09.11.2016 Aufrufe

RA 11/2016 - Entscheidung des Monats

als Leseprobe

als Leseprobe

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Jura Intensiv


IMPRESSUM<br />

Herausgeberin:<br />

Chefredaktion:<br />

Redakteure:<br />

Chef vom Dienst:<br />

Abonnement:<br />

Bezugspreis:<br />

Nachbestellung:<br />

Werbung:<br />

Jura Intensiv Verlags UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG,<br />

Rathausplatz 22, 46562 Voerde, Tel.: 02855/96171-80; Fax: 02855/96171-82<br />

Internet: http://www.verlag.jura-intensiv.de - E-Mail: verlag@jura-intensiv.de<br />

Rechtsanwalt Oliver Soltner (V.i.S.d.P.)<br />

Theresa Bauerdick &<br />

Richterin am Amtsgericht Dr. Katharina Henzler (Zivilrecht)<br />

Assessor Dr. Dirk Schweinberger (Nebengebiete)<br />

Rechtsanwalt Dr. Dirk Kues (Öffentliches Recht)<br />

Rechtsanwalt Uwe Schumacher (Strafrecht)<br />

Ines Hickl<br />

Jura Intensiv<br />

Abonnement (monatlich kündbar) zum Vorzugspreis von 5,50 Euro/Heft,<br />

für ehemalige Kursteilnehmer von JU<strong>RA</strong> INTENSIV 4,99 Euro/Heft (regulärer<br />

Einzelpreis: 6,50 Euro/Heft) inkl. USt. und Versandkosten. Lieferung nur<br />

gegen Einzugsermächtigung. Lieferung erstmals im Monat nach Eingang<br />

<strong>des</strong> Abonnements, sofern nichts anderes vereinbart.<br />

Regulär 6,50 Euro/Heft. 12 Hefte pro Jahr. Ermäßigungen für Abonnenten.<br />

Einzelne Hefte können zum Preis von 6,50 Euro/Heft nachbestellt werden,<br />

solange der Vorrat reicht.<br />

Die <strong>RA</strong> steht externer Werbung offen. Mediadaten sind unter<br />

verlag@jura-intensiv.de erhältlich.


<strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2016</strong><br />

ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />

Strafrecht<br />

605<br />

Problem: Einverständnis in die Wegnahme bei § 249 I StGB<br />

Einordnung: Vermögensdelikte - Diebstahl und Raub<br />

OLG Braunschweig, Urteil vom 04.03.<strong>2016</strong><br />

1 Ss 65/15<br />

EINLEITUNG<br />

Das OLG Braunschweig befasst sich in der vorliegenden <strong>Entscheidung</strong> mit der<br />

Möglichkeit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses in die Wegnahme<br />

beim Raub. Während ein abgenötigtes Einverständnis den Tatbestand<br />

<strong>des</strong> § 249 I StGB nicht ausschließt, ist ein wirksames Einverständnis doch dann<br />

denkbar, wenn dieses bereits vor Einsatz <strong>des</strong> qualifizierten Nötigungsmittels<br />

erteilt wurde. Des Weiteren befasst sich das OLG mit der Auswirkung eines<br />

bestehenden Mitgewahrsams <strong>des</strong> Täters auf das Vorliegen einer Wegnahme.<br />

SACHVERHALT<br />

Am 26.05.2014 kam es zwischen dem Angeklagten A und der Zeugin D wieder<br />

einmal zu einem verbalen Streit. A machte D Vorwürfe, worauf hin diese den A<br />

der gemeinsamen Wohnung verwies und die Beziehung für beendet erklärte.<br />

Da A kein Geld für die Bahnfahrt nach T. zur Verfügung hatte, wo er vorerst eine<br />

Unterkunft finden könnte, und D nicht bereit war, ihm Geld zu geben, begab<br />

er sich in das Kinderzimmer seines <strong>11</strong>jährigen Sohnes H und bat diesen, ihm<br />

Geld aus <strong>des</strong>sen Spardose zu geben, in der dieser zusammen mit seiner Mutter<br />

D für ein eigenes Handy gespart hatte. Als D dies durch Festhalten <strong>des</strong> A verhindern<br />

wollte, packte A sie an beiden Armen und stieß diese nach hinten,<br />

sodass sie mit den Unterarmen an den unmittelbar hinter ihr stehenden<br />

Tisch schlug. Trotz der dabei erlittenen Schmerzen versuchte D weiterhin, A<br />

von seinem Vorhaben abzubringen, das Geld aus der Spardose zu nehmen,<br />

indem sie diesen kratzte, festhielt und bespuckte. A packte D von vorn an den<br />

Schultern und stieß diese mit ihrem Rücken mit voller Wucht gegen die Türgriffe<br />

<strong>des</strong> Schrankes im Kinderzimmer, sodass D erhebliche Schmerzen am<br />

Rücken erlitt. Nachdem A zunächst einen kurzen Moment von D abließ und<br />

sich weiter in Richtung der Spardose bewegte, packte sie den A von hinten<br />

am Arm, worauf dieser sich umdrehte und D kraftvoll so zu Boden schubste,<br />

dass diese erhebliche Schmerzen im Rippenbereich erlitt. Nachdem D wieder<br />

aufgestanden war und sich erneut auf A zubewegte, drängte A die D in die<br />

Schrankecke und würgte sie mehrere Sekunden, indem er mit beiden Händen<br />

ihren Hals zu drückte, wobei sich seine Daumen neben dem Kehlkopf der D<br />

befanden, woraufhin D zu Boden sackte und für ca. 5 Minuten das Bewusstsein<br />

verlor. Nachdem D ohnmächtig geworden war, forderte A den H auf, ihm die<br />

Spardose zu holen, was H, der Angst um seine Mutter hatte, auch tat. A öffnete<br />

die Spardose mittels eines Dosenöffners. H entnahm das in der Spardose<br />

befindliche Geld und gab A 24,00 €. A nahm das Geld an sich, um es für sich<br />

zum Kauf einer Bahnfahrkarte zu verwenden, was er dann auch tat, obwohl er<br />

wusste, dass er darauf keinen Anspruch hatte.<br />

Jura Intensiv<br />

LEITZSÄTZE (DER REDAKTION)<br />

1. Wegnahme ist der Bruch, d.h. die<br />

gegen (oder ohne) den Willen <strong>des</strong><br />

Berechtigten erfolgende Aufhebung<br />

<strong>des</strong> Gewahrsams <strong>des</strong> bisherigen<br />

Gewahrsamsinhabers und<br />

die gleichzeitige oder spätere<br />

Begründung neuen Gewahrsams<br />

für eine andere Person.<br />

2. Besteht gleichrangiger Mitgewahrsam,<br />

so genügt für die Wegnahme<br />

durch einen der Mitgewahrsamsinhaber<br />

der Bruch <strong>des</strong><br />

fremden Mitgewahrsams <strong>des</strong> oder<br />

der übrigen Mitgewahrsamsinhaber(s);<br />

in Über-/Unterordnungsverhältnissen<br />

begeht dagegen<br />

allein der Inhaber untergeordneten<br />

Gewahrsams einen Gewahrsamsbruch.<br />

Hat A sich wegen Raubes, § 249 I StGB, strafbar gemacht?


606 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2016</strong><br />

PRÜFUNGSSCHEMA: <strong>RA</strong>UB, § 249 I StGB<br />

A. Tatbestand<br />

I. Qualifiziertes Nötigungsmittel<br />

II. Fremde bewegliche Sache<br />

III. Wegnahme<br />

IV. Vorsatz bzgl. I. – III.<br />

V. Finalzusammenhang<br />

VI. Absicht rechtswidriger Zueignung<br />

B. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

BeckOK, StGB, § 249 Rn 5<br />

LÖSUNG<br />

Dadurch, dass er die D schubste und würgte und sich das Bargeld aus der<br />

Spardose <strong>des</strong> H verschaffte, könnte A sich wegen Raubes gem. § 249 I StGB<br />

strafbar gemacht haben.<br />

A. Tatbestand<br />

I. Qualifiziertes Nötigungsmittel<br />

A müsste ein qualifiziertes Nötigungsmittel, also Gewalt gegen eine Person<br />

oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eingesetzt<br />

haben.<br />

Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben lassen sich dem<br />

Sachverhalt nicht entnehmen. Dadurch, dass er die D mehrfach schubste und<br />

schließlich auch würgte, hat A jedoch einen unmittelbar auf den Körper <strong>des</strong><br />

Opfers bezogenen, körperlich wirkenden Zwang geleistet, um den geleisteten<br />

Widerstand der D zu überwinden. A hat also Gewalt gegen eine Person<br />

angewendet.<br />

Zwar richtet sich die Gewaltanwendung <strong>des</strong> A sich nicht gegen den Geschädigten<br />

H, sondern gegen eine dritte Person. Dies schließt den Tatbestand <strong>des</strong><br />

Raubes jedoch zumin<strong>des</strong>t dann nicht aus, wenn es sich – wie im vorliegenden<br />

Fall - um einen Dritten handelt, der bereit ist, das Vermögen <strong>des</strong> Opfers zu<br />

schützen.<br />

Jura Intensiv<br />

II. Fremde bewegliche Sache<br />

Die von A erbeuteten Geldscheine und Münzen stellen nicht nur bewegliche<br />

Sachen dar, sondern sind, weil sie im Eigentum <strong>des</strong> H stehen, für A auch fremd.<br />

III. Wegnahme<br />

A müsste die Sachen weggenommen haben.<br />

Allgemeine Voraussetzungen der<br />

Wegnahme<br />

Fischer, StGB, § 242 Rn 13<br />

„Wegnahme ist der Bruch, d.h. die gegen (oder ohne) den Willen <strong>des</strong><br />

Berechtigten erfolgende Aufhebung <strong>des</strong> Gewahrsams <strong>des</strong> bisherigen<br />

Gewahrsamsinhabers und die gleichzeitige oder spätere Begründung<br />

neuen Gewahrsams für eine andere Person. Gewahrsam wiederum<br />

ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft.<br />

Ob und wessen Gewahrsam an einer Sache besteht, ist nach den<br />

Umständen <strong>des</strong> Einzelfalls und den Anschauungen <strong>des</strong> Verkehrs oder<br />

<strong>des</strong> täglichen Lebens zu beurteilen. Für den Sachherrschaftswillen ist<br />

der natürliche Herrschaftswille über eine Sache maßgebend, so dass<br />

auch Kinder Gewahrsam haben können.


<strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2016</strong><br />

Strafrecht<br />

607<br />

Der Gewahrsam an einer Sache muss zudem nicht stets immer nur<br />

einer einzigen Person zustehen. Es können auch mehrere Personen<br />

Gewahrsam an einer Sache haben. Ein solcher Mitgewahrsam besteht,<br />

wenn mehrere Personen Träger der tatsächlichen Verfügungsgewalt an der<br />

Sache sind. Für die Frage <strong>des</strong> Gewahrsamsbruchs durch einen der Mitgewahrsamsinhaber<br />

ist dann das Rangverhältnis der Sachherrschaftsbeziehung<br />

entscheidend. Besteht gleichrangiger Mitgewahrsam,<br />

so genügt für die Wegnahme durch einen der Mitgewahrsamsinhaber<br />

der Bruch <strong>des</strong> fremden Mitgewahrsams <strong>des</strong> oder der übrigen<br />

Mitgewahrsamsinhaber(s). In Über-/Unterordnungsver hältnissen<br />

begeht dagegen allein der Inhaber untergeordneten Gewahrsams<br />

einen Gewahrsamsbruch. Im umgekehrten Fall, in dem der Träger<br />

übergeordneten Gewahrsams den Träger <strong>des</strong> untergeordneten<br />

Gewahrsams nunmehr völlig von der Sachherrschaft ausschließt, liegt<br />

dagegen keine Wegnahme vor. Da die Aufhebung <strong>des</strong> Gewahrsams<br />

ohne oder gegen den Willen <strong>des</strong> Gewahrsamsinhabers erfolgen muss,<br />

wirkt <strong>des</strong>sen Zustimmung somit bereits tatbestandsausschließend.<br />

Bei gleichgeordnetem Mitgewahrsam müssen daher alle Mitgewahrsamsinhaber<br />

einwilligen. Bei mehrstufigem Mitgewahrsam genügt es, wenn der<br />

Übergeordnete zustimmt. Auch hier ist der natürliche Wille <strong>des</strong> Gewahrsamsinhabers<br />

ausreichend.<br />

Nach den getroffenen Feststellungen befand sich das vom Angeklagten<br />

an sich genommene Geld in einer verschlossenen Spardose, die wiederum<br />

im Kinderzimmer <strong>des</strong> <strong>11</strong>jährigen gemeinsamen Sohnes <strong>des</strong> Angeklagten<br />

und der Zeugin D stand und diesem gehörte („<strong>des</strong>sen Spardose“). Das<br />

Kinderzimmer war Teil der gemeinsam von den Vorgenannten genutzten<br />

Wohnung, sodass sowohl das Kind als auch beide Eltern zum Kinderzimmer<br />

und folglich ebenso zur Spardose jederzeit ungehinderten Zutritt hatten.<br />

Nach der Verkehrsanschauung hatten neben dem kindlichen Zeugen<br />

H somit auch die Zeugin D und der Angeklagte Mitgewahrsam an der in<br />

ihrer Wohnung aufbewahrten Spardose ihres minderjährigen Sohnes und<br />

damit […] auch an deren Inhalt. Allerdings ist der Mitgewahrsam <strong>des</strong> Angeklagten<br />

und der Zeugin D im Verhältnis zu dem Mitgewahrsam <strong>des</strong> Zeugen<br />

H […] nach der Verkehrsanschauung als untergeordnet zu qualifizieren. Er<br />

war der Eigentümer und Verwahrer <strong>des</strong> fraglichen Gel<strong>des</strong>. Zudem stand er<br />

dieser Sache am nächsten und hatte die unmittelbare räumliche Einwirkungsmöglichkeit<br />

auf sie.<br />

Jura Intensiv<br />

Wegnahme bei Mitgewahrsam<br />

Fischer, StGB, § 242 Rn 16a<br />

Eine tatbestandliche Wegnahme scheidet daher nach oben Gesagtem<br />

aus, wenn die mit dem Ansichnehmen <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> durch den Angeklagten<br />

verbundene Aufhebung <strong>des</strong> bis dahin bestehenden übergeordneten<br />

Gewahrsams <strong>des</strong> Zeugen H nicht gegen <strong>des</strong>sen — frei gebildeten<br />

— Willen erfolgte. Dies teilt das Urteil aber nicht mit. Auf Seite 6 <strong>des</strong><br />

Urteils findet sich lediglich die Feststellung, dass der Angeklagte, nachdem<br />

die Zeugin D nicht bereit war, ihm Geld für den Erwerb einer Bahnfahrkarte<br />

zu überlassen, sich in das Kinderzimmer <strong>des</strong> Zeugen H begab und diesen<br />

bat, ihm Geld aus seiner Spardose zu geben. Ob der Zeuge H der Bitte nachkommen<br />

wollte, d.h. mit einem Gewahrsamswechsel bezüglich der erbetenen<br />

24,00 Euro einverstanden war, bleibt offen. Dies war der Kammer<br />

auch bewusst, denn sie führt im Rahmen ihrer rechtlichen Würdigung auf<br />

Seite 24 ihres Urteils aus: ‚Ein etwaiges Einverständnis <strong>des</strong> Zeugen H ist<br />

unerheblich, da es sich bei der Spardose um eine solche von Mutter und<br />

Sohn handelte, so dass die Zeugin D min<strong>des</strong>tens Mitgewahrsam an der<br />

Zum Erfordernis einer Freiwilligkeit<br />

<strong>des</strong> Einverständnisses: BGH, Urteil<br />

vom 16.01.1963, 2 StR 591/62


608 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2016</strong><br />

Spardose hatte‘. Diese Urteilspassage versteht der Senat im Hinblick auf die<br />

bereits wiedergegebene Feststellung auf Seite 6 <strong>des</strong> Urteils, dass es sich<br />

um die Spardose <strong>des</strong> Zeugen H (‚<strong>des</strong>sen Spardose‘) handelte, dahingehend,<br />

dass die Zeugin D lediglich auch Geld in diese eingezahlt hat, damit der<br />

Zeuge H sich seinen Wunsch nach einem eigenen Handy erfüllen kann. […]<br />

Das OLG stellt in der vorliegenden<br />

<strong>Entscheidung</strong> sehr stark auf die zu<br />

§ 242 I StGB entwickelten Kriterien<br />

für eine Wegnahme ab. Das ist im<br />

Hinblick auf den insofern identischen<br />

Wortlaut von § 242 I StGB und § 249 I<br />

StGB nachvollziehbar. Gerade das<br />

Vorliegen eines Gewahrsamsbruchs<br />

prüft die Rspr. ansonsten allerdings<br />

i.R.v. § 249 I StGB nicht, indem sie das<br />

Fehlen eines echten Einverständnisses<br />

<strong>des</strong> Opfers feststellt, sondern<br />

durch die Betrachtung <strong>des</strong> äußeren<br />

Erscheinungsbil<strong>des</strong> (sog. Spezialitätstheorie,<br />

vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 19.01.1999, 4 StR 663/98). Der<br />

Grund hierfür ist allerdings, dass<br />

die Rechtsprechung ein durch das<br />

qualifizierte Nötigungsmittel abgenötigtes<br />

Einverständnis <strong>des</strong> Opfers<br />

nicht als Tatbestandsausschluss<br />

berücksichtigen will, da ansonsten<br />

§ 249 I StGB weit gehend leer liefe.<br />

Wurde das Einverständnis <strong>des</strong> Opfers<br />

aber – wie im vorliegenden Fall –<br />

bereits vor der Nötigungshandlung<br />

<strong>des</strong> Täters erteilt, stellt sich dieses<br />

Problem jedoch nicht. Deshalb ist<br />

es nachvollziehbar, dass das OLG<br />

bei der Prüfung <strong>des</strong> Raubes letztlich<br />

doch vorgeht wie beim Diebstahl.<br />

Die herrschende Literatur stellt für<br />

das Vorliegen einer Wegnahme i.R.v.<br />

§ 249 I StGB auf die innere Willensrichtung<br />

<strong>des</strong> Opfers ab und nimmt<br />

eine solche an, wenn das Opfer nicht<br />

glaubt, den Gewahrsamswechsel<br />

verhindern zu können (sog. Exklusivitätstheorie,<br />

vgl. Joecks, StGB,<br />

§ 249 Rn 9, § 255 Rn 5).<br />

Da das Urteil nicht feststellt, dass der Angeklagte bei der Ansichnahme <strong>des</strong><br />

Gel<strong>des</strong> gegen (bzw. ohne) den Willen <strong>des</strong> Zeugen H handelte, trägt es die<br />

Annahme der Verwirklichung <strong>des</strong> Tatbestandsmerkmals der Wegnahme<br />

und damit eine Verurteilung wegen Raubes insgesamt nicht. Daran ändert<br />

auch die festgestellte, dem Gewahrsamswechsel vorausgegangene körperliche<br />

und verbale Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und der<br />

Zeugin D nichts. Zwar wäre unter dem Eindruck dieser Auseinandersetzung<br />

für eine auf einer freien Willensbildung beruhenden Aushändigung <strong>des</strong><br />

Gel<strong>des</strong> vom Zeugen H an den Angeklagten kein Raum. Die Feststellungen<br />

auf Seite 6 <strong>des</strong> Urteils ermöglichen aber keine Prüfung, ob der Zeuge H,<br />

der selbst das Geld der Spardose entnommen und dem Angeklagten übergeben<br />

hat, erst nach dem Beginn der von ihm beobachteten Auseinandersetzung<br />

mit dem Gewahrsamswechsel einverstanden war. Vielmehr legen<br />

die Feststellungen ‚Als die Zeugin D dies durch Festhalten <strong>des</strong> Angeklagten<br />

verhindern wollte, ...‘ nahe, dass der Zeuge H auf die vorangegangene<br />

Bitte <strong>des</strong> Angeklagten nach der Übergabe von Geld aus der Spardose zu<br />

erkennen gegeben hatte, dieser nachkommen zu wollen und erst dann<br />

die körperliche Auseinandersetzung einsetzte. Jedenfalls ist das nach den<br />

Urteilsfeststellungen nicht auszuschließen.“<br />

Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ist somit von einem Einverständnis<br />

<strong>des</strong> H in den Gewahrsamswechsel auszugehen. A hat das Geld also nicht<br />

weggenommen.<br />

B. Ergebnis<br />

A ist nicht strafbar gem. § 249 I StGB.<br />

Jura Intensiv<br />

FAZIT<br />

Ein interessanter Fall, der zeigt, dass es bei der Prüfung <strong>des</strong> extrem examensrelevanten<br />

Tatbestan<strong>des</strong> <strong>des</strong> § 249 I StGB nicht genügt, die Kriterien der Spezialitäts-<br />

und Exklusivitätstheorie abzuspulen, sondern man immer darauf achten<br />

muss, den Besonderheiten <strong>des</strong> Einzelfalles Rechnung zu tragen.<br />

Vom OLG nicht geprüft wurde eine Strafbarkeit <strong>des</strong> A wegen räuberischer<br />

Erpressung, §§ 253 I, 255 StGB, die aber daran scheitern dürfte, dass in dubio<br />

pro reo nicht die Gewaltanwendung <strong>des</strong> A kausal war für die Opferreaktion<br />

<strong>des</strong> H (Herausgabe <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>), sondern die ursprüngliche Bitte. Da keine<br />

Wegnahme und somit kein Diebstahl vorliegt, scheidet auch ein räuberischer<br />

Diebstahl, § 252 StGB, aus. Erpresserischer Menschenraub, § 239a I 1. Fall<br />

StGB, und Geiselnahme, § 239b I 1. Fall StGB, sind nicht gegeben, da A die<br />

Tatsituation weder zu einer Erpressung noch zu einer qualifizierten Nötigung<br />

ausnutzen will.


Unsere Skriptenreihen<br />

Stand: November <strong>2016</strong><br />

Grundwissen – Pocketreihe<br />

NEU!<br />

NEU!<br />

NEU!<br />

NEU!<br />

Pocket Strafrecht AT <strong>2016</strong> 14,90 €<br />

Pocket Strafrecht BT I 2015 12,90 €<br />

Pocket Strafrecht BT II 2015 14,90 €<br />

Pocket Verwaltungsrecht AT &<br />

Verwaltungsprozessrecht 2015 14,90 €<br />

Pocket Handelsrecht <strong>2016</strong> 14,90 €<br />

Pocket Steuerrecht <strong>2016</strong> 16,90 €<br />

Skriptenreihe<br />

BGB AT 2014 23,90 €<br />

Schuldrecht AT <strong>2016</strong> 26,90 €<br />

Kaufrecht<br />

in Überarbeitung<br />

Arbeitsrecht 2015 24,90 €<br />

Grundrechte 2015 26,90 €<br />

Verwaltungsrecht AT 2015 23,90 €<br />

Verwaltungsprozessrecht <strong>2016</strong> 25,90 €<br />

Strafrecht AT I <strong>2016</strong> 23,90 €<br />

Strafrecht AT II 2015 24,90 €<br />

Strafrecht BT I <strong>2016</strong> 26,90 €<br />

Strafrecht BT II <strong>2016</strong> 23,90 €<br />

Irrtumslehre <strong>2016</strong> Einführungspreis 9,90 €<br />

Crashkursreihe<br />

Jura Intensiv<br />

Crashkurs Zivilrecht <strong>2016</strong> 22,90 €<br />

Crashkurs Strafrecht <strong>2016</strong> 19,90 €<br />

Crashkurs Öffentliches Recht<br />

Baden-Württemberg 2015 22,90 €<br />

Bayern <strong>2016</strong> Einführungspreis 19,90 €<br />

Berlin <strong>2016</strong> 22,90 €<br />

Hessen 2015 22,90 €<br />

Niedersachsen <strong>2016</strong> Einführungspreis 19,90 €<br />

Nordrhein-Westfalen 2015 22,90 €<br />

Rheinland-Pfalz 2015 22,90 €<br />

Saarland <strong>2016</strong> 22,90 €<br />

Sachsen <strong>2016</strong> Einführungspreis 19,90 €<br />

Sachsen-Anhalt <strong>2016</strong> Einführungspreis 19,90 €<br />

Thüringen <strong>2016</strong> Einführungspreis 19,90 €<br />

Crashkurs Handelsrecht <strong>2016</strong> 14,90 €<br />

Crashkurs Arbeitsrecht <strong>2016</strong> 16,90 €<br />

Crashkurs Gesellschaftsrecht <strong>2016</strong> 14,90 €


Jura Intensiv<br />

<strong>RA</strong> DIGITAL<br />

<strong>11</strong>/<strong>2016</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!