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Beelitzer Nachrichten - Dezember - Weihnachten 2016

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DIE WEIHNACHTSGESCHICHTE<br />

Seite 7<br />

halb zu, denn er wusste, dass sein<br />

Freund weder dem Burggrafen Friedrich<br />

ein Auge ausgeschossen, noch seiner<br />

Gattin einen Kuss gestohlen, geschweige<br />

denn ihn überhaupt je zu Gesicht bekommen<br />

hatte. Er fragte sich vielmehr,<br />

ob der Plan seines Sohnes aufgehen<br />

würde.<br />

Als die Nacht vorangeschritten war und<br />

Quitzows Mannen bis auf die Wachen<br />

schliefen, wurden Heinrich Pfisters Leute<br />

unbemerkt tätig. Unter den Decken<br />

förderte jeder zwei kleine Beutel aus<br />

seinen Taschen zutage, die er bislang<br />

versteckt gehalten hatte. In dem einen<br />

befand sich Blut von den geschlachteten<br />

Tieren, in dem anderen ein Gemisch aus<br />

Schlamm, Wasser und Dung. Das nun<br />

verteilte ein Jeder leise schweigend auf<br />

seinem Gesicht, unter den Armen und<br />

auf dem Bauch.<br />

***<br />

Am frühen Morgen gellte ein entsetzter<br />

Schrei durch das Lager. „Die Pest, sie<br />

haben die Pest zu uns gebracht!“<br />

Heinrich, Konrad, Hans und all die anderen<br />

boten ihr gesamtes schauspielerisches<br />

Können auf: Der eine stöhnte gequält<br />

vor sich hin, der andere hustete<br />

und spukte Blut, das er im Mund aufbewahrt<br />

hatte, und sie alle kratzten sich<br />

und wälzten sich und jaulten in wohl<br />

dosierten Abständen auf. Auch darüber<br />

hinaus wurden Geräusche laut, die so<br />

manch edler Dame eine lang anhaltende<br />

Ohnmacht beschert hätten.<br />

„Was ist das für ein Aufruhr?“, rief<br />

Dietrich von Quitzow, doch dann sah er<br />

das Elend: Männer mit schwarzen Beulen<br />

im Gesicht und am Körper, die nur<br />

eines bedeuten konnten: Niemand von<br />

ihnen würde das Ende des Tages noch<br />

erleben.<br />

„Der schwarze Tod, er ist über uns gekommen“,<br />

rief einer seiner Söldner und<br />

klaubte seine Habseligkeiten zusammen.<br />

„Niemand geht! Ihr werdet hierbleiben“,<br />

schrie Quitzow, doch kaum jemand achtete<br />

noch auf ihn. In alle Himmelsrichtungen<br />

verließen die Männer das Lager<br />

und auch ihm selbst blieb letztendlich<br />

nichts anderes übrig, als mit seinen<br />

engsten Vertrauten das Weite zu suchen.<br />

***<br />

„Sie ziehen ab! Onkel, sie ziehen ab!“<br />

Marie rüttelte an Neuendorffs Schulter.<br />

Er war, in eine Decke gehüllt, kurz eingeschlafen,<br />

doch nun folgte er seiner<br />

Nichte hellwach über den Wehrgang.<br />

Während man die Söldner, zu Fuß und<br />

zu Pferde, auseinander stieben sah, blieb<br />

ein kleiner Pulk in dem feindlichen Lager<br />

liegen und schien sich hin und her zu<br />

rollen. Neuendorff kam schnell in den<br />

Sinn, wovor der Gegner geflohen war<br />

und er machte sich schon Gedanken<br />

darüber, wie er die Pestopfer unter die<br />

Erde bringen lassen sollte, ohne die<br />

Stadt in Gefahr zu bringen. Doch dann,<br />

als niemand anderes mehr in Sicht war,<br />

standen diese Gestalten auf und - war<br />

das möglich? - fingen an zu tanzen.<br />

Nur allmählich reifte dem Ratsherrn die<br />

Erkenntnis, dass Heinrich Pfister die<br />

Stadt gerettet hatte. Mit einer List, die<br />

zwar alles andere als ritterlich war, aber<br />

in ihrer Wirkung alle Bögen, welche die<br />

Stadt aufbieten konnte, übertraf.<br />

„Marie, wir werden die Tore öffnen.“<br />

„Onkel?“ Ungläubig schaute sie ihn an,<br />

immerhin musste sie gestern noch befürchten,<br />

dass sich ihr Hans gegen die<br />

Stadt verschworen hatte und seine Tage<br />

gezählt waren.<br />

„Wir öffnen die Tore und heißen sie<br />

willkommen. Es ist Zeit, sich auszusöhnen.“<br />

***<br />

Über die Wiese lief Marie ihnen entgegen.<br />

Hans Pfister breitete seine Arme<br />

aus und wirbelte sie lachend herum,<br />

während sein Vater erhobenen Hauptes<br />

vor den versammelten Stadtrat trat.<br />

„Sieht aus, als hätten wir den Feind vertrieben“,<br />

sagte er, weil ihm nichts Besseres<br />

zu sagen einfallen wollte.<br />

„Mit dem Gestank, mein lieber Pfister,<br />

hättet ihr sämtliche Armeen des Kaisers<br />

in die Flucht geschlagen“, entgegnete<br />

Georg von Neuendorff, dem es nicht<br />

gerade leicht fiel, nach so langer Zeit<br />

wieder mit Heinrich zu sprechen.<br />

Als hätte der seine Gedanken gelesen,<br />

deutete er auf Marie und Hans und bemerkte:<br />

„Denen macht ihr Wiedersehen<br />

scheinbar weniger zu schaffen.“<br />

„Darüber wird auch noch zu reden sein“,<br />

knurrte Neuendorff, doch dann hellte<br />

sich seine Miene auf: „Es wird Zeit, dass<br />

ihr wieder nach Hause kommt. Es wird<br />

langsam zu kalt, um draußen Räuber zu<br />

spielen. Und außerdem seid ihr auch<br />

schon ein wenig zu alt für so etwas.“<br />

„Was ist mit meinen Leuten? Nicht jeder<br />

dürfte in Beelitz wohlgelitten sein“, sagte<br />

Heinrich.<br />

Neuendorff blickte in die Runde der<br />

Ratsleute und erntete zustimmendes<br />

Nicken. „Ihr Halunken habt die Stadt<br />

gerettet. Und das wiegt so manche frühere<br />

Sünde auf.“<br />

Hinter Heinrichs Rücken brach Jubel<br />

aus. Neuendorff brachte sie aber mit<br />

einer Geste zum Schweigen. „Obwohl -<br />

eine Sache wäre da noch, die wir aus der<br />

Welt schaffen müssen.“<br />

„Und zwar?“, fragte Heinrich alarmiert.<br />

„Eure Erscheinung“, lachte der Ratsmann.<br />

„So kann ich Euch unmöglich auf<br />

das große Fest vorlassen, das ich heute<br />

zu Euren Ehren zu geben gedenke!“<br />

***<br />

Und es wurde das größte Fest, das die<br />

Stadt bis dahin gesehen hatte - immerhin<br />

feierte man nicht nur den Sieg über die<br />

Belagerer, sondern auch das Wiedersehen<br />

mit jenen, die man so lang schon<br />

vermisste. An den prasselnden Kaminfeuern<br />

im großen Saal der Stadt wurde<br />

an jenem Abend so manche Freundschaft<br />

erneuert und so manche Familie<br />

wieder zusammengeführt. Vom Kirchturm<br />

her läuteten die Glocken und über<br />

der Stadt strahlten die Sterne so hell wie<br />

schon lange nicht mehr.<br />

„Du hättest mir eine Nachricht geben<br />

müssen, was ihr da draußen vorhabt. Ich<br />

habe mir unendliche Sorgen gemacht“,<br />

sagte Marie zu Hans, als sie sich abseits<br />

des Trubels niederließen.<br />

Der nahm ihre Hand und sagte: „Ich<br />

hoffe, dass Du mir auch das verzeihst.“<br />

Woraufhin Marie auf die feiernden Menschen<br />

blickte und feststellte: „Natürlich<br />

tue ich das. Von Herzen. Und ich glaube,<br />

dass wir gerade in diesen Tagen alle<br />

überlegen sollten, wem wir noch etwas<br />

zu vergeben haben.“<br />

Schlussbemerkung:<br />

Vieles, aber nicht alles an dieser Geschichte<br />

ist frei erfunden. Tatsächlich<br />

beteiligten sich die <strong>Beelitzer</strong> 1414 an<br />

der Belagerung der Burg Beuthen, die<br />

Dietrich von Quitzow gehörte.<br />

Der wohl berühmteste Raubritter der<br />

Landesgeschichte war durch die Belehnung<br />

Friedrichs von Hohenzollern mit<br />

der wilden und gesetzlosen Mark Brandenburg<br />

unter Druck geraten, denn<br />

anders als seine bayrischen oder böhmischen<br />

Vorgänger hatte Friedrich<br />

vor, die Mark tatsächlich zu regieren.<br />

Während sich andere Adlige sich seinem<br />

Herrschaftsanspruch bald beugten,<br />

widersetzte der Quitzow sich weiterhin.<br />

Er zog zwei Jahre darauf - nun<br />

im Auftrag des Erzbischofes von Magdeburg<br />

- plündernd durch die Zauche.<br />

Als er Beelitz belagern wollte, soll unter<br />

seinen Leuten tatsächlich die Pest<br />

ausgebrochen sein, woraufhin er über<br />

Buchholz und (Treuen-)brietzen weiter<br />

nach Sachsen zog, wo er im Jahr darauf<br />

starb. Neuere Untersuchungen<br />

weisen übrigens darauf hin, dass die<br />

Quitzows nicht so schlimm waren wie<br />

ihr Ruf - keinesfalls schlimmer als andere<br />

Adlige im 15. Jahrhundert. Ihr<br />

Image verdanken sie allein der Hohenzollern-treuen<br />

Geschichtsschreibung<br />

des 19. Jahrhunderts.<br />

Wir wünschen allen Leserinnen und<br />

Lesern ein frohes Weihnachtsfest!<br />

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