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KRANKENHAUS<br />
OPERATIONEN<br />
Die Prävention<br />
wird zwar nicht<br />
bezahlt, doch<br />
sie rechnet sich<br />
Gurlit. „Wir können ja viele der für den<br />
Patienten ungünstigen Abläufe wie die<br />
ständig wechselnden Gesichter nicht verändern,<br />
erst recht nicht im perioperativen<br />
Bereich.“ Deshalb sei ihnen schnell klar<br />
geworden, dass es wohl am besten über<br />
Bezugspersonen funktioniere. Die Idee:<br />
„Wir etablieren ein Gesicht, das der Patient<br />
immer wieder sieht – und das ihm Halt<br />
gibt während seines stationären Aufenthalts.“<br />
Jemand, der sich auskenne, und<br />
auch zwei, drei Schritte vorausdenken<br />
kann. „Als wir anfingen, hießen wir ,Tüddeltruppe‘.<br />
Denn was wir im OP machen,<br />
während der Patient unter Teilnarkose<br />
operiert wird, ist ein wertschätzender und<br />
erklärender Umgang und basale Stimulation<br />
– effektives Betüddeln eben.“ Erfolge<br />
zeigten sich nicht nur in einer gesunkenen<br />
Delir-Rate, auch die Verweildauer der<br />
Patienten verkürzte sich. Und das, obwohl<br />
die Arbeit des Teams nicht mit den Krankenkassen<br />
abgerechnet werden kann. Wer<br />
kein Delir entwickelt, bleibt in der Regel<br />
innerhalb der Normzeit, die die Krankenversicherung<br />
für seine Erkrankung vorsieht.<br />
Ein Delir wird zwar nicht bezahlt,<br />
doch die ökonomische Rechnung ging auf.<br />
Infiltrierendes Wachstum<br />
Bereits zwei Wochen war Josef Kamps<br />
während seines ersten Aufenthalts im<br />
Delir, als Altenpflegerin Maria Domke<br />
zum ersten Mal an sein Bett trat und<br />
nach seiner Hand griff. „Es ist schwer, zu<br />
Menschen durchzudringen, die delirant<br />
sind“, sagt sie. Mit 68 Jahren gehörte<br />
Kamps nicht ins klassische Betreuungsschema<br />
des Geriatrieteams und war<br />
deswegen im Vorfeld weder mit neurologischen<br />
<strong>Test</strong>s gescreent noch begleitet<br />
worden. Das Kind war in den Brunnen<br />
gefallen – und ihre Aufgabe, es dort wieder<br />
herauszuholen. Dieser Prozess ist<br />
langwierig und erfordert Geduld. „Man<br />
muss den Patienten immer wieder ansprechen,<br />
sozial einbinden, ihm Orientierung<br />
geben, ihn in einen Tag-Nacht-Rhythmus<br />
bringen und auf die Ernährung achten.“<br />
Vier Wochen nach seinem Darminfarkt<br />
konnte der Rentner auf die Normal station<br />
verlegt werden. Domke begleitete ihn. Täglich<br />
treffen sich die Altenpflegerinnen im<br />
kleinen Besprechungsraum in der dritten<br />
Etage zur Dienstbesprechung, ansonsten<br />
sind sie im ganzen Haus unterwegs. Eine<br />
eigene Station gibt es nicht. Auf einem<br />
Whiteboard sind die Patienten aufgelistet.<br />
Hinter einem steht in roten Lettern: Delir.<br />
Alle anderen sind dank der erweiterten<br />
Fürsorge wohlauf. „Wir sehen natürlich bei<br />
Weitem nicht alle Patienten, von denen wir<br />
glauben, dass sie von unserer Hilfe profitieren“,<br />
gesteht Simone Gurlit. Bei rund<br />
24.000 Narkosen im Jahr sei das schwierig.<br />
„Die Idee ist infiltrierendes Wachstum,<br />
das muss weitergetragen werden.“ Gurlit<br />
hat die Aufgabe übernommen, anderen<br />
Krankenhäusern zu zeigen, wie ein gutes<br />
Delir-Management aussehen kann. Sie<br />
hält Vorträge, ermöglicht Hospitationen<br />
in der Klinik, verfasst Broschüren. Nebenbei<br />
betreibt sie Forschung, wie es gelingen<br />
könnte, Delir labordiagnostisch im Blut<br />
nachzuweisen. „Das würde vieles erleichtern“,<br />
sagt sie, „weil wir dann früher hellhörig<br />
werden.“ Noch aber stützt sich die<br />
Forschung auf die Veränderung der Neurotransmitter<br />
im Liquor, gewonnen durch<br />
Lumbal punktion. Josef Kamps wird noch<br />
einige Tage im Krankenhaus bleiben müssen,<br />
doch die nimmt er gern in Kauf. Auch,<br />
weil ihn seine Frau und die drei Kinder<br />
täglich besuchen, weil sein Knie wieder<br />
gesund wird und er dann erst einmal<br />
abschließen kann mit den Ereignissen.<br />
Delir bei Kindern<br />
Eines der größten neurologischen Probleme in der Kinderanästhesie betrifft das<br />
Aufwachen aus der Narkose. Je nach zugrunde gelegten Diagnosekriterien für ein<br />
Emergence Delirium (ED) sind zwei bis 80 Prozent der Kinder betroffen, gehäuft<br />
im Alter zwischen zwei und fünf Jahren. Es tritt in der Regel fünf bis 15 Minuten<br />
nach dem Aufwachen auf und kann bis zu zwei Tage dauern. Gekennzeichnet ist das<br />
ED vor allem von einer übermäßigen Agitation: Die Kinder sind auffallend unruhig<br />
und unkooperativ. In den meisten Fällen bleibt das ED ohne Folgen, in einigen jedoch<br />
führt es zu längerfristigen psychosozialen Störungen wie verstärkte Angst, Essstörungen<br />
oder Schlafproblemen. Besonders Kinder mit präoperativer Angst sind einer höheren<br />
Gefahr ausgesetzt. Ablenken und Angstreduktion sind deshalb oberstes Gebot.<br />
Ebenso wie die Wahl des richtigen Narkosemittels zur sanften Ausleitung begünstigt<br />
die absolute Schmerzfreiheit eine geringe Rate an Aufwachdelirien.<br />
LINKS UND LITERATUR<br />
Interdisziplinäres Delir-Netzwerk:<br />
www.delir-netzwerk.de<br />
Wolfgang Hasemann (Hrsg.): Akute<br />
Verwirrtheit – Delir im Alter. Praxishandbuch<br />
für Pflegende und Mediziner, Verlag Huber<br />
E. Wesley Ely, Valerie Page: Delirium<br />
in Critical Care, Cambridge Medicine<br />
18 DRÄGERHEFT 400 | 2 / 2016