WIRTSCHAFT+MARKT 5/2016
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
18 | W+M SCHWERPUNKT SACHSEN<br />
Stanislaw Tillich: Dass es diese Ereignisse<br />
gegeben hat, ist das eine. Und dass<br />
es durch die Berichterstattung dazu führt,<br />
dass sich das eine oder andere Unternehmen<br />
überlegt, welche Konsequenzen das<br />
für eine zukünftige Investition hat, gehört<br />
leider dazu. Meine Antwort ist deutlich:<br />
Wenn das ein entscheidender Faktor wäre,<br />
eine Investition nicht zu tätigen, dann hätte<br />
man den Rechtsextremisten Genüge getan.<br />
Denn dann hätten sie es geschafft zu<br />
verhindern, was uns Demokraten am Herzen<br />
liegt: Dass Menschen und Investoren<br />
zu uns kommen – aus aller Welt. Wir tun<br />
alles dafür, dass sich die Rechtsextremen<br />
nicht durchsetzen können.<br />
Dietmar Woidke: Es schadet Deutschland<br />
immens, wenn Leute mit einem Galgen<br />
in der Hand durch Dresden marschieren.<br />
Und es schadet Ostdeutschland im<br />
Besonderen. Wir haben im letzten Jahr<br />
das „Bündnis für Brandenburg“ gegründet.<br />
Um einer immer stärker international<br />
agierenden Wirtschaft Flagge zu zeigen<br />
und zu sagen: Ihr Rechtspopulisten<br />
seid nicht die Mitte der Gesellschaft! Dieser<br />
Platz ist besetzt. Jede ausländische<br />
Fachkraft, die wir aufgrund solcher Bilder<br />
nicht mehr nach Deutschland bekommen,<br />
ist ein Verlust für unser Land. Daher<br />
bekämpfen wir Rechtsextremismus<br />
in Brandenburg seit Ende der 90er Jahre<br />
besonders intensiv und erfolgreich – sowohl<br />
mit der Zivilgesellschaft als auch mit<br />
den Mitteln des Rechtsstaates.<br />
W+M: Das wirtschaftliche Rückgrat in<br />
Brandenburg und Sachsen bildet der Mittelstand.<br />
Was erwarten Sie eigentlich von<br />
einem mittelständischen Unternehmer?<br />
Stanislaw Tillich: Ich wünsche mir von<br />
denjenigen, die mittlerweile das Potenzial<br />
haben, größer zu werden und zu wachsen,<br />
dass sie auch die Courage dazu haben.<br />
Sie können es, sie müssen nur den<br />
Mut zum nächsten Schritt haben. Oft sind<br />
ostdeutsche Unternehmer noch zu bescheiden<br />
bei dem, was sie drauf haben.<br />
ZUR PERSON<br />
Dietmar Woidke wurde am 22. Oktober<br />
1961 in Naundorf bei Forst geboren. Er<br />
studierte Landwirtschaft und Tierproduktion<br />
an der Berliner Humboldt-Universität.<br />
In der Wendezeit arbeitete Woidke<br />
als wissenschaftlicher Assistent am Berliner<br />
Institut für Ernährungsphysiologie.<br />
1993 trat er in die SPD ein und gehört<br />
seit 1994 dem Brandenburger Landtag<br />
an. Er fungierte bereits als Landwirtschafts-<br />
und als Innenminister. Seit dem<br />
28. August 2013 ist Dietmar Woidke Ministerpräsident<br />
in Brandenburg. Er ist<br />
verheiratet und Vater einer Tochter.<br />
Dietmar Woidke: Eine wichtige Erwartung,<br />
die ich an die Unternehmer habe,<br />
wurde in jüngster Zeit erfüllt: Dass sich<br />
die Unternehmen selbst darum kümmern,<br />
künftige Fachkräfte zu suchen und<br />
auszubilden. Sie nehmen möglichst frühzeitig<br />
mit den Schulen Kontakt auf und<br />
knüpfen die Verbindung Schule–Wirtschaft.<br />
Hier sind wir noch nicht am Ende<br />
des Wegs, aber ich bin froh, dass unsere<br />
Wirtschaft die Fachkräftesicherung inzwischen<br />
als Hauptthema erkannt hat.<br />
W+M: Als Landesväter sind Sie nicht nur<br />
gefordert, die aktuellen Regierungsgeschäfte<br />
zu führen. Sie müssen auch den<br />
Blick nach vorn richten und wichtige Weichenstellungen<br />
für die Zukunft vorantreiben.<br />
Wo sehen Sie Ihr Land – wirtschaftlich<br />
betrachtet – im Jahr 2030?<br />
Stanislaw Tillich: Wir wollen, dass in allen<br />
Landesteilen die Entwicklungsmöglichkeiten<br />
die gleichen sind. Ich folge<br />
nicht den Wirtschaftsforschern, die sagen,<br />
dass wir in Zukunft bestimmte entleerte<br />
Räume haben werden. Der Bürger<br />
selbst wird entscheiden, wo er zu wohnen<br />
gedenkt. 80 Prozent der Unternehmen<br />
und 60 Prozent der Arbeitsplätze befinden<br />
sich im ländlichen Raum, außerhalb<br />
von Dresden, Chemnitz und Leipzig.<br />
Wir müssen die Voraussetzungen schaffen,<br />
damit dies so bleibt. 2030 wird Sachsen<br />
nicht nur Hotspot in der Mikroelektronik<br />
sein, Sachsen wird ein industrielles<br />
Herz Deutschlands sein und hoffentlich<br />
aufgeschlossen haben zu Bayern und<br />
Baden-Württemberg.<br />
Dietmar Woidke: Wir sind auf dem<br />
Weg, ein Hochtechnologieland zu werden<br />
– speziell im Bereich der Luft- und<br />
Raumfahrt. Dabei sind wir gut beraten,<br />
der Fachkräftesituation unvermindert<br />
große Aufmerksamkeit zu schenken.<br />
Wir werden 2030 noch nicht das wirtschaftlich<br />
führende Bundesland sein,<br />
aber ein Bundesland mit einer starken<br />
Wirtschaft und einer dann noch deutlich<br />
niedrigeren Arbeitslosigkeit. Um das zu<br />
erreichen, werden wir unsere industriellen<br />
Kerne weiter stärken und wirtschaftlichen<br />
Aufschwung in allen Landesteilen<br />
sicherstellen.<br />
W+M: Wer wird im Ländervergleich dann<br />
die Nase vorn haben – Brandenburg oder<br />
Sachsen?<br />
Stanislaw Tillich: Brandenburg ist heute,<br />
was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />
rein nach dem Steueraufkommen<br />
betrifft, erfolgreicher als Sachsen. Beide<br />
Länder haben aber ein strukturelles Defizit.<br />
Der Brandenburger Norden ist schwächer<br />
als das Berliner Umland. Und unsere<br />
drei großen Städte Dresden, Leipzig<br />
und Chemnitz sind stärker als der Raum<br />
um sie herum. Für mich ist entscheidend,<br />
dass wir diese strukturellen Unterschiede<br />
beseitigen. Also, wenn Dresden so<br />
attraktiv ist, dass es den gleichen Wohlstand<br />
bis nach Zittau, Görlitz und Weißwasser<br />
trägt, dann bin ich zufrieden.<br />
Dietmar Woidke: Ostdeutschland befindet<br />
sich immer noch in einem wirtschaftlichen<br />
Aufholprozess. Wir sind auf einem<br />
guten Weg, aber es gibt viele Risiken.<br />
Deshalb müssen wir weiter hart arbeiten<br />
und vor allem ehrgeizig bleiben. Selbstzufriedenheit<br />
wäre fehl am Platz.<br />
Interview: Karsten Hintzmann<br />
und Frank Nehring<br />
Foto: Ralf Succo<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 5/<strong>2016</strong>