COMPACT-Magazin 03-2017
Schulz wird Merkel
Schulz wird Merkel
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<strong>COMPACT</strong> Politik<br />
Technisch machbar<br />
«Eine deutsche Atombombe –<br />
rein technisch wäre die wohl<br />
möglich», verkündete Panorama<br />
am 2. Februar dem Publikum. In<br />
der Tat: Genug nuklearer Abfall<br />
liegt etwa im Endlager Gorleben<br />
bereit. Um daraus Plutonium<br />
zu extrahieren, bräuchte man<br />
aber eine Wiederaufbereitungsanlage;<br />
deren Bau im bayrischen<br />
Wackersdorf wurde 1986<br />
nach Massendemonstrationen<br />
gestoppt. Nach wie vor arbeitet<br />
aber eine Urananlage in Gronau<br />
an der holländischen Grenze,<br />
wo derzeit Natururan auf drei<br />
Prozent spaltbare Bestandteile<br />
angereichert wird, ausreichend<br />
für den Einsatz in AKWs. Für<br />
eine Bombe müsste der Anreicherungsgrad<br />
auf mindestens 97<br />
Prozent gesteigert werden, was<br />
lediglich eine längere Laufzeit<br />
der Zentrifugen erfordert.<br />
Atomfirma Urenco in Gronau.<br />
Foto: picture-alliance / dpa<br />
Seit Ende der 1950er Jahre trainiert<br />
die Bundeswehr den Einsatz von<br />
US-Atomwaffen im Rahmen der<br />
sogenannten Nuklearen Teilhabe.<br />
Foto: Alf van Beem, CC0, Wikimedia<br />
Commons<br />
Gegenteil (…).» Wehe aber, wenn jemand «die sich<br />
aufdrängende Frage» um eine Schließung unserer<br />
Grenzen führen wollte – der dürfte keineswegs damit<br />
rechnen, in Panorama so freundlich interviewt zu<br />
werden wie dieser Kühn, sondern würde als Rechtspopulist<br />
mit dem Schießbefehl der DDR in Verbindung<br />
gebracht und an den Pranger gestellt werden.<br />
Merke: Diskursoffenheit gibt es immer nur bei Themen,<br />
die die Eliten in den Diskurs einspeisen wollen.<br />
Nuklear-FAZismus<br />
Das Drängeln in Richtung Atomwaffen wurde bereits<br />
im November 2016 durch Roderich Kiesewetter<br />
eröffnet, den für Außenpolitik zuständigen Obmann<br />
der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Er plädierte<br />
im Deutschlandfunk dafür, dass die EU einen<br />
«eigenen nuklearen Schutz zu Abschreckungszwecken»<br />
brauche, es dürfe «keine Denkverbote» geben.<br />
Im Dezember 2016 legte die Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung (FAZ) nach. Herausgeber Berthold Kohler<br />
lamentierte darüber, dass Trump die Europäer in<br />
einem Maße im Stich zu lassen drohe, «das sie seit<br />
1945 nicht mehr kennen». Deswegen müsse man<br />
«das für deutsche Gehirne ganz und gar Undenkbare»<br />
in Betracht ziehen: «die Frage einer eigenen<br />
nuklearen Abschreckungsfähigkeit, welche die Zweifel<br />
an Amerikas Garantien ausgleichen könnte. Die<br />
französischen und britischen Arsenale sind dafür in<br />
ihrem gegenwärtigen Zustand zu schwach. Moskau<br />
aber rüstet auf.»<br />
Der linksliberale Tagesspiegel räumte Ende Januar<br />
alle Zweifel aus, wohin die Reise gehen soll.<br />
Unter dem Titel «Deutschland braucht Atomwaffen»<br />
machte der Politologe Maximilian Terhalle aus seinem<br />
Herzen eine Mördergrube. Er arbeitet unter anderem<br />
für das in der NATO mit tonangebende International<br />
Institute for Strategic Studies (IISS) in<br />
London und ist Mitglied in der Deutschen Atlantischen<br />
Gesellschaft, in der die Sicherheitspolitiker<br />
aller etablierten Parteien zusammenkommen.<br />
Kostprobe: «Ein Deutschland (…), das die Macht<br />
von Putins Russland begrenzen will, um unabhängig<br />
und damit politisch unbeugsam ein Europa aufrechtzuerhalten,<br />
das unseren innen- und außenpolitischen<br />
Handlungsspielraum erhält, muss dies<br />
militärisch und damit nuklear tun. Alles andere ist<br />
Illusion, da es Putins wachsende, revisionistische<br />
Machtansprüche in einem nicht-US-geschützten Europa<br />
naiv unterschätzt.»<br />
Dann kam die Panorama-Sendung, und dann war<br />
wieder die FAZ dran. Am 6. Februar, einen Tag vor<br />
Angela Merkels Staatsbesuch in Warschau, druckte<br />
das Blatt ein Interview mit Jaroslaw Kaczynski, dem<br />
nach wie vor mächtigsten Mann in der polnischen<br />
Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit. Er befürwortete<br />
die Idee einer EU-Aufrüstung: «Eine eigene<br />
Atommacht müsste mit Russland mithalten können.»<br />
«Die französischen und britischen<br />
Arsenale sind dafür in ihrem<br />
gegenwärtigen Zustand zu<br />
schwach.» <br />
FAZ<br />
So wird das Thema am Köcheln gehalten. Dabei<br />
schälen sich zwei unterschiedliche Richtungen heraus:<br />
Die einen (Kaczynski, Kiesewetter) befürworten<br />
eine EU-Atomstreitmacht, in welche die Franzosen<br />
(bisher ungefähr 160 Sprengköpfe) und Briten (bisher<br />
knapp 300) ihre Arsenale einbringen müssten.<br />
Das Problem dieses Ansatzes: London hat mit dem<br />
Brexit bereits begonnen – und in Paris war noch nie<br />
eine Partei bereit, das Kommando über ihre Force<br />
de Frappe mit anderen zu teilen.<br />
22<br />
So gewinnt, allein durch die normative Macht<br />
des Faktischen, die andere Option, die eines eigenständigen<br />
deutschen Griffes nach der Bombe, an<br />
Gewicht, die in der FAZ, im Tagesspiegel und in Panorama<br />
ventiliert wurde. Die einzige friedenspolitische<br />
Alternative, Trumps teilweisen Rückzug aus Europa<br />
als historische Möglichkeit eines Ausgleiches<br />
mit Russland zu sehen, wird offensiv nur von der<br />
AfD propagiert. Die an sich ebenfalls Putin-freundliche<br />
Linkspartei ist auf Anti-Trump-Kurs gegangen<br />
und könnte dadurch als Oppositionskraft gelähmt<br />
werden. Spannend wird die Positionierung der CSU<br />
werden: Horst Seehofer steht, wie jeder Bayer, im<br />
Schatten von Strauß, hat sich aber auch freundlich<br />
zu Trump und offen gegenüber Putin gezeigt.