Brandenburgisches Ärzteblatt 11/2007 - Landesärztekammer ...
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Kammerinformationen/Gesundheitspolitik<br />
Gutachten über Bevölkerungsschwund<br />
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung gibt Empfehlungen für wirtschaftliche Zukunft Brandenburgs<br />
Einen Schrumpfungsprozess des Bevölkerungswachstums<br />
aufgrund von sinkenden<br />
Geburtenzahlen und Fortzügen besonders<br />
junger Frauen wird das Land Brandenburg<br />
in den nächsten Jahrzehnten vor bisher<br />
nicht da gewesene Herausforderungen stellen.<br />
In den Jahren 2004 bis 2030 wird<br />
Brandenburg etwa 13 Prozent seiner Bevölkerung<br />
verlieren – so die Bestandsaufnahme<br />
des Berlin-Instituts für Bevölkerung<br />
und Entwicklung. Im Auftrag des Brandenburgischen<br />
Landtages erstellte das Institut<br />
eine Expertise, wonach Brandenburg in<br />
eine schwierige Zukunft blickt.<br />
Immer weniger Ärzte<br />
Die zurückgehenden Bevölkerungszahlen<br />
bringen ein wichtiges und gerade heiß diskutiertes<br />
Problem mit sich: akuten Fachkräftemangel.<br />
Laut dem Gutachten werden bis zum<br />
Jahr 2015 etwa 200.000 Facharbeiterstellen<br />
neu besetzt werden müssen. Der Großteil dieser<br />
Arbeitsplätze befindet sich in der Berlin<br />
nahen Wachstumsregion. Nicht nur der Rückgang<br />
der Bevölkerung ist hierbei das Problem,<br />
sondern auch die Schwierigkeit, Menschen<br />
mit einem hohen Ausbildungspotenzial im<br />
Land zu halten. So verließen 40,5 Prozent<br />
der Hochschulabsolventen im Jahr 2005 nach<br />
ihrem Abschluss das Land.<br />
Der Arbeitskräftemangel hat sich besonders<br />
aber auf dem Gesundheitssektor verschärft,<br />
was sich vor allem in der Fläche zeigt, wo zirka<br />
170 Hausarzt- und 20 Facharztpraxen<br />
vakant sind. Sollte sich dieser Trend weiter<br />
fortsetzen, so wird es 2030 in manchen Landkreisen<br />
nicht einmal mehr einen Allgemeinarzt<br />
geben. Viele junge deutsche Mediziner wandern<br />
lieber nach Irland oder Skandinavien<br />
aus, als sich den Bedingungen der neuen<br />
Bundesländer zu stellen – 2005 verließen rund<br />
4.000 deutsche Mediziner das Land. Das sind<br />
1,3 Prozent des gesamten Ärztebestandes. „In<br />
abgelegenen Landkreisen wird es somit zunehmend<br />
riskanter werden, krank zu sein“, so<br />
die Einschätzung des Berlin-Instituts.<br />
Brandenburg und Berlin:<br />
eine besondere Beziehung<br />
Dass sich Berlin als Insel in Brandenburg befindet,<br />
stellt eine Besonderheit dar. „Im Grunde<br />
gibt es in Brandenburg nur eine einzige Stadt<br />
von nennenswerter Ausstrahlung: Berlin. Alle<br />
anderen Agglomerationen – mit Ausnahme<br />
von Potsdam – haben weniger Strahlkraft als<br />
gravierende Probleme“, heißt es in der Expertise.<br />
Cottbus, Eberswalde, Frankfurt (Oder)<br />
und Brandenburg (Havel) sind demnach keine<br />
wachsenden Städte mit starker regionaler Aus-<br />
<strong>Brandenburgisches</strong> <strong>Ärzteblatt</strong> <strong>11</strong>/<strong>2007</strong> · 17. Jahrgang<br />
strahlung – auch wenn bestimmte Wirtschaftsindikatoren<br />
augenblicklich nach oben zeigten.<br />
So hat Brandenburg den Charakter einer<br />
wachsenden Metropole nur am Rand von<br />
Berlin. Die Gutachter empfehlen, die Vor- und<br />
Nachteile einer Länderfusion zu untersuchen.<br />
Besonders die finanzielle Situation sollte durch<br />
eine Unternehmensberatung geprüft werden.<br />
Prämien für Abwanderer aus dünn<br />
besiedelten Regionen<br />
Das Gutachten bescheinigt der Brandenburger<br />
Staatskanzlei, dass sie die epochalen Veränderungen<br />
des demografischen Wandels<br />
erkannt habe und auch die Bevölkerung über<br />
die Bedingungen im Land informiere. Bereits<br />
seit kurz nach der Wende sei in der brandenburgischen<br />
Verwaltung ein systematischer<br />
Rückzug aus der Fläche augenscheinlich. Das<br />
beinhaltet die Schließung von Schulen oder<br />
aber die Auflösung von Gemeinden. Dieser<br />
aus finanziellen Gründen vollzogene Rückzug<br />
jedoch wird, so das Institut, auch in Zukunft<br />
weitergehen und bestimmte Gebiete werden<br />
zunehmend schrumpfen. „Hier den Erosionsprozess<br />
künstlich aufzuhalten, wäre Mittelverschwendung.“<br />
Darum sollte – wie das Gutachten<br />
vorschlägt – eher die Fahrtrichtung<br />
eingeschlagen werden „Stärken stärken“,<br />
aber im Gegensatz auch „Schwächen schwächen“.<br />
Letzteres bedeutet, dass in Landstrichen,<br />
deren Entwicklung weiterhin bergab<br />
geht, die finanziellen Mittel durch den Staat<br />
eingestellt werden sollten („Rückzug bis hin<br />
zur Streichung von Versorgungs- oder Gewährleistungsstandards“).<br />
Da die Einwohnerzahlen<br />
auch künftig rückläufig sind, sei diese<br />
Entwicklung aus rein arithmetischen Gründen<br />
unvermeidlich. Gleichzeitig muss das Land<br />
aber die medizinische Notfallversorgung gewährleisten:<br />
„Unterhalb einer bestimmten Präsenzschwelle<br />
kann der Staat seine Funktionen<br />
nicht ausdünnen.“ Hierfür sind allerdings<br />
finanzielle Mittel nötig.<br />
Um diese für die Grundversorgung notwendigen<br />
Aufwendungen für die übrig gebliebenen<br />
Schwundstandorte in einem geringen Maß zu<br />
halten, schlägt das Gutachten vor, die Menschen<br />
dort, wo kein anderer Impuls möglich<br />
ist, zum Abwandern zu motivieren. „Dies<br />
könnten etwa Prämien für das Verlassen einer<br />
sich entleerenden Region sein, die einem bestimmten<br />
Anteil des dort pro Einwohner und<br />
Lebenszeit im Schnitt eingesetzten Unterhaltungsbeitrages<br />
entsprechen“, lautet die Idee.<br />
Jedoch sollte der für derlei Maßnahmen eingesetzte<br />
Betrag möglichst nicht höher sein, als<br />
der Unterhalt, der gegebenenfalls Verbleibenden<br />
pro Kopf kosten würde.<br />
Eine weitere Möglichkeit sieht die Expertise<br />
darin, dass der Staat seinen Versorgungsanteil<br />
pro Kopf an die Bewohner ausschüttet. Als Folge<br />
würde er aber alle Vorsorgeleistungen, wie<br />
zum Beispiel Be- und Entwässerung, elektrischen<br />
Anschluss oder aber Wegesicherungspflicht,<br />
systematisch einstellen – ausgenommen<br />
sind die existenziellen Bereiche, wie<br />
Ordnungskräfte und Rettungsflüge. Dass solche<br />
Maßnahmen von der Bevölkerung nicht<br />
begrüßt würden, bezweifelt das Gutachten<br />
nicht. „Die Regierung muss also vermitteln,<br />
dass eine teilweise Entsiedelung auch ohne ihr<br />
Eingreifen unausweichlich ist – dann aber wesentlich<br />
teurer würde, sich schlechter beherrschen<br />
ließe und zu Lasten der Potenzialförderung<br />
anderer Gegenden ginge.“ Auf der<br />
anderen Seite könnte der staatliche Rückzug<br />
aus bestimmten Regionen das Ausschöpfen<br />
neuer Potenziale bedeuten. Derartige Landschaften<br />
könnten zu einem Naturerlebnisgebiet<br />
„Wildnis“ werden, das Besucher anzieht<br />
und wiederum neue Gelder einbringt.<br />
Blick über den Tellerrand: Wie machen es<br />
die anderen?<br />
Dass die Bedingungen, bedingt durch die Bevölkerungssituation<br />
in Brandenburg, schwierig<br />
sind, betont die Expertise zum wiederholten<br />
Mal – dennoch bieten sich ihrer Meinung nach<br />
auch Anpassungsmöglichkeiten, wie einige<br />
Beispiele anderer Bundesländer und Nationen<br />
zeigen. Hier sei auf drei Vorschläge verwiesen:<br />
· selbstverwaltete Schulbildung in Schweden:<br />
Kommunen entscheiden selbst, wo<br />
und wie sie ihre finanziellen Mittel für die<br />
Bildung einsetzen.<br />
· Polikliniken im finnischen Lappland: Versorgung<br />
mit Allgemein- und Fachärzten ist in<br />
wenigen zentralen Orten in den einstigen<br />
Polikliniken ähnlichen Gesundheitszentren<br />
organisiert. Spezialisten in entfernten Universitätskrankenhäusern<br />
untersuchen die Patienten<br />
durch eine Bildschirmkonferenz.<br />
· private Naturparks in Südafrika: Nutzung<br />
privater Reservate als<br />
Naturerlebnis-Landschaft ist oft wirtschaftlicher<br />
als der Ackerbau.<br />
Autonomie der Bevölkerung<br />
Wie sieht die Zukunft Brandenburgs aus? Laut<br />
dem Gutachten muss eines bei allen künftigen<br />
Bemühungen im Vordergrund stehen: die<br />
Erhöhung der Autonomie der Akteure. Vorgeschlagen<br />
wird ein stark Bottom-up orientierter<br />
Ansatz, „bei dem weit mehr Freiheit als<br />
bislang auf den betroffenen unteren Ebenen<br />
angesiedelt ist“. Im Klartext heißt das: Weg<br />
und Ziel sind für die Akteure – also die Bür-