige rechtliche Gleichstellung lässt in Deutschland<br />
nach wie vor auf sich warten. Fast könnte man meinen,<br />
wir erwarten von Flüchtlingen mehr als von den anderen Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern unseres Landes.<br />
Es ist wahr: Werte sind wichtig für das Zusammenleben<br />
einer Gesellschaft. Das wussten auch die Mütter und Väter<br />
des Grundgesetzes. Deshalb sollen sich die Bürgerinnen und<br />
Bürger dieses Landes mit der Vielfalt ihrer Werte und Haltungen,<br />
ihrer Religionen und Philosophien ins öffentliche Leben<br />
einbringen. Nicht nur in den Medien, sondern auch an<br />
den Stammtischen, zu Hause und am Arbeitsplatz werden<br />
tagein, tagaus Wertedebatten geführt. Aber alles was dort diskutiert<br />
wird, wird erst verbindlich, wenn es über den dafür<br />
vorgesehenen Prozess in Gesetze gefasst wird. Wenn wir also<br />
nach den für unsere Gesellschaft verbindlichen Werten fragen,<br />
die auch von Flüchtlingen geteilt werden müssen, dann<br />
kommen wir nicht umhin, auf die Einhaltung der Gesetze zu<br />
verweisen. In der Bibel gibt es eine Tradition, die Schönheit<br />
des Gesetzes zu loben. Das Gesetz gilt dort als Geschenk<br />
Gottes, denn es ermöglicht das friedliche Zusammenleben<br />
der Verschiedenen.<br />
Die Gesetze regeln alles, was für unsere Gesellschaft konstitutiv<br />
ist. Unter anderem auch das Verhältnis von Männern<br />
und Frauen, die rechtliche Stellung von Lesben und Schwulen<br />
16
Stadtgespräch<br />
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Natürlich wünschte auch ich mir von jedem Menschen<br />
in diesem Land ein begeistertes Eintreten für die Freiheit<br />
der individuellen Entfaltung, der religiösen Betätigung<br />
und des politischen Engagements, so wie es das Grundgesetz<br />
für uns bereithält. Aber dafür kann ich nur werben. Erwarten<br />
kann ich das nicht. Es besteht zwar die Pflicht, das geltende<br />
Gesetz einzuhalten, aber eine Pflicht, jedes geltende Gesetz<br />
auch gut zu finden, besteht nicht. Auch das gehört zu den<br />
Freiheiten, die wir haben.<br />
„… und keiner von<br />
uns fliegt raus. Wären wir<br />
allerdings Flüchtlinge …“<br />
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Es ist also nicht hilfreich, von Flüchtlingen die Einhaltung irgendwelcher<br />
Werte zu verlangen. Was verlangt werden kann,<br />
ist die Einhaltung geltenden Rechtes. Dadurch werden dann<br />
allerdings eine ganze Menge Werte verwirklicht. Im weltweiten<br />
Maßstab gesehen, leben wir an einem wunderbaren Ort<br />
der Freiheit und des Rechtes. Das ist ein wesentlicher Grund,<br />
warum so viele Menschen davon träumen, in diesem Land<br />
leben zu dürfen. Wir sind dennoch nicht im Himmel. Man<br />
kann scheitern und unter die Räder geraten, und viel zu tun<br />
bleibt immer. Aber das große Freiheitsversprechen des<br />
Grundgesetzes gilt allen Bewohnerinnen und Bewohnern<br />
dieses Landes. Damit auch Flüchtlinge diese Freiheit in ihrem<br />
Leben wahr werden lassen können, müssen sie zuerst<br />
einmal wissen, was hier verboten und was erlaubt ist. In der<br />
Folge sind die Beteiligung an der gesamtgesellschaftlichen<br />
Wertedebatte und die politische Teilhabe ausdrücklich erwünscht.<br />
Aber mehrheitlich sind das wohl spätere Schritte<br />
der Integration. •<br />
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Hey, mach<br />
doch mal Platz!<br />
Wenn die Stadt demnächst in einem Hinterhof im Karoviertel eine Unterkunft<br />
für Flüchtlinge baut, dann bin ich mitverantwortlich dafür. Denn ich war dabei,<br />
als die Fläche bei dem Workshop Finding Places ausgewählt wurde.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Wo bis vor zwei Jahren<br />
das Theater „Fliegende<br />
Bauten“ seine Heimat hatte,<br />
sprießt jetzt viel Wildkraut.<br />
Die Fläche bietet mehr als<br />
genug PLATZ für eine<br />
Flüchtlingsunterkunft.<br />
18
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rubrik<br />
19
Unsere rote Fahne: kein Bekenntnis<br />
zum Kommunismus, sondern Hinweis<br />
auf empfohlene Flächen, auf denen<br />
man für Flüchtlinge bauen könnte.<br />
Oben: Eine FREIFLÄCHE neben<br />
dem Bunker an der Feldstraße wurde<br />
von der Stadt abgelehnt. Sie wird für<br />
einen Rettungsweg zum Dom benötigt.<br />
Rechts: Nachverdichten könnte man in<br />
einem idyllischen Hinterhof im Karolinenviertel.<br />
Das sieht auch die Zentrale<br />
Koordinierungsstelle Flüchtlinge so.<br />
Die vorgeschlagene Fläche der<br />
Monopolverwaltung für Branntwein<br />
(Foto Seite 21) wird inzwischen durch<br />
einen neuen Zaun „geschützt“.<br />
Die Stadt Hamburg würde hier gerne<br />
bauen, der Bund will genau das nicht.<br />
Und ihm gehört das Areal.<br />
20
Stadtgespräch<br />
Jetzt sollen es also die Hamburger richten. Sollen<br />
nachschauen, ob Senat und Bezirke Flächen für die<br />
Unterbringung von Flüchtlingen übersehen haben.<br />
Das neue Beteiligungsverfahren heißt „Finding<br />
Places“. Entwickelt wurde es an der Hafencity Universität<br />
(HCU). In 42 Workshops werden mithilfe<br />
eines interaktiven Stadtmodells städtische Flächen durchforstet.<br />
Jeder, wirklich jeder kann daran teilnehmen. „Und ich<br />
bin mir sicher, Sie werden etwas finden“, so Bürgermeister<br />
Olaf Scholz bei der Präsentation Mitte Mai. Und diese<br />
Fundstücke, so seine Devise, sollen dann auch bebaut werden.<br />
Schließlich benötige Hamburg schnellstmöglich 20.000<br />
weitere Plätze für Flüchtlinge.<br />
Mich hat die Idee fasziniert. Selber prüfen, ob nicht doch<br />
vielleicht rund um meinen Wohnort Flächen bereitstehen.<br />
Ich wohne im Karoviertel. Hier wurden im vergangenen<br />
Sommer Hunderte Flüchtlinge in einer Hauruck-Aktion in<br />
Faszinierende Idee: Jeder,<br />
wirklich jeder kann an den<br />
Workshops teilnehmen.<br />
der Messehalle einquartiert. Ein Notbehelf, der nur durch die<br />
Unterstützung der Anwohner funktionierte. Dass die Flüchtlinge<br />
später wegen der Hanseboot weichen mussten und in<br />
Baumärkte verfrachtet wurden, während nur wenige Meter<br />
entfernt zwei Saga-GWG-Häuser und ein altes Schulgebäude<br />
leer standen, habe ich nie verstanden.<br />
Deswegen melde ich mich für Finding Places an: In einem<br />
zweistündigen Workshop können die Teilnehmer alle<br />
städtischen Flächen einsehen und festlegen, welche Baufelder,<br />
sogenannte Flurstücke, sie für Modulbauten für geeignet halten.<br />
Diese zweistöckigen Leichtbauten sollen höchstens fünf<br />
Jahre stehen bleiben. Deswegen sind langwierige Genehmigungsverfahren<br />
hinfällig. Bereits nach zwei Wochen, so der<br />
Senat, sollten die Ergebnisse von der Zentralen Koordinierungsstelle<br />
Flüchtlinge (ZKF) überprüft sein.<br />
Wir sind 16 Leute: keine Politiker, vereinzelte Stadtteilaktivisten,<br />
aber sonst normale Bewohner aus dem Bezirk Mitte,<br />
zwischen Mitte 20 und Ende 60. Gleich mit den ersten Wortmeldungen<br />
blitzt erstaunliches Expertenwissen auf. Am südlichen<br />
Ende der Horner Rennbahn sei ausreichend Platz, erklärt<br />
ein Anwohner. Die Rennstrecke bliebe unberührt. „Und<br />
den Fußballplatz am Gehölzgraben könnte man auch noch<br />
bebauen“, so sein Vorschlag. Aus dem Stegreif listete er acht<br />
Fußballfelder in der Umgebung auf, die den Vereinen als<br />
21
Der südliche Abschnitt der Horner Rennbahn (oben): Idylle<br />
pur – und es gäbe genug Platz für Modulbauten. Die Stadt<br />
lehnte den Vorschlag ab: zu viel Lärm- und Luftbelastung.<br />
Das Gelände unweit der Peute (unten) wurde vom Workshop<br />
als UNGEEIGNET verworfen. Es ist wegen der vielbefahrenen<br />
Bahntrasse und den Elbbrücken schlicht zu laut.<br />
Ersatz dienen könnten. „Der Breitensport hat es eh schwer.<br />
Da können wir keinen Platz zubauen“, entgegnet ihm ein<br />
Teilnehmer und erntet deutlich mehr Zuspruch.<br />
Gerne hätte ich mehr Für- und Wider-Argumente gehört.<br />
Doch dafür ist kaum Zeit. Also schnell abstimmen:<br />
knappe Mehrheit gegen den Fußballplatz. Dafür 240 Plätze<br />
in Modulbauten am Rande der Rennbahn. Ich habe ein<br />
mulmiges Gefühl: Schließlich blockiere ich mit meiner Gegenstimme<br />
eine Flüchtlingsunterkunft auf einem Fußballplatz,<br />
zumindest virtuell.<br />
Eine Woche später stehe ich zusammen mit unserem Fotografen<br />
Dmitrij Leltschuk an der Horner Rennbahn. Ich bin<br />
beeindruckt von der Weite des Freizeitparks. Der Ruhe. Ein<br />
paar Modulhäuser am südlichen Rande der Bahn würden<br />
niemanden stören, da waren wir uns einig. Außerdem: Zur<br />
U-Bahn sind es nur wenige Meter, auch die nächste Kita und<br />
der nächste Supermarkt sind fußläufig erreichbar.<br />
Ich fiebere der Antwort entgegen. Die Ernüchterung<br />
nach zwei Wochen ist groß: „nicht geeignet“, wegen Lärmund<br />
Luftbelastung. „Aus diesem Grund wäre ein Abstand<br />
von mindestens 20 Metern zur Fahrbahnbegrenzung einzuhalten.“<br />
Die dann noch verbleibende Fläche würde nicht<br />
mehr ausreichen. Was dazu wohl Flüchtlinge sagen würden?<br />
Würden sie den Autoverkehr nicht dem Leben in einer<br />
22
Stadtgespräch<br />
Massenunterkunft vorziehen? Tatsächlich erscheint mir die<br />
Begründung vorgeschoben. Große Umbauten stehen an. Ein<br />
Einkaufszentrum ist geplant. Die Horner Rennbahn soll eine<br />
Doppelrennbahn erhalten. Da stört vermutlich eine<br />
Flüchtlingsunterkunft.<br />
Freunde hatten bereits im Vorfeld meine Begeisterung<br />
gedämpft: „Wenn so viel Datenmaterial vorliegt, warum<br />
kann die Stadt dann nicht selber alle Flächen untersuchen?“<br />
An der Kritik ist leider einiges dran. Denn ebenfalls „nicht<br />
weiter geprüft“ wird die ehemalige Monopolverwaltung für<br />
Branntwein. Dabei wäre ausreichend Platz für mehr als 200<br />
Flüchtlinge, hatten wir Workshop-Teilnehmer entschieden.<br />
Am Ende überwiegen<br />
eben doch wieder<br />
ökonomische Interessen.<br />
Die Fläche gegenüber dem Elbpark Entenwerder gehört<br />
aber nicht der Stadt, sondern dem Bund. Und der, das wird<br />
aus der Antwort deutlich, ist nicht am Verkauf oder wenigstens<br />
an einer Zwischennutzung interessiert.<br />
Das ist mehr als nur schade. Ich hatte das Gelände besichtigt.<br />
Und war hin und weg. Zwei Wohn- und Verwaltungsgebäude<br />
in gutem Zustand, ein großer Innenhof und alte,<br />
schöne Lagerhallen. Perfekt! Eventuell wären auch Gewerbezeilen<br />
oder gar Wohnungsbau mit Blick auf die Elbe möglich.<br />
Der Bund aber sieht das anders – und die Gebäude wurden<br />
sicherheitshalber mit einem neuen Zaun abgesperrt.<br />
Das nervt. Noch ein Vorschlag unseres Workshops scheitert:<br />
das Flurstück zwischen der U-Bahn Feldstraße und dem<br />
Bunker auf dem Heiligengeistfeld, weil es als Fluchtweg für<br />
den Dom nicht bebaut werden kann.<br />
Diese formalen Gründe spiegeln zugleich die Schwierigkeiten<br />
wider, vor denen Behörden und Bezirke real stehen.<br />
Umso größer ist daher Mitte Juni meine Freude, als die ZKF<br />
schließlich doch noch zwei Vorschläge aus dem Workshop für<br />
„geeignet in Ersteinschätzung“ erachtet. Die ehemaligen<br />
Fliegenden Bauten auf St. Pauli seien „sozial sowie verkehrstechnisch<br />
gut angebunden“, heißt es aus der Behörde. 160<br />
Flüchtlinge könnten auf der Brachfläche neben Planten un<br />
Blomen nach Einschätzung des Workshops leben. In direkter<br />
Nachbarschaft zu einem Innenhof im Karoviertel, den das<br />
ZKF ebenfalls als „geeignet“ für 50 Menschen erachtet.<br />
Zurück aber bleibt ein Geschmäckle. Anwohner bringen<br />
beeindruckende Kenntnisse ein, bieten von sich aus Flächen<br />
in ihrer Nachbarschaft an. Tatsächlich ungenutzte Flächen<br />
aber, wie der Rand der freizügigen Horner Rennbahn und<br />
die ehemalige Monopolverwaltung für Branntwein, bleiben<br />
unangetastet. Denn am Ende überwiegen eben doch wieder<br />
ökonomische Interessen. •<br />
Workshop-Anmeldung unter www.findingplaces.hamburg<br />
23
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Meldungen (1)<br />
Politik & Soziales<br />
Schuhe: „Made in Europe“ bedeutet oft Hungerlöhne<br />
Sogenannte deutsche oder italienische Schuhe werden oft in Südosteuropa zu<br />
Hungerlöhnen gefertigt. Das zeigen Recherchen der Clean Clothes Campaign<br />
und der Initiative Change your shoes. Demnach können Fabrikarbeiter in<br />
Alba nien, Mazedonien oder Rumänien von ihren Löhnen oft nicht ihre Familien<br />
ernähren und müssen sich zu Wucherzinsen verschulden. „Made in Europe“ sei<br />
kein Hinweis auf nachhaltig produzierte Schuhe, so die Initiativen. Sie fordern<br />
mehr „Transparenz in der Zulieferkette“. UJO<br />
•<br />
Mehr Infos im Internet unter www.lohnzumleben.de<br />
Mehr Wohnungslose in Wohnungen vermittelt<br />
Erstmals hat die Wohnungswirtschaft 2015 den Kooperationsvertrag<br />
erfüllt: Mit 1175 wohnungslosen Alleinstehenden und<br />
Familien haben die Unternehmen Mietverträge geschlossen,<br />
1029 waren vorgeschrieben. Mit 992 Haushalten hat Saga<br />
GWG das Gros der Wohnungslosen aufgenommen, die über<br />
die Fachstellen für Wohnungsnotfälle vermittelt wurden.<br />
Flüchtlinge werden dort als Wohnungslose gezählt. BELA<br />
•<br />
Mehr Infos im Internet unter www.huklink.de/kooperationsvertrag<br />
Landgericht bestätigt Mietwucher-Urteil<br />
Klagen gegen Mietwucherer haben in Hamburg künftig mehr<br />
Chancen auf Erfolg. Das ergibt sich aus einem Urteil des<br />
Landgerichts Hamburg (Az: 316 S 81/15). Demnach muss<br />
die Rauch&Veth GbR dem Jobcenter 52.500 Euro zu viel<br />
gezahlte Mieten zurückzahlen. Die Firma hatte in einem<br />
heruntergekommenen Haus in Ottensen Zimmer zu<br />
Wucherpreisen an Hilfeempfänger, vorwiegend Ex-Obdachlose<br />
und Haftentlassene, vermietet. UJO<br />
•<br />
Senat will Kosten beim Wohnungsbau senken<br />
Sozialverband wegen Bauprojekt in der Kritik<br />
Ein Bauprojekt in Langenhorn bringt den Sozialverband<br />
Deutschland (SoVD) in die Kritik: 81 Wohnungen plant die<br />
SoVD-Tochter Meravis am Buurredder, darunter mindestens<br />
48 Eigentumswohnungen. 44 preiswerte Wohnungen sollen<br />
dafür abgerissen werden. Altmietern, die zurückkehren wollen,<br />
versprach die Meravis „einen Mietnachlass von 10 bis 15<br />
Prozent auf zehn Jahre“. Und: „Der ausschließliche Bau von<br />
Sozialwohnungen ist ... wirtschaftlich nicht tragbar.“ UJO<br />
•<br />
Anfangsmieten zwischen acht und neun Euro pro Quadratmeter<br />
im Erstbezug: Das will der Senat mit dem „Hamburger<br />
Effizienzwohnungsbau“ erreichen. „Typisierung“ und „Standardisierung“<br />
sollen die Kosten senken, beschloss die Bürgerschaft.<br />
Die städtische Saga GWG soll „modellhaft“ einen Prototypen<br />
bauen. Die Architektenkammer erklärte, auch hohe<br />
Grundstückspreise, höhere Energiestandards und langwierige<br />
Genehmigungsverfahren machten das Bauen teuer. UJO<br />
•<br />
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Rubrik<br />
STADT-<br />
EXPEDITION:<br />
#9 Die Pilger-Tour<br />
Es muss nicht gleich Santiago de Compostela sein. Auch<br />
in Hamburg finden Pilger ihr Glück. Dass gleich mehrere<br />
Pilgerwege mitten durch die Stadt führen, wissen nur Kenner.<br />
Wir zeigen die schönsten Orte für eine innere Einkehr.<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Bernd Lohse (58)<br />
arbeitet seit acht Jahren als Pilgerpastor an<br />
der Hauptkirche St. Jacobi. Über seine Aufgabe<br />
sagt er: „Glauben ist für mich ein Weg. Eine<br />
Pfarrstelle, die ausdrücklich das Auf-dem-<br />
Weg-Sein zum Thema hat – da bin ich richtig.“<br />
1. Ein mit Stempeln<br />
gefülltes Pilgerbuch,<br />
zu bestaunen in der<br />
Kapelle von St. Jacobi<br />
in der City (unten).<br />
Outdoor und Religiosität gehören<br />
zusammen wie Gebet<br />
und Amen“, sagt Bernd<br />
Lohse. Hamburgs Pilgerpastor<br />
ist ein auf geistlichen Wegen Reisender<br />
aus Leidenschaft. Ein Mal im<br />
Jahr führt der gelernte Journalist und<br />
studierte Theologe Interessierte auf seiner<br />
Lieblings-Pilgertour durch Norwegen.<br />
Über den Olavsweg hat er nicht<br />
nur einen Führer geschrieben, auch einer<br />
seiner Krimis spielt dort. Doch auch<br />
im Norden Deutschlands ist Lohse häufig<br />
unterwegs und spinnt weiter am immer<br />
dichteren Netz der Pilgerfreunde.<br />
Ist er in der Stadt, erfreut er sich an<br />
„den kleinen Formen der Pilgerei“. Dass<br />
die immer mehr Menschen schätzen lernen,<br />
ist auch das Werk des unermüdlichen<br />
Pastors: „Pilgern in der Stadt ist etwas,<br />
das wir in Hamburg besonders<br />
entwickelt haben.“ •
Stadtexpedition<br />
HINZ&KUNZT N°277/ MÄRZ <strong>2016</strong><br />
Wer eine Ahnung vom Reiz des Pilgerns bekommen will, besucht<br />
die Hauptkirche St. Jacobi. Vor gut 750 Jahren wurde<br />
1.<br />
sie errichtet, „als Kapelle für Pilger, die vor den Toren der Stadt lagerten<br />
und nicht hineindurften“, so Pastor Lohse. Heute lädt das Pilgerzentrum<br />
in der Kapelle zum Gespräch ein wie zum Gebet. Interessierte<br />
erhalten einen Pilgerpass und Tipps für die nächste Tour,<br />
Neugierige stöbern im Buch „Erzählungen der Pilgernden“ und lassen<br />
sich so anregen. Wie der eigene Weg aussehen kann, entscheidet<br />
– anders als früher – jeder für sich selbst. Pastor Lohse: „Pilgern ist<br />
heute ein sehr befreites Pilgern.“ Ihren Stempel bekommen die Pilger<br />
übrigens am Eingang.<br />
Pilgerzentrum, Hauptkirche St. Jacobi, Jakobikirchhof 22, Di, 10–12 Uhr, Do,<br />
15.30–17.30 Uhr, Tel. 30 37 37 13, mehr Infos: www.pilgern-im-norden.de<br />
Im Mittelalter waren Pilger nicht wohlgelitten. „Sie<br />
rochen und sprachen fremde Sprachen“, beschreibt<br />
Pastor Lohse die Bilder in den Köpfen der Städter.<br />
„Sie waren Fremde – so wie es heute Obdachlose<br />
oder Flüchtlinge sind.“ Pilgern war zu jener Zeit<br />
vor allem eine Form der Buße, „aber auch die einzige<br />
Form des Reisens – und schon damals eine Volksbewegung“. Viele<br />
Wanderer hofften darauf, in Hamburg ein Schiff zu finden auf ihrem<br />
Weg zu den Pilgerzentren in Spanien oder Norwegen. Um sie<br />
sowie Alte und Kranke zu versorgen, gründeten Franziskanermönche<br />
vor mehr als 800 Jahren das Hospital zum Heiligen Geist. Heute<br />
erinnert der Name der Heiligengeistbrücke an die laut Pastor Lohse<br />
„erste diakonische Einrichtung der Stadt“.<br />
Heiligengeistbrücke (nahe U-Bahn Rödingsmarkt), Kurzfilm zur Geschichte des<br />
Hospitals im Internet: www.hzhg.de/ueber-uns/historie.html<br />
drei<br />
Eine Kinoleinwand, die mitten in der Kirche hängt.<br />
Tischtennisplatten und Tischkicker statt Gesangsbücher.<br />
Und im Raum nebenan ein Café, das sich zum Stadtteiltreff<br />
entwickelt: „Bei uns können Pilger lernen, dass Kirche sich verändert<br />
und neue Formen entwickelt“, sagt Uschi Hoffmann. Die Stadtteildiakonin<br />
sieht die Immanuelkirche auf der Veddel vor allem als<br />
„Ort der guten Angebote für Menschen, die wenig Geld haben“. Sogar<br />
Minigolf haben sie in der Kirche schon gespielt. Uschi Hoffmann<br />
geht es um den Dialog der Religionen und Kulturen. Diskussionen<br />
mit Vertretern der Islamischen Gemeinde stehen ebenso auf<br />
dem Programm wie gemeinsames Kochen mit Flüchtlingen. Ein besonderer<br />
Ort auf dem Jakobusweg im Hamburger Süden.<br />
Kirche auf der Veddel, Wilhelmsburger Straße 73, www.kirche-veddel.de<br />
1. So weit die müden Füße<br />
tragen: Für Pilger gibt<br />
es viele lohnenswerte Ziele.<br />
Vögel zwitschern vielstimmig. Nur das Rattern vorbeifahrender<br />
S-Bahnen hinter einer Wand aus Bäumen<br />
erinnert daran, dass wir uns mitten in Hamburg befinden.<br />
Wer innere Einkehr sucht, ist an der Dove Elbe<br />
(4a) goldrichtig. Eben noch führte der Jakobusweg<br />
beim Auswanderermuseum Ballinstadt an einer vielspurigen<br />
Autostraße entlang, nun taucht der Pilger ein in idyllische<br />
Flecken Natur. Rechts des Weges liegen kleine Yachten bewegungslos<br />
im Wasser, links wechseln Wald, Wiesen und Kleingärten ab. Immer<br />
wieder gibt das Grün den Blick frei auf weitläufige Anwesen auf<br />
der anderen Seite des Flussarms, die die Frage aufwerfen, was der<br />
Mensch zum Leben eigentlich braucht. So ein hübscher kleiner Pavillon<br />
am Wasser, würde der nicht ausreichen zum Glück? Bald er-<br />
26
8<br />
2<br />
1<br />
2. Unsere Tour führt zur Heiligengeistbrücke,<br />
deren Name an<br />
den historischen Standort des<br />
Hospitals zum Heiligen Geist<br />
erinnert. Heute gibt es ein<br />
gleichnamiges Seniorenheim<br />
in Poppenbüttel, über das ein<br />
güldener St. Ansgar wacht.<br />
7. Der Pilgerweg durch den<br />
Stadtpark ist gesäumt von<br />
großen, alten Bäumen.<br />
3<br />
4a<br />
4b<br />
6<br />
4a. Zum Pilgern<br />
braucht es Stille.<br />
Die findet man auf<br />
dem Jakobusweg entlang<br />
der Dove Elbe.<br />
7<br />
3. Die Immanuelkirche auf der Veddel ist ein<br />
Ort der Begegnung für Menschen aller<br />
Konfessionen.<br />
4b. Schönes Etappenziel:<br />
die Windmühle Johanna.<br />
5
Stadtexpedition<br />
hebt sich die Windmühle Johanna (4b)<br />
vor dem Wanderer, ein 140 Jahre alter<br />
Prachtbau, in dem heute Hochzeiten gefeiert<br />
werden, Mühlen- und Schlachtfeste.<br />
Ausdauernde führt der Weg über Harburg<br />
und Sinstorf bis nach Hittfeld.<br />
Museum Ballinstadt, Veddeler Bogen 2. Windmühle<br />
Johanna, Schönenfelder Str. 99. Einen<br />
Flyer zum Jakobusweg gibt es im Pilgerzentrum.<br />
„Zweieinhalb Stunden zu schweigen<br />
ist etwas sehr Intensives“, sagt<br />
5.<br />
Pilgerpastor Lohse. Wer das erleben<br />
möchte, geht gemeinsam mit anderen<br />
„Schweigend um die Alster“. Ein Mal im<br />
Monat lädt das Team des Pilgerzentrums<br />
zur besonderen Wanderung, „bei jedem<br />
Wetter und zu jeder Jahreszeit“. Neben der Gelegenheit zur<br />
inneren Einkehr bietet die Tour schöne Aussichten. „Ich liebe<br />
vor allem den Blick auf die Stadtsilhouette mit ihren fünf<br />
Hauptkirchen, dem Rathaus und neuerdings auch der Elbphilharmonie“,<br />
schwärmt Lohse. Eröffnet wird die Pilgerwanderung<br />
mit einem Gebet, einem Lied oder einem Text<br />
zum Nachdenken. Raum fürs Gespräch gibt es auch: „Bis<br />
wir die Alster erreicht haben, wird noch gesabbelt.“<br />
Jeden zweiten Freitag im Monat, 18 Uhr, Treff Pilgerwegweiser an St.<br />
Jacobi, Jakobikirchhof 22, ohne Anmeldung, Dauer 2,5 Stunden<br />
Welch besonderer Geist in der St. Marienkirche<br />
in Fuhlsbüttel herrscht, bezeugen Einträge von<br />
Pilgern ins Gästebuch: „Danke für den köstlichen<br />
Kuchen!“ – „Mit dem Abendgebet konnten wir gut ankommen.“<br />
– „Ein wunderbares Gemeindehaus, das ich nicht<br />
vergessen werde.“ Die Kirche nahe des Alsterlaufs ist einer<br />
der zahlreichen Gastgeber in der Stadt, die müden Pilgern<br />
ein Dach über dem Kopf anbieten. Vier Feldbetten stehen<br />
hier bereit, und weil diese Etappe des Jakobswegs mit 20<br />
6. Reich verziert: das Gästebuch<br />
der St. Marienkirche<br />
in Fuhlsbüttel.<br />
6. In der St. Marienkirche<br />
sind Pilger gern gesehen.<br />
Kilometern recht lang<br />
ist, „kommen die Menschen<br />
meist ziemlich erschöpft an“, berichtet<br />
Küsterin Petra Pätz. Brechen sie am nächsten Morgen auf,<br />
„verabschieden wir sie auch mal mit Glockengeläut“. Tipp<br />
der Küsterin: das Café Luise, wo der Bäckermeister noch ohne<br />
Zusatzstoffe backt.<br />
St. Marien, Maienweg 270; Café Luise, Erdkampsweg 12<br />
Um den Pilgerweg im Stadtpark zu erkunden,<br />
braucht es den kleinen, feinen Führer, den die umliegenden<br />
Kirchengemeinden mit dem Pilgerzentrum<br />
gemeinsam herausgegeben haben. „Wir durften<br />
den Weg leider nicht markieren“, erzählt Pastor Lohse.<br />
„Das Amt meinte, das sei eine religiöse Äußerung, und dann<br />
wollten am Ende auch Buddhisten ihre Gebetsfahnen aufhängen.“<br />
So ist ein Heft entstanden, das zu Ecken führt, „die<br />
selbst eingefleischte Hamburger nicht kennen“.<br />
Start: Café Trinkhalle, Südring 1. Den Führer „Rauswege – Pilgern im<br />
Stadtpark“ gibt es im Pilgerzentrum.<br />
Regelmäßig lädt der Pilgerpastor zu abendlichen<br />
Erkundungen der Stadt. Dann führt<br />
er an „unentdeckte Orte“, die „Ausblick ins<br />
Weite“ bieten. Oder zeigt „geistliche Spuren“,<br />
die nur wenige (er)kennen. Gutes Beispiel<br />
sind die Reste eines jüdischen Tempels, die ein Hinter-<br />
hof in der Poolstraße 12/13 verbirgt. Die Ruinen<br />
stehen unter Denkmalschutz und lassen erahnen, wie<br />
prächtig das Gotteshaus gewesen sein muss. Für Pas-<br />
tor<br />
Lohse sind sie Symbol für das Ziel der Juden, „in<br />
der Stadt, in der man lebt, zu Hause zu sein“. 1931<br />
weihte die jüdische Gemeinde einen neuen Tempel<br />
in<br />
der Oberstraße ein. Das Gebäude in der Neustadt<br />
wurde verkauft und 1944 von Bomben zerstört. Wo<br />
einst Menschen beteten, schrauben heute Mechaniker<br />
einer Autowerkstatt an Fahrzeugen herum. Und<br />
5. Schweigen<br />
geht auch in der<br />
Stadt – etwa am<br />
Ufer der Alster.<br />
8. Relikt der Vergangenheit: Früher stand hier<br />
in der Poolstraße ein jüdischer Tempel.<br />
dennoch fügt sich das Ganze zu einem irgendwie<br />
harmonischen Bild.<br />
„Workout-Pilgern“, 14.7., •<br />
18 Uhr, Pilgerwegweiser, Jakobikirchhof<br />
22, oder 18.30 Uhr, Maritimes<br />
Museum, Koreastr. 1, Anmeldung<br />
bis 12.7. unter exner@jacobus.de
Stadtgespräch<br />
Meldungen (2)<br />
Politik & Soziales<br />
Konto für alle endlich Gesetz<br />
Betroffene und Berater haben lange dafür gekämpft, nun ist<br />
es Gesetz: das Recht auf ein Konto für jedermann. Wer ein<br />
sogenanntes Basiskonto eröffnen will, darf ab sofort nicht<br />
abgewiesen werden – auch wenn er Schulden hat oder<br />
obdachlos ist und als Kunde wenig lukrativ erscheint. Das<br />
Basiskonto ist ein reines Guthabenkonto. Ein „Nein“ ist<br />
den Banken nur in wenigen Ausnahmen erlaubt. Wer sich<br />
ungerecht behandelt fühlt, kann vor Gericht klagen. UJO<br />
•<br />
Mehr Infos im Internet unter www.huklink.de/basiskonto<br />
Streit über Hartz IV für Ausländer<br />
Haben Ausländer in Deutschland Anspruch<br />
auf Sozialleistungen oder nicht? Das Bundessozialgericht<br />
(BSG) urteilte, dass EU-Bürger<br />
bei einem „verfestigten Aufenthalt“ nach<br />
sechs Monaten zwar keinen Anspruch auf<br />
Hartz IV, wohl aber auf Sozialhilfe hätten.<br />
Ungewöhnlich ist, dass anschließend mehrere<br />
Gerichte anders entschieden haben. So<br />
befand das Landessozialgericht Hamburg,<br />
dass bereits eine Übergangs- oder Rückkehrhilfe<br />
ausreichen kann. Dem Sozialgericht<br />
Mainz hingegen geht das BSG-Urteil nicht<br />
weit genug: Jeder in Deutschland Lebende<br />
habe Anspruch auf Hartz IV. Das soll nun<br />
das Bundesverfassungsgericht prüfen. „Das<br />
Bundessozialgericht ist unter Beschuss von<br />
allen Seiten“, erklärte der Sprecher des<br />
Missachten Jobcenter das<br />
Grundgesetz, wenn sie<br />
Hartz-IV-Empfängern die<br />
Hilfe kürzen oder streichen?<br />
Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat diese Frage offengelassen.<br />
Eine Prüfvorlage<br />
des Sozialgerichts Gotha<br />
wiesen die Richter wegen<br />
Formfehlern als „unzulässig“<br />
zurück. Das Gothaer Sozialgericht<br />
hatte die Menschenwürde<br />
bedroht gesehen. UJO<br />
•<br />
Sozialgerichts Mainz. BELA<br />
•<br />
Sanktionen bleiben<br />
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Senat und Stadtteilinitiative vereinbaren Bürgervertrag<br />
Nach monatelangem Streit um den Wohnungsbau für Flüchtlinge hat der Senat die erste Einigung<br />
erreicht. Statt der geplanten 5000 Flüchtlinge kommen in Neugraben-Fischbek jetzt<br />
1500 Flüchtlinge in Unterkünften und Wohnungen unter. Exakt diese Anzahl hatte die lokale<br />
Initiative von Beginn an gefordert. Weil aber keine Einigung in Sicht war, starteten Anwohner<br />
mit Bürgerinitiativen aus anderen Stadtteilen ein Volksbegehren gegen Großunterkünfte.<br />
Der jetzt geschlossene Bürgervertrag wäre allerdings ohne sinkende Flüchtlingszahlen<br />
nicht möglich geworden. Erreichten vergangenen Spätsommer täglich bis zu 300 Flüchtlinge<br />
Hamburg, kamen im gesamten Mai nur noch 948 Menschen. Der Senat will deswegen statt<br />
36.000 nur noch 21.000 neue Unterkunftsplätze bis Ende 2017 schaffen. Sollte dem Senat<br />
bis Anfang dieses Monats in allen Bezirken eine Einigung mit den protestierenden Bürgern<br />
gelingen, will der Initiativen-Dachverband sein Volksbegehren zurückziehen. JOF<br />
•<br />
29<br />
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Treppen: Das größte Hindernis für Rollifahrer? Nicht für Toni Hömpler.<br />
Er hat sich eine Treppenbremse ausgedacht, mit der er ohne Hilfe klarkommt.<br />
Er nutzt einen „Hill Holder“, eine Rückrollsperre, die einen Rollstuhl<br />
an einer Steigung nach hinten abbremsen soll. Den tüftelte Toni so für<br />
seinen Rollstuhl aus, dass er ein Wegrollen nach vorne verhindert. Wie man<br />
damit Treppen hochfahren kann, zeigt Toni am Dockland (Foto S. 30 und<br />
links): eine Hand am Geländer, eine auf der nächsthöheren Treppenstufe<br />
und dann mit Schwung hochdrücken. Eine anstrengende Angelegenheit,<br />
aber sie macht UNABHÄNGIG: „Wenn ich nachts nach Hause komme<br />
und der Fahrstuhl kaputt ist, komme ich trotzdem ganz allein bis in meine<br />
Wohnung.“ Leichte Übung für ihn (unten): mit dem Handbike auf zwei<br />
Rädern fahren. „Das ist zwar ein Trick, aber auch wichtig, um in engen<br />
Kurven nicht zu stürzen“, sagt Toni. Schon kniffliger: Longboard fahren.<br />
Der Himmelsstürmer<br />
Seine Behinderung nimmt Francisco Antonio Hömpler buchstäblich sportlich. Schon<br />
vor seiner Querschnittlähmung durch einen Unfall war der 30-jährige Hamburger eine<br />
Sportskanone. Daran hat sich nichts geändert – auch dank seiner Kreativität.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Der Mann ist ein Wahnsinniger!<br />
Da kommt er angezischt<br />
auf seinem Wakeboard.<br />
Die Hände fest am<br />
Griff des Seils, mit dem sich die Wasserski-<br />
und Wakeboardfahrer über den See<br />
ziehen lassen. Doch im Gegensatz zu<br />
den meisten Leuten, die sich heute an<br />
der Wasserskianlage im Norderstedter<br />
Stadtpark eingefunden haben, fährt<br />
Francisco Antonio Hömpler genau auf<br />
die große Rampe zu. Er will darüber<br />
springen. „Auf dem Wasser kann ich<br />
mir ja nicht den Rücken brechen“, hat<br />
Toni, wie ihn seine Freunde nennen, gerade<br />
noch gescherzt.<br />
Stimmt schon, Tonis Rücken ist eh<br />
schon im Eimer. Er ist querschnittgelähmt.<br />
Seine Beine kann der 30-Jährige<br />
nicht mehr bewegen. Aber den Hals<br />
könnte er sich brechen. Doch das<br />
scheint ihn nicht zu interessieren.<br />
Er weiß aber auch genau, was er<br />
tut. Für sein Wakeboard hat er sich eine<br />
Spezialkonstruktion anfertigen lassen:<br />
Er sitzt in einer Hartschale, die wie ein<br />
Stuhl auf das Brett geschraubt ist. Die<br />
Beine fixiert er an den Fußgelenken mit<br />
Klettverschluss-Bändern. So schießt er<br />
übers Wasser. Mal in geschmeidigen<br />
Kurven, mal nur mit einer Hand am<br />
Griff, während die andere locker die<br />
Wasseroberfläche streichelt. Dann der<br />
Sprung über den Kicker, wie die Rampen<br />
im Sportlerjargon heißen. Was Toni<br />
mit seinem „Sit-Wakeboard“ anstellt,<br />
31<br />
macht ihm nur ein anderer gelähmter<br />
Sportler in Deutschland nach, sagt er.<br />
Und wenige von denen, die heute sonst<br />
noch an der Seilwinde Schlange stehen.<br />
Es wird gefachsimpelt und gelacht. Toni<br />
lässt sich nach einem missglückten<br />
Flug über den Kicker von einem versierten<br />
Fahrer sagen, dass er die Arme<br />
beim Sprung weiter nach unten drücken<br />
muss. Er selbst gibt einer Anfängerin<br />
Tipps, wie sie direkt nach dem Start<br />
auf den Wasserskiern besser zum Stehen<br />
kommt. Toni ist ein guter Lehrer,<br />
das merkt man gleich.<br />
Ursprünglich wollte der gebürtige<br />
Hamburger tatsächlich als Snowboardlehrer<br />
arbeiten. 2008 flog er zunächst<br />
nach Australien, verbrachte dort ein
Fliegen mit dem SIT-WAKEBOARD: Den Sprung über den Kicker steht Toni Hömpler<br />
ohne Probleme (oben). Auch 180-Grad-Drehungen in der Luft beherrscht er. Während<br />
viele Sportler an der Wasserskianlage in Norderstedt nur eine Stunde Wasserzeit buchen,<br />
ist Toni erst nach zwei Stunden endlich K.o. (kleines Bild, Mitte). Profisportler will<br />
Toni trotzdem nicht sein. „Ich habe keine Lust, 30 Stunden die Woche für eine Sportart<br />
zu trainieren“, sagt er. „Ich will nicht der Beste im Trainieren sein, sondern viel Neues<br />
lernen.“ Und Neues erfinden – wie sein rollstuhltaugliches Longboard (siehe Seite 31).<br />
Zwei Schienen, die Toni auf das Board geschraubt hat, verhindern das Runterrollen der<br />
Rollstuhlräder. Eine Handbremse ermöglicht das Bremsen.<br />
ganzes Jahr. Im Dezember 2009 kehrte<br />
er kurz nach Hamburg zurück, nur um<br />
gleich weiter nach Österreich zu reisen,<br />
wo er sich in Tirol schon eine Stelle als<br />
Snowboardlehrer besorgt hatte. Danach<br />
sollte es am liebsten weiter nach<br />
Chile gehen, wo sein Vater herkommt,<br />
ins höchste Skigebiet der Welt. „Da wäre<br />
mein Blut richtig schön dick geworden“,<br />
schwärmt Toni.<br />
Doch daraus wurde nichts. Noch in<br />
Österreich stürzte Toni schwer – bei einem<br />
Sprung mit dem Snowboard über<br />
eine Rampe. Der Boden hinter der<br />
Rampe war vereist und hart wie Beton.<br />
Toni brach sich beim Aufprall Wirbel<br />
und mehrere Rippen. Seitdem ist er<br />
querschnittgelähmt. Das ist noch nicht<br />
lange her, „aber lange genug, um sich<br />
daran zu gewöhnen“, sagt Toni, der seine<br />
Geschichte ohne jede Spur von Bitterkeit<br />
erzählt.<br />
Die Zeit nach dem Unfall war<br />
schwer. „Du musst drei Traumata überwinden:<br />
das Unfalltrauma, das Rehatrauma<br />
und danach das Trauma mit<br />
dem neuen Leben“, erklärt er. Mit den<br />
Bildern des Unfalls fertigzuwerden ist<br />
dabei noch die leichteste Übung, findet<br />
Toni. Schwerer ist die Reha, während<br />
32<br />
der der Patient lernen soll, mit der Bewegungsunfähigkeit<br />
von der Hüfte abwärts<br />
klarzukommen. Noch schwerer<br />
aber ist die Rückkehr in den Alltag, der<br />
so sehr anders ist als das, was man bis<br />
dahin kannte.<br />
„Ich hatte mit Hamburg eigentlich<br />
schon einen Cut gemacht“, erinnert er<br />
sich. Doch nun bezog er eine barrierefreie<br />
Wohnung in Farmsen. Im Sommer<br />
2011 war das. „Ich war extrem<br />
frustriert“, erzählt er. Wieder bei seiner<br />
Familie einzuziehen kam nicht in Frage,<br />
selbst wenn deren Wohnung rollstuhlgerecht<br />
gewesen wäre. „Das wäre
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die totale Trauerveranstaltung geworden“,<br />
meint Toni. Denn die Eltern und<br />
auch die alten Hamburger Freunde waren<br />
geschockt von Tonis Unfall. Sie<br />
wussten nicht, wie sie damit umgehen<br />
sollten, fühlten sich hilflos. „Wenn das<br />
Umfeld ständig betroffen ist und man<br />
bemitleidet wird, macht das ziemlich<br />
depressiv“, sagt Toni. „Die Leute denken<br />
immer: Oh Gott, wenn mir so etwas<br />
passieren würde, ich würde mich<br />
umbringen!“ Aber man erlebe sich ja<br />
ständig selbst und gewöhne sich schneller<br />
an die Situation. Toni will deshalb<br />
auch nicht als der „ewige Rollifahrer“<br />
wahrgenommen werden, sondern als<br />
Person. „Meine größte Behinderung<br />
„Wenn man<br />
ständig bemitleidet<br />
wird, macht das<br />
depressiv.“<br />
ist, dass die meisten Leute mich behindert<br />
finden und mich daher anders behandeln“,<br />
sagt er. „Aber ich fühle mich<br />
nicht krank, schwach oder hilflos. Ich<br />
bewältige meinen Alltag komplett allein,<br />
und wenn ich Hilfe brauche, sage<br />
ich Bescheid.“<br />
In dem ersten schweren Jahr nach<br />
dem Unfall begann Toni, Handbike zu<br />
fahren. „Es war eine Zeit lang das Einzige,<br />
was mir noch Spaß gemacht hat“,<br />
erinnert er sich – und preist Fahrräder<br />
sofort als die beste Erfindung seit Menschengedenken.<br />
Mit der wiedergewonnenen<br />
Mobilität lernte Toni auch seinen<br />
Behindertenausweis schätzen: Er<br />
darf überall eine Begleitperson mit hinnehmen.<br />
„An der Kasse habe ich dann<br />
immer Leute angequatscht, ob ich auf<br />
ihr Ticket rein darf – und sie kommen<br />
umsonst als mein Begleiter mit.“<br />
50 Konzerte hat Toni 2012 besucht<br />
und dabei gleich zwei Fliegen mit einer<br />
Klappe geschlagen: gute Musik gehört<br />
und neue Freundschaften geschlossen.<br />
Denn: „Was hilft, ist, neue Leute kennenzulernen,<br />
die dich nur als Rollifahrer<br />
kennen“, sagt Toni. „Die alten<br />
Lebenslinien<br />
Freundschaften verleiten einen dazu,<br />
das frühere Leben mit dem neuen zu<br />
vergleichen. Aber das darf man nicht.<br />
Man sollte sich eher bewusst sein, was<br />
man im neuen Leben alles machen<br />
kann, anstatt sich das alte wieder zurückzuwünschen.“<br />
Auch seine erste<br />
Freundin nach dem Unfall begegnete<br />
ihm auf einem Konzert. Dann zog er<br />
nach Altona, mitten in den Trubel der<br />
Stadt. Toni war angekommen in seiner<br />
neuen Zeitrechnung.<br />
Und auch sein Sportlerherz begann<br />
wieder zu schlagen. Was Toni heute mit<br />
oder ohne seinen Rollstuhl anstellt, ist<br />
eine Mischung aus Pragmatismus, Erfindergeist,<br />
Neugier auf neue Bewegungserfahrungen<br />
und Extremsport. Er<br />
fährt die Treppen von siebenstöckigen<br />
Gebäuden mit seinem Rollstuhl hinauf,<br />
donnert mit seinem Handbike in rasender<br />
Geschwindigkeit auch Mountainbike-Strecken<br />
hinunter, er bewältigt mit<br />
seinem Rollstuhl steile Hügel und kurvt<br />
auf einem Longboard durch die Gegend.<br />
Rollstuhlbasketball spielt er auch.<br />
Das mitzuerleben ist erfrischend einerseits<br />
und anstrengend andererseits.<br />
Denn Toni Hömpler ist unermüdlich.<br />
Bis der Psychologiestudent endlich ausgepowert<br />
ist, sind normal sportliche Begleiter<br />
längst total platt.<br />
Auch beim Plausch mit den Wasserski-<br />
und Wakeboardfahrern in Norderstedt<br />
stellt sich heraus: Die meisten<br />
haben nur eine Stunde Wasserzeit gebucht.<br />
Mehr, gestehen sie, halten sie<br />
nicht durch. Toni dagegen will zwei<br />
Stunden fahren – und jede Minute bis<br />
zum Schluss auskosten. Immer wieder<br />
dreht er seine Runden, bis er stürzt.<br />
Dann schwimmt er an Land, wuchtet<br />
sein Brett aus dem Wasser und sich<br />
selbst hinterher. „Hach, das macht<br />
Spaß!“, schwärmt er. Er ist in seinem<br />
Element. Dann ist es endlich so weit.<br />
Am Ende der zwei Stunden bleibt er ermattet<br />
auf dem Steg liegen. „Ich muss<br />
mal eben entspannen.“ Eine Minute<br />
später ist Toni wieder fit. Und bereit,<br />
seine gelähmten Beine aus dem engen<br />
Neoprenanzug zu schälen. Wie er das<br />
schafft, bleibt sein Geheimnis. •<br />
Wer Toni Hömpler beim Sport<br />
zusehen will, kann folgenden Link<br />
anklicken: www.huklink.de/toni<br />
Lokale Onlinemedien<br />
Ohne Geld<br />
geht’s nicht<br />
Die Medienstadt Hamburg<br />
ist ärmer geworden: HH-<br />
Mittendrin berichtet nicht<br />
mehr. Altona.Info steht zum<br />
Verkauf. Und auch bei WilhelmsburgOnline.de<br />
ist<br />
Schluss. Tausenden Lesern<br />
wird etwas Wichtiges fehlen:<br />
Nachrichten über die Welt<br />
vor der Tür, die zeigen, wo<br />
etwas in der Nachbarschaft<br />
schiefläuft und was man dagegen<br />
tun kann.<br />
Das Ende von WilhelmsburgOnline.de<br />
schmerzt<br />
mich sehr, denn ich habe das<br />
Magazin selbst gegründet.<br />
Drei Jahre lang war es mir<br />
Herzens- und Ehrensache,<br />
die Menschen auf der Elbinsel<br />
gut und kritisch zu informieren.<br />
Gerade Wilhelmsburg,<br />
wo sich viele abgehängt<br />
fühlen, verdient es.<br />
Es ist toll, wenn Leser<br />
„unser Lokalmedium“ sagen<br />
und damit WilhelmsburgOnline.de,<br />
HH-Mittendrin, die<br />
Eimsbütteler Nachrichten<br />
oder das Magazin Elbmelancholie<br />
meinen. Es macht die<br />
vielen Recherchetermine<br />
wett, das Schreiben bis in die<br />
Nacht, die Wochenendarbeit.<br />
Alle Profijournalisten kennen<br />
das. Doch wenige ahnen, wie<br />
es ist, neben dem Vollzeitjob<br />
Geld verdienen zu müssen,<br />
weil Onlinemedien kaum<br />
Geld einbringen.<br />
Mit dem Ende von WilhelmsburgOnline.de<br />
fällt ein<br />
gewaltiger Arbeitsdruck von<br />
meinen Schultern. Das gute<br />
Gefühl, für mein Viertel einen<br />
wichtigen Job zu machen,<br />
wird mir jedoch fehlen.<br />
Aber es geht nicht, dass Leser<br />
professionelle Beiträge im<br />
Netz aufsammeln wie angespültes<br />
Treibgut. Es gibt Bezahlmodelle.<br />
Also, liebe<br />
Hamburger, nutzt sie! Damit<br />
der Medienreichtum unserer<br />
Stadt erhalten bleibt. ATW<br />
•<br />
33
Geschäftsbericht<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Danke für Ihr<br />
Engagement!<br />
Unsere Bilanz 2015: leichter Rückgang des Magazinverkaufs, ein sensationeller<br />
Spendenerfolg, neue Projekte und neue Arbeitsplätze. Und ein Ausblick auf <strong>2016</strong>.<br />
TEXT: JENS ADE; FOTO: CORNELIUS M. BRAUN; GRAFIK: GRAFIKDEERNS.DE<br />
2015 war ein besonders aufregendes<br />
Jahr für uns. Denn auch uns hat die Situation<br />
der Flüchtlinge menschlich und<br />
politisch sehr bewegt. Viele Obdachund<br />
Wohnungslose fühlen sich durch<br />
die große Solidarität, die die Flüchtlinge<br />
erfahren haben, allerdings noch<br />
mehr an den Rand gedrängt. Um mehr<br />
Verständnis zu wecken, haben wir mit<br />
Verkäufern Flüchtlinge in den Messehallen<br />
besucht. Der Schock über die<br />
Zustände dort war groß und hat einige<br />
sehr nachdenklich gemacht.<br />
Happy End am Flughafen: Erst<br />
hatten wir Auseinandersetzungen mit<br />
dem Flughafen, weil dort gegen Flaschensammler<br />
Strafanzeigen verhängt<br />
wurden. Dann bot uns der Flughafen<br />
zusammen mit dem Grünen Punkt ein<br />
Kooperationsprojekt an: Im September<br />
startete „Spende Dein Pfand“: Vier<br />
Hinz&Künztler wurden von uns fest<br />
eingestellt. Seitdem leeren sie am Flughafen<br />
Sammelbehälter für Pfandflaschen<br />
und sortieren sie. Der Grüne<br />
Punkt holt sie ab und zahlt uns das<br />
Pfand, wovon wir wiederum die Gehälter<br />
der Leergutbeauftragten bezahlen.<br />
Der Flughafen stellt uns kostenlos Räume<br />
und die Flaschenbehälter zur Verfügung.<br />
Dank unserer Rücklagen können<br />
wir die Gehälter für mindestens ein<br />
Jahr garantieren.<br />
Weniger erfreulich: Der Zeitungsverkauf<br />
und die Anzeigenerlöse waren<br />
leicht rückläufig. Statt 830.558 haben<br />
wir nur 814.367 Exemplare verkauft.<br />
Trotzdem waren die Umsatzerlöse stabil.<br />
Wir haben im Herbst den Verkaufspreis<br />
erstmalig seit vier Jahren erhöht,<br />
Dr. Jens Ade ist seit zwölf Jahren<br />
GESCHÄFTSFÜHRER von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
um die erhöhten Druck-, Papier-, Herstellungs-<br />
und Personalkosten aufzufangen.<br />
Die Verkäufer kaufen jetzt die Magazine<br />
für 1,10 Euro bei uns und<br />
verkaufen sie für 2,20 Euro.<br />
Womit wir nicht gerechnet haben:<br />
Das erste Mal haben Sie uns eine Million<br />
Euro gespendet – und das in einem<br />
Jahr, in dem bei anderen Organisationen<br />
die Spenden eingebrochen<br />
sind. Wir bedanken uns für die große<br />
Anteilnahme und Solidarität für die<br />
Hinz&Künztler!<br />
Um besser auf die Herausforderungen<br />
Wohnen und Arbeit reagieren zu<br />
können, haben wir unsere Satzung erweitert.<br />
Unser Zweck besteht unverändert<br />
in der Hilfe für Wohnungslose<br />
auch über die Zeit der Wohnungslosigkeit<br />
hinaus „durch die Herstellung und<br />
den Vertrieb des Magazins“. Dieser<br />
wurde erweitert durch den Zusatz: „Im<br />
34<br />
Kontext zu diesem Gesellschaftszweck<br />
strebt die Gesellschaft auch das Schaffen<br />
von Arbeitsplätzen und die Bereitstellung<br />
von Wohnraum an.“<br />
Unsere Arbeit zielt darauf schon<br />
lange ab. Zurzeit sind wir Bürge oder<br />
Hauptmieter bei 13 Wohnungen für<br />
insgesamt 34 Hinz&Künztler. Und wir<br />
sehen jeden Tag, wie positiv sich ein<br />
Dach über dem Kopf auf die Menschen<br />
auswirkt.<br />
Einen vorläufigen Dämpfer hat unser<br />
Bauprojekt erhalten. Zusammen mit<br />
einem Sozialinvestor wollen wir ja ein<br />
Haus bauen, in dem unten Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
einzieht und oben Wohnungen für Verkäufer<br />
entstehen. Leider haben wir<br />
nicht den Zuschlag für das Grundstück<br />
bekommen, auf das wir uns beworben<br />
haben. Aber wir geben nicht auf!<br />
Weil das Hausprojekt noch nicht realisiert<br />
wurde, haben wir derzeit auch<br />
so hohe Rücklagen: 1,8 Millionen Euro.<br />
Wir überlegen, uns nach einem Mehrfamilienhaus<br />
umzusehen, wenn sich das<br />
Bauvorhaben zu lange hinzieht.<br />
Nach dem Start unseres Arbeitsprojekts<br />
„Spende Dein Pfand“ haben wir<br />
ein Angebot von der Bäckerei Junge bekommen:<br />
eine gemeinsame Filiale, in<br />
der Hinz&Künztler Brot von gestern<br />
verkaufen. Was 2015 noch wie ein<br />
Traum erschien, haben wir inzwischen<br />
realisiert: Fünf Hinz&Künztler arbeiten<br />
jetzt als BrotRetter in der Alten<br />
Holstenstraße 12 in Bergedorf.<br />
Dass wir den Mut und die finanziellen<br />
Mittel hatten, dieses Projekt auch<br />
noch zu starten, verdanken wir Ihrer<br />
Unterstützung! •
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Geschäftsbericht<br />
Das Betriebsergebnis 2015<br />
ERLÖSE<br />
2015<br />
2014<br />
2013<br />
Verkaufte Exemplare<br />
Umsatzerlöse Zeitungsverkauf<br />
Umsatzerlöse Sonderheft<br />
Umsatzerlöse Anzeigen<br />
Übrige Erlöse (Stadtrundgänge, Veranstaltungen, Flughafen)<br />
Umsatzerlöse Warenverkauf<br />
814.367<br />
707.000 €<br />
57.000 €<br />
102.000 €<br />
51.000 €<br />
33.000 €<br />
950.000 €<br />
830.558<br />
679.000 €<br />
86.000 €<br />
109.000 €<br />
29.000 €<br />
26.000 €<br />
929.000 €<br />
819.619<br />
727.000 €<br />
98.000 €<br />
113.000 €<br />
61.000 €<br />
999.000 €<br />
Allgemeine Spenden<br />
Erlöse Freundeskreis<br />
Sponsoring<br />
Spenden/Vermächtnisse für Sonderprojekte<br />
Zuschüsse (für Langzeitarbeitslose, bezahlt die Agentur für Arbeit)<br />
Übrige Erträge (Auflösung Rückstellung, Investitionszuschüsse)<br />
671.000 €<br />
257.000 €<br />
28.000 €<br />
87.000 €<br />
16.000 €<br />
40.000 €<br />
579.000 €<br />
244.000 €<br />
28.000 €<br />
41.000 €<br />
34.000 €<br />
30.000 €<br />
871.000 €<br />
66.000 €<br />
27.000 €<br />
SUMME ERLÖSE<br />
2.049.000 €<br />
1.885.000 €<br />
1.963.000 €<br />
davon 34,5%<br />
Magazinverkauf<br />
42% Erlöse Monatsmagazin<br />
33%<br />
Spenden<br />
2,5% Sonderhefte<br />
5% Anzeigen<br />
5,5% Sponsoring<br />
7% Übrige<br />
12,5% Freundeskreis-<br />
Beiträge<br />
58% Spenden, Sponsoring und übrige Erlöse<br />
Das Magazin muss sich durch die ERLÖSE<br />
aus dem Magazinverkauf, den Sonderheften und<br />
Anzeigen selbst finanzieren. In diesem Jahr<br />
haben wir weniger Magazine verkauft und<br />
weniger Erlöse bei den Anzeigen erzielt.<br />
Außerdem sind die Kosten für Papier und<br />
Druck gestiegen. Deshalb haben wir im<br />
November 2015 erstmalig nach vier Jahren den<br />
Preis des Magazins erhöht: von 1,90 auf<br />
2,20 Euro. Die Verkäufer bezahlen 1,10 Euro.<br />
Eine Million Euro wurden uns 2015 gespendet.<br />
Das ist ein Rekord. Alles Geld, was wir nicht<br />
für das laufende Jahr brauchen, geht in die<br />
Rücklagen. Damit fangen wir die Schwankungen<br />
bei Verkauf und Spenden während des laufenden<br />
Jahres auf. Und vor allem können wir mit den<br />
Rücklagen neue Projekte realisieren wie „Spende<br />
Dein Pfand“ – und hoffentlich bald ein<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Haus.<br />
35
Geschäftsbericht<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Das Betriebsergebnis 2015<br />
AUFWENDUNGEN<br />
2015<br />
2014<br />
2013<br />
Personal (Gehälter, Sozialabgaben, Altersvorsorge)<br />
Betriebliche Aufwendungen (Miete, Instandhaltung, Heizung etc.)<br />
Betreuungsaufwand (Lebensmittel, Kaffee, Einzelhilfen)<br />
Honorare (freie Redakteure, Fotografen, Layout)<br />
Foto-, Belichtungs-, Druckkosten<br />
Abschreibungen<br />
Übrige Aufwendungen (Mitgliedsbeiträge, Versicherungen, Bankgebühren)<br />
1.024.000 €<br />
363.000 €<br />
90.000 €<br />
242.000 €<br />
181.000 €<br />
18.000 €<br />
24.000 €<br />
958.000 €<br />
424.000 €<br />
42.000 €<br />
261.000 €<br />
160.000 €<br />
21.000 €<br />
12.000 €<br />
912.000 €<br />
413.000 €<br />
261.000 €<br />
179.000 €<br />
25.000 €<br />
29.000 €<br />
SUMME AUFWENDUNGEN<br />
1.942.000 €<br />
1.878.000 €<br />
1.819.000 €<br />
Steuern, Einkommen, Ertrag<br />
Rücklagen-Einstellung<br />
Rücklagen-Entnahme<br />
7.000 €<br />
157.000 €<br />
57.000 €<br />
16.000 €<br />
156.000 €<br />
155.000 €<br />
10.000 €<br />
285.000 €<br />
151.000 €<br />
BILANZGEWINN<br />
0 €<br />
0 €<br />
0 €<br />
53% Personalaufwand<br />
2% Übrige<br />
34%<br />
Personalkosten<br />
4,5% Betreuungsaufwand<br />
18,5% Betriebliche<br />
Aufwendungen<br />
19% Personalkosten<br />
für ehemalige<br />
Verkäufer<br />
22% Herstellungskosten<br />
Zeitung<br />
Im Jahr 2015 brauchten wir 1.942.000 Euro.<br />
Den Löwenanteil, 53 PROZENT unseres<br />
Geldes, geben wir für Personalkosten aus.<br />
2015 hatten wir insgesamt 33 Mitarbeiter.<br />
Die meisten arbeiten in Teilzeit. Davon sind<br />
16 ehemalige Verkäufer. Mitgerechnet sind<br />
die vier Hinz&Künztler, die in unseren<br />
Kooperationsprojekten „Spende Dein Pfand“<br />
am Hamburger Flughafen arbeiten.<br />
Alle Kollegen werden nach Diakonie-Tarif<br />
(AVR) eingestuft und bezahlt.<br />
47% sonstige Kosten<br />
36
Was Sie über uns<br />
wissen sollten!<br />
Wir schaffen auch ARBEITS-<br />
PLÄTZE: im Projekt selbst, am<br />
Flughafen als Leergutbeauftragte<br />
und seit <strong>2016</strong> als BrotRetter.<br />
Wie hilft Hinz&<strong>Kunzt</strong> den Verkäufern?<br />
Wir bieten umfassende Sozialarbeit,<br />
Geldverwaltung, Freizeitangebote, Hilfe<br />
im Umgang mit Behörden, Einzugsund<br />
Umzugshilfen oder kostenlose Erstberatung<br />
in Rechtsfällen. Außerdem<br />
treten wir bei Vermietern als Bürge oder<br />
Hauptmieter auf. Wir verwalten derzeit<br />
13 Wohnungen für 34 Hinz&Künztler.<br />
Und wir initiieren Arbeitsprojekte mit<br />
Kooperationspartnern wie „Spende<br />
Dein Pfand“ am Flughafen Hamburg<br />
und die „BrotRetter“ mit der Bäckerei<br />
Junge.<br />
Sind alle Verkäufer obdachlos?<br />
Nein. Als sie bei uns anfingen, waren<br />
die meisten Hinz&Künztler obdachoder<br />
wohnungslos. Aber das bleibt zum<br />
Glück nicht so. Unser Ziel ist es, dass alle<br />
Hinz&Künztler eine Wohnung bekommen.<br />
Bei unserer letzten Umfrage<br />
im Herbst 2014 waren 29 Prozent der<br />
Hinz&Künztler obdachlos, 30 Prozent<br />
wohnungslos: Sie leben in einer Notunterkunft,<br />
in einem Wohnheim oder in<br />
anderen prekären Wohnverhältnissen.<br />
41 Prozent der aktiven Verkäufer haben<br />
eine eigene Wohnung, vermittelt von<br />
Beratungsstellen, von uns oder von<br />
Kunden.<br />
Dürfen Hinz&Künztler mit eigener Wohnung<br />
weiter Magazine verkaufen?<br />
Ja. Mit einer eigenen Wohnung sind<br />
noch lange nicht alle Probleme gelöst.<br />
Und eine Arbeit zu finden, ist schwierig.<br />
Deshalb ist es uns wichtig, die Verkäufer<br />
weiter zu begleiten, bis sie auch eine feste<br />
Arbeit gefunden haben. Was sehr<br />
schwierig ist.<br />
Dürfen Verkäufer ihre Einnahmen behalten?<br />
Ja, aber … Die Hinz&Künztler bekommen<br />
anfangs zehn Magazine als Startkapital<br />
geschenkt. Danach erwerben sie<br />
die Zeitungen für 1,10 Euro und verkaufen<br />
sie für 2,20 Euro.<br />
Hinz&Künztler, die Hartz IV bekommen,<br />
müssen wie andere Hilfeempfänger<br />
auch ihren Zuverdienst beim<br />
Jobcenter angeben.<br />
Warum braucht Hinz&<strong>Kunzt</strong> Rücklagen?<br />
Die Einnahmen aus dem Zeitungsverkauf<br />
und die Spenden schwanken erheblich.<br />
Mit den Rücklagen gleichen<br />
wir dieses nicht vorher kalkulierbare<br />
Auf und Ab aus. Rücklagen brauchen<br />
wir auch, damit wir als Bürge und<br />
Hauptmieter für Wohnungen für unsere<br />
Verkäufer auftreten können. Ohne<br />
Rücklagen könnten wir auch unsere<br />
37<br />
Arbeitsprojekte nicht realisieren. Wir<br />
garantieren nämlich die Gehälter für<br />
mindestens ein Jahr.<br />
Dass wir derzeit so hohe Rücklagen<br />
haben, nämlich 1,8 Millionen, liegt daran,<br />
dass unser Bauvorhaben mit einem<br />
Sozialinvestor noch nicht realisert wurde<br />
(siehe Seite 34).<br />
Wer kontrolliert Hinz&<strong>Kunzt</strong>?<br />
Der Geschäftsführer muss drei Mal<br />
jährlich den ebenfalls gemeinnützigen<br />
Gesellschaftern Diakonie Hamburg<br />
und Patriotische Gesellschaft von 1765<br />
Rechenschaft ablegen.<br />
Ein Mal jährlich lassen wir unseren<br />
Jahresabschluss und die Ordnungsmäßigkeit<br />
der Buchführung von einer<br />
unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
kontrollieren.<br />
Auch als gemeinnützige GmbH<br />
muss Hinz&<strong>Kunzt</strong> Steuererklärungen<br />
erstellen. Die Steuerbehörde kontrolliert<br />
diese auch „hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit<br />
der Geschäftsführung<br />
auf die ausschließliche und unmittelbare<br />
Erfüllung“ der steuerbegünstigten<br />
Zwecke von Hinz&<strong>Kunzt</strong> und erstellt<br />
daraufhin einen Steuerbescheid. •<br />
Mehr Infos unter www.hinzundkunzt.de
Als Jörg Modrow die kleine<br />
CATHERINE fotografierte,<br />
lebte das Mädchen zusam-<br />
men mit ihrer Mutter in<br />
Slab City. Heute hat die<br />
Mutter keinen Kontakt mehr<br />
zu ihrem Kind.<br />
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
Mobile Homes<br />
Fotograf Jörg Modrow reist immer wieder in die USA. Dort trifft er<br />
Arme und Reiche, Lebenskünstler und Gestrandete, die eines eint: Sie leben<br />
den amerikanischen Freiheitstraum in ihrem fahrbaren Zuhause.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
Catherine war ein echter Sonnenschein.<br />
Und so smart!“, schwärmt<br />
Jörg Modrow und schaut auf das<br />
Foto eines achtjährigen Mädchens.<br />
Die Lütte sitzt mitten auf einem alten, grünen<br />
Sofa, das unter freiem Himmel vor einem ramponierten<br />
Wohnwagen steht. In ihrem langen<br />
blauen Kleid, den in der Luft baumelnden<br />
Füßchen und mit dem Sonnenschutz, der wie<br />
ein gelber Heiligenschein um ihren Kopf läuft,<br />
schaut sie frech, vergnügt und wild entschlossen<br />
in die Kamera. Dabei waren die Lebensbedingungen<br />
von Catherine alles andere als rosig,<br />
als Jörg Modrow das Mädchen traf. 2005 war<br />
das. Damals begann der Fotograf damit, in<br />
den USA Menschen zu fotografieren, die in sogenannten<br />
Mobile Homes leben. In Wohnwagen,<br />
Wohnmobilen, in umgebauten Bussen<br />
oder in ihren Autos.<br />
Mehr als zehn Jahre später hat Jörg Modrow<br />
sein Fotoprojekt noch immer nicht abgeschlossen.<br />
Denn er ist fasziniert von dieser<br />
Wohnform. „In den USA leben Menschen aus<br />
allen Gesellschaftsschichten in Mobile Homes.<br />
Da ist der Banker, der mit seinem 200.000-Dollar-Bus<br />
herumfährt genauso wie den Arbeitslosen,<br />
der die letzte Kohle zusammenkratzt, um<br />
eine Garage für seine Möbel zu mieten und im<br />
Auto zu leben“, erzählt der 52-Jährige. Wann<br />
immer er in die Staaten reist, trifft er auf schräge<br />
Vögel, erzkonservative Republikaner, Rentner<br />
oder Hippies, die eines eint: ihre fahrbaren<br />
Behausungen. „Mir kommt das vor wie die<br />
Verlängerung des amerikanischen Traums“,<br />
versucht Modrow das Phänomen zu erklären.<br />
Früher seien die Menschen mit dem Planwagen<br />
losgezogen, um den Westen zu erobern.<br />
Immer auf der Suche nach einem besseren Leben.<br />
Das sei im Grunde bis heute so geblieben.<br />
Auch die kleine Catherine lebte in einem<br />
Mobile Home. Gemeinsam mit ihrer Mutter<br />
und deren Freund. Slab City heißt der Ort, in<br />
dem der Wohnwagen von Catherines Mutter<br />
vermutlich bis heute steht. Ein Ort im Süden<br />
Kaliforniens, der früher Truppenübungsplatz<br />
war und heute aus einer Ansammlung fahrbarer<br />
Häuser besteht. Einen Laden, eine Tankstelle<br />
und eine Kneipe gibt es im nahe gelegenen<br />
Nachbarort. Und eine kleine Schule, die<br />
Catherine besuchte – immer als Klassenbeste.<br />
2011 reiste Jörg Modrow erneut nach Slab<br />
City. Catherines Mutter lebte noch dort. Das<br />
Mädchen nicht. „Für das Amt waren die Lebensumstände<br />
bei der Mutter nicht tragbar.<br />
Deshalb wurde die Kleine zur Adoption freigegeben“,<br />
erzählt Jörg Modrow. „Ich hab ihr das<br />
Foto gegeben, das ich von Catherine gemacht<br />
hatte. Sie hat sich immer und immer wieder<br />
bedankt. Es war das einzige Bild, das sie von<br />
ihrer Tochter hatte.“<br />
Diese Begegnung hat Jörg Modrow nachhaltig<br />
berührt: „Ich war so froh, wieder nach<br />
Slab City gefahren zu sein“, erzählt er. „Wie<br />
oft sagt man das: ,Ich schick dir ein Foto oder<br />
bringe es vorbei‘ – und dann schaffst du es<br />
nicht.“ Das Wiedersehen mit Catherines Mutter<br />
hat den Fotografen darin bestärkt, auf<br />
seinen USA-Reisen nach den Leuten zu schauen,<br />
die er vor ihren Mobile Homes fotografiert<br />
hat. Um zu sehen, was aus ihnen geworden ist<br />
und ihnen ihr Bild zu bringen. Was nicht oft<br />
gelingt. Schließlich sind die fahrbaren Häuser<br />
darauf ausgerichtet, dass man mit ihnen<br />
weiterzieht. Jörg Modrow sieht das trotzdem als<br />
Möglichkeit, sich zu revanchieren: „Natürlich<br />
geht es mir darum, gute Bilder zu machen und<br />
eine Situation zu dokumentieren. Aber es ist<br />
immer auch eine Ehre für mich, dass mich<br />
Menschen in ihr Leben gucken lassen.“ •<br />
Mehr Infos zu Jörg Modrow im Internet unter<br />
www.modrowgrafie.de<br />
39
SHARON lebt in Keeler, einem Künstlerdorf in der Nähe des Death<br />
Valley im Norden Kaliforniens. Für einen Plausch am Zaun unterbrachen<br />
sie und ihr Dalmatiner die Gartenarbeit mitten in der Wüste. Ihr Mobile<br />
Home hat mittlerweile keine Räder mehr. Aber Sharon könnte jederzeit<br />
wieder welche anbringen lassen – und weiterziehen.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
HERMANN und seine<br />
Frau genießen ihre Rente.<br />
Gut gegen Rheuma: Wann<br />
immer in ihrem Zuhause im<br />
Nordwesten der USA Winter<br />
herrscht, fahren sie mit Pickup<br />
und Trailer in die Wüste.<br />
Rund 250.000 Dollar kostet<br />
ihr Mobile Home. Zwei<br />
Seitenteile am Trailer lassen<br />
sich bei Bedarf so ausfahren,<br />
dass ein etwa 25 Quadratmeter<br />
großer Innenraum<br />
entsteht. Jörg Modrow<br />
traf das Paar auf einem<br />
Parkplatz in der Nähe vom<br />
Anza-Borrego-Nationalpark.<br />
ABRAHAM steht tagsüber<br />
mit seinem bunt bemalten<br />
Wohnmobil auf der Promenade<br />
von Venice Beach.<br />
Nachts müssen der Künstler<br />
und seine Freunde weichen,<br />
obwohl an der Promenade<br />
riesige Parkplätze liegen. Die<br />
Polizei geht rigoros gegen die<br />
Menschen in ihren fahrbaren<br />
Unterkünften vor. Obdachlose,<br />
die sie erwischt, können eingesperrt<br />
werden, erzählt Jörg<br />
Modrow. Abraham hat sich<br />
zu einer Art Aktivist für die<br />
Rechte von Obdachlosen<br />
entwickelt. Auf seinem<br />
Wohnmobil steht der Spruch:<br />
„Jesus was homeless“.<br />
41
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
Der ÄLTERE HERR (links) war nur auf der Durchreise, als Jörg Modrow ihn traf und mit ihm über das Leben und<br />
die Liebe philosophierte. Der belesene Rentner war auf dem Weg zu einem Angehörigen. Aber dort, wo der wohnte, war es<br />
noch zu kalt und so machte er eben Station in Slab City. Dass es dort keinen Strom gibt und somit auch Klimaanlagen nicht<br />
funktionieren, störte den Mann nicht. Stoffbahnen spendeten Schatten, zum Schlafen legte er sich unter Kaliforniens Himmel.<br />
„FEATHER 1“ lebt seit Jahren an der kalifornischen Küste in seinem Art Car. In den USA gibt es eine richtige Szene,<br />
in der Menschen ihre Wagen mit allerlei Krimskrams aufpimpen, erzählt Jörg Modrow. Sie bekleben ihren fahrbaren Untersatz<br />
zum Beispiel mit Kunstrasen, sodass es aussieht, als fahre eine grüne Wiese vorbei. Oder – wie Feather 1 – mit kleinen<br />
Plastikteilen und Spielzeugen, die der Mann findet. Ständig wird an der Optik gefeilt. Auch im Inneren von Feathers Wagen<br />
wuchert das Plastik an den Wänden. Solange Platz für die Matratze bleibt, wird er weitermachen.<br />
43
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
„Wo ist das Problem<br />
mit Nächstenliebe?“<br />
Die Welt BESSER machen?<br />
Nicht ganz so leicht. Außer – man<br />
fängt einfach mal damit an. So<br />
wie Peter Kohl. Als einer von<br />
2300 Mitgliedern des Freundeskreises<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Warum sich Peter Kohl im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> engagiert.<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Ungerechtigkeit kann Peter Kohl<br />
nicht leiden. „Wenn in Hamburg<br />
für Zigtausende Euro Feuerwerk<br />
abgebrannt wird und ein paar<br />
Meter weiter schlafen Menschen unter<br />
Brücken, dann stimmt da für mich die<br />
Verhältnismäßigkeit nicht“, sagt der<br />
35-Jährige bestimmt.<br />
Klar kann er nicht die Welt retten.<br />
Aber ein kleines bisschen besser kann<br />
man sie schon machen, findet er. Seit<br />
2014 gehört der Diplom-Designer als<br />
einer von 2300 regelmäßigen Spendern<br />
zum Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> –<br />
bereits mit einer Jahresspende von 100<br />
Euro kann man dabei sein, das sind<br />
8,33 Euro im Monat. Die zahlt auch<br />
Peter Kohl, der obendrein noch an andere<br />
Projekte spendet: „Es gibt so viele<br />
Ansatzpunkte, so viele gute Projekte.<br />
Ich finde alles wichtig, deshalb streue<br />
ich das Geld.“<br />
Der sportliche junge Mann ist einer<br />
mit sozialem Gewissen und fein austariertem<br />
Gerechtigkeitssinn. Das hat er<br />
von seinem Vater, glaubt er. Der ist<br />
ehrenamtlich aktiv in vielen Vereinen<br />
und Verbänden, von der Katholischen<br />
Arbeitnehmerbewegung bis zum<br />
Faschingsverein. In Hessen leben die<br />
Eltern, mitten im Rhein-Main-Gebiet,<br />
„direkt in der Einflugschneise vom<br />
Flughafen Frankfurt“. Meine Eltern<br />
sind sehr katholisch, erzählt Peter Kohl,<br />
der es selbst mit der Kirche nicht so hat.<br />
„Aber selbstverständlich unterschreibe<br />
ich jeden christlichen Wert“, holt er sich<br />
selbst wieder ein. „Wo ist denn das Problem<br />
mit Nächstenliebe?“<br />
Das versucht er auch seinem vierjährigen<br />
Sohn zu vermitteln, doch der<br />
hat es lieber wild. Er interessiert sich im<br />
Moment vor allem für Tiere, „auf jeden<br />
Fall gefährlich und sehr gern fies“.<br />
Vielleicht könne er ja später Wildhüter<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
44
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
werden, sinniert der Vater. Doch der<br />
Lütte hat andere Pläne. „Wir haben ihn<br />
gefragt, was er mal werden will. ,Dasselbe<br />
wie ihr‘, hat er gesagt.“ Wie das aussieht,<br />
weiß er genau, denn seine Mutter<br />
ist ebenfalls Designerin. Peter Kohl baut<br />
nach langen Jahren der Selbstständigkeit<br />
gerade die Hamburger Dependance<br />
einer Agentur auf, für die er bereits in<br />
Wiesbaden gearbeitet hat. Der Start in<br />
Hamburg war schwierig, „die Stadt hatte<br />
nicht auf uns gewartet“.<br />
Mittlerweile läuft es gut. Die junge<br />
Familie lebt in Altona in einer familienfreundlichen<br />
Ecke, im Herbst wird das<br />
Freunde<br />
Dankeschön<br />
zweite Kind kommen. Viel mehr als die<br />
Frage, ob es Junge oder Mädchen werden<br />
wird, beschäftigt den jungen Vater<br />
das Temperament des neuen Nachwuchses.<br />
„Die Natur findet deine<br />
Schwachstelle und gibt dir das passende<br />
Kind“, sagt er grinsend, und es klingt<br />
durch, dass der Alltag zweier berufstätiger<br />
Menschen mit Familie ganz schön<br />
stressig sein kann. Trotzdem: Zeit für<br />
ein bisschen Engagement – und sei es<br />
finanziell – bleibe immer. „Wenn man<br />
ausgleichende Gerechtigkeit will, dann<br />
kann man lange warten, wenn man<br />
nicht selbst den Hebel umlegt.“ •<br />
Endlich Ordnung: ein<br />
Schrank für Magazine<br />
Ein Königreich für einen<br />
Schrank! In dem unsere Zeitungen<br />
auf kleinstem Raum<br />
untergebracht und zugleich<br />
sofort zur Hand sind, wenn<br />
sich im Vertrieb die Verkäufer<br />
drängeln, um sich neue<br />
Zeitungen zu holen. Nun ist<br />
er da. Praktisch! Solide! Und<br />
eine tolle Handwerkerarbeit<br />
vom Tischlerteam der Autonomen<br />
Jugendwerkstätten.<br />
Ermöglicht hat das der Fanbeirat der Hamburg Freezers, der während der<br />
Heimspiele seiner Eishockeymannschaft Lose verkaufte. Deren Erlöse gingen zum<br />
Teil an Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Flotte 2000 Euro kamen so zusammen. Weitere 1000 Euro<br />
spendete HASPA Lotteriesparen. Und unser Vetriebsmitarbeiter Sergej Machov<br />
(Foto) kann entspannt den nächsten Zeitungspacken schultern. FK •<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Wir danken allen, die im Juni an<br />
uns gespendet haben, sowie allen<br />
Mitgliedern im Freundeskreis von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />
Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH • wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel • Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• bildarchiv-hamburg.de • Firma Ute Orth<br />
• Uli Pforr und Träume werden wahr<br />
• Treuhandstiftung August Mohr<br />
(in Trägerschaft der BürgerStiftung Hamburg)<br />
45<br />
• Hamburger Camerata mit<br />
Gustav Frielinghaus • Joana Kamenarska<br />
• St. Georgskirche am Hauptbahnhof<br />
und Pastor Gunter Marwege<br />
• Sabine Hengesbach, in medias<br />
• Michael Winzer<br />
• Anna-Warburg-Schule in Niendorf,<br />
Diren Celik und das Organisationsteam<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Lea Balkenhol<br />
• Anke und Ernst-Günther Bern<br />
• Roger Kortum • Christiane Kutter-Deest<br />
• Bernd Muhl • Renata Stiller<br />
• Franziska Wolgast<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/so-koennen-sie-helfen/<br />
HK <strong>281</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Von diesen Konzepten bräuchten wir mehr“<br />
„Helfen wäre eine gute Idee“<br />
H&K Online, Räumung am Nobistor, siehe<br />
auch diese Ausgabe ab Seite 12<br />
Die Obdachlosen sind doch<br />
schon am Ende angekommen. Und<br />
jetzt noch die Räumung. Helfen wäre<br />
eine gute Idee.<br />
RAINER SCHOLZE<br />
Dass die Fläche geräumt wurde,<br />
ist absolut richtig. Eine öffentliche<br />
Grünfläche ist kein Campingplatz.<br />
Absolut unsozial ist allerdings, dass für<br />
Flüchtlinge Unterkünfte bereitgestellt<br />
werden und für Obdachlose nicht. Viele<br />
Obdachlose sind nicht wohnfähig in einer<br />
eigenen Wohnung und brauchen<br />
genau diese betreuten Unterkünfte.<br />
CHRISTIAN HINZ<br />
Die Menschen haben nichts und<br />
dann nimmt man ihnen auch noch ihre<br />
„Unterkunft“. Solange sie sich nicht<br />
rechtswidrig im Sinne von Gewalt et<br />
cetera verhalten, sollen sie doch da leben.<br />
Stört doch niemanden beziehungsweise<br />
sollte es nicht. Wenn das Amt die<br />
Menschen dort wegscheuchen muss,<br />
sollte man humanitär handeln und eine<br />
Alternative bereithaben! MELINA KAH<br />
Millionäre nicht diskriminieren?<br />
H&K 279, Bedingungsloses<br />
Grundeinkommen<br />
Ich bin entsetzt, dass sich bei dem<br />
bedingungslosen Grundeinkommen<br />
(des Berliner Projektes „mein-grundeinkommen.de“,<br />
Anm. der Redaktion) auch Millionäre<br />
bewerben können. Wollen sie<br />
Millionäre nicht diskriminieren?<br />
Sorry, aber das ist lächerlich. S. ESCOTÉ<br />
Tolle Zusammenarbeit<br />
H&K 279, BrotRetter<br />
Eure Idee und Zusammenarbeit<br />
mit der Bäckerei Junge finde ich ganz<br />
toll, der Artikel hat mich sehr berührt.<br />
Wäre schön, wenn sich auch eine<br />
zen trumsnahe Filiale eröffnen ließe!<br />
Von diesen Konzepten bräuchten wir<br />
mehr: offizielle Shops als Anlaufstellen<br />
für gerettete Lebensmittel.<br />
ANNE BRETTSCHNEIDER<br />
Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />
wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />
uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
Wir trauern um<br />
Frank Schneider<br />
8. Mai 1967 – 8. Juni <strong>2016</strong><br />
Frank ist – viel zu jung – im Altonaer<br />
Krankenhaus verstorben.<br />
Die Verkäufer und das Team von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />
Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />
keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />
statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />
oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />
nächste Termine: 10. + 24.7.<strong>2016</strong>, 15 Uhr
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Nachdenken: Schauspielerin Gabriela Maria Schmeide über<br />
Minderheiten, Jugendämter und Pegida (S. 50).<br />
Nachfragen: Stück über Straßenkids im Ohnsorg Theater (S. 52).<br />
Nachmachen: Chicken Masala von unserem Koch des<br />
Monats Gurbhej Singh (S. 56).<br />
Können eine Tanke und ein Plat-<br />
tenbau SEHNSUCHTSORTE<br />
sein? In Hamburg schon. Dem<br />
Kiez und den 2014 abgerissenen<br />
Esso-Häusern setzt CP Krenkler ein<br />
fotografisches Denkmal (S. 52).<br />
FOTO: CP KRENKLER
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
„ICH BIN<br />
NUR DER<br />
NARR –<br />
IM BESTEN<br />
SINNE!“<br />
Gabriela Maria Schmeide gehört zu den renommiertesten Schauspielerinnen<br />
Deutschlands und zum Ensemble des Thalia Theaters.<br />
Ein Gespräch über ihren langen Weg zum Theater, ihre Rolle als Jugendamtsmitarbeiterin<br />
Sylvia und warum die Welt bunter werden wird.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />
Vom Berliner Ensemble ging<br />
Gabriela Maria Schmeide ans<br />
Bremer Theater und 2009 ans<br />
THALIA THEATER.<br />
Doch Bremen ist ihr<br />
Lebensmittelpunkt geblieben.<br />
Wohin soll sie schauen?<br />
Direkt in die Kamera<br />
oder knapp darüber<br />
hinweg? Und wie soll sie<br />
sich auf den Hocker setzen, wie drehen,<br />
damit das Licht, das seitlich durch ein<br />
schmales Fenster auf sie fällt, ihr Gesicht<br />
gut erhellt? Allzu viel Zeit bleibt<br />
nicht, eigentlich sofort beginnen die<br />
Proben für ihr nächstes Stück. „Immer<br />
wollt ihr eine Schauspielerin vorstellen“,<br />
sagt Gabriela Maria Schmeide augenzwinkernd<br />
zum Abschluss. „Warum<br />
nehmt ihr nicht mal jemand Interessantes?<br />
Einen Arzt oder eine Ärztin?“<br />
Ärztin – das wäre die heute 51-Jährige<br />
gerne geworden. Ein Medizinstudium<br />
entsprechend ihr Traum, nur leider<br />
unerfüllbar. „Ein Jahr vor meinem<br />
Abitur hat mein Vater unser Land, die<br />
DDR, illegalerweise verlassen“, erzählt<br />
sie. „Da war mir klar, dass ich trotz<br />
einer Abiturnote von 1,0 keinen Studienplatz<br />
bekommen würde.“ Sie konnte<br />
sich bewerben wo sie wollte, sie wurde<br />
nicht genommen.<br />
Durch Zufall landet sie als Souffleuse<br />
am deutsch-sorbischen Volkstheater,<br />
einem staatlichen Haus in Bautzen. In<br />
der Stadt wurde sie 1965 geboren, ganz<br />
in der Nähe wuchs sie auf. Als Angehörige<br />
der Volksgruppe der Sorben spricht<br />
sie sowohl Deutsch als auch Sorbisch.<br />
„Ich hatte keinerlei Theater-Ambitionen,<br />
ich kam ja aus der Provinz, alle<br />
waren katholisch, alles hatte seine Ordnung,<br />
und da fand ich dieses Schauspielerleben<br />
damals doch sehr anrüchig.“<br />
Was seinerzeit auch seinen politischen<br />
Hintergrund hat, denn das Theater<br />
ist in der DDR eine Art Auffangbecken<br />
für die Leute, die sonst geächtet<br />
sind: die Unangepassten, die politisch<br />
Verfolgten, die Homosexuellen. „Bei uns<br />
49
Eigentlich wollte Gabriela<br />
Maria Schmeide Ärztin werden.<br />
Zum Glück hat das nicht geklappt.<br />
Derzeit ist sie in ELF<br />
Theater produktionen zu sehen.<br />
„Wir Sorben waren auch in der<br />
DDR nicht sonderlich akzeptiert.“<br />
haben Leute, die etwas Technisches studiert<br />
und auch in ihrem Fach als Ingenieure<br />
gearbeitet hatten, Kulissen geschoben.<br />
Nur weil sie einen Ausreiseantrag<br />
gestellt hatten oder auf irgendwelchen<br />
schwarzen Listen standen“, sagt sie.<br />
Und sie ist nun mitten unter ihnen,<br />
die doch nur die Zeit überbrücken will;<br />
bis sie vielleicht irgendwann doch noch<br />
einen Studienplatz für Medizin oder<br />
auch Psychologie erhält. „Doch dann<br />
haben die am Haus gemerkt, dass ihre<br />
jüngste Schauspielerin 38 Jahre alt war,<br />
während ich da als 18-Jährige saß.“<br />
Bald wird sie gefragt, ob sie nicht mal<br />
was spielen will: „Und da ich niemanden<br />
überzeugen wollte, wie toll ich bin,<br />
war ich locker.“<br />
Sie spielt ab nun ohne große Absichten<br />
in dem einen und anderen Stück<br />
mit, bis jemand von der Schauspielschule<br />
Ernst Busch aus der Hauptstadt<br />
Berlin vorbeikommt, der wichtigsten<br />
Theaterschule der DDR. „Der hat gesagt:<br />
‚Die ist doch toll? Warum schickt<br />
ihr die nicht zum Studium?‘ –‚Ach, nee<br />
– die will nicht.‘ – ‚Na, dann schieben<br />
wir die mal ein bisschen an.‘ Und dann<br />
haben sie mich quasi hingeschoben, ich<br />
wurde nach Berlin delegiert.“<br />
Als sie 1987 nach Ost-Berlin zieht,<br />
ist sie noch immer nicht von der großen<br />
Theaterleidenschaft gepackt, vermutet<br />
in ihrer Studienplatzzuweisung eher eine<br />
Art Minderheitenpflege. Genauso<br />
wie sie davon ausgeht, dass man sie<br />
nach dem Studium nach Bautzen zurückschicken<br />
wird. „Erst mitten im Studium<br />
habe ich gedacht: Ach, vielleicht<br />
ist das ja was für mich! Ein Beruf …“<br />
Und sie stürzt sich mit Verve in ihre<br />
Ausbildung. In Berlin erlebt sie die<br />
Wende und nach dem Abschluss 1991<br />
wird sie beim renommierten Berliner<br />
Ensemble angenommen.<br />
Viele Rollen später – auf der Bühne<br />
und im Fernsehen – kommt sie 2009<br />
nach Hamburg und wird ins Ensemble<br />
des Thalia Theater aufgenommen. Zu<br />
sehen ist sie aktuell in elf Produktionen,<br />
unter anderem in den Theateradaptionen<br />
der Romane „Deutschstunde“,<br />
„Die Blechtrommel“ und „Jeder stirbt<br />
für sich allein“.<br />
Frisch hinzugekommen ist das<br />
Stück „Kaspar Häuser Meer“, in dem<br />
sie die Silvia spielt, eine ältere Mitarbeiterin<br />
im Jugendamt. Zusammen mit ihrer<br />
Kollegin Barbara (Victoria Trauttmansdorff)<br />
versucht sie ihre junge<br />
Kollegin Anika (Birte Schnöink) einzuarbeiten,<br />
die vor lauter überbordendem<br />
Engagement nicht weiß, wo sie zuerst<br />
anpacken soll, und die zugleich so große<br />
Angst hat, alles falsch zu machen.<br />
Fehlt noch der abwesende Kollege<br />
Björn, Spitzname: Björn-out, weil er<br />
ein Burn-out hat. Hätte der nicht wenigstens<br />
seine Akten ordentlich abschließen<br />
können, statt dass sie die nun<br />
auch noch auf ihren Schreibtischen haben,<br />
wo sie doch schon mit ihren eigenen<br />
Fällen nicht fertig werden? Und<br />
überhaupt geht es so nicht weiter, während<br />
es einfach weitergeht.<br />
So ist das Stück eben keine anklagend-ernste<br />
Dokumentation über die<br />
Arbeit in den Jugendämtern, sondern<br />
weit mehr ein dreistimmiger Wortstrom<br />
aus Anklagen und Entschuldigungen,<br />
aus noch so banalen Rechtfertigungen,<br />
warum etwas so ist, wie es ist,<br />
und warum sich nichts ändert, was sich<br />
50
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
ändern müsste. „Wir haben uns natürlich<br />
intensiv mit dem Text beschäftigt,<br />
und wir waren natürlich erschrocken,<br />
wenn man liest, was da über misshandelte<br />
Kinder geschrieben ist.“ Aber es<br />
ist und bleibt nun mal ein Theatertext:<br />
„Man ist als Schauspieler doch nur ein<br />
ausführendes Element. Der etwas umsetzt,<br />
was sich jemand anderes ausgedacht<br />
und geschrieben hat.“ Sie sagt:<br />
„Ich bin nur der Narr – im besten<br />
Sinne!“<br />
Entsprechend reserviert war sie, als<br />
man im Haus diskutierte, ob man sich<br />
angesichts der Brisanz, die das Stück<br />
zum Thema Jugendamt hat, nach den<br />
Vorstellungen dem Publikum im Gespräch<br />
stellen soll: „Ich habe davor gewarnt,<br />
dass man uns da nun als Expertinnen<br />
hinsetzt. Denn die Zuschauer<br />
denken oft: Aha, die haben jetzt drei<br />
Frauen vom Jugendamt gespielt, also<br />
wissen die Bescheid. Aber wir wissen<br />
nichts, gar nichts. Was wir spielen, ist<br />
kein Abbild der Realität.“ Und sie erzählt<br />
kurz amüsiert von einem Kollegen,<br />
der mal zu einer Talkshowrunde<br />
über die Gesundheitsreform eingeladen<br />
war, nur weil er in einem Fernsehfilm<br />
einen Arzt gespielt hatte.<br />
Und dann sei es schließlich auch ihre<br />
Aufgabe, zu unterhalten. „Die Leute<br />
nehmen das Stück gut an. Es ist ja auch<br />
eine gute Mischung: mit Humor draufschauen<br />
und dennoch erschrecken.“<br />
Das sei der beste Weg, um jemanden<br />
auf ein wichtiges Problem aufmerksam<br />
zu machen. „Nur einen Text ablesen<br />
oder nachsprechen und das Publikum<br />
agitieren, das ist kein Theaterabend.“<br />
Wobei das Stück ihr diesmal einiges<br />
abverlangt habe. „Mein Mann musste<br />
mich abhören, wieder und wieder und<br />
noch einmal. Man hat ja am Anfang<br />
den Ehrgeiz, alles genau richtig zu sprechen.“<br />
Bis sie schließlich merkt, dass sie<br />
besser locker lassen sollte. Und sie lacht:<br />
„Für diesen Text muss man nicht der<br />
klassische Orchestermusiker sein, der jede<br />
Note exakt spielt, sondern irgendwie<br />
Jimi Hendrix.“<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
51<br />
Ganz und gar nicht locker ist sie dagegen,<br />
schaut sie auf das, was es in ihrer<br />
Heimat an fremdenfeindlichen Stimmungen<br />
gibt, bis hin zu handgreiflichen<br />
Übergriffen. Dabei ist sie gerne wieder<br />
da, wo sie aufgewachsen ist: „Es ist die<br />
Heimat, wir haben da Freunde, Verwandte,<br />
alles ist noch da. Aber diese<br />
Engstirnigkeit zu sehen, das tut weh.“<br />
Zugleich ist ihr eine feindliche Stimmung<br />
gegen vermeintliche oder tatsächliche<br />
Fremde in Sachsen nicht unvertraut:<br />
„Wir Sorben hatten immer<br />
unsere Schwierigkeiten, waren auch in<br />
der DDR nicht sonderlich akzeptiert.“<br />
Denn die Sorben, die im Gegensatz<br />
etwa zu den Sachsen, nicht zu den germanischen,<br />
sondern zu den slawischen<br />
Völkern gehören, auch wenn das Jahrhunderte<br />
über Jahrhunderte her ist,<br />
wurden immer wieder als anders und<br />
fremd und eben als nicht deutsch abgestempelt.<br />
„Euch haben sie wohl vergessen<br />
zu vergasen!‘, so was mussten wir<br />
Sorben uns nicht nur gleich nach dem<br />
Krieg anhören.“<br />
Und nun eben Pegida und Co, die<br />
mit ihrem Protest in der Mitte der Gesellschaft<br />
angekommen sind. Sie nimmt<br />
auch in ihrem eigenen Umfeld tiefe<br />
Einbrüche wahr: „Es gibt bei uns daheim<br />
einen Bäcker, zu dem sind wir immer<br />
gegangen. Einfach weil er gutes<br />
Brot backt; er gehört zum Mittelstand,<br />
ist ein netter Mann. Aber nun liegen<br />
auch bei ihm diese Zettel aus, dass man<br />
gegen die Flüchtlinge protestieren soll –<br />
da kann ich nicht mehr hingehen.“ Sie<br />
fragt: „Warum können die Leute nicht<br />
ihren Verstand einschalten? Das ist<br />
doch alles nur Gefühl.“<br />
Doch am Ende, da ist sie sich sicher,<br />
wird es gut ausgehen: „Die Zeit<br />
wird es bringen.“ Sie sagt: „Die Leute<br />
sind doch längst da, die gehen auch<br />
nicht wieder weg. Und die Welt wird<br />
bunter werden.“ •<br />
„Kaspar Häuser Meer“: So,10.7., 19 Uhr,<br />
Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190,<br />
Karten: 22 Euro<br />
<br />
JOSÉ JAMES<br />
<br />
<br />
TRAVIS SCOTT<br />
<br />
ANDERSON .PAAK<br />
& THE FREE NATIONALS<br />
<br />
CAGE THE ELEPHANT<br />
Logo<br />
INTRONAUT / SHINING (NO)<br />
<br />
<br />
BEN HARPER & THE<br />
INNOCENT CRIMINALS<br />
<br />
<br />
MIKE & THE MECHANICS<br />
<br />
<br />
ALIN COEN BAND<br />
<br />
<br />
HUBERT VON GOISERN<br />
<br />
<br />
3 DOORS DOWN<br />
<br />
<br />
BEAR‘S DEN<br />
<br />
ZUCCHERO<br />
<br />
<br />
MARIA MENA<br />
<br />
<br />
GORAN BREGOVIC AND HIS<br />
WEDDING & FUNERAL BAND<br />
<br />
TWENTY ONE PILOTS<br />
<br />
<br />
RUNRIG<br />
<br />
<br />
NAO<br />
<br />
XAVIER NAIDOO<br />
<br />
<br />
JULIA ENGELMANN<br />
<br />
TICKETS:<br />
KARSTEN JAHNKE<br />
<br />
GMBH<br />
/<br />
KJ.DE
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Tipps ( 1)<br />
1. bis 15. <strong>Juli</strong> <strong>2016</strong><br />
VORTRAG<br />
Führung durch das historische<br />
Beinhaus auf St. Pauli<br />
Mitten auf St. Pauli, zwischen Bars und<br />
Bordellen, befindet sich ein Beinhaus.<br />
Dicht an dicht liegen dort die Knochen<br />
von 350 Menschen, die im 18. und 19.<br />
Jahrhundert unter der katholischen<br />
St.-Joseph-Kirche bestattet wurden.<br />
Kürzlich wurde die verwahrloste Gruft<br />
aufwendig renoviert. Jetzt ist sie gelegentlich<br />
für die Öffentlichkeit zugänglich.<br />
Zu sehen sind nicht nur Gebeine,<br />
sondern auch andere Fundstücke: Kämme,<br />
Gewänder und Kinderspielzeug. •<br />
Sankt-Pauli-Museum, Davidstraße 17,<br />
Mi, 6.7., 19 Uhr, 18/16 Euro, Anmeldung<br />
erwünscht: info@sankt-pauli-museum.de<br />
AUSSTELLUNG<br />
„Buy, buy, St. Pauli“ – Stadtteilgeschichte<br />
zum Anfassen<br />
Die Fotografin CP Krenkler liebt St.<br />
Pauli und hat dem Stadtteil mit der Kamera<br />
ein Denkmal gesetzt (Foto oben).<br />
Vor allem die 2014 abgerissenen Esso-<br />
Häuser und deren Bewohner haben es<br />
ihr angetan. Sie hatte damals viele der<br />
Mieter besucht und diese vor ihren<br />
Wohnungstüren porträtiert. Und sie hat<br />
all die kleinen Läden, Kaschemmen und<br />
Clubs fotografiert, die mit ihren Wirten,<br />
Türstehern und Gästen das Herz des<br />
Kiez bilden. Viele dieser Kleinode sind<br />
schon Opfer der Gentrifizierung geworden.<br />
CP Krenkler hat diesen Prozess<br />
festgehalten. „Es macht mich traurig,<br />
wie achtlos die Stadt Hamburg mit ihrer<br />
Geschichte umgeht“, sagt sie. Einige ihrer<br />
Fotos sind jetzt in der Doppelausstellung<br />
„Buy, buy, St. Pauli“ zu sehen. •<br />
St.-Pauli-Kirche, Pinnasberg 80, Fr, 8.7.,<br />
18 Uhr, danach bis 7.8., Sa, 15–17 Uhr<br />
Millerntorgallery, Heiligengeistfeld 1,<br />
14.–17.7., Uhrzeiten und Programm unter<br />
www.millerntorgallery.org, 7/3 Euro<br />
LESUNG<br />
Noch ist offen: Fotografin CP<br />
Krenklers Arbeiten sind eine<br />
HOMMAGE an den alten Kiez.<br />
Anna Katharina Hahns surrealer<br />
Roman über Verarmung<br />
Die spanische Lehrerin Anita versucht<br />
nach mehreren vergeblichen Anläufen<br />
auf dem heimischen Arbeitsmarkt ihr<br />
Glück in Deutschland – und scheitert.<br />
Zurück in Madrid zieht sie frustriert in<br />
ihr früheres Kinderzimmer. Doch die<br />
Wirtschaftskrise dauert an. Hier nimmt<br />
Anna Katharina Hahns Roman „Das<br />
Kleid meiner Mutter“ eine surreale<br />
Wendung: Eines Tages liegen die Eltern<br />
tot in der Wohnung – warum,<br />
bleibt im Ungewissen. Unversehens<br />
rutscht Anita in das Leben ihrer Mutter.<br />
Eine Parallelrealität entwickelt sich,<br />
in der Anita ihrer Mutter immer ähnlicher<br />
wird. Die mehrfach ausgezeichnete<br />
Autorin liest aus ihrem neuen Buch<br />
bei der „Literatur Altonale“. •<br />
Bücherhalle Holstenstraße, Norderreihe<br />
5–7, Mi, 13.7., 19.30 Uhr, 8 Euro, gesamtes<br />
Programm unter www.altonale.de<br />
Wir verlosen drei Mal zwei Karten.<br />
Einfach bis zum 11.7. eine Mail an<br />
info@hinzundkunzt.de schicken.<br />
DRAUSSEN<br />
KulturflutFestival für kleine<br />
und große Gäste<br />
Schon zum dritten Mal findet in<br />
Finkenwerder das „KulturflutFestival“<br />
statt. Mit Blick auf die Elbe können<br />
sich tagsüber die Kleinen beim Kindertheater<br />
amüsieren. Ab dem frühen<br />
Abend feiern die Großen zur Musik<br />
der Ska-Band „Big Banders“, der<br />
Reggae-Lokalmatadoren „I-Fire“ und<br />
vieler anderer Combos. •<br />
Kulturflut Festival, Gorch-Fock-Park,<br />
8.+9.7., 17/14 Euro, Kinderprogramm 5/4<br />
Euro, Programm unter www.kulturflut.info<br />
BÜHNE<br />
Ohnsorg Theater thematisiert<br />
Schicksal von Straßenkindern<br />
Das Ohnsorg-Theater greift in<br />
„Tohuus“ Probleme aus seiner unmittelbaren<br />
Nachbarschaft auf: Es erzählt<br />
aus dem Alltag einer Gruppe von Straßenkindern.<br />
Sie kämpfen jeden Tag<br />
um das Überleben und träumen dennoch<br />
von einer glücklichen Zukunft.<br />
Auf der Bühne stehen Jugendliche<br />
zwischen 14 und 18 Jahren. Die Texte,<br />
die sie sprechen, sind in Zusammenarbeit<br />
mit jungen Menschen entstanden,<br />
die wirklich auf der Straße leben. •<br />
Ohnsorg-Theater, Heidi-Kabel-Platz 1,<br />
3.–7.7., 18 Uhr, 22/11 Euro<br />
52
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
FOTOS: CP KRENKLER (SEITE 52), SHANE LAVALETTE; COLLAGE: GRAFIKDEERNS<br />
KINO<br />
Liebe in Beirut: dramatisch<br />
und ganz schön komisch<br />
Integration ist ein großes Wort. Viel bemüht<br />
und je nach Neigung meist dann<br />
verwendet, wenn andere Menschen<br />
eben das sind – anders. Keine Angst.<br />
Das ist eine Kinokolumne und keine<br />
politische Streitschrift. Aber ich hatte<br />
im Kinosessel eine Erkenntnis: nämlich,<br />
dass die unterschiedlichsten<br />
Menschen etwas eint. Egal, ob Hindu,<br />
Muslim oder Katholik: Liebe, vor allem<br />
aber das Bedürfnis, geliebt zu werden,<br />
scheinen universelle Eckpfeiler einer<br />
jeden Gesellschaft zu sein. Liebe und<br />
gegenseitiger Respekt machen glücklich<br />
– vieles andere ist zweitrangig.<br />
„Liebe Halal“ heißt die Tragikomödie<br />
von Assad Fouladkar, die der Frage<br />
nachgeht, wie sich eine konservative<br />
muslimische Lebensweise mit Begehren<br />
und sexueller Selbstbestimmung vereinbaren<br />
lässt. Klingt nach schwerer<br />
Kost, ist aber erfreulich angenehm zu<br />
verdauen. Das liegt an der schnellen<br />
Erzählweise und den in sich abgeschlossenen<br />
vier Episoden, die in streng<br />
religiösen Vierteln von Beirut spielen.<br />
Dort pulsiert das Leben: Junge Menschen<br />
feiern Partys, lieben und probieren<br />
sich aus. Und müssen doch ihr Verlangen<br />
mit den strengen Regeln ihres<br />
Glaubens verbinden. Gar nicht so<br />
einfach. Denn was erlaubt und was<br />
verboten ist, bestimmt nicht selten die<br />
Auslegung ihrer Religion. Daraus zieht<br />
Fouladkar nicht nur eine Menge<br />
Humor, sondern eben auch kleine und<br />
große Dramen, die in unserer Kultur<br />
zwar fremd wirken, es auf den zweiten<br />
Blick aber viel weniger sind. Da gibt es<br />
überarbeitete Hausfrauen auf der Suche<br />
nach einer entlastenden Zweitfrau<br />
für ihre Männer, Eifersuchtsdramen<br />
und neugierige Kinder, verschmähte<br />
Liebe und rasende Leidenschaft. Kennt<br />
man doch. Und ist dann plötzlich gar<br />
nicht mehr so fremd.<br />
Lebensklug, warmherzig, originell –<br />
Regisseur Assad Fouladkar gelingt mit<br />
„Liebe Halal“ ein leichtfüßiges Gute-<br />
Laune-Movie über Liebe und Erotik in<br />
der arabischen Kultur. Ein toller Sommerfilm.<br />
ASCHMI<br />
•<br />
Neu im Kino ab Do, 7.7.<br />
DRAUSSEN<br />
Einweihung des Lohseparks<br />
Die größte Grünfläche der HafenCity<br />
wird mit einem Fest eröffnet. Unter<br />
dem Motto „Stadt.Park.Fluss“ kann<br />
man im Lohsepark zum Beispiel vor<br />
zwei Bühnen Musik hören, Urban<br />
Gardening ausprobieren oder beim<br />
Trommelworkshop mitmachen.<br />
Wer sich für die Architektur des vier<br />
Hektar großen Geländes mit seiner<br />
markanten Wellenform interessiert,<br />
erfährt bei Führungen Details zur<br />
Entstehung. Die Erfinder höchstpersönlich,<br />
die Landschaftsarchitekten<br />
Vogt aus Zürich, plaudern aus dem<br />
Nähkästchen. Regelmäßig finden auch<br />
Führungen zum nahe liegenden Denkmal<br />
des Hannoverschen Bahnhofs statt.<br />
Von hier wurden in den 1940er-Jahren<br />
mehr als 7000 Juden, Sinti und Roma<br />
in Gettos und Vernichtungslager<br />
deportiert. •<br />
Lohsepark, Am Lohsepark, 9.7.,<br />
13–21 Uhr, 10.7., 10–19 Uhr, Eintritt frei<br />
AUSSTELLUNG<br />
Poetische Bilder aus den<br />
amerikanischen Südstaaten<br />
Shane Lavalette ist einer der einflussreichsten<br />
jungen Fotografen in den<br />
USA. Der 29-Jährige hat schon für den<br />
New Yorker und das New York Times<br />
Magazine gearbeitet und in Museen<br />
ausgestellt. Nun sind seine Arbeiten<br />
erstmals in Europa zu sehen. Gezeigt<br />
werden Bilder aus seiner Serie „One<br />
Sun, One Shadow“ (Foto unten). Darin<br />
beschäftigt sich Lavalette mit der<br />
Musik der Südstaaten. Dabei hat er<br />
sich von der dortigen Musik inspirieren<br />
lassen, um „poetische ‚musikalische‘<br />
Bilder für die Landschaft der amerikanischen<br />
Südstaaten zu finden“. Das ist<br />
dem Künstler mit seinen Porträts und<br />
Landschaftsfotos gelungen. •<br />
Galerie Robert Morat, Kleine Reichenstraße<br />
1, noch bis 30.7., Fr+Sa,<br />
12–18 Uhr, Eintritt frei<br />
FESTIVAL<br />
Tänzerische Experimente<br />
beim DanceKiosk<br />
Wer sich für zeitgenössischen Tanz<br />
interessiert, ist beim Festival „Dance<br />
Kiosk – 48 Stunden Nomaden“ richtig.<br />
Für zwei Tage stehen auf dem<br />
Deichtorhallen-Platz Wohnwagen,<br />
Zelte und eine Bühne. Dort treffen sich<br />
Künstler aus aller Welt zu Performances,<br />
Vorträgen und Trainings. Besucher<br />
können Tanzvorführungen und DJ-<br />
Sets genießen, sich mit Künstlern und<br />
Besuchern austauschen oder an Tanzund<br />
Fotoworkshops teilnehmen. •<br />
DanceKiosk-Hamburg, Deichtorstraße<br />
1–2, 8.–10.7., Programm und Uhrzeiten<br />
unter www.dancekiosk-hamburg.de,<br />
Eintritt frei, Spende erwünscht<br />
MUSIK<br />
BANJO-BLUES: Bei Fotograf Shane<br />
Lavalette sieht sogar ein verpennter Musiker<br />
am frühen Morgen poetisch aus.<br />
Ausnahmesänger José James<br />
José James gilt als neue Stimme des<br />
Jazz. Für seinen sanften und vollen Bariton<br />
erhielt der 38-Jährige bereits den<br />
Jazz-Echo. In den Schoß gefallen ist<br />
dem Künstler die Auszeichnung nicht.<br />
Seine Kindheit in Minneapolis in den<br />
1980er-Jahren war geprägt von Armut<br />
und Rassismus. Ein Highschool-Lehrer<br />
holte ihn in den Schulchor. Später bekam<br />
er ein Stipendium für eine musikalische<br />
Ausbildung. Bis heute ist Diskriminierung<br />
sein Thema: „Ich erlebe es<br />
jeden Tag.“ Bei seinem Konzert spielt<br />
der Künstler Songs aus seinem erst im<br />
nächsten Jahr erscheinenden Album. •<br />
Mojo Club, Reeperbahn 1, Fr, 15.7., 20 Uhr,<br />
29,20 Euro<br />
53
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Tipps (2)<br />
16. bis 31. <strong>Juli</strong> <strong>2016</strong><br />
AUSSTELLUNG<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Hans Förster, Chronist des<br />
Hamburger Alltags<br />
Das Altonaer Museum erinnert<br />
anlässlich des 50. Todestages von Hans<br />
Förster an den Hamburger Maler und<br />
Grafiker (1885–1966). Mit seinen<br />
Drucken, Postkarten und Zeichnungen<br />
hat der Künstler detailreich Alltagsszenen<br />
festgehalten. Förster verdanken<br />
wir zahlreiche zeichnerische Dokumentationen<br />
des Hamburger Stadtbildes,<br />
von Speichern und Kontorhäusern,<br />
Bauernhöfen, Booten und Trachten.<br />
Romantik und Idylle, die Hans Förster<br />
gern auf seinen Bilder zeigte, spielten<br />
im Leben des Künstlers keine Rolle.<br />
Der Maler konnte von seinen Werken<br />
nicht leben. Er war permanent auf<br />
finanzielle Unterstützung von<br />
Freunden angewiesen und verbitterte<br />
darüber im Alter zunehmend. •<br />
Altonaer Museum, Museumstraße 23, bis<br />
5.2.2017, Di–So, 10–17 Uhr, 7,50/4,50<br />
Euro, unter 18 Jahren frei<br />
Das WESTWERK rollt<br />
den roten Teppich für die neue<br />
Ausstellung „Response“ aus.<br />
AUSSTELLUNG<br />
Jubiläum: 30 Jahre Westwerk<br />
Unter dem kämpferischen Motto<br />
„Senat fressen Straße auf“ (Bild oben)<br />
wandten sich vor 30 Jahren Hamburger<br />
Künstler an die Öffentlichkeit. Sie wollten<br />
das von ihnen gemietete Haus in<br />
der Admiralitätstraße für die Kunst<br />
erhalten und vor dem Verkauf an einen<br />
Investor bewahren. Mit Erfolg. Bis<br />
heute wird das dort ansässige Westwerk<br />
von Künstlern aller Art genutzt. Im<br />
<strong>Juli</strong> sind zehn Künstler aus dem Kieler<br />
Kunstverein „Haus 8“ zu Gast. Unter<br />
dem Titel „Response“ zeigen sie<br />
Bilder, Grafiken, Rauminstallationen,<br />
Skulpturen und Videos zur politischen<br />
Geschichte des Westwerks. •<br />
Westwerk, Admiralitätstraße 74,<br />
16.–30.7., Di–Fr, 19 Uhr, Sa+So,<br />
12 –16 Uhr, Eintritt frei<br />
MUSIK<br />
Kulturelles Feuerwerk mit<br />
„Les Tristes Cannibalistes“<br />
Musikalische Schubladen kümmern<br />
die Hamburger Band „Les Tristes<br />
Cannibalistes“ nicht. Umso wichtiger<br />
ist die Pflege ihrer vielfältigen kulturellen<br />
Wurzeln: In ihren Indie-Rock fließen<br />
Balkan-Klänge, persische Lieder<br />
und französische Chansons mit ein. Um<br />
ihren musikalischen Kosmos noch mehr<br />
zu erweitern, lädt sie zu ihren Konzerten<br />
oft gezielt Musiker aus anderen<br />
Ländern ein: Dieses Mal stehen gemeinsam<br />
mit den Cannibalistes der indische<br />
Tabla-Virtuose Swapan Bhattacharya<br />
und dessen Landsmann<br />
Koushik Batterjee auf der Bühne. •<br />
Goldbekhaus, Moorfurthweg 9, „Les Tristes<br />
Cannibalistes featuring Swapan: Kalkutta<br />
Sessions“, Fr, 22.7., 20.30 Uhr, 10/8 Euro<br />
LESUNG<br />
Isabel Bogdan liest aus ihrem<br />
Debütroman „Der Pfau“<br />
Lord und Lady McIntosh vermieten<br />
einige Zimmer ihres leicht bröckelnden<br />
Herrenhauses in den schottischen<br />
Highlands an Gäste. Für ein verlängertes<br />
Wochenende kündigen sich<br />
Investmentbanker einer Londoner Privatbank<br />
für ein Teambuilding-Seminar<br />
an. Leider hat einer der fünf Pfauen<br />
seiner Lordschaft die Angewohnheit,<br />
alles Blaue und Glänzende als Konkurrenz<br />
anzusehen und tätlich anzugreifen.<br />
Auch die Blaumetallic-Lackierung des<br />
Wagens der Abteilungsleiterin bekommt<br />
das zu spüren. Hieraus ergeben sich<br />
zahlreiche Verwicklungen. Die<br />
Hamburger Übersetzerin und Autorin<br />
Isabel Bogdan liest die schönsten<br />
Passagen aus ihrem Debütroman<br />
„Der Pfau“ beim Lesefest „Hamburger<br />
Ziegel“. Ebenfalls auf der Bühne<br />
vertreten: Renate Ahrens, Susanne<br />
Neuffer und Horst Evers. •<br />
Magellan-Terrassen, So, 17.7., „Schade um<br />
den schönen Pfau“, 18 Uhr, Eintritt frei, bei<br />
Regen im Kesselhaus, Am Sandtorkai 30<br />
54
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
BILD SEITE 54: CHILI SEITZ; FOTO SEITE 55: DANIEL BUTOWSKI; COLLAGE: GRAFIKDEERNS<br />
BÜHNE<br />
Verwechslungskomödie am<br />
Falkensteiner Ufer<br />
Alles beginnt mit einem Hut.<br />
Ausgerechnet am Tag von Fadinards<br />
Hochzeit frisst sein Pferd den prächtigen<br />
Florentinerhut von Madame<br />
Beauperthuis. Sie hatte ihn während<br />
eines Techtelmechtels mit einem<br />
jungen Offizier abgenommen. Nun<br />
braucht sie ihn dringend zurück, damit<br />
ihr Mann keinen Verdacht schöpft.<br />
Der arme Fadinard muss nun, während<br />
die Hochzeitsgäste schon auf ihn<br />
warten und ihm sein nörgelnder Schwiegervater<br />
im Nacken sitzt, die Kopfbedeckung<br />
wiederbeschaffen. Das Theater<br />
N.N. zeigt die französische Komödie<br />
„Der Florentinerhut“ von Altmeister<br />
Eugène Labiche open air – in traumhafter<br />
Kulisse am Falkensteiner Ufer.<br />
Picknickkorb nicht vergessen. •<br />
Römischer Garten, Falkensteiner<br />
Ufer, 16./21./22./23.7., 19.30 Uhr,<br />
25/17,50 Euro<br />
KINO<br />
Filmische Reise durch Länder<br />
im Süden Afrikas<br />
10.000 Kilometer sind die beiden<br />
Filmemacher Silke Schranz und Christian<br />
Wüstenberg mit ihrem Campingbus<br />
durch Südafrika gefahren. Aus ihren<br />
Erlebnissen entstand die Reisereportage<br />
„Südafrika – Der Kinofilm“.<br />
Die Tour beginnt in Kapstadt auf dem<br />
Tafelberg, führt entlang der berühmten<br />
Garden Route durch die vielen Nationalparks<br />
bis nach Durban. Nach Abstechern<br />
in die Nachbarländer Lesotho<br />
und Swasiland geht es über den riesengroßen<br />
Krüger Nationalpark bis in die<br />
Metropole Johannesburg. Dazwischen<br />
machen die Reisefreunde an mehr als<br />
50 Stationen halt. Im Film wechseln<br />
sich üppige Landschaftsaufnahmen,<br />
Beobachtungen von Tieren und Begegnungen<br />
mit Menschen ab. Die Schattenseiten<br />
werden nur gestreift. Das Ziel<br />
von Schranz und Wüstenberg: „Unser<br />
Film soll die Zuschauer inspirieren,<br />
auf eigene Faust loszuziehen.“ •<br />
Innenhof Altonaer Rathaus, Platz der<br />
Republik 1, Mi, 27.7., 21.30 Uhr, 8/7 Euro<br />
LESUNG<br />
Poeten am Strand<br />
Wo kann man schon während einer<br />
Lesung die Zehen in den Sand bohren<br />
und Schiffe bestaunen? Bei „Poets on<br />
the Beach“ geht das schon seit fast 30<br />
Jahren (Foto unten). Direkt neben der<br />
Strandperle lesen Cenk Bekdemir, Arne<br />
Poeck, Bente Varlemann und ein Überraschungsgast<br />
Texte, Romanausschnitte<br />
und Gedichte. Dank einer Verstärkeranlage<br />
versteht man jedes Wort, selbst<br />
wenn tutende Schiffe vorbeiziehen. •<br />
Elbstrand Övelgönne, Höhe Schulberg,<br />
So, 31.7., 18 Uhr, Eintritt frei, Spenden<br />
erwünscht, die Veranstaltung findet bei<br />
jedem Wetter statt.<br />
MUSIK<br />
Schunkeln und Schluchzen mit<br />
dem Musiker White Buffalo<br />
Hierzulande ist „White Buffalo“ eher<br />
unbekannt, aber in seiner Heimat USA<br />
ist der Musiker mit den langen Haaren<br />
und dem Rauschebart total beliebt.<br />
Das liegt an der markanten dunklen<br />
Stimme und der originellen Mischung<br />
aus Country, Blues, Rock und<br />
Rockabilly. Aber Jake Smith, wie der<br />
Künstler eigentlich heißt, ist nicht<br />
nur Spezialist für raue Töne. Der<br />
Kalifornier hat auch herzerweichende<br />
Balladen im Programm – und überzeugt<br />
mit sozialkritischen Texten. •<br />
Knust, Neuer Kamp 30, Mo, 25.7., 21 Uhr,<br />
23,70 Euro<br />
Pack die Lesebrille ein: Am Elbstrand in<br />
Övelgönne wird’s bei „Poets on the Beach“<br />
mal wieder LITERARISCH.<br />
LESUNG<br />
Erinnerung an den Widerstand<br />
Ein Stolperstein vor der Gertigstraße 56<br />
erinnert an Familie Stender. Werner,<br />
Ernst und Ludwig wuchsen über der<br />
Schusterwerkstatt ihres Vaters in einem<br />
sozialdemokratischen Elternhaus auf.<br />
Sie wurden Mitglied der kommunistischen<br />
Partei und kämpften gegen die<br />
Nationalsozialisten. Ernst kam dabei<br />
um. Ludwig und Werner überlebten<br />
durch Flucht ins Ausland. Werners<br />
Tochter Ruth hat die Geschichte der<br />
Familie unter dem Titel „Gertigstraße<br />
56“ veröffentlicht. Daraus liest sie beim<br />
„Ohlsdorfer Friedensfest <strong>2016</strong>“. •<br />
Bombenopfer-Mahnmal im Ohlsdorfer<br />
Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756, So,<br />
31.7., 12 Uhr, Eintritt frei, Spenden erbeten<br />
KINDER<br />
Imkertag am Kiekeberg<br />
Wie sieht ein Bienenstock eigentlich<br />
von innen aus? Und wie kommt der<br />
Honig ins Glas? Bienenexperten<br />
bringen kleinen und großen Besuchern<br />
beim Imkertag ihr Handwerk und das<br />
Leben der nützlichen Insekten näher.<br />
Museumsimker Clemens Tandler zeigt<br />
auch, wie er die Waben öffnet und den<br />
Honig herausschleudert. Bei diversen<br />
Mitmach-Aktionen können Kinder<br />
auch selbst Hand anlegen. •<br />
Freilichtmuseum am Kiekeberg, Am<br />
Kiekeberg 1, So, 31.7., 10–18 Uhr, 9 Euro,<br />
unter 18 Jahren frei
GURBHEJ SINGH<br />
lebt seit sieben Jahren in Hamburg<br />
und Rostock. Immer, wenn der in der<br />
Region Panjab geborene Inder wieder<br />
keine Arbeit in der Gastronomie findet,<br />
verkauft er Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Als Analphabet<br />
hat er es schwer, dabei hat der<br />
46-Jährige schon in seiner Heimat als<br />
Koch gearbeitet. Zum Verkaufsstart<br />
der Juni-Ausgabe konnten sich rund<br />
100 Hinz&Künztler von seinen<br />
Künsten am Herd überzeugen.<br />
Und die sind: spitze!<br />
Chicken Masala<br />
mit Erbsen-Reis<br />
(für vier Personen)<br />
3 rote Zwiebeln<br />
1 kleine Stange Porree<br />
2 Knoblauchzehen<br />
2 grüne Chilischoten<br />
40 g frischer Ingwer<br />
800 g H hnchenbrustfilet<br />
300 ml Kokosmilch<br />
100 ml Sahne<br />
1 Dose gesch. Tomaten<br />
250 g Basmatireis<br />
200 g Erbsen (TK)<br />
Pflanzenöl<br />
Gewürze:<br />
1 TL Pfeffer, 2 TL Salz<br />
3 EL Garam Masala<br />
2 TL Kurkuma-Pulver<br />
2 TL Koriander<br />
2 TL Bockshornklee<br />
2 TL Kreuzkümmel<br />
Ein Feuerwerk<br />
aus Gewürzen<br />
Hinz&Künztler Gurbhej Singh verrät sein Rezept für zartes Hühnchen in<br />
indischer Tomatensoße. Dazu gibt’s duftenden Reis.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE, BEATRICE BLANK<br />
FOTO: CHRISTIAN HAGEN<br />
SO WIRD ES GEKOCHT:<br />
1. Am besten zunächst alle Zutaten vorbereiten. Die Erbsen auftauen lassen. Aus den<br />
getrockneten Gewürzen eine Mischung vorbereiten. Zwiebeln und Porree schälen<br />
beziehungsweise putzen und würfeln. Die Chilischoten fein hacken. Den Ingwer und<br />
den Knoblauch schälen und fein hacken.<br />
2. Zwiebeln, Porree, Chilis, Ingwer und Knoblauch in einer Schüssel vermischen.<br />
Ein Drittel der Mischung beiseitestellen.<br />
3. 4 El Öl in einem großen Topf erhitzen. Die Gewürzmischung hineingeben und<br />
kurz anschwitzen. Zwei Drittel der Zwiebelmischung zufügen und mit anbraten.<br />
4. Kokosmilch, Sahne und die geschälten Tomaten in den Topf geben. Aufkochen und<br />
zehn Minuten köcheln lassen.<br />
5. In dieser Zeit das Hähnchenfleisch waschen und in Würfel schneiden. Den Topfinhalt<br />
mit einem Pürierstab pürieren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Damit ist die<br />
Masala-Soße fertig.<br />
6. Das Fleisch in die Soße geben und darin bei geringer Hitze 10 bis 15 Minuten garen.<br />
7. Währenddessen den Reis zubereiten: Den Basmati-Reis waschen und in Salzwasser<br />
nach Packungsanleitung garen.<br />
8. 4 El Öl in einer Pfanne erhitzen und die restliche Zwiebelmischung darin einige<br />
Minuten weichdünsten. Erbsen hinzugeben und den Reis unterheben. Zusammen mit<br />
dem Hähnchen in Masala-Soße servieren. Guten Appetit!<br />
Getestet von MAMPF: www.mampf-hh.de<br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
bischöfliche<br />
Hauptkirche<br />
Stadt in<br />
Rumänien<br />
bestimmtes<br />
Quantum<br />
arabisch:<br />
Vater von<br />
(bei<br />
Namen)<br />
dem Wind<br />
abgekehrte<br />
Seite<br />
gereizt,<br />
hektisch,<br />
nervös<br />
Fluss in<br />
Schleswig-<br />
Holstein<br />
astronomisches<br />
Planbild<br />
japanischer<br />
Kaisertitel<br />
5<br />
6<br />
9<br />
1<br />
7<br />
1<br />
2<br />
6<br />
7<br />
9<br />
2<br />
4<br />
Bewohner<br />
makellos Süd-<br />
sauber deutsch-<br />
lands<br />
Hautfärbung<br />
Brustumfang<br />
(Kleidung)<br />
3<br />
3<br />
4<br />
2<br />
3<br />
5<br />
Leere,<br />
Langeweile<br />
Monatsmitte<br />
im röm.<br />
Kalender<br />
5<br />
9<br />
8<br />
4<br />
4<br />
8<br />
Hispanoamerikaner<br />
Geliebte<br />
Tristans<br />
zäh, unbeirrbar<br />
6<br />
1<br />
3<br />
Geliebte<br />
des Zeus<br />
5<br />
4<br />
2<br />
6<br />
5<br />
7<br />
Figur<br />
aus der<br />
„Fledermaus“<br />
Stadt<br />
in Ostfriesland<br />
wunschlos<br />
glücklich<br />
Fluss<br />
durch<br />
Pisa<br />
7<br />
8<br />
farbiger<br />
Vorstoß<br />
an Uniformen<br />
Teil<br />
eines<br />
Baumes<br />
englische<br />
Bezeichnung<br />
für:<br />
Graf<br />
mehr als<br />
feucht<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in jeder<br />
Reihe, in jeder Spalte und<br />
in jedem Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken Sie<br />
uns bitte die unterste, farbig<br />
gerahmte Zahlenreihe.<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 30 39 96 38 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 29. <strong>Juli</strong> <strong>2016</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder eines von zwei Büchern<br />
„Babys machen & Andere Storys“ von Laurie Penny (Nautilus Verlag)<br />
gewinnen. Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war: Zentimeter. Die<br />
Sudoku-Zahlenreihe war: 512 796 483.<br />
6<br />
5<br />
1<br />
9<br />
7<br />
1<br />
Nelkengewächs<br />
Spielkarte<br />
schweizerisch<br />
kurz für:<br />
Motorrad<br />
Weltmeer<br />
8<br />
2<br />
Gutschein,<br />
Kassenzettel<br />
Metallschlaufe<br />
Oker-<br />
Zufluss<br />
(Harz)<br />
10<br />
Papagei<br />
Mittelund<br />
Südamerikas<br />
9<br />
Fernsehen<br />
(Fremdwort)<br />
ital.<br />
Schauspieler<br />
(Terence)<br />
Disney-<br />
Trickfilmreh<br />
7<br />
mild,<br />
sanft<br />
Übriggebliebenes<br />
Rechenverfahren<br />
Wurfpfeilspiel<br />
(engl.)<br />
10<br />
zukünftig<br />
(latein.)<br />
9<br />
französischer<br />
Mehrzahlartikel<br />
AR1115-0116_6<br />
57<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 30 39 96 38<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens,<br />
Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
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Mathias Bach (Kaufmann), Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (CvD, Stellv.), Frank Keil<br />
Mitarbeit Sybille Arendt, Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />
Ulrich Jonas, Benjamin Laufer, Uta Sternsdorff,<br />
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Redaktionsassistenz Sonja Conrad,<br />
Dina Fedossova<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />
Benjamin Laufer<br />
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Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />
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Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
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und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
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Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
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Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 2. Quartal <strong>2016</strong>:<br />
75.000 Exemplare
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>281</strong>/JULI <strong>2016</strong><br />
Ohne ANDREE fehlt was beim<br />
Famila Markt in Bad Oldesloe. Als<br />
er länger krank war, hielt der Marktleiter<br />
sogar seinen Stammplatz frei.<br />
„Ich habe richtig<br />
gehungert und gefroren“<br />
Andree, 53, verkauft vor dem Famila Markt in der<br />
Lily-Braun-Straße in Bad Oldesloe.<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Endlich hat Andree seinen Platz gefunden.<br />
Wer den 53-Jährigen vor Famila in<br />
Bad Oldesloe stehen sieht, merkt gleich:<br />
Der gehört hier hin. Fast alle Kunden<br />
grüßen ihn, viele bleiben stehen und<br />
schnacken. Für Marktleiter Thomas<br />
Böttcher ist er schon wie ein fester Mitarbeiter.<br />
Für Andree bedeutet es noch<br />
viel mehr: „Das hier ist mein Zuhause.“<br />
Andree hatte es schwer, im Leben<br />
Fuß zu fassen. Dabei hat er zwei Berufe<br />
gelernt. In seiner Heimatstadt Marl zog<br />
er eine Lehre zum Chemiefacharbeiter<br />
durch. Als er keinen Job fand, schulte er<br />
um: Tischler wollte er immer mal lernen.<br />
Im zweiten Anlauf schaffte er es.<br />
Doch dann warf ihn eine schwere<br />
Krankheit aus der Bahn. „Die hat mein<br />
ganzes Leben versaut“, sagt er.<br />
Mit 37 wurde Andree zum Frührentner.<br />
Rastlos war er dennoch. 2003 brach er<br />
alle Kontakte ab und zog nach Berlin.<br />
„Das ist dann richtig in die Hose gegangen“,<br />
erzählt er. Ohne Job, ohne Freunde<br />
landete er direkt auf der Straße. „Ich<br />
habe richtig gehungert und gefroren.“<br />
Immer wieder griff die Polizei ihn<br />
betrunken auf, sperrte ihn über Nacht<br />
ein. Bis ihn 2006 ein Gericht zu einer<br />
Maßnahme verpflichtete: Ein Jahr Imkern<br />
an der Ostsee bei Wismar. „Das<br />
war schön“, sagt Andree. Die Arbeit<br />
baute ihn auf. Als das Jahr um war, entdeckte<br />
er Bad Oldesloe. Das ruhige<br />
Städtchen tat ihm gut. Bald fand er sogar<br />
eine Wohnung.<br />
Doch seine Krankheit, die Erlebnisse<br />
auf der Straße ließen Andree nicht los.<br />
Er kam zu Hause nicht zur Ruhe, fing<br />
wieder an zu trinken. „Es war mir schon<br />
wieder alles ziemlich schnuppe“, sagt<br />
er. Im Winter 2011 zog es ihn nach<br />
Hamburg – auf die Straße. Die Tage<br />
verbrachte er mit Bierchen am Hauptbahnhof.<br />
Doch nachts wich das Freiheitsgefühl<br />
der nackten Not. „Das war<br />
echt ein Dreck“, sagt Andree. Bis er bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> landete. „Von da an wurde<br />
alles besser.“ Er rettete seine Wohnung<br />
vor der Räumung und wurde<br />
Hinz&Künztler vor dem Famila-Markt.<br />
„Die Arbeit strukturiert meinen Tag,<br />
das hält mich zusammen“, sagt er.<br />
Sein Stammplatz ist ihm sicher –<br />
darauf kann Andree sich dank Thomas<br />
Böttcher verlassen. Als er erneut schwer<br />
erkrankte und für ein Jahr in die Klinik<br />
ging, hielt der Famila-Marktleiter seinen<br />
Verkaufsplatz frei. „Ich musste den<br />
richtig verteidigen“, erzählt der Marktleiter.<br />
Ständig tauchten Verkäufer ohne<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Ausweis auf. Thomas<br />
Böttcher schickte alle weg. Er wollte<br />
Andree zurück, der auch seinen Kunden<br />
ans Herz gewachsen war. „Mir ist<br />
wichtig, dass alles seine Ordnung hat“,<br />
so Böttcher. „Darum halte ich zu ihm.“<br />
Auch die Kunden vermissten „ihren“<br />
Verkäufer. Viele fragten im Markt<br />
nach ihm oder riefen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
an – und waren froh, als Andree zurückkam.<br />
„Inzwischen gibt es keinen<br />
mehr, der nur ‚Nein danke‘ sagt und<br />
schnell vorbeigeht“, erzählt er. Manche<br />
Stammkunden bringen ihm Käsebrötchen<br />
mit, zu Weihnachten kaufte eine<br />
Kundin für ihn ein – „lauter edle Sachen,<br />
die ich mir nicht leisten würde.<br />
Das war toll!“<br />
Nach langem Sparen hat sich Andree<br />
nun ein Fahrrad geleistet. Am Wochenende<br />
radelt er damit die Trave entlang.<br />
Oder er trifft seine Freundin. Seit<br />
einem Jahr sind sie ein Paar. „Mir ist<br />
wichtig, jeden Tag wahrzunehmen, zu<br />
füllen und zu genießen“, sagt Andree.<br />
„Die Vergangenheit lässt sich eh nicht<br />
mehr ändern.“ •<br />
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KUNZT-<br />
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Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
4.<br />
1.<br />
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Aromatisiert mit Kakao und Vanillegeschmack.<br />
Zutaten: Schwarzer Tee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />
Orangenschalen*, *aus kontrolliert biologischem<br />
Anbau (k. b. A.). 100 g, Nachfülldose,<br />
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Mit Kakao-Orange aromatisiert. Zutaten:<br />
Rotbuschtee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />
Orangenschalen*, *k. b. A., 75 g,<br />
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Beide Sorten: In Kooperation mit dem<br />
Chocoladenmuseum Chocoversum.<br />
Hersteller: Dethlefsen&Balk<br />
1.<br />
2. 3.<br />
5.<br />
2.<br />
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Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />
100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel, 5,95 Euro<br />
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exklusiv von der Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />
3. „Gegens Abstempeln“<br />
10 selbstklebende 62-Cent-Briefmarken<br />
mit Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />
Preis: 11 Euro<br />
4. 5.<br />
6.<br />
4. „Hamburg Hommage“ – Klappkarten<br />
5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />
DIN A6, Fotograf Mauricio Bustamante<br />
Preis: 8 Euro<br />
3.<br />
5. „Hamburg Hommage“ – Print<br />
Format 40 x 40 x 2,5 cm, fotokaschiert auf<br />
MDF-Platte, mit Bienenwachs versiegelt, einzeln<br />
angefertigter Rahmen aus Palettenholz,<br />
5 verschiedene Motive:<br />
1. #118 / 2. #058 / 3. #153 / 4. #095 / 5. #117<br />
Preis: 99 Euro<br />
6. „Hamburg zeigt Herz“-Becher<br />
Porzellanbecher mit Silikondeckel, in<br />
Deutschland gefertigt. Idee und Design von einer<br />
Auszubildendengruppe der Firma OTTO.<br />
Preis: 8,50 Euro<br />
7.<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder über Obdachlosigkeit<br />
von Kirsten Boie, illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro
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