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Kompendium_Digitaler-Bildungspakt

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Politische Geleitworte<br />

Saskia Esken, Mitglied<br />

des Deutschen Bundestages;<br />

Berichterstatterin<br />

für digitale Bildung der<br />

SPD-Bundestagsfraktion<br />

Sven Volmering, Mitglied<br />

des Deutschen Bundestages;<br />

Berichterstatter für digitale<br />

Bildung, Bildungsforschung<br />

und Medienkompetenz der<br />

CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

Digitale Bildung birgt das Versprechen, dass die Menschen<br />

am digitalen Wandel und seinen besonderen<br />

Chancen teilhaben können. Der souveräne Zugang<br />

zum Wissen dieser Welt, zum Leben und Arbeiten in<br />

der digitalen Welt muss allen offenstehen.<br />

Ich bin beeindruckt von der gut vernetzten Community<br />

leidenschaftlich Lehrender an Schulen und<br />

Hochschulen, die mit neuen Formaten und digitalen<br />

Medien experimentieren und dabei eine neue Lehrund<br />

Lernkultur entwickeln. Doch in der Breite der<br />

Bildungsinstitutionen ist die Nutzung von Lern-Apps,<br />

Open Educational Resources, MOOCs und Co. noch<br />

nicht angekommen.<br />

Viele Lehrkräfte sind unsicher, wie sie digitale Formate<br />

in den Unterricht einbringen sollen. Wir müssen in<br />

die technische Ausstattung investieren – und deshalb<br />

durch die Abschaffung des Kooperationsverbots die<br />

Möglichkeit schaffen, dass der Bund sich inanziell<br />

für bessere Schulen engagieren darf. Damit digitale<br />

Bildung auf breiter Front Einzug hält, fehlen aber mehr<br />

als Breitband und digitale Endgeräte. Es braucht eine<br />

systematische Förderung offener digitaler Lernmaterialien,<br />

und die Lehrenden brauchen Freiräume, Mut<br />

und die notwendigen Kompetenzen für den digitalen<br />

Wandel im Lehren und Lernen.<br />

2016 wird ein gutes Jahr für die Digitale Bildung werden.<br />

Im November wird der IT-Gipfel sich schwerpunktmäßig<br />

mit diesem Thema auseinandersetzen; dazu<br />

nähert sich die Entwicklung der Strategie „Digitales<br />

Lernen“ durch Bund und Länder dem Ende. Damit wird<br />

sowohl der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD,<br />

als auch der von den Koalitionsfraktionen initiierte sowie<br />

im Bundestag 2015 verabschiedete Antrag „Durch<br />

Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz<br />

fördern und digitale Spaltung überwinden“ umgesetzt.<br />

Es wird Zeit, dass konkrete Taten folgen. Ich freue mich<br />

sehr, dass Bundesbildungsministerin Johanna Wanka<br />

auf Grundlage dieses Antrags den „DigitalPakt#D“<br />

angekündigt hat, der vorsieht, bis zu fünf Milliarden<br />

Euro den Schulträgern für die digitale Ausstattung an<br />

Grundschulen, weiterführenden allgemeinbildenden<br />

Schulen und berulichen Schulen zur Verfügung zu<br />

stellen. Im Gegenzug entwickeln die Länder pädagogische<br />

Konzepte und passen Lehreraus-/fortbildung den<br />

Anforderungen der Digitalisierung an. Damit leistet der<br />

Bund einen enormen Beitrag dazu, die Schülerinnen<br />

und Schüler it für die Zukunft zu machen. Bei diesem<br />

Prozess braucht Deutschland wie bei der Plattform<br />

Industrie 4.0 das Engagement der Wirtschaft und ihrer<br />

Unternehmen, auf das ich weiterhin zähle.<br />

3


Ein digitaler <strong>Bildungspakt</strong> für Deutschland<br />

Unser Alltag und unser Leben, unsere Umwelt und<br />

unsere Beziehungen sind digital geprägt. Wer daran<br />

teilhaben will, braucht digitales Grundwissen – und<br />

dieses Know-How müssen in erster Linie die Bildungseinrichtungen<br />

vermitteln: Nur mit ihrer Hilfe<br />

kann es gelingen, Menschen aller Altersstufen mit<br />

den Kompetenzen auszustatten, die für gesellschaftliche<br />

Partizipation notwendig sind. Im Wissen um<br />

diese Aufgabe haben sich verschiedene Initiativen<br />

und Verbände, Bildungsanbieter und Unternehmen<br />

zum „Digitalen <strong>Bildungspakt</strong>“ zusammengeschlossen.<br />

Wir setzen uns dafür ein, dass alle Bildungseinrichtungen<br />

lächendeckend in die Lage versetzt werden,<br />

die geschilderten Aufgaben erfüllen zu können. Wir<br />

appellieren an die gemeinsame Verantwortung von<br />

staatlichen, zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Akteuren für eine nachhaltige, zukunftsfähige<br />

Bildung - gerade auch im internationalen<br />

Vergleich. Für diese Broschüre haben wir eine Reihe<br />

gemeinsamer politischer Handlungsempfehlungen<br />

entwickelt und Experten gebeten, sich zu diesen<br />

Handlungsfeldern zu äußern.<br />

Australien<br />

Niederlande<br />

Hongkong<br />

Litauen<br />

Dänemark<br />

Norwegen<br />

OECD-Mittelwert<br />

Türkei<br />

Thailand<br />

Polen<br />

Kroatien<br />

Deutschland<br />

Lehrer, die täglich den Computer im Unterricht einsetzen<br />

9,1 %<br />

18,4 %<br />

16,8 %<br />

23,8 %<br />

22,7 %<br />

35,9 %<br />

34,2 %<br />

46,0 %<br />

43,0 %<br />

40,2 %<br />

50,8 %<br />

66,0 %<br />

„In keinem anderen<br />

Teilnehmerland setzen<br />

Lehrkräfte Computer<br />

seltener im Unterricht<br />

ein als in Deutschland.“<br />

(Quelle: ICILS; ausgewählte Länder)<br />

4


5


Wir brauchen<br />

einen nationalen Aktionsplan und<br />

ein Investitionsprogramm für Bildung<br />

in der digitalen Welt.<br />

Die Bundesregierung hat mit der Ankündigung<br />

einer Bildungsoffensive und dem Vorschlag<br />

eines DigitalPakt#D zwischen Bund<br />

und Ländern einen wichtigen Schritt in Richtung<br />

einer gemeinsamen Strategie und eines<br />

gemeinsamen Aktionsplans für Bildung in<br />

der digitalen Welt gemacht.<br />

Nun kommt es darauf an, wie Strategie und<br />

Umsetzung zwischen Bund und Ländern konkret<br />

ausgestaltet werden soll.<br />

Mit einem nationalen Aktionsplan und einem<br />

nationalen Investitionsprogramm sollte<br />

langfristig und lächendeckend sichergestellt<br />

werden, dass alle Bildungseinrichtungen in<br />

Deutschland die notwendigen Voraussetzungen<br />

und Rahmenbedingungen haben,<br />

um Lernenden die Kompetenzen zu vermitteln,<br />

die sie für eine digitale Gesellschaft und<br />

Arbeitswelt benötigen.<br />

Ziele und Handlungsrahmen des Aktionsplans<br />

könnten mittelfristig in einem Staatsvertrag<br />

für „Bildung in der digitalen Welt“<br />

festgelegt werden. Dieser sollte unter anderem<br />

Mindeststandards für digitale Informations-<br />

und Medienkompetenz und informatische<br />

Grundbildung deinieren. Auch muss<br />

es um konkrete Maßnahmen wie die Bereitstellung<br />

der notwendigen technischen Infrastrukturen,<br />

die Entwicklung didaktischer<br />

Konzepte und die Aus- und Fortbildung von<br />

Pädagogen und Lehrkräften gehen.<br />

Damit der Staatsvertrag nachhaltig Wirkung<br />

entfalten kann, ist ein nationales Investitionsprogramm<br />

notwendig, um die entspre-<br />

6


chenden Voraussetzungen unter anderem im<br />

Bereich der technischen Infrastrukturen zu<br />

schaffen. Neben einer Anschubinanzierung<br />

bedarf es eines nachhaltigen Finanzierungskonzepts,<br />

das die Umsetzung der im Staatsvertrag<br />

festgelegten Ziele sicherstellt.<br />

Der Finanzierungsbedarf und die Finanzierungsmöglichkeiten<br />

sollten in Zusammenarbeit<br />

zwischen Bund, Ländern und Kommunen<br />

ermittelt werden.<br />

Dabei gilt es, die Kooperationsmöglichkeiten,<br />

die Bund, Länder und Kommunen bereits<br />

heute zur Finanzierung haben, auszuschöpfen<br />

und den Bildungseinrichtungen<br />

mehr Autonomie zu geben, beispielweise<br />

durch Bildungshaushalte für Digitales für<br />

jede Schule.<br />

Wir regen weiterhin an, Stakeholder aus<br />

Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in<br />

einen nationalen Aktionsplan mit einzubeziehen.<br />

Denn nur so ist gewährleistet, dass<br />

Menschen entlang der gesamten Bildungskette<br />

erfolgreich für Leben und Arbeiten in<br />

einer digitalen Welt gerüstet sind.<br />

1 %<br />

Würde man einen<br />

Prozentpunkt der Mehrwertsteuer für<br />

digitale Bildung aufwenden, stünden<br />

pro Jahr rund 10 Milliarden Euro<br />

zusätzlich an Mitteln für ein nationales<br />

Investitionsprogramm und nahezu<br />

1000 Euro pro Schüler zur Verfügung.<br />

7


Wir brauchen<br />

verbindliche Bildungsstandards<br />

für die digitale Welt.<br />

Damit nachhaltiges Lernen nicht vom<br />

Zufall oder vom Engagement einzelner<br />

Bildungseinrichtungen oder<br />

Lehrkräften abhängt, müssen sich<br />

die Kultusministerien auf verbindliche<br />

länder- und fächerübergreifende<br />

Bildungsstandards für das Lernen<br />

und Lehren in der digitalen Welt einigen.<br />

Dies umfasst sowohl Standards<br />

für digitale Informations- und Medienkompetenz<br />

und informatische<br />

Grundbildung als auch die didaktisch-pädagogischen<br />

Standards.<br />

Die dafür notwendigen Inhalte und<br />

didaktischen Konzepte müssen von<br />

der Landespolitik zügig in den Lehrplänen<br />

und in der Aus-, Fort- und<br />

Weiterbildung der Lehrkräfte verankert<br />

werden.<br />

99 % der Schüler<br />

wollen mehr<br />

digitale Themen<br />

im Unterricht.<br />

(Quelle: Bitkom)<br />

8


Franz-Reinhard Habbel (r.),<br />

Sprecher, und Uwe Lübking,<br />

Beigeordneter des<br />

Deutschen Städte- und<br />

Gemeindebundes<br />

„Digitale Bildung<br />

stärkt Menschen<br />

und Unternehmen“<br />

Bildung in der digitalen Welt stärkt Bürger und<br />

Wirtschaft. Das deutsche Bildungssystem ist hier<br />

gefordert. Die Chancengerechtigkeit muss verbessert,<br />

Ganztagsschulen und das inklusive Bildungsangebot<br />

ausgebaut und die digitale Bildung vorangetrieben<br />

werden. Wir müssen in der Bildung viel<br />

stärker die Potenziale der digitalen Technologien<br />

nutzen und damit lexibles und ortsunabhängiges<br />

Lernen erschließen, individualisiertes und kooperatives<br />

Lernen erleichtern, aber auch inklusive Bildungsansätze<br />

unterstützen.<br />

Digitale Bildung kostet Geld<br />

Schon jetzt reichen die Mittel der Kommunen für<br />

die Renovierung und Modernisierung von Gebäuden<br />

vorn und hinten nicht. Der Investitionsbedarf<br />

liegt bei 34 Milliarden Euro. Der Bund sollte sich<br />

im Rahmen eines Investitionsprogramms zur<br />

Modernisierung von Schulen an den Aufwendungen<br />

der Kommunen beteiligen können. Investitionen<br />

in die Bildung reduzieren nicht zuletzt spätere Aufwendungen<br />

für Sozialleistungen. Ausdrücklich zu<br />

begrüßen ist der Vorschlag der Bundesbildungsministerin,<br />

die 40.000 Schulen mit einer Breitbandanbindung,<br />

Computern und WLAN zu versorgen.<br />

Der Bund will bis 2021 fünf Milliarden Euro für<br />

ein Projekt mit den Ländern „DigitalPakt#D“<br />

zur Verfügung stellen. Das ist richtig und notwendig.<br />

Eine Mitinanzierung des Bundes im<br />

Bereich Bildung ist unverzichtbar.<br />

Die Länder stehen in der Plicht, die Medienbildung<br />

in den Lehr- und Bildungsplänen zu verankern.<br />

Die Kultusministerkonferenz muss einheitliche<br />

Mindeststandards zur schulischen Medienkompetenz<br />

erarbeiten, die Freiräume für Schulen enthalten,<br />

eigene Visionen vom Lernen in einer digitalen<br />

Zeit zu entwickeln. Eine weitere Grundvoraussetzung<br />

ist das Vorhandensein der entsprechenden<br />

technischen Infrastruktur, die den Schülerinnen<br />

und Schülern vernetztes Lernen ermöglicht.<br />

9


Lena-Sophie Müller,<br />

Geschäftsführerin<br />

der Initiative D21 e. V.<br />

Digitalisierung ist Alltag. Ob es die Familien-<br />

WhatsApp-Gruppe ist, in der man Bilder vom<br />

Nachwuchs teilt, oder die Armbanduhr, die erinnert,<br />

heute noch 1000 Schritte zu gehen. Digitalisierung<br />

ist aber auch der Geldautomat um die<br />

Ecke, das Navigationsgerät im Auto und Algorithmen,<br />

die entscheiden, was uns im Netz bei Suchmaschinen<br />

oder anderen digitalen Plattformen<br />

vorgeschlagen wird. In dieser digitalisierten Welt<br />

benötigt die Gesellschaft auch neue Kompetenzen:<br />

Digitalkompetenzen, also ein Rechts-, Sicherheitsund<br />

Datenbewusstsein, gestalterische, technische<br />

und problemlösende Fertig- und Fähigkeiten<br />

sowie soziale Kompetenz. Sie sind für das selbstbestimmte<br />

Navigieren durch die Digitale Welt<br />

ebenso wichtig wie Lesen, Schreiben, Rechnen<br />

und müssen ebenso gelehrt werden.<br />

Lernen unter der Maßgabe einer digitalisierten<br />

Gesellschaft<br />

Momentan jedoch liefert das Bildungssystem an<br />

diesem Punkt zu wenig: Es ist an vielen Stellen alltagsfremd<br />

und damit eine Zukunftsbremse. Dabei<br />

muss Bildung den digitalen Wandel der Gesellschaft<br />

nachvollziehen und das Lernen unter der<br />

Maßgabe einer digitalisierten Gesellschaft umsetzen.<br />

Die Vermittlung von Digitalkompetenzen ist<br />

Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und<br />

Schlüssel zu einem erfolgreichen Berufsleben und<br />

absolut notwendig für ein selbstbestimmtes Leben.<br />

„Das Bildungssystem<br />

liefert zu wenig.“<br />

Wer nicht ankommt in der Welt des Digitalen,<br />

wer die Regeln nicht verstehen lernt und die<br />

Chancen nicht für sich zu nutzen weiß, wird im<br />

21. Jahrhundert zunehmend benachteiligt sein.<br />

Und das gilt nicht nur für den Jugendlichen, der<br />

digitale Selbstbestimmtheit als Voraussetzung für<br />

einen gelungenen Start ins Berufsleben benötigt,<br />

sondern in gleichem Maße für alle Menschen.<br />

Jede Zeit hat ihre Herausforderung – die Gestaltung<br />

einer digital selbstbestimmten Gesellschaft<br />

ist unsere.<br />

10


11


Wir brauchen<br />

Konzepte für Chancengerechtigkeit<br />

in der digitalen Welt.<br />

Lernen und Lehren mit digitalen<br />

Medien bieten die Chance für mehr<br />

Bildungsgerechtigkeit: Der Zugang<br />

zu Bildungsinhalten und Lernmitteln<br />

wird einfacher; individualisiertes,<br />

zeit- und ortsunabhängiges Lernen<br />

wird erleichtert. Neue Lernformen<br />

wirken motivationssteigernd, das<br />

informelle Lernen wird gestärkt,<br />

und digitale Kommunikationsmittel<br />

unterstützen den Austausch zwischen<br />

Lernenden und ihren Lehrkräften<br />

auch außerhalb von Bildungseinrichtungen.<br />

Um diejenigen, die bisher einen<br />

schwierigeren Zugang zu Bildungsangeboten<br />

haben – sei es durch soziale<br />

Herkunft oder weil sie in struktur-<br />

schwachen Regionen leben –, möglichst<br />

früh zu erreichen, müssen alle<br />

Bildungseinrichtungen, auch jenseits<br />

von Kindergärten und Schulen,<br />

bei der Entwicklung und Umsetzung<br />

entsprechender Förderangebote sowie<br />

Bildungspartnerschaften mit Eltern<br />

und anderen außerschulischen<br />

Akteuren unterstützt werden. Wenn<br />

nicht alle Kinder auf diesem Weg<br />

mitgenommen werden, droht in<br />

Deutschland ein zunehmender digitaler<br />

Analphabetismus.<br />

90 % aller<br />

Berufe erfordern<br />

künftig digitale<br />

Kompetenzen.<br />

(Quelle: EU)<br />

12


Hila Azadzoy, Gesellschafterin<br />

und Head of Academics<br />

bei Kiron Open Higher Education<br />

Kiron Open Higher Education ist die weltweit<br />

erste Bildungsplattform, die Gelüchteten<br />

einen barrierefreien Zugang zu Hochschulbildung<br />

ermöglicht. Das innovative<br />

Bildungskonzept umfasst ein bis zwei Jahre<br />

Online-Studium auf einer eigens dafür<br />

entworfenen Plattform sowie ein darauffolgendes<br />

Präsenzstudium an einer der<br />

Partnerhochschulen von Kiron.<br />

Um für Gelüchtete langfristige Perspektiven<br />

im jeweiligen Gastland zu schaffen, verfolgt<br />

Kiron einen digitalen Lösungsansatz für eine<br />

globale Herausforderung.<br />

Kiron möchte gelüchteten Menschen die<br />

gleichen Chancen auf Bildungserfolg in<br />

Aussicht stellen, da sie in der Aufnahme<br />

eines Studiums etlichen Barrieren gegenüberstehen,<br />

welche ein oft langes Warten<br />

und Nichtstun mit sich bringen. Bildung<br />

stellt dabei nicht nur ein Schlüsselelement<br />

für eine gelungene Integration dar, sondern<br />

befähigt Gelüchtete gleichermaßen, in ein<br />

selbstbestimmtes Leben zurückzukehren.<br />

Das skalierbare Modell der Kiron Online-<br />

Plattform bringt einen virtuellen Raum<br />

hervor, welcher mit wenig Ressourcen<br />

möglichst vielen Menschen unabhängig von<br />

möglichen Hürden wie Sprachkenntnissen,<br />

inanziellen Mitteln oder fehlenden Dokumenten<br />

den Zugang zu Hochschulbildung<br />

bereitstellt, um Bildung als das zu erfahren,<br />

was sie sein sollte: ein Grundrecht.<br />

„Bildung soll als das erfahren<br />

werden, was sie sein sollte:<br />

ein Grundrecht.“<br />

13


Martin Drechsler,<br />

Geschäftsführer der<br />

Freiwilligen Selbstkontrolle<br />

Multimedia-Diensteanbieter<br />

(FSM e. V.)<br />

Alle Kinder haben den gleichen Anspruch<br />

auf Zugang zu Bildung, unabhängig von<br />

wirtschaftlichen Möglichkeiten, sozialer<br />

Zugehörigkeit oder dem Bildungsgrad ihrer<br />

Eltern. Was selbstverständlich scheint und<br />

sich aus dem allgemeinen Gleichheitsgebot<br />

des Grundgesetzes ergibt, stellt Staat und<br />

Gesellschaft seit jeher vor Herausforderungen.<br />

Auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit<br />

sind strukturelle und inhaltliche<br />

Aspekte zu bedenken, die heutzutage auch<br />

das Digitale umfassen müssen.<br />

Die Möglichkeiten digitaler Medien rütteln<br />

am schulischen Hoheitsanspruch, dominierender<br />

Lernraum zu sein: Lernen ist nicht<br />

länger an Ort und Zeit gebunden und die<br />

Bedeutung informeller Lernprozesse steigt.<br />

Strukturell bedarf es daher eines stärkeren<br />

sozialräumlichen, lebensweltorientierten<br />

und den digitalen Raum umfassenden<br />

Agierens, das sowohl die Vernetzung und<br />

Kooperation von Bildungs- und Erziehungseinrichtungen<br />

als auch die eminent wichtige<br />

Rolle der Eltern und die Erwartungen<br />

und Bedürfnisse der Lernenden selbst<br />

berücksichtigt.<br />

„Digitale Medien als<br />

Katalysator für<br />

Bildungsgerechtigkeit?“<br />

Veränderung einer Lernkultur<br />

Inhaltlich wirken digitale Medien als Katalysator<br />

für die Veränderung einer Lernkultur,<br />

die individuelle Stärken und Schwächen der<br />

einzelnen SchülerInnen fokussiert und das<br />

eigenverantwortliche Lernen, Entdecken<br />

und Relektieren unterstützt. Wir müssen<br />

verstehen und akzeptieren, dass digitale<br />

Medien Bildung und Erziehung verändern,<br />

und wir müssen noch deutlicher ihren<br />

Einluss auf die ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung<br />

junger Menschen wertschätzen.<br />

Allein die Verbreitung technischer<br />

Geräte und die Verfügbarkeit digitaler<br />

Lernmittel führt dabei nicht automatisch<br />

14


zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Vielmehr ist<br />

die inhaltliche und konzeptionelle Nutzung<br />

digitaler Medien entscheidend. Ziel muss es<br />

deshalb sein, digitale Medienbildung in den<br />

Curricula der Bildungsinstitutionen besser<br />

zu verankern. Digitale Medien müssen erfahrbar<br />

gemacht sowie kreativ und relexiv<br />

in Lernarrangements genutzt werden.<br />

Gerechter Zugang für alle<br />

Dabei unterstützt eine Bündelung von Erfahrungen<br />

und Expertise der unterschiedlichsten<br />

Bildungs- und Erziehungsinstitutionen,<br />

die Bedürfnisse der Lernenden besser zu<br />

verstehen. Dazu bedarf es nicht nur einer<br />

gründlichen Zielgruppenanalyse, sondern<br />

insbesondere auch einer milieuspeziischen<br />

Ansprache und Methodik. Lebenslanges<br />

Lernen wird durch digitale Medien<br />

erleichtert. Dass die Chancen auf einen<br />

gerechteren Zugang für alle mit diesen<br />

Möglichkeiten schritthalten, ist die neue<br />

Herausforderung für die Gesellschaft.<br />

Chancengerechtigkeit – auch eine Frage des Wohnorts<br />

Breitbandinternet – so viel Prozent der Haushalte in Deutschland stand in 2015<br />

eine Downloadrate von mindestens 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung<br />

26 %<br />

Downloadrate<br />

von mindestens 50 Megabit<br />

Ländliche Gemeinden<br />

85 %<br />

Städtische Gemeinden<br />

Downloadrate<br />

unter 50 Megabit<br />

(Quelle: BMVI, TÜV Rheinland, IW Köln)<br />

15


Wir brauchen<br />

Bildung für die digitale Welt<br />

entlang der gesamten Bildungskette.<br />

Die fortschreitende Prägung der<br />

Lebens- und Arbeitswelt durch Digitalisierung<br />

ist keine vorübergehende<br />

Erscheinung.<br />

Deshalb müssen das Lehren und Lernen<br />

mit und über digitale Medien<br />

und andere Systeme, Phänomene<br />

und Situationen der digitalen Welt<br />

entlang der gesamten Bildungskette<br />

entwickelt werden: von der Kita<br />

über die Schulen, die Ausbildung,<br />

das Studium bis hin zu Angeboten<br />

des lebenslangen Lernens. Alle daran<br />

beteiligten Bildungseinrichtungen<br />

müssen kapazitativ und konzeptionell<br />

dazu in die Lage versetzt werden,<br />

entsprechende Bildungskonzepte zu<br />

entwickeln und umzusetzen.<br />

Dazu braucht es eine kontinuierliche<br />

Finanzierung in der Fläche und nicht<br />

nur die Förderung von Leuchtturmprojekten.<br />

Bildungs- und Erziehungsinstitutionen<br />

müssen sich stärker<br />

vernetzen und kooperieren, um insbesondere<br />

die Übergänge zwischen<br />

einzelnen Einrichtungen erfolgreich<br />

zu gestalten.<br />

30 % der Achtklässler<br />

haben nur rudimentäre<br />

digitale Kompetenzen.<br />

(Quelle: ICILS)<br />

16


Michael Kerres,<br />

Professor für Mediendidaktik<br />

und Wissensmanagement an<br />

der Universität Duisburg-Essen<br />

„Digitale Transformation<br />

braucht andere Formen des<br />

Lernens“<br />

Regelmäßig hören wir, dass die digitalen<br />

Medien das Lernen und das Lehren wesentlich<br />

verändern werden. Doch in der vielfach<br />

genutzten Rede von der „Wirkung“ digitaler<br />

Medien auf die Bildung verbirgt sich ein<br />

problematisches Verständnis der Medien.<br />

Die digitale Technik bewirkt nämlich nicht<br />

„unweigerlich“ diese oder jene Entwicklung<br />

in der Bildung.<br />

Wir können sogar auf Grundlage vieler<br />

Untersuchungen davon ausgehen, dass<br />

die Medien das Lehren und Lernen nicht<br />

a priori verändern. Sie haben allerdings das<br />

Potenzial, dass wir Lernprozesse mit digitalen<br />

Medien anders gestalten können:<br />

Mediengestützte Lernarrangements können<br />

so angelegt sein, dass sie die Selbststeuerung<br />

beim Lernen, das gemeinsame Lernen<br />

oder die Flexibilisierung fördern, die der<br />

Vielfalt der Lernenden entgegenkommt.<br />

Es hängt von der Aufbereitung der Medien<br />

ab, ob sich bestimmte Erwartungen, die mit<br />

den Medien verbunden sind, einlösen lassen.<br />

Der Blick wendet sich damit: Es ist nicht die<br />

Technik, die Bildung verändert, sondern<br />

Menschen können Bildung verändern – um<br />

ein anderes Lernen mit digitalen Medien zu<br />

entwickeln, um eine Lernkultur zu etablieren,<br />

die das selbstgesteuerte genauso wie<br />

das kooperative Lernen oder das problembasierte<br />

Lernen mit vielfältigen Materialien<br />

in den Mittelpunkt stellt.<br />

Ein solcher Wandel von Lernkultur lässt<br />

sich oftmals nur schwer erzielen. Die<br />

„digitale Transformation“ wird aber sicher<br />

scheitern, wenn wir davon ausgehen, dass<br />

sie durch den Einsatz der Technik selbst<br />

bewirkt wird. Wenn wir jedoch andere Formen<br />

des Lernens einführen wollen, dann<br />

ist dies als ein umfassender und länger<br />

anhaltender Change-Prozess zu gestalten.<br />

17


Andreas Schleicher,<br />

Direktor für Bildung der OECD;<br />

Internationaler Koordinator<br />

des „Program for International<br />

Student Assessment“<br />

(PISA-Studien)<br />

„Wir sind Lichtjahre<br />

davon entfernt, die Früchte<br />

der Technologie für die<br />

Bildung zu ernten“<br />

Schüler, die nicht in der Lage sind, in der<br />

komplexen digitalen Landschaft zu navigieren,<br />

nehmen nicht mehr vollständig am<br />

wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen<br />

Leben um sie herum teil. Wir erwarten<br />

von Schulen, dass sie unsere Kinder zu<br />

kritischem Umgang mit dem Internet und<br />

den elektronischen Medien erziehen. Sie<br />

sollen ein Bewusstsein schaffen für Risiken,<br />

denen Kinder online ausgesetzt sind und<br />

wie sie diese vermeiden können.<br />

Warum sollten Schüler sich auf ein Lehrbuch<br />

beschränken, das zwei Jahre zuvor gedruckt<br />

und vielleicht zehn Jahre zuvor erstellt<br />

wurde, wenn ihnen die weltweit besten und<br />

aktuellsten Lehrmaterialien offenstehen?<br />

Ebenso wichtig ist, dass Lehrern und Schülern<br />

durch die Technologie spezielles Lehrmaterial<br />

jenseits der Lehrbücher zugänglich<br />

ist, in zahlreichen Formaten und mit wenigen<br />

zeitlichen und räumlichen Beschränkungen.<br />

Unterstützung der Pädagogik durch<br />

Technologie<br />

Die Technologie bietet außerdem eine<br />

Plattform, auf der Lehrer Unterrichtsmaterial<br />

gemeinsam erarbeiten, teilen und erweitern<br />

können. Am wichtigsten aber ist vielleicht,<br />

dass Technologie eine neue Pädagogik<br />

unterstützen kann, die sich auf Lernende als<br />

aktive Teilnehmer fokussiert, sei es durch experimentelles<br />

oder projektbasiertes Lernen,<br />

praktische Aktivitäten und kooperatives<br />

Lernen oder höchst interaktiv durch nichtlineare<br />

Lernsoftware in modernem Design<br />

sowie durch bildendes Gaming.<br />

Wir sind noch immer Lichtjahre davon entfernt,<br />

die Früchte der Technologie im Bereich<br />

der Bildung zu ernten. Die PISA-Studie zeigt<br />

keinerlei Verbesserungen der Lernergeb-<br />

18


nisse in den Ländern auf, die am stärksten<br />

in Technologie an Schulen investiert haben.<br />

Das kann bedeuten, dass die Technologie<br />

des 21. Jahrhunderts verbunden mit der<br />

Lehrpraxis des 20. Jahrhunderts die Wirksamkeit<br />

auf das Lernen verwässert. Mit<br />

anderen Worten, Schulen sind pädagogisch<br />

einfach noch nicht so gut, um das Beste<br />

aus der Technologie zu machen.<br />

Antworten per Copy und Paste<br />

Wenn Schüler Smartphones benutzen,<br />

um Antworten per Copy und Paste unter<br />

vorgefertigte Google-Fragen zu setzen,<br />

dann werden sie wohl kaum schlauer.<br />

Wahrscheinlich überschätzen wir die digitalen<br />

Fähigkeiten von beiden – Lehrern und<br />

Schülern, und wir sehen wenig durchdachte<br />

Regeln und Strategien zur Implementierung.<br />

Nicht zuletzt, wenige Kinder würden<br />

wahrscheinlich freiwillig mit der dürftigen<br />

Lehr-Software spielen, die Technologie-<br />

Unternehmen noch immer an Schulen<br />

verkaufen können.<br />

Im Ergebnis sind die Verbindungen zwischen<br />

Schülern, Computern und Lernen weder<br />

simpel noch programmiert; und die wahren<br />

ICT-Beiträge fürs Lehren und Lernen sind<br />

noch nicht voll erkannt und genutzt.<br />

Platz 1<br />

IT-Ausstattung an Schulen<br />

im internationalen Vergleich<br />

(Quelle: PISA Report)<br />

Durchschnittlich 4,1 Schüler teilen<br />

sich in Deutschland einen Computer<br />

Platz 28<br />

Deutschland<br />

Platz 34<br />

19


Wir brauchen<br />

Konzepte für Bildung in der digitalen<br />

Welt für jede Bildungseinrichtung.<br />

Jede einzelne Bildungseinrichtung<br />

muss ihre Pädagogen und Lehrkräfte<br />

strategisch und konzeptionell in die<br />

Lage versetzen, Lehr- und Lernformate<br />

auch unter Verwendung digitaler<br />

Unterrichtsmedien zu realisieren<br />

und kontinuierlich zu verbessern. Sie<br />

benötigen dafür geeignete Umsetzungskonzepte,<br />

die zeigen, wie der<br />

Unterricht in jedem Fach durch den<br />

Einsatz digitaler Medien bereichert<br />

wird, ebenso wie fächerübergreifende<br />

Konzepte zur Vermittlung von<br />

Kompetenzen im Umgang mit digitalen<br />

Medien.<br />

Die Erarbeitung solcher Konzepte<br />

sollte für jede institutionelle Bildungseinrichtung<br />

verplichtend sein und<br />

kann mit einem Zertiikat, beispielsweise<br />

„Digitale Schule“, bescheinigt<br />

und gewürdigt werden. Die Aufgabe<br />

der Länder ist es, ihre Bildungseinrichtungen<br />

dabei zu unterstützen –<br />

beispielsweise durch den Aufbau von<br />

Netzwerken, den Einsatz von Schulcoaches<br />

oder das Angebot zielgenauer<br />

Fortbildungen.<br />

45 % der Lehrer<br />

verzichten auf<br />

digitale Medien<br />

wegen mangelnder<br />

IT-Ausstattung.<br />

(Quelle: ICILS)<br />

20


Digitale Hilfe<br />

unter Gleichaltrigen<br />

Sie sitzen zusammen, lachen, tippen auf<br />

Laptops und Handys herum: In der Kölner<br />

Stadtbücherei treffen Schülerinnen und<br />

Schüler eines Gymnasiums mit Flüchtlingskindern<br />

zusammen.<br />

„Wir zeigen den beiden – Alan und Fahad<br />

– gerade ein Spiel zum Deutschlernen“,<br />

erklärt die 12-jährige Donja in einer der<br />

Tischgruppen, die sich gebildet haben,<br />

„nachher wollen wir mit ihnen am Tablet<br />

noch Comics erstellen.“ Die beiden Flüchtlingsjungen<br />

sprächen noch nicht so gut<br />

Deutsch, sagt sie entschuldigend: „Aber das<br />

dauert nicht lange, dann können die das.“<br />

Und voller Begeisterung wendet sie sich<br />

wieder dem Bildschirm zu.<br />

Homepage der „Best Reli Kids“ :<br />

https://bestrelikids.wordpress.com/<br />

„Best Reli Kids“ nennen sich die 12-Jährigen<br />

Gymnasiasten, die sich im Religionsunterricht<br />

mit dem Thema Hilfe auseinandergesetzt<br />

haben. Dabei testeten sie unter<br />

anderem Apps für Flüchtlinge und veröffentlichten<br />

die Ergebnisse im Netz, schrieben<br />

aber auch selbst kleine Programme:<br />

Vokabeltests und Memory-Spiele, Kreuzworträtsel<br />

und Bilder-Suchgeschichten,<br />

damit das Deutschlernen für die gelüchteten<br />

Kinder leichter fällt.<br />

„Wir haben eine Seite benutzt, auf der<br />

wir Apps erstellen konnten“, sagt die<br />

12-jährige Lilly. Programmierkenntnisse<br />

sind dafür nicht notwendig – nur die Lust<br />

am spielerischen Umgang mit dem digitalen<br />

Medium.<br />

21


22


Wie lernt eine<br />

digitale Schildkröte<br />

laufen?<br />

Grundlegende Programmierkenntnisse<br />

für alle, und zwar unabhängig vom<br />

Schulfach – das ist das Konzept der<br />

Initiative „Code your Life“. Das Ziel:<br />

der spielerische Zugang zur Softwareprogrammierung.<br />

Die Initiative stellt<br />

kostenloses Unterrichtsmaterial zur<br />

Verfügung, um Lehrkräfte und Lernende<br />

auf ihrem Weg ins digitale Zeitalter zu<br />

unterstützen.<br />

Die Lehrmodule können quer durch die<br />

Unterrichtsfächer eingesetzt werden.<br />

Zusätzlich gibt es Workshops für Schulklassen,<br />

Online-Schulungen für Lehrer sowie<br />

Programmier-Sommercamps für Jugendliche.<br />

Ein Angebot mit (berulicher) Perspektive<br />

– schließlich ist die Digitalisierung<br />

in den meisten Branchen längst Realität.<br />

Mit viel Spaß bringen 9- bis 12-jährige<br />

Schulkinder zum Beispiel einer digitalen<br />

Schildkröte das Laufen bei. Dabei eignen<br />

sie sich nicht nur Grundwissen in der Informations-<br />

und Kommunikationstechnologie<br />

(IKT) an, sondern werden gleichzeitig animiert,<br />

ihre Kreativität, ihr logisches Denken<br />

und ihre Teamfähigkeit unter Beweis zu<br />

stellen.<br />

Bereits 2012 arbeiteten acht von zehn<br />

Erwerbstätigen mit Computern, hat das<br />

Bundesinstitut für Berufsbildung ermittelt<br />

– und prognostiziert, dass der Bedarf von<br />

Tätigkeiten mit Digitalkompetenzen weiter<br />

zunehmen wird. Die Vermittlung von digitalem<br />

Wissen ist daher in einer modernen<br />

Schulbildung unerlässlich.<br />

23


Wir brauchen<br />

die Vermittlung grundlegender<br />

Kompetenzen für die digitale Welt<br />

für alle so früh wie möglich.<br />

In einer digitalen Welt sind Informations-<br />

und Medienkompetenz und<br />

informatische Grundbildung die<br />

Basis für gesellschaftliche Teilhabe.<br />

Sie sind eine essentielle Erweiterung<br />

bestehender Kulturtechniken und<br />

müssen in der Schule so früh wie<br />

möglich – sowohl als eigenes Fach als<br />

auch fächerübergreifend – vermittelt<br />

werden.<br />

und Produzenten digitaler Inhalte<br />

und Werkzeuge zu werden und an<br />

zukünftigen technologischen Entwicklungen<br />

kompetent teilzuhaben.<br />

Bereits in der Grundschule sollten<br />

informatische Inhalte in vergleichbarem<br />

Umfang wie Inhalte aus Physik,<br />

Biologie oder Geograie in den<br />

Sachunterricht integriert werden.<br />

Dazu gehört, dass Kinder auch Grundprinzipien<br />

der Informatik schon früh<br />

altersangemessen erlernen können.<br />

Denn nur so haben sie die Möglichkeit,<br />

selbst zu mündigen Nutzern<br />

010010010110110001101111<br />

011101100110010101010010<br />

75 % der Schüler begrüßen<br />

Informatik als Plichtfach.<br />

(Quelle: Bitkom)<br />

24


Prof. Dr.-Ing.<br />

Peter Liggesmeyer,<br />

Präsident der Gesellschaft<br />

für Informatik e. V.<br />

„Digitale Systeme müssen<br />

technologisch, gesellschaftlichkulturell<br />

und bezogen auf die<br />

Anwendung betrachtet werden“<br />

Schülerinnen und Schüler sollen lernen,<br />

selbstbestimmt mit digitalen Systemen<br />

umzugehen. Dazu müssen sie diese<br />

verstehen, erklären und im Hinblick auf<br />

Wechselwirkungen mit dem Individuum<br />

und der Gesellschaft bewerten können.<br />

Zudem sollten sie wissen, wie sie Einluss<br />

darauf nehmen können, und nicht nur<br />

ihre Nutzungsmöglichkeiten kennen.<br />

Im Unterricht lassen sich die Aspekte sinnvoll<br />

aufgreifen, indem man digitale Systeme<br />

unter drei verschiedenen Perspektiven<br />

betrachtet: Die technologische Perspektive<br />

hinterfragt und bewertet die Funktionsweise<br />

der Systeme, die die digitale vernetzte Welt<br />

ausmachen. Die gesellschaftlich-kulturelle<br />

Perspektive untersucht die Wechselwirkungen<br />

der digitalen vernetzten Welt mit<br />

Individuen und der Gesellschaft. Die anwendungsbezogene<br />

Perspektive fokussiert auf<br />

die zielgerichtete Auswahl von Systemen<br />

und deren effektive und efiziente Nutzung<br />

zur Umsetzung individueller und kooperativer<br />

Vorhaben.<br />

In gemeinsamer Verantwortung von Medienpädagogik,<br />

Informatik und Wirtschaft fordert<br />

die Gesellschaft für Informatik daher:<br />

Es muss ein eigenständiger Lernbereich<br />

eingerichtet werden, in dem die Aneignung<br />

der grundlegenden Konzepte und Kompetenzen<br />

für die Orientierung in der digitalen<br />

vernetzten Welt ermöglicht wird. Daneben<br />

ist es Aufgabe aller Fächer, fachliche Bezüge<br />

zur digitalen Bildung zu integrieren. Digitale<br />

Bildung muss über alle Schulstufen und für<br />

alle Schüler im Sinne eines Spiralcurriculums<br />

erfolgen. Eine entsprechend fundierte<br />

Lehrerbildung in den Bezugswissenschaften<br />

Informatik und Medienbildung ist hierfür<br />

unerlässlich.<br />

25


Prof. Dr. Torsten Brinda,<br />

Professor für Didaktik der<br />

Informatik an der Universität<br />

Duisburg-Essen<br />

„Informatische Bildung<br />

muss verplichtend werden“<br />

Herr Brinda, Sie fordern Informatik als Plichtfach<br />

in den Schulen. Warum?<br />

Der digitale Wandel wird von Personen gestaltet,<br />

die durch eine Ausbildung oder einen Studienabschluss<br />

informatisch qualiiziert sind oder sich<br />

selbst entsprechende Kompetenzen angeeignet<br />

haben. Die IKT-Wirtschaft beklagt einen Mangel<br />

an Fachkräften. Jeder sollte durch die Schule dazu<br />

in die Lage versetzt werden, auch die digitale Welt<br />

zu verstehen und bei deren Gestaltung aktiv mitwirken<br />

zu können und sich nicht mit dem, was<br />

andere gestaltet haben, nur arrangieren zu müssen.<br />

Geht es nicht eher um den Umgang mit der<br />

Technik?<br />

Der kompetente Umgang mit Technik ist wichtig,<br />

es ist somit richtig zu fordern, dass das Lehren und<br />

Lernen in allen Fächern verstärkt auch durch digitale<br />

Medien gefördert werden soll. Das reicht aber nicht<br />

aus. Die digitale Welt bringt zahllose Phänomene,<br />

Situationen und Systeme hervor, die wir jungen<br />

Menschen in ihren Grundlagen erschließen müssen,<br />

um sie auf die zukünftige Lebens- und Arbeitswelt<br />

vorzubereiten. Und dazu braucht es zusätzlich zur<br />

Medienbildung auch informatische Bildung.<br />

Das heißt, jeder soll Programmierer werden?<br />

Keinesfalls. Schule muss Grundlagen vermitteln und<br />

dazu beitragen, fachliche Begabungen zu entdecken<br />

und zu entfalten. Nur weil es verplichtenden<br />

Musik- oder Chemieunterricht gibt, heißt das nicht,<br />

dass alle Absolventen Musiker oder Chemikerin<br />

werden sollen. Ein reines Wahl- oder Wahlplichtfach<br />

ermöglicht keinen systematischen Kompetenzaufbau<br />

für alle. Informatik umgibt uns im Alltag<br />

genauso wie die Natur oder unsere Gesellschaft,<br />

für die es Plichtfächer gibt. Aber die Bildungspolitik<br />

beharrt auf einem Fächerkanon, der aus der<br />

Zeit vor dem digitalen Wandel stammt.<br />

26


27


Wir brauchen<br />

eine bestmögliche Vorbereitung<br />

auf eine durch Digitalisierung<br />

geprägte Lebens- und Arbeitswelt.<br />

Wer Schule als Vorbereitung auf das<br />

Leben versteht, muss die Gesellschaft<br />

im Blick behalten. Und weil die Lebensund<br />

Arbeitswelt längst und in immer<br />

noch zunehmendem Maß durch Digitalisierung<br />

geprägt ist, muss Schule<br />

darauf reagieren: mit der Befähigung<br />

zum selbstbestimmten, zielorientierten<br />

und relektierten Umgang mit der<br />

digitalen Welt und mit der Vorbereitung<br />

auf einen digital geprägten Arbeitsalltag.<br />

Dazu gehört, sich Phänomene<br />

und Systeme der digitalen Welt<br />

selbstständig erschließen zu können<br />

und ihre grundlegende Wirkungsweise<br />

aus technologischer Sicht zu verstehen.<br />

Das ist die Basis, um Möglichkeiten,<br />

Grenzen und Auswirkungen digitaler<br />

Technologie realistisch einzuschätzen.<br />

Dazu gehört aber auch die Entwicklung<br />

der notwendigen Soft Skills wie<br />

Kreativität, Problemlösungsfähigkeit<br />

oder Zusammenarbeit im Team. Dies<br />

erfordert eine stärkere Öffnung des<br />

Lernraums Schule und eine intensivere<br />

Kooperation zwischen den Bildungsträgern<br />

und externen Akteuren aus<br />

Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Darüber<br />

hinaus ist die deutliche Unterstützung<br />

seitens der Politik notwendig,<br />

um das gesellschaftliche Bewusstsein<br />

für die breite Zusammenarbeit in der<br />

(Aus-)Bildung zu erhöhen.<br />

56 % der Arbeitnehmer<br />

sind mit der Digitalisierung<br />

überfordert.<br />

(Quelle: Rochus Mummert)<br />

28


Ralf Pohl,<br />

Bundesgeschäftsführer<br />

des Bundesverbands<br />

mittelständische Wirtschaft<br />

(BVMW)<br />

„Digitale Kompetenz<br />

muss integraler Bestandteil<br />

der Lehre werden“<br />

Die Digitalisierung betrifft mittlerweile jeden<br />

Lebens- und Arbeitsbereich. So haben Jugendliche<br />

von heute ein vollkommen anderes Lern- und<br />

Kommunikationsverhalten, zum Beispiel über das<br />

Internet, Social Media oder WhatsApp auf dem<br />

Smartphone. Umso mehr müssen Unternehmen<br />

darüber nachdenken, wie man die neuen Technologien<br />

in die Ausbildung integrieren kann.<br />

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist<br />

es für Mittelständler unerlässlich, digital gut aufgestellt<br />

zu sein. Die Digital Natives von heute sind die<br />

Fachkräfte von morgen.<br />

Aber natürlich gibt es auch die andere Seite<br />

der Medaille. Die Digitalisierung verändert ganze<br />

Berufsbilder und stellt neue Anforderungen an das<br />

gesamte Bildungssystem. Deshalb muss digitale<br />

Kompetenz integraler Bestandteil der Lehrpläne<br />

werden. Gemeint ist damit nicht allein die Nutzung<br />

digitaler Medien, sondern vielmehr das Verstehen<br />

und Anwenden.<br />

Ein Großteil der mittelständischen Unternehmen<br />

in Deutschland hat bereits digitale Prozesse und<br />

Strukturen implementiert. Es gibt auch viele Beispiele<br />

von digitalen Vorreitern aus dem Mittelstand.<br />

Um ihren Betrieb aufrecht zu erhalten, benötigen<br />

sie natürlich Mitarbeiter, die diese Prozesse verstehen<br />

und mit den Programmen und Instrumenten<br />

umgehen können. Dabei sprechen wir nicht von<br />

einer digitalen Afinität, sondern von einem digitalen<br />

Grundverständnis. Es geht nicht darum, 140<br />

Zeichen bei Twitter innerhalb von 20 Sekunden<br />

auf einem digitalen Endgerät einzutippen - es geht<br />

darum, dass Mitarbeiter verstehen, was sie tun.<br />

Der zunehmende Digitalisierungsgrad in der<br />

Arbeitswelt erfordert eine sichere Handhabung<br />

und ein entsprechendes Grundverständnis<br />

digitaler Methoden und Instrumente. Sie entscheiden<br />

letztlich über die Ausbildungs- und<br />

Beschäftigungsfähigkeit.<br />

29


30


Stimmen aus der Wirtschaft<br />

Steffen Borlich,<br />

Geschäftsführer<br />

EKF Diagnostics Holdings<br />

in Barleben<br />

„Digitales Grundwissen gehört<br />

zu den Kernkompetenzen der<br />

Mitarbeiter meines Unternehmens.<br />

Es genügt bei weitem<br />

nicht, sich in sozialen Medien<br />

zu präsentieren und auszutauschen.<br />

Das Wissen um Vorgänge<br />

und Zusammenhänge in der<br />

digitalen Welt wird immer mehr<br />

zum Schlüsselelement in Beruf<br />

und Freizeit.“<br />

Stefan Denker,<br />

Geschäftsführer STS Elektro<br />

GmbH Magdeburg<br />

„Über 90 Prozent der Tätigkeiten<br />

setzen digitale Kompetenzen<br />

voraus. Es ist also notwendig,<br />

dass bereits in Schule und<br />

Ausbildung digitale Methoden<br />

und Instrumente gelehrt werden.“<br />

Carsten Brockmann,<br />

Geschäftsführer BPS Software<br />

GmbH & CO. KG in Ibbenbüren<br />

„Die Digitalisierung zieht sich immer<br />

mehr durch alle Lebensbereiche und<br />

hält auch in Berufen Einzug, die mit<br />

IT bislang nur wenige Berührungspunkte<br />

haben. Aktuelle Themen wie<br />

Industrie 4.0 oder BIM werden diesen<br />

Trend beschleunigen.<br />

Mitarbeiter, die mit IT und digitalen<br />

Medien keine Berührungsängste haben,<br />

werden mehr denn je gebraucht.<br />

Daher ist es wichtig, Berührungsängste<br />

abzubauen und in die digitale Bildung<br />

zu investieren. Bei Kindern und<br />

Jugendlichen ist es hingegen wichtig,<br />

auf die Gefahren eines allzu sorglosen<br />

Umgangs mit digitalen, sozialen<br />

Medien hinzuweisen.<br />

Auf beide Aufgaben sind die Lehrkräfte<br />

an unseren Schulen kaum vorbereitet.<br />

Daher muss es die wichtigste<br />

Aufgabe sein – noch viel wichtiger als<br />

die Verbesserung der IT-Ausstattung<br />

der Schulen –, die digitale Kompetenz<br />

der Lehrerinnen und Lehrer zu<br />

verbessern.“<br />

31<br />

Claudia Musekamp,<br />

Geschäftsführerin der<br />

E-Learning-Agentur Infoport<br />

GmbH in Berlin<br />

„Fachkräfte mit hoher digitaler<br />

Kompetenz sind ein Erfolgsfaktor<br />

für Industrie 4.0. Deshalb<br />

müssen auch kleine und mittelständische<br />

Unternehmen kontinuierliche<br />

Bildungsprozesse<br />

organisieren. Digitale Bildung,<br />

also Online-Lernen, wird dabei<br />

eine zentrale Rolle spielen.“<br />

76 % der Unternehmen<br />

sehen digitalen<br />

Anpassungsbedarf in<br />

Ausbildungsberufen.<br />

(Quelle: Bitcom)


Wir brauchen<br />

verplichtende Aus- und Weiterbildungen<br />

für Lehrkräfte im Hinblick<br />

auf die digitale Welt.<br />

Wer heute Lehrkraft wird, muss digitale<br />

Lehr- und Lernformate beherrschen.<br />

In der Lehrerausbildung muss<br />

deshalb ein verplichtender Anteil<br />

implementiert werden, in dem Studierende<br />

selbst umfassende Informations-<br />

und Medienkompetenz sowie<br />

informatische Grundkompetenzen<br />

erwerben und Methoden digitaler<br />

Vermittlung erlernen und praktisch<br />

erproben. Kompetenzen für das<br />

Lehren und Lernen in der digitalen<br />

Welt sollten prüfungsrelevant sein.<br />

Für alle Lehrerinnen und Lehrer in<br />

Deutschland sollte darüber hinaus<br />

die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung<br />

im Hinblick auf ihre digitalen<br />

Kompetenzen verplichtend sein.<br />

Die Länder müssen entsprechende<br />

Angebote zur Verfügung stellen und<br />

die Lehrkräfte durch Freistellungen<br />

zur Teilnahme motivieren.<br />

8,1 % der Lehrer in<br />

Deutschland nehmen an<br />

IT-Fortbildungen teil,<br />

in Australien sind es 57 %.<br />

(Quelle: ICILS)<br />

32


Dirk Loßack,<br />

Staatssekretär im<br />

schleswig-holsteinischen<br />

Ministerium für<br />

Schule und Berufsbildung<br />

„Wir brauchen digital<br />

kompetente Lehrkräfte“<br />

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche wirkt<br />

sich auch auf Schulen aus. Die Veränderungen<br />

sind so erheblich, dass wir im Strategieentwurf<br />

der Kultusministerkonferenz zum „Lernen in<br />

der digitalen Welt“ in Analogie zur „industriellen<br />

Revolution“ den Begriff „digitale Revolution“<br />

verwenden.<br />

Die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe<br />

und aktiven Beteiligung an demokratischen Entscheidungsprozessen<br />

ist immer stärker von digitalen<br />

Kompetenzen abhängig. In der Berufswelt<br />

ist der kompetente Umgang mit digitalen Medien<br />

eine allgemeine Grundvoraussetzung geworden.<br />

Für Schulen bedeutet dies eine Erweiterung ihres<br />

Bildungsauftrags. Und es stellt neue Anforderungen<br />

an die Basiskompetenzen der Lehrkräfte, die<br />

selbst über eine hohe allgemeine Medienkompetenz<br />

verfügen müssen. Sie brauchen hinreichende<br />

Kenntnisse über die Möglichkeiten und Risiken der<br />

digitalen Medien. Zusätzlich müssen Lehrerinnen<br />

und Lehrer aber auch im Rahmen ihrer fachlichen<br />

Zuständigkeit zu Medienexperten werden. Ziel ist<br />

eine fachspeziische professionelle und didaktisch<br />

angemessene Nutzung digitaler Medien. Dies beinhaltet<br />

Kenntnisse über fachtypische Softwarelösungen,<br />

spezielle mediale Angebote und den sicheren<br />

Umgang mit den entsprechenden Anwendungen.<br />

Diese Kompetenzen müssen über alle Phasen der<br />

Lehrkräftebildung hinweg systematisch aufgebaut<br />

werden. Entscheidend ist, dass wir uns hier nicht<br />

auf die Integration von Aus- und Fortbildungsangeboten<br />

zur Vermittlung allgemeiner Medienkompetenz<br />

beschränken, sondern entsprechende<br />

Angebote auch im Rahmen der Fachdidaktiken<br />

und Fachwissenschaften etablieren.<br />

Darüber hinaus sollten auch die Möglichkeiten<br />

digitaler Lernumgebungen im Rahmen des inklusiven<br />

Unterrichts und für die individuelle Förderung<br />

in besonderem Maße als Aus- und Fortbildungsinhalte<br />

berücksichtigt werden.<br />

33


Jörg Dräger,<br />

Vorstand der Bertelsmann Stiftung<br />

und Geschäftsführer<br />

des Centrums für<br />

Hochschulentwicklung (CHE)<br />

„Digitales Lernen kann<br />

aber nur gelingen,<br />

wenn wir es erkunden<br />

und praktizieren.“<br />

Die digitale Bildungsrevolution versöhnt das<br />

bisher Unversöhnliche: den Bildungszugang<br />

für alle mit individueller Förderung für jeden.<br />

Wenn Technik in den Dienst der Pädagogik<br />

gestellt wird, bleibt Lehrern mehr Zeit fürs<br />

Wesentliche, für Persönlichkeitsbildung, die<br />

Bindung zum Schüler und das einzelne Kind.<br />

Eine Reform der Aus- und Weiterbildung<br />

von Lehrern ist nötig<br />

Um diese Chancen digitaler Bildung zu<br />

nutzen, braucht es digital kompetente und<br />

in neuen pädagogischen Ansätzen versierte<br />

Lehrkräfte. Deshalb ist eine Reform der<br />

Aus- und Weiterbildung von Lehrern nötig.<br />

Sie muss vermitteln, wie ein individuell fördernder<br />

Unterricht gelingt, auch durch die<br />

Integration digitaler Angebote. Dazu gehören<br />

medienpädagogische Grundkenntnisse<br />

und der kompetente Einsatz von Hard- und<br />

Software. Nicht nur künftige, sondern auch<br />

die heutigen Lehrkräfte benötigen diese<br />

Kompetenzen. Am wirksamsten sind Fortbildungen,<br />

die sich an ganze Kollegien richten<br />

und dadurch einen Schulentwicklungsprozess<br />

anstoßen.<br />

Die Vergleichsstudie ICIL hat gezeigt,<br />

dass die Lehrer in keinem der untersuchten<br />

Staaten seltener Computer im Unterricht<br />

nutzen als in Deutschland. Und Lehrer aus<br />

Deutschland bilden sich im internationalen<br />

Vergleich nur selten zum Einsatz digitaler<br />

Medien im Unterricht fort. Digitales Lernen<br />

kann aber nur gelingen, wenn wir es erkunden<br />

und praktizieren.<br />

34


35


Wir brauchen<br />

ein Förderprogramm für Bildungsforschung<br />

mit digitalem Fokus.<br />

Die Weiterentwicklung von Curricula<br />

und der Aus- und Weiterbildung von<br />

Pädagogen und Lehrkräften unter<br />

dem Blickwinkel digital organisierter<br />

Lehr- und Lernprozesse bedarf der<br />

kontinuierlichen wissenschaftlichen<br />

Begleitung. Ein entsprechendes Förderprogramm<br />

für die Bildungsforschung,<br />

das auch allgemeinbildende<br />

Schulen einschließt, ist deshalb<br />

unentbehrlich, um nachhaltige und<br />

efiziente Strategien des digitalen<br />

Lernens für das 21. Jahrhundert zu<br />

entwickeln und zu sichern.<br />

1,5 %<br />

„In Deutschland<br />

haben nur 1,5 % der<br />

Schülerinnen und<br />

Schüler die höchste<br />

Kompetenzstufe im<br />

Bereich digitales<br />

Wissen erreicht.“<br />

(Quelle: ICILS)<br />

36


Prof. Dr. Michael Hüther,<br />

Direktor des<br />

Instituts der deutschen<br />

Wirtschaft Köln<br />

„Chancen der digitalen<br />

Transformation für die Bildung<br />

und durch die Bildung“<br />

Die digitale Transformation bietet der Wissensvermittlung<br />

gewaltige, noch lange nicht ausgeschöpfte<br />

Potenziale (MOOC, E-University, neue<br />

Formen der Kollaboration u. a. m.).<br />

Man wird erst noch sehen, welches Gleichgewicht<br />

sich zwischen Präsenzlehren und -lernen einerseits<br />

sowie den virtuellen Formen andererseits einstellen<br />

wird. Gleichzeitig sind besondere Kompetenzen<br />

gefordert, um mit diesen Potenzialen angemessen<br />

umzugehen. Es ist nicht nur die Kenntnis<br />

der technischen Möglichkeiten gefordert, sondern<br />

die Bereitschaft, anders zu lernen, sich anders einzubringen<br />

und sich anders zu vernetzen. Vor allem<br />

aber ist ein hohes Maß an Disziplin gefordert, weil<br />

im Gegensatz zur analogen Welt die unerschöpflichen<br />

Optionen der digitalen Welt am eigenen<br />

Arbeitsplatz auch zur Desorientierung und zum<br />

Ressourcenverschleiß führen können.<br />

Dies und die Tatsache, dass wir am Anfang neuer,<br />

auszuprobierender und zu konigurierender Möglichkeiten<br />

stehen, sprechen für eine entsprechende<br />

Bildungsoffensive.<br />

Die digitale Welt ist charakterisiert durch eine –<br />

zumindest längere Zeit wirksame – Dominanz von<br />

Netzwerken gegenüber Hierarchien. Sie ist damit<br />

unserem marktwirtschaftlichen System, das man<br />

als geordnete Anarchie beschreiben kann, nah<br />

und wesensverwandt. Wir müssen indes gemeinsam<br />

lernen und entwickeln, welche Regeln und<br />

Institutionen (Hierarchien) dazu passen.<br />

Anders gewendet: Die Frage nach der Bildung<br />

in der und für die digitale Transformation hat<br />

am Ende viel damit zu tun, wie wir hier ein<br />

angemessenes Gleichgewicht inden. Denn auch<br />

eine Welt aus Netzwerken kann auf Dauer ohne<br />

einige allgemein akzeptierte Regeln und Verfahren<br />

nicht auskommen. Sensible Bildungsvermittlung<br />

muss diesen Aspekt im Blick haben.<br />

37


38


In der Bildungswissenschaft mit digitalem Fokus gibt es in<br />

Deutschland spannende Ansätze.<br />

Drei Beispiele für eine Forschungsrichtung, die dringend<br />

weiter ausgebaut werden muss:<br />

Berlin<br />

Humboldt-Universität,<br />

Universität der Künste in Berlin<br />

und das Wissenschaftszentrum<br />

Berlin für Sozialforschung haben<br />

2011 mit dem Hamburger<br />

Hans-Bredow-Institut das<br />

„Alexander von Humboldt<br />

Institut für Internet und<br />

Gesellschaft“ gegründet.<br />

Das Ziel: Die Erforschung der<br />

digitalen Gesellschaft in allen<br />

Facetten und der Einluss des<br />

Digitalen auf die Gesellschaft.<br />

Die Themen des Instituts<br />

reichen von den Regeln im<br />

Internet, Datenschutz, Cybersicherheit,<br />

über Wissenstransfer,<br />

digitalen Innovationen und<br />

Entrepreneurship bis hin zu<br />

Meinungsfreiheit, Hassrede im<br />

Internet und digitalem zivilen<br />

Ungehorsam.<br />

Dresden<br />

Nachrichtenkompetenz ist<br />

als Thema in deutschen Schulbüchern<br />

unterbelichtet, auch in<br />

den Lehrplänen inden sich wenige<br />

Vorgaben, ob und was Schüler<br />

im Bereich Journalismus und<br />

Nachrichtenkompetenz lernen<br />

sollen. Das sind erste Ergebnisse<br />

einer Studie der TU Dresden im<br />

Auftrag der Stiftervereinigung<br />

der Presse. Darüber hinaus zeigt<br />

sich, dass digitale Medien und<br />

deren Inhalte, insbesondere die<br />

in der Nachrichtennutzung<br />

junger Menschen immer mehr<br />

an Bedeutung gewinnenden<br />

sozialen Medien, weitaus seltener<br />

behandelt werden als klassische<br />

Nachrichtenmedien wie Zeitung<br />

und Fernsehen. Hier sehen die<br />

Dresdner Bildungsforscher starken<br />

Nachholbedarf.<br />

39<br />

Tübingen<br />

www.e-teaching.org wurde<br />

2003 als Informationsportal für<br />

Hochschulbildung mit digitalen<br />

Medien gegründet. Das nichtkommerzielle<br />

Angebot bietet<br />

Lehrenden und E-Learning-<br />

Interessierten niedrigschwellige<br />

und anwendungsorientierte<br />

Informationen zu didaktischen,<br />

technischen und organisatorischen<br />

Aspekten von E-Teaching<br />

und informiert über neueste<br />

Forschungsergebnisse aus dem<br />

Themenfeld. Träger des Portals<br />

ist die Stiftung Medien in der<br />

Bildung – Leibniz-Institut für<br />

Wissensmedien (IWM) in Tübingen.<br />

Hier arbeiten Spezialisten<br />

aus Kognitions-, Verhaltensund<br />

Sozialwissenschaften multidisziplinär<br />

an Forschungsfragen<br />

zum individuellen und kooperativen<br />

Wissenserwerb in medialen<br />

Umgebungen.


Wie Lehrkräfte sich den Unterricht der<br />

Zukunft vorstellen – oder schon erleben<br />

„Der Erwerb einer umfassenden Handlungskompetenz indet heute auf der<br />

Grundlage der didaktischen Modelle der 21st Century Skills und der Schule<br />

2.0/3.0 statt. Zentrale Strategie dieser Lernmodelle stellt das 1:1-Learning dar.<br />

Die mediale Umsetzung – jedem Schüler steht in der Schule für den Unterricht<br />

ein Computer zur Verfügung – sprengt jedoch die inanziellen Möglichkeiten<br />

der öffentlichen Schulträger. Realisierbar wird diese Vision nur durch<br />

‚Bring Your Own Device’ (BYOD).<br />

Im Zeitalter der Technik, wo jeder Schüler mindestens ein Smartphone mit<br />

sich führt, wird sicherlich in naher Zukunft die Möglichkeit eröffnen, dass<br />

jede Familie einen mobilen Computer oder ein Tablet besitzt. Auszubildende<br />

in der Berufsschule folgen diesem Trend bereits, das heißt, sie besitzen einen<br />

Laptop oder ein Tablet oder sie haben die Möglichkeit, ein Leihgerät aus dem<br />

Ausbildungsbetrieb zu nutzen.<br />

Bei uns am Berufskolleg wird das BYOD-Konzept integriert in unsere Schulplattform.<br />

Kommunikation und Kollaboration zwischen Schülern und Lehrern<br />

erfolgt über Mail, Kalender und Klassen-Teamsites. Die eingesetzte Software<br />

steht allen Schulen, Schülern und Lehrern plattformunabhängig kostenlos<br />

zur Verfügung. Technische Voraussetzungen dieses Konzeptes sind ein schulweites<br />

WLAN, Whiteboards in jedem Klassenzimmer sowie ein Lehrer-PC mit<br />

angeschlossenem Deckenbeamer.<br />

Unsere Vision: ‚Learning with any device, anywhere, anytime!’“<br />

Detlef Steppuhn, Lehrer am Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Köln<br />

40


„Wenn ich mir den Unterricht der Zukunft<br />

vorstelle, bin ich in Sorge, dass diese Zukunft<br />

weniger von Lehrern und dem ihnen<br />

übertragenen allgemein bildenden Auftrag<br />

und mehr von ökonomischen Teilinteressen<br />

bestimmt wird.<br />

Gerade in dem wichtigen Handlungsfeld<br />

der Digitalisierung bedarf es politischer<br />

Entscheidungen, um einen kritischen und<br />

relektierten Umgang mit ihr sicherzustellen.<br />

Es geht nicht zuerst um Technik, sondern<br />

darum, dass Kindern und Jugendlichen von<br />

ihrer Herkunft unabhängig das Lernen so<br />

ermöglicht wird, dass sie in der digitalisierten<br />

Welt sowohl mit digitalen Technologien<br />

umgehen als auch Fehlentwicklungen in<br />

Politik und Wirtschaft als mündige Bürger<br />

kritisch in den Blick nehmen können.<br />

In diesem Sinne: Wenn ich mir den Unterricht<br />

der Zukunft vorstelle, so hat er die<br />

gleichen Ziele wie der Unterricht der Gegenwart,<br />

die nun aber unter den veränderten<br />

Rahmenbedingungen der Digitalisierung<br />

erreicht werden sollen.“<br />

Torsten Larbig,<br />

Lehrer, Blogger und Social- Media-<br />

Experte in Frankfurt am Main<br />

„Wenn ich mir den Unterricht der Zukunft<br />

vorstelle, sehe ich Schüler, die eigenverantwortlich<br />

lernen und kollaborativ arbeiten.<br />

Dazu verfügt jede Schule über einen<br />

Breitband-Internetanschluss mit stabilem<br />

WLAN und ein Lernmanagement-System.<br />

Hier werden alle Arbeitsmaterialien abgelegt<br />

und heruntergeladen. Die Schüler nutzen ihr<br />

eigenes mobiles Endgerät und können auf<br />

Geräte zurückgreifen, die sie von der IT-<br />

Abteilung der Schule ausleihen.<br />

Die Lehrkräfte, die bereits in ihrer gesamten<br />

Ausbildung gelernt haben, digitale Medien<br />

einzusetzen, bereiten ihren Unterricht gemeinsam<br />

in Teams vor und nutzen zur Zusammenarbeit<br />

digitale Werkzeuge.<br />

Die schriftliche Kommunikation indet direkt<br />

und papierlos, zum Beispiel in Lehrergruppenchats,<br />

statt. So kann Schule tatsächlich<br />

auf das Leben vorbereiten, nämlich auf ein<br />

Leben in einer digital vernetzten Welt.<br />

Bildung 4.0 + Arbeiten 4.0 = Leben 4.0 ?“<br />

Nina Toller, Gymnasiallehrerin für<br />

Englisch, Geschichte und Latein,<br />

www.tollerunterricht.com<br />

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Prof. Dr. Wassilios Fthenakis,<br />

Präsident des Didacta Verbands –<br />

Verband der<br />

Bildungswirtschaft e. V.<br />

„Eine Bewährungsprobe<br />

für die Bildungssysteme“<br />

Bildungssysteme legitimieren sich heute nicht mehr<br />

primär über die Vermittlung von Wissen an die<br />

nächste Generation. Vielmehr haben sie die Kinder<br />

auf eine tiefgreifend veränderte Welt vorzubereiten.<br />

Die veränderte geopolitische Situation in Europa,<br />

eine globalisierte Wirtschaft und vor allem die<br />

Globalisierung der Kommunikation mittels neuer<br />

Technologien verändern die Bildungssysteme radikal.<br />

Doch die naive Vorstellung einer Einführung neuer<br />

Technologien in nicht reformierte Bildungssysteme<br />

dürfte kaum Chancen haben.<br />

Der „Digital Turn“ ist die Bewährungsprobe im<br />

Reformbemühen der Bildungssysteme. Die Bildungswirtschaft<br />

stellt die Hard- und Software dafür bereit<br />

und stellt dabei nicht das Produkt, sondern das<br />

einzelne Kind in den Mittelpunkt. Digitale Bildungsangebote<br />

erweitern den Lernraum massiv, helfen den<br />

Kindern, nicht nur individuell, sondern vor allem kooperativ<br />

zu lernen – und entsprechen damit den von<br />

den Kindern selbst veränderten Lerngewohnheiten.<br />

Der Bildungsprozess kann besser individualisiert<br />

werden, indem digitale Bildungsangebote Bildungsprozesse<br />

dokumentieren und den Kindern<br />

und Fachkräften individuell Feedback geben.<br />

Digitale Bildung trägt somit zu höherer Bildungsgerechtigkeit<br />

bei und fördert einen unvergleichbar<br />

besseren Zugang zu Bildungsangeboten.<br />

Wir sollten auf jeden Fall vermeiden, dass die<br />

Kinder dabei lediglich zu Objekten von Plattformen,<br />

zu Algorithmen verkommen, unlöschbare<br />

Spuren im Netz hinterlassen, die sie selbst nicht<br />

kontrollieren können, und die Bildungsungerechtigkeit,<br />

entgegen anders lautender Absichten,<br />

dennoch nicht zunimmt.<br />

Die digitale Bildung ist kein Zauberstab. Aber<br />

sie ist ein Instrument, um Bildungschancen zu<br />

stärken.<br />

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