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Sucht.potenzial - Sailing Journal

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shorttrack<br />

olympia<br />

olympiabilanz<br />

Text Denis Grau Text Andreas Kling © Foto DSV<br />

Knapp 24 Stunden nach dem wohl spektakulärsten Medaillenfi nale dieser<br />

Olympischen Spiele konnten Jan-Peter und Hannes Peckolt endlich den Lohn ihrer<br />

Arbeit in Empfang nehmen: Mit Bronze haben die Brüder aus Hamburg und Kiel der<br />

deutschen Segelflotte die erste Medaille seit den Olympischen Spielen von Sydney<br />

2000 geschenkt.<br />

Dem Erfolg waren ein wahrer Finalthriller und eine nervenaufreibende Protestverhandlung<br />

vorangegangen. Die Studenten wussten nach ihrem spektakulären von Kenterungen<br />

aller zehn Teilnehmer gekennzeichneten Medaillenrennen erst spät in der<br />

Nacht zum Montag, dass ihnen Bronze trotz laufender Proteste nicht mehr zu nehmen<br />

war. Statt mit einer Siegerparty genossen sie ihre Medaille jedoch in aller Stille. „Wir<br />

haben uns ein gutes Essen im olympischen Dorf gegönnt, es stand etwas mehr auf<br />

dem Speiseplan als sonst“, sagte Jan-Peter Peckolt mit einem Augenzwinkern, nachdem<br />

die Mannschaft bis zu den Olympischen Spielen und dem Leichtwindrevier im<br />

Gelben Meer viele Kilos lassen musste.<br />

„Für uns ist ein Traum wahr geworden“, sagte Steuermann Pit Peckolt. Die Segler<br />

verrieten, dass sie sich am Morgen vor ihrem Medaillenrennen von vier Damen haben<br />

inspirieren lassen. „Erst haben wir Britta Steffens Olympiasieg im Fernsehen miterlebt<br />

und dann auch Ulli Schümann bei ihrem tollen Medaillenrennen gesehen – das hat<br />

uns zusätzlich motiviert“, so Peckolt. Den am grünen Tisch bestätigten Olympiasieg<br />

der dänischen Segler Jonas Warrer und Martin Ibsen kommentierten die deutschen<br />

49er-Segler am Montag Nachmittag positiv. „Es ist schon eindrucksvoll, was die beiden<br />

für eine heiße Story fabriziert haben“, sagte der 27-jährige Steuermann Pit Peckolt.<br />

Sein 25 Jahre junger Bruder Hannes glaubt: „Die Jury hat da den richtigen Weg<br />

gefunden.“ Die Dänen hatten sich nach ihrem Mastbruch auf dem Weg zum Finale<br />

in einem Blitzmanöver einen kroatischen 49er ausgeliehen und damit ihren Olympiasieg<br />

verteidigt, mussten sich jedoch anschließend mehrerer Proteste erwehren, bevor<br />

der Jury-Entscheid zu ihren Gunsten und damit auch zugunsten des olympischen Fair<br />

Plays und gegen eine starre Regelauslegung fi el: Sie dürfen Gold behalten.<br />

Der Traum der deutschen Tornado-Crew Johannes Polgar/Florian Spalteholz von<br />

der zweiten deutschen Medaille platzte im Finale, als ihr Katamaran – in aussichtsreicher<br />

Position drei liegend – mit einem umhertreibenden Holzbalken kollidierte. Dabei<br />

brach das Leeruder und ließ das Boot bei hoher Geschwindigkeit außer Kontrolle<br />

geraten. Polgar/Spalteholz kenterten, wurden beide aus dem Boot geschleudert und<br />

konnten die Wettfahrt nicht beenden. „So ein Brocken ist hart zu schlucken, wir sind<br />

ganz schön traurig und auch wütend. Wenn da nichts ist, was du selbst falsch gemacht<br />

hast, sondern dir das Schicksal einfach so einen Schock beschert, dann ist das<br />

richtig bitter“, haderte der 30 Jahre alte Steuermann in Qingdao mit dem Unglück. Ein<br />

Jury-Boot musste die beiden Segler zu ihrem im Gelben Meer davonbrausenden Tor-<br />

nado bringen. Schlimmer noch als die Kenterung aber<br />

wog die Erkenntnis, was hätte werden können, wenn<br />

sie nicht geschehen wäre. „Zu dem Zeitpunkt der Kollision<br />

lagen wir tatsächlich auf dem Bronzeplatz, denn<br />

die vor dem Rennen drittplatzierten Argentinier waren<br />

ein paar Plätze hinter uns. Das hätte womöglich gereicht<br />

...“ Trainer Rigo de Nijs brachte das Segeldrama<br />

auf den Punkt: „Das muss ein schlechter Witz von<br />

Gott gewesen sein.“<br />

Um ihre männlichen Teamkollegen vom Norddeutschen<br />

Regatta Verein am Finaltag unterstützen zu<br />

können, haben alle sechs Frauen der deutschen Segelmannschaft<br />

ihre Flüge umgebucht, reisten erst am<br />

Freitag für zwei Tage nach Peking. „Wir sind ein Team<br />

und wir wollen die Jungs anfeuern“, erklärte Ulrike<br />

Schümann, deren Yngling-Mannschaft bei ihrer olympischen<br />

Premiere Platz vier belegt hatte. Enttäuscht,<br />

aber nicht am Boden zerstört, beendete Laser-Radial-<br />

Steuerfrau Petra Niemann am Dienstag ihren dritten<br />

Olympiaeinsatz. Die Vize-Weltmeisterin von 2006, die<br />

in ihrer radikalen Vorbereitung fast ein Jahr lang Starts<br />

bei großen Regatten vermieden hatte, um sich ganz<br />

auf die Olympischen Spiele konzentrieren zu können,<br />

konnte in China zu keiner Zeit ihr volles Leistungsvermögen<br />

abrufen. Als insgesamt Fünfzehnte hatte sie<br />

den Einzug in das Medaillenfi nale klar verpasst. Die<br />

30-jährige Pharmazeutin sagte: „An meiner Vorbereitung<br />

hat es nicht gelegen. Eher an der Summe vieler<br />

Kleinigkeiten. Das Revier und ich passten einfach<br />

nicht zusammen.“<br />

Die deutsche Mannschaft Marc Pickel/Ingo Borkowski<br />

war bei stürmischen Winden und strömendem<br />

Regen zwar ohne Medaillenhoffnung in das Finale<br />

gestartet, konnte sich aber mit Rang vier noch auf<br />

Platz sieben im Abschlussklassement verbessern. Im<br />

Medaillenspiegel der olympischen Segelregatta in der<br />

Fushan-Bucht belegte die deutsche Mannschaft nach<br />

der Medaillenvergabe in fünf von elf Disziplinen gemeinsam<br />

mit Brasilien und Griechenland Platz acht.<br />

Die Olympiabilanz des Deutschen Segler-Verbands<br />

(DSV) sieht etwas besser aus als nach den medaillenlosen<br />

Spielen von Athen 2004. Das liegt vor allem am<br />

hart wie hauchdünn erkämpften „Bronze“ der 49er-<br />

Mannschaft Jan und Hannes Peckolt aus Hamburg und<br />

Kiel. Aber auch der vierte Rang der Berliner Yngling-<br />

Frauen Ulrike Schümann, Julia Bleck und Ute Höpfner<br />

schloss leicht über dem Niveau von vor vier Jahren ab.<br />

Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />

nicht nur das überragende Großbritannien, sondern<br />

auch anderen Nationen Längen voraussteuern.<br />

Als nur sechs der elf Segeldisziplinen besetzt<br />

worden waren, rückte eine kleine, aber schlagkräftige<br />

Mannschaft zusammen, die überall zumindest zum erweiterten<br />

Favoritenkreis gehörte. „Die Stimmung untereinander<br />

war so gut wie lange nicht bei Olympia“,<br />

freute sich der scheidende DSV-Sportdirektor Hans<br />

Sendes. Der Hamburger rechnete auch positiv: „Wir<br />

haben in fünf von sechs Chancen die vom DOSB geforderte<br />

Finalteilnahme geschafft.“ Wer viel mehr als<br />

die Teilnahmen in den Medaillenrennen der besten<br />

zehn erwartet habe, sei ein Träumer.<br />

Doch nicht nur der 15. Platz der Berlinerin Petra<br />

Niemann im Laser Radial war bei ihrem dritten Olympiaauftritt<br />

eine Enttäuschung. Auch Rang neun der<br />

Leichtwindspezialistinnen Steffi Rothweiler und Vivien<br />

Kussatz (München/Berlin) im 470er blieb deutlich hinter<br />

den Erwartungen zurück. Individuelle taktische<br />

Fehler und im Finale auch Pech versperrten der Kieler<br />

Tornado-Crew Johannes Polgar/Florian Spalteholz als<br />

Achten sowie den Siebten Marc Pickel/Ingo Borkowski<br />

(Kiel/Babelsberg) im Starboot den Weg auf Treppchen.<br />

Das Streben nach mehr sollte in einem leistungsorientierten<br />

System jedoch nicht als Realitätsverlust<br />

abgetan werden. „Mit einer Bronzemedaille kann eine<br />

Sportnation wie Deutschland doch nicht zufrieden<br />

sein“, meint Marc Pickel, der auch die eigene Messlatte<br />

höher legt. „Zufrieden bin ich erst mit Gold“,<br />

pfl ichtete ihm Bundestrainer Rigo de Nijs bei, der die 49er und Tornados betreut hatte.<br />

Beide verlangen in Zukunft eine langfristigere und ganzheitliche Vorbereitung. „Ich<br />

brauche mit den Aktiven mehr Zeit vor Ort“, so der Niederländer de Nijs, „spätestens<br />

zwei Jahre vor den Spielen müssen wir intensiv auf dem Olympiarevier trainieren.“<br />

Dazu gehöre nicht nur die reine Wasserarbeit, sondern bereits frühzeitig die Materialtests<br />

sowie Wetter- und Strömungsanalysen. Vieles davon war erst im vorigen Winter<br />

aufgrund der Initiative privater Sponsoren der Segler wie der „pinta elements“ von<br />

Michael Illbruck angestoßen und bezahlt worden. Marc Pickel geht noch einen Schritt<br />

weiter: „Wir brauchen einen Acht- oder Zwölfjahresplan. Die andauernden Erfolge der<br />

Briten fallen ja nicht vom Himmel.“ Seit 2000 diktiert Großbritannien den Segelsport<br />

und stellte in Qingdao mit viermal „Gold“ sowie je einer Silber- und Bronzemedaille einen<br />

neuen Rekord auf. Dort schöpft das Leistungssegeln mit fast vier Millionen Euro<br />

Jahresbudget aus dem Vollen. Der DSV hat weniger als ein Drittel davon zur Verfügung.<br />

Die Schweiz wagte 2006 den konsequenten Schnitt und gliederte eine Leistungs-AG aus<br />

den ehrenamtlichen Verbandsstrukturen aus. Der Etat hat sich seitdem verdoppelt.<br />

Wer in Weymouth 2012 dominieren wird, steht schon jetzt aufgrund des zusätzlichen<br />

Heimvorteils außer Frage. Doch auch Australien, die USA sowie die Niederlande<br />

und mehrere Mittelmeerländer wollen frühzeitig an der englischen Küste ihr Quartier<br />

aufschlagen. Der DSV sollte sich sputen, so zielorientierte Analysten wie Rigo de Nijs<br />

an sich zu binden und hinderliche Strukturen aufzubrechen. Denn nach Athen war der<br />

Schall der Alarmglocken schon einmal fast ungehört verhallt.

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