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Brandenburgisches Ärzteblatt 11/2007 - Landesärztekammer ...

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384<br />

Kammerinformationen/Gesundheitspolitik<br />

Gutachten über Bevölkerungsschwund<br />

Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung gibt Empfehlungen für wirtschaftliche Zukunft Brandenburgs<br />

Einen Schrumpfungsprozess des Bevölkerungswachstums<br />

aufgrund von sinkenden<br />

Geburtenzahlen und Fortzügen besonders<br />

junger Frauen wird das Land Brandenburg<br />

in den nächsten Jahrzehnten vor bisher<br />

nicht da gewesene Herausforderungen stellen.<br />

In den Jahren 2004 bis 2030 wird<br />

Brandenburg etwa 13 Prozent seiner Bevölkerung<br />

verlieren – so die Bestandsaufnahme<br />

des Berlin-Instituts für Bevölkerung<br />

und Entwicklung. Im Auftrag des Brandenburgischen<br />

Landtages erstellte das Institut<br />

eine Expertise, wonach Brandenburg in<br />

eine schwierige Zukunft blickt.<br />

Immer weniger Ärzte<br />

Die zurückgehenden Bevölkerungszahlen<br />

bringen ein wichtiges und gerade heiß diskutiertes<br />

Problem mit sich: akuten Fachkräftemangel.<br />

Laut dem Gutachten werden bis zum<br />

Jahr 2015 etwa 200.000 Facharbeiterstellen<br />

neu besetzt werden müssen. Der Großteil dieser<br />

Arbeitsplätze befindet sich in der Berlin<br />

nahen Wachstumsregion. Nicht nur der Rückgang<br />

der Bevölkerung ist hierbei das Problem,<br />

sondern auch die Schwierigkeit, Menschen<br />

mit einem hohen Ausbildungspotenzial im<br />

Land zu halten. So verließen 40,5 Prozent<br />

der Hochschulabsolventen im Jahr 2005 nach<br />

ihrem Abschluss das Land.<br />

Der Arbeitskräftemangel hat sich besonders<br />

aber auf dem Gesundheitssektor verschärft,<br />

was sich vor allem in der Fläche zeigt, wo zirka<br />

170 Hausarzt- und 20 Facharztpraxen<br />

vakant sind. Sollte sich dieser Trend weiter<br />

fortsetzen, so wird es 2030 in manchen Landkreisen<br />

nicht einmal mehr einen Allgemeinarzt<br />

geben. Viele junge deutsche Mediziner wandern<br />

lieber nach Irland oder Skandinavien<br />

aus, als sich den Bedingungen der neuen<br />

Bundesländer zu stellen – 2005 verließen rund<br />

4.000 deutsche Mediziner das Land. Das sind<br />

1,3 Prozent des gesamten Ärztebestandes. „In<br />

abgelegenen Landkreisen wird es somit zunehmend<br />

riskanter werden, krank zu sein“, so<br />

die Einschätzung des Berlin-Instituts.<br />

Brandenburg und Berlin:<br />

eine besondere Beziehung<br />

Dass sich Berlin als Insel in Brandenburg befindet,<br />

stellt eine Besonderheit dar. „Im Grunde<br />

gibt es in Brandenburg nur eine einzige Stadt<br />

von nennenswerter Ausstrahlung: Berlin. Alle<br />

anderen Agglomerationen – mit Ausnahme<br />

von Potsdam – haben weniger Strahlkraft als<br />

gravierende Probleme“, heißt es in der Expertise.<br />

Cottbus, Eberswalde, Frankfurt (Oder)<br />

und Brandenburg (Havel) sind demnach keine<br />

wachsenden Städte mit starker regionaler Aus-<br />

<strong>Brandenburgisches</strong> <strong>Ärzteblatt</strong> <strong>11</strong>/<strong>2007</strong> · 17. Jahrgang<br />

strahlung – auch wenn bestimmte Wirtschaftsindikatoren<br />

augenblicklich nach oben zeigten.<br />

So hat Brandenburg den Charakter einer<br />

wachsenden Metropole nur am Rand von<br />

Berlin. Die Gutachter empfehlen, die Vor- und<br />

Nachteile einer Länderfusion zu untersuchen.<br />

Besonders die finanzielle Situation sollte durch<br />

eine Unternehmensberatung geprüft werden.<br />

Prämien für Abwanderer aus dünn<br />

besiedelten Regionen<br />

Das Gutachten bescheinigt der Brandenburger<br />

Staatskanzlei, dass sie die epochalen Veränderungen<br />

des demografischen Wandels<br />

erkannt habe und auch die Bevölkerung über<br />

die Bedingungen im Land informiere. Bereits<br />

seit kurz nach der Wende sei in der brandenburgischen<br />

Verwaltung ein systematischer<br />

Rückzug aus der Fläche augenscheinlich. Das<br />

beinhaltet die Schließung von Schulen oder<br />

aber die Auflösung von Gemeinden. Dieser<br />

aus finanziellen Gründen vollzogene Rückzug<br />

jedoch wird, so das Institut, auch in Zukunft<br />

weitergehen und bestimmte Gebiete werden<br />

zunehmend schrumpfen. „Hier den Erosionsprozess<br />

künstlich aufzuhalten, wäre Mittelverschwendung.“<br />

Darum sollte – wie das Gutachten<br />

vorschlägt – eher die Fahrtrichtung<br />

eingeschlagen werden „Stärken stärken“,<br />

aber im Gegensatz auch „Schwächen schwächen“.<br />

Letzteres bedeutet, dass in Landstrichen,<br />

deren Entwicklung weiterhin bergab<br />

geht, die finanziellen Mittel durch den Staat<br />

eingestellt werden sollten („Rückzug bis hin<br />

zur Streichung von Versorgungs- oder Gewährleistungsstandards“).<br />

Da die Einwohnerzahlen<br />

auch künftig rückläufig sind, sei diese<br />

Entwicklung aus rein arithmetischen Gründen<br />

unvermeidlich. Gleichzeitig muss das Land<br />

aber die medizinische Notfallversorgung gewährleisten:<br />

„Unterhalb einer bestimmten Präsenzschwelle<br />

kann der Staat seine Funktionen<br />

nicht ausdünnen.“ Hierfür sind allerdings<br />

finanzielle Mittel nötig.<br />

Um diese für die Grundversorgung notwendigen<br />

Aufwendungen für die übrig gebliebenen<br />

Schwundstandorte in einem geringen Maß zu<br />

halten, schlägt das Gutachten vor, die Menschen<br />

dort, wo kein anderer Impuls möglich<br />

ist, zum Abwandern zu motivieren. „Dies<br />

könnten etwa Prämien für das Verlassen einer<br />

sich entleerenden Region sein, die einem bestimmten<br />

Anteil des dort pro Einwohner und<br />

Lebenszeit im Schnitt eingesetzten Unterhaltungsbeitrages<br />

entsprechen“, lautet die Idee.<br />

Jedoch sollte der für derlei Maßnahmen eingesetzte<br />

Betrag möglichst nicht höher sein, als<br />

der Unterhalt, der gegebenenfalls Verbleibenden<br />

pro Kopf kosten würde.<br />

Eine weitere Möglichkeit sieht die Expertise<br />

darin, dass der Staat seinen Versorgungsanteil<br />

pro Kopf an die Bewohner ausschüttet. Als Folge<br />

würde er aber alle Vorsorgeleistungen, wie<br />

zum Beispiel Be- und Entwässerung, elektrischen<br />

Anschluss oder aber Wegesicherungspflicht,<br />

systematisch einstellen – ausgenommen<br />

sind die existenziellen Bereiche, wie<br />

Ordnungskräfte und Rettungsflüge. Dass solche<br />

Maßnahmen von der Bevölkerung nicht<br />

begrüßt würden, bezweifelt das Gutachten<br />

nicht. „Die Regierung muss also vermitteln,<br />

dass eine teilweise Entsiedelung auch ohne ihr<br />

Eingreifen unausweichlich ist – dann aber wesentlich<br />

teurer würde, sich schlechter beherrschen<br />

ließe und zu Lasten der Potenzialförderung<br />

anderer Gegenden ginge.“ Auf der<br />

anderen Seite könnte der staatliche Rückzug<br />

aus bestimmten Regionen das Ausschöpfen<br />

neuer Potenziale bedeuten. Derartige Landschaften<br />

könnten zu einem Naturerlebnisgebiet<br />

„Wildnis“ werden, das Besucher anzieht<br />

und wiederum neue Gelder einbringt.<br />

Blick über den Tellerrand: Wie machen es<br />

die anderen?<br />

Dass die Bedingungen, bedingt durch die Bevölkerungssituation<br />

in Brandenburg, schwierig<br />

sind, betont die Expertise zum wiederholten<br />

Mal – dennoch bieten sich ihrer Meinung nach<br />

auch Anpassungsmöglichkeiten, wie einige<br />

Beispiele anderer Bundesländer und Nationen<br />

zeigen. Hier sei auf drei Vorschläge verwiesen:<br />

· selbstverwaltete Schulbildung in Schweden:<br />

Kommunen entscheiden selbst, wo<br />

und wie sie ihre finanziellen Mittel für die<br />

Bildung einsetzen.<br />

· Polikliniken im finnischen Lappland: Versorgung<br />

mit Allgemein- und Fachärzten ist in<br />

wenigen zentralen Orten in den einstigen<br />

Polikliniken ähnlichen Gesundheitszentren<br />

organisiert. Spezialisten in entfernten Universitätskrankenhäusern<br />

untersuchen die Patienten<br />

durch eine Bildschirmkonferenz.<br />

· private Naturparks in Südafrika: Nutzung<br />

privater Reservate als<br />

Naturerlebnis-Landschaft ist oft wirtschaftlicher<br />

als der Ackerbau.<br />

Autonomie der Bevölkerung<br />

Wie sieht die Zukunft Brandenburgs aus? Laut<br />

dem Gutachten muss eines bei allen künftigen<br />

Bemühungen im Vordergrund stehen: die<br />

Erhöhung der Autonomie der Akteure. Vorgeschlagen<br />

wird ein stark Bottom-up orientierter<br />

Ansatz, „bei dem weit mehr Freiheit als<br />

bislang auf den betroffenen unteren Ebenen<br />

angesiedelt ist“. Im Klartext heißt das: Weg<br />

und Ziel sind für die Akteure – also die Bür-

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