Brandenburgisches Ärzteblatt 11/2007 - Landesärztekammer ...
Brandenburgisches Ärzteblatt 11/2007 - Landesärztekammer ...
Brandenburgisches Ärzteblatt 11/2007 - Landesärztekammer ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
400<br />
Rezensiert<br />
Der Frauenleib als öffentlicher<br />
Ort. Vom Mißbrauch des<br />
Begriffs Leben<br />
Barbara Duden<br />
Mabuse-Verlag, <strong>2007</strong>, 136 Seiten<br />
ISBN: 3938304766, Preis: 15,90 Euro<br />
Eine kurze Rezension<br />
kann dem Essay von Barbara<br />
Duden „Der Frauenleib<br />
als öffentlicher Ort“<br />
mit seinen vielfältigen<br />
Aspekten kaum gerecht<br />
werden. Das Grundthema<br />
des Essays ist die Visualisierung<br />
des Verborgenen.<br />
Diese Visualisierung macht – wenn<br />
man der Verfasserin folgt – das Verborgene<br />
nicht nur sichtbar, sondern auch „öffentlich“.<br />
Im speziellen Fall der Schwangerschaft – dem<br />
eigentlichen Thema des Essays – führt die<br />
Visualisierung des Embryos und des Feten<br />
in Büchern, Broschüren und anderen Medien<br />
– nach Ansicht der Verfasserin – zu einer<br />
mentalen Einstellungsveränderung bei der<br />
Schwangeren und ihrem gesellschaftlichen<br />
Umfeld. Die Schwangere soll durch die allgemein<br />
zugänglichen Bilder ihres Inneren, des in<br />
ihr Verborgenen, eine Entfremdung ihrer Gefühle<br />
und ihrer Körperlichkeit erleben, während<br />
für die Umwelt, insbesondere dem<br />
Arzt bzw. dem „medizinischen Komplex“ die<br />
Schwangerschaft zum öffentlichen Ort wird,<br />
in den gegebenenfalls auch „hineingegriffen“<br />
werden kann und muss.<br />
Dem zu folgen fällt einem Arzt nicht leicht –<br />
die Sorge einer Schwangeren um das<br />
Leben, um die Unversehrtheit ihres Ungeborenen<br />
ist kein Produkt des 20. oder<br />
21. Jahrhunderts. In Shakespeares Sommernachtstraum<br />
(1594) kommt diese Besorgnis<br />
in den beschwörenden Verszeilen<br />
der Elfengeister zum Ausdruck:<br />
Ihr Geschlecht soll nimmer schänden<br />
Die Natur mit Feindeshänden<br />
Und mit Zeichen schlimmer Art<br />
Muttermal und Hasenschart.<br />
Die Verfasserin geht auch an anderer Stelle<br />
mit der Historie recht frei um, denn die<br />
Schwangerschaft ist nicht erst seit der Neuzeit<br />
schützenswert, bereits der Hippokratische<br />
Eid im klassischen Griechenland verbot<br />
Ärzten, Schwangeren Mittel zur Unterbrechung<br />
der Schwangerschaft zu geben.<br />
Das Unbehagen an der Visualisierung und<br />
deren öffentliche Wirkung ist aber an sich ein<br />
interessantes Thema – denn wenn das Sichtbarmachen<br />
des Unsichtbaren oder Verborgenen<br />
zu mehr oder neuem Wissen führt, dann<br />
kann es uns auch zwingen, unser Denken<br />
<strong>Brandenburgisches</strong> <strong>Ärzteblatt</strong> <strong>11</strong>/<strong>2007</strong> · 17. Jahrgang<br />
(Weltsicht, Weltanschauung) zu verändern<br />
(natürlich kann die Visualisierung und ihre<br />
Wirkung auch missbraucht werden – ohne<br />
Zweifel).<br />
Als Galileo die Umlaufbahnen der Jupitermonde<br />
erkannte, weil er ihre Positionen mit<br />
dem Fernrohr sah (!), zerfielen das Sphärenmodell<br />
der Himmelskörper und das geozentrische<br />
Weltbild; als andere Forscher ihre<br />
Mikroskope auf Wassertropfen einstellten,<br />
sahen sie Kleinstlebewesen und bald war es<br />
mit bösen Geistern, Miasmen, der Urzeugung<br />
vorbei und die moderne Naturwissenschaft<br />
begann.<br />
Sowohl bei der Visualisierung (die die Verfasserin<br />
als Abbildung des Verborgenen<br />
versteht), als auch bei der Abbildung (des<br />
Sichtbaren) handelt es sich um archaische<br />
Kulturtechniken, da bereits Steinzeitbilder<br />
nicht nur abbilden (Menschen, Tiere,<br />
Gegenstände), sondern auch visualisieren<br />
(Kälberfetus in der Kuh). Die Visualisierung<br />
als Kulturtechnik ist weder gut noch böse,<br />
gleich dem Schriftdruck ist sie geeignet,<br />
Wissen zu vermehren oder auch Unwissen<br />
zu konservieren.<br />
Und so verändert die Kenntnis von der Befruchtung,<br />
der Einnistung, der Embryonalentwicklung<br />
und dem Feten durch die Visualisierung<br />
das allgemeine Bewusstsein und<br />
das Bewusstsein der Schwangeren – leider<br />
oder Gott sei Dank; und an dem biologischen<br />
Faktum, dass das neue Leben mit der<br />
befruchteten Eizelle und nicht mit der ersten<br />
spürbaren Kindsbewegung beginnt, kann<br />
niemand mehr vorbei. Wir können juristische,<br />
psychologische, moralische oder soziologische<br />
Grenzen ziehen, aber die sind<br />
dann willkürlich gesetzt und ignorieren die<br />
biologischen Tatsachen.<br />
Gestattet man sich einen Seitenblick auf die<br />
Rechtsgeschichte, so ist unverkennbar, dass<br />
der Schutz des menschlichen Lebens im Laufe<br />
der Geschichte erweitert wurde – wenn<br />
auch immer wieder Rückschläge hinzunehmen<br />
waren und sind. Der Weg führt vom<br />
erlaubten Töten von Stammesfremden, Sklaven,<br />
Kriegsgefangenen, Menschen mit besonderen<br />
Merkmalen oder Fehlbildungen,<br />
Frauen, Kindern und Neugeborenen über<br />
das Verbot solchen Handelns bis zum Schutz<br />
noch ungeborener Kinder.<br />
Der letzte Abschnitt „Das Leben“ – von der<br />
Verfasserin unter das Motto gestellt: „Jenes<br />
‘Leben’, das den gegenwärtigen Diskurs mit<br />
seiner ethischen Selbstherrlichkeit überragt,<br />
gehört in die Geschichte von Trug und Wahn<br />
– oder vielleicht von Religion – und nicht in<br />
die Geschichte des Körpers“ – erreicht für<br />
den Rezensenten den Bereich des Irrationalen.<br />
Selbstverständlich gibt es das „Leben“<br />
nicht, aber sehr wohl Lebewesen mit ihren<br />
Eigenschaften, Merkmalen, Funktionen, die<br />
sie als Lebewesen charakterisieren, und so<br />
stehen natürlich der Embryo und der Fetus<br />
in der Abfolge lebendiger Existenz, eben des<br />
Lebens.<br />
Ob Ärzte (der Plural steht für Kolleginnen<br />
und Kollegen) diesen Essay lesen sollten, ist<br />
eine schwierige Frage. Der Essay ist für<br />
Nichtsoziologen nicht leicht zu lesen, da die<br />
Sprache soziologischer Diskurse Ärzten und<br />
anderen nicht unbedingt vertraut sein dürfte.<br />
Begriffe wie Embryo, Fetus, Abort und Fehlgeburt<br />
werden oft ungenau verwendet bzw.<br />
miteinander verwechselt, auch mit den Vergrößerungsebenen<br />
(Endoskopie, Lichtmikroskopie,<br />
Elektronenmikroskopie) hat die Verfasserin<br />
manchmal Probleme. Vielleicht<br />
kommt der Essay am ehesten für Ärzte in<br />
Betracht, die auf dem Gebiet der Gynäkologie<br />
und Geburtshilfe arbeiten. Es sind gewiss<br />
Passagen zu finden, die ihnen Anregungen<br />
über das Fühlen und Denken ihrer Patientinnen,<br />
so sie schwanger sind, geben. Sie<br />
sollten sich aber auf eine Lektüre einstellen,<br />
die ihre Geduld und Emotionen strapazieren<br />
könnte.<br />
Dr. Manfred Kalz<br />
Laktose-Intoleranz<br />
Britta-Marei Lanzenberger<br />
Systemed Verlag, <strong>2007</strong><br />
broschiert<br />
ISBN: 3-927372-33-1; Preis: 16,90 Euro<br />
Das Buch „Laktose-Intoleranz“<br />
von Britta-<br />
Marei Lanzenberger<br />
ist deutlich auf Patienten-<br />
und Laienaufklärung<br />
ausgerichtet.<br />
Ärzte sollten eher zu<br />
medizinisch-wissenschaftlichenPublikationen<br />
greifen, da der<br />
theoretische Teil des Buches nicht hinreichend<br />
fundiert ist.<br />
Aber auch von Patienten ist das Buch mit<br />
Vorsicht zu verwenden, da es bei unklaren<br />
abdominellen Symptomen zu stark auf eine<br />
Laktosemaldigestion orientiert; bei unklaren<br />
abdominellen Symptomen kann Selbsthilfe<br />
durch angelesenes „Wissen“ sehr gefährlich<br />
sein!<br />
Den größten Nutzen dürften Patienten mit<br />
gesicherter Laktosemaldigestion haben, da<br />
sie hier zahlreiche Rezepte und Tipps für<br />
eine laktosefreie bzw. -arme Kost finden.<br />
Dr. Manfred Kalz