DER BIEBRICHER, Nr. 297, August 2016
Stadtteilmagazin für Wiesbaden-Biebrich
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Jüdische Nachfahren aus den USA besuchen Biebricher<br />
Heimat der Großeltern und des Vaters<br />
Peter und Enid Levi aus Kansas<br />
City, USA, kommen nicht als<br />
Touristen nach Europa. Oder zumindest<br />
nicht nach Biebrich – die<br />
drei Wochen Donaukreuzfahrt,<br />
die sie am 12. Juli bereits hinter<br />
sich hatten, waren natürlich<br />
schon eine Vergnügungsreise. In<br />
Biebrich macht das Ehepaar aber<br />
Station, weil Peter Levis jüdische<br />
Vorfahren hier lebten. So lange<br />
es vom eigenen Lebensalter her<br />
noch möglich ist, sagt Peter Levi,<br />
möchte er die Heimatstadt seiner<br />
Großeltern und seines Vaters<br />
noch einmal sehen. Levi ist nicht<br />
zum ersten Mal hier. Schon vier<br />
Mal habe er Biebrich besucht, erzählt<br />
er im Hotel am Schloss, wo<br />
er von Ortsvorsteher Kuno Hahn<br />
und dessen Frau Dagmar sowie<br />
von Inge Naumann-Götting vom<br />
„Aktiven Museum Spiegelgasse“,<br />
zu dem sich über das Internet<br />
Kontakte ergeben hatten, empfangen<br />
wurde.<br />
Levi wurde in Washington, D.C.<br />
im Jahr 1944 geboren. „Wir hätten<br />
Klassenkameraden sein können,<br />
oder Fußballkumpels“, sagt<br />
der gleichaltrige Ortsvorsteher,<br />
Dagmar Hahn, Inge Naumann-Götting, Peter Levi, Enid Levi und Kuno<br />
Hahn an der „Froschkönigin” am Biebricher Rheinufer.<br />
der in Biebrich aufgewachsen<br />
ist. Doch es sollte nicht sein. Levis<br />
Großeltern Josef und Martha<br />
(geb. Kahn) führten in der Rathausstraße<br />
80 einen erfolgreichen<br />
Viehhandel. Der einzige<br />
Sohn Kurt besuchte die Riehlschule<br />
und machte dort<br />
Abitur. Er studierte Jura.<br />
Doch in den 1930er<br />
Jahren geriet das Geschäft<br />
aufgrund der<br />
politischen Lage in<br />
Turbulenzen, auch Jurist<br />
Kurt Levi konnte keine Arbeit<br />
aufnehmen.<br />
ART<br />
Peter<br />
und Enid Levi<br />
aus Kansas<br />
City<br />
1938 gelang es der wachsamen<br />
Familie, in die USA auszuwandern.<br />
Dort kam 1944<br />
Peter Levi zur Welt. Bewegend<br />
berichtet er vom Schicksal<br />
seiner Familie, die das Glück<br />
hatte, der Nazidiktatur entkommen<br />
zu können – andere<br />
Verwandte sind umgekommen.<br />
Levi berichtet aber auch<br />
von der großen Liebe seines<br />
Vaters und Großvaters zu<br />
Deutschland. Sie haben mit<br />
ihm Deutsch gesprochen,<br />
noch heute kann er sich in<br />
dieser Sprache verständigen.<br />
„Mein Vater war sehr ordentlich,<br />
er hat das als ‚gute deutsche<br />
Tugend‘ empfunden.<br />
Auch Goethe und andere Literatur<br />
hat er immer zitiert“,<br />
erzählt der Nachfahre der<br />
Biebricher Familie, selbst ehemaliger<br />
Jurist. Bei seinem letzten<br />
Besuch in Biebrich sei er<br />
auch mit den jetzigen Bewohnern<br />
der Rathausstraße 80 ins<br />
Gespräch gekommen. „Heimatgefühle“<br />
könne er nicht richtig<br />
entwickeln, aber er sei immer<br />
froh, durch die Straßen zu gehen,<br />
in denen seine Vorfahren gerne<br />
gelebt und sich wohlgefühlt hätten,<br />
„they had a wonderful life in<br />
Germany“, sagt er.<br />
Seine Frau Enid, die aus<br />
einer bereits in der Generation<br />
davor ausgewanderten<br />
jüdischen Familie<br />
aus Osteuropa stammt,<br />
steuert andere Anekdoten<br />
bei, erzählt vom gehüteten<br />
Schatz des Rosenthal-Porzellans<br />
der Großmutter. Kuno Hahn erläutert<br />
den Amerikanern das<br />
gute Zusammenleben in Biebrich,<br />
dem „Ort der Vielfalt“, in dem<br />
zahlreiche Nationen zusammenleben.<br />
„Hier ist eine glückliche<br />
Insel“, sagt der Ortsvorsteher<br />
und tauscht auch Erinnerungen<br />
an seine eigene Zeit in Kalifornien<br />
aus, wo er einige Jahre lebte und<br />
seine Frau kennengelernt hat.<br />
Inge Naumann-Götting führt das<br />
Ehepaar Levi im Anschluss noch<br />
an einige Gedenkstätten in Wiesbaden<br />
– in der Lessingstraße liegen<br />
Stolpersteine für Levis andere<br />
Großeltern – und in die Spiegelgasse.<br />
Für die ehrenamtliche Erinnerungsarbeit<br />
der Wiesbadener<br />
zeigen die beiden sympathischen<br />
Amerikaner großen Respekt. Und<br />
berichten, dass jetzt in Amerika<br />
auch Lehrer speziell zum Thema<br />
Holocaust ausgebildet werden,<br />
um ihren Schülern dieses zu vermitteln.<br />
„Wir dürfen es nicht vergessen,<br />
wozu Menschen fähig<br />
sein können.“<br />
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8 <strong>DER</strong> <strong>BIEBRICHER</strong> / AUGUST <strong>2016</strong>