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ESSAY<br />
GESELLSCHAFT<br />
BILDUNG<br />
Nach einer Untersuchung der UNESCO<br />
ist die Analphabetenrate von 1999 bis<br />
2014 weltweit von 12,7 auf 9,4 Prozent<br />
zurückgegangen – und wer lesen kann,<br />
hat auch die Chance auf ein höheres<br />
Einkommen. Liegt der Wert der<br />
Analphabeten in den am wenigsten<br />
entwickelten Ländern bei 32 Prozent, so<br />
ist er in den Ländern mit dem höchsten<br />
Einkommen mit unter 0,5 Prozent kaum<br />
noch messbar. Das Internet hat den<br />
Zugang zu weiterer Bildung beinahe<br />
entmaterialisiert. Die Zahl der Internetanschlüsse<br />
stieg weltweit von 121 Millionen<br />
im Jahr 1997 auf geschätzt gut<br />
3,4 Milliarden in 2016. Damit hat fast<br />
jeder zweite der 7,35 Milliarden Weltbürger<br />
Zugang zu vielen oft kostenlosen<br />
und hochwertigen Angeboten, unter<br />
denen seit 2008 das Konzept kostenloser<br />
Onlinekurse besonders hervorsticht.<br />
Diese „Massive Open Online Courses“<br />
ermöglichen das Fernstudium selbst an<br />
Spitzenuniversitäten wie Harvard und<br />
Stanford oder an der LMU München.<br />
GEWALT<br />
Wo viele Medien eine Welt voller Gewalt<br />
sehen, sieht die Welt tendenziell eine<br />
Abnahme von Gewalt. Diese Erkenntnis<br />
verdankt sich einer Untersuchung<br />
des Harvard-Professors Steven Pinker.<br />
Im Ergebnis hält der Psychologe und<br />
Hirn forscher fest: „Die Gewalt ist über<br />
lange Zeiträume immer weiter zurückgegangen,<br />
und heute dürften wir in der<br />
friedlichsten Epoche leben, seit unsere<br />
Spezies existiert.“ Dieser Rückgang sei<br />
ein Ergebnis des jahrtausendelangen<br />
Zivilisationsprozesses, dank dessen die<br />
Menschheit trotz aller Kriege und<br />
Exzesse „auch Wege gefunden hat, um<br />
für einen immer größeren Anteil die<br />
Möglichkeit zu schaffen, in Frieden zu<br />
leben und eines natürlichen Todes zu<br />
sterben.“ Eine Entwicklung, die in der<br />
Welt unterschiedlich ausgeprägt ist.<br />
Und immer wieder gibt es Rückschläge,<br />
wie die relativ neue Gewaltform des<br />
Terrorismus als asymmetrische Kriegsführung<br />
zeigt. Die Zahl der Terrortoten<br />
steigt tendenziell und lag 2015 bei 28.328<br />
Opfern – gegenüber 2012 eine Verdreifachung.<br />
Doch selbst da durch ändert<br />
sich das Gesamtbild kaum: Über längere<br />
Zeiträume gesehen, ist das Leben der<br />
Menschen sicherer geworden.<br />
Kritisch<br />
bleiben<br />
und<br />
Lösungen<br />
miteinbeziehen<br />
sagt. Die Wirklichkeit ist<br />
komplex, sie zu verstehen<br />
bedeutet Arbeit. Ein<br />
Flugzeugabsturz beherrscht die Schlagzeilen,<br />
zieht weltweites Interesse auf sich,<br />
erzeugt wohliges Grauen und macht Angst<br />
vor der nächsten Flugreise. Man nimmt<br />
das Auto! Und das, obwohl die Zivilluftfahrt<br />
im Durchschnitt der letzten fünf<br />
Jahre lediglich 428 Todesopfer pro Jahr<br />
forderte. Schon vor sechs Jahren stellte<br />
das Statistische Bundesamt fest: Bezogen<br />
auf die Personenkilometer sei das Flugzeug<br />
das sicherste Transportmittel, und<br />
919 Mal sicherer als das Auto. Eine derartige<br />
Einordnung wird niemals Spitzenmeldung,<br />
denn sie setzt kaum Dopamin<br />
frei. Und doch gibt es eine Gegenbewegung.<br />
Sie stammt aus der positiven Psychologie<br />
und greift seit den 1990er-Jahren<br />
die ursprünglich 1954 von Abraham<br />
Maslow geprägte Auffassung wieder auf,<br />
dass die Psychologie sich nicht nur mit<br />
den menschlichen Defiziten beschäftigen<br />
sollte, sondern auch die Grundlagen der<br />
positiven Aspekte des Menschseins erforschen<br />
möge. Erkenntnisse daraus zieht<br />
auch der konstruktive Journalismus. Der<br />
bleibt kritisch, versetzt den Leser aber<br />
nicht mehr in einen permanenten Erregungszustand,<br />
sondern bezieht lösungsorientierte<br />
Ansätze mit ein. Mit „wissen<br />
und sich kümmern“ beschrieb der britische<br />
Kriegsreporter Martin Bell dieses<br />
Konzept, das Leser wie Zuschauer auch<br />
darin befähigt, etwas zu verändern. Der<br />
britische „Guardian“ zielt etwa in diese<br />
Richtung, aber auch Web-Projekte wie<br />
„Perspective Daily“ („Für einen Journalismus,<br />
der fragt, wie<br />
es weitergeht“) oder<br />
„The Correspondent“<br />
(„From ‚news‘ to ‚new‘“) – beide durch<br />
Crowdfunding finanziert. Sie alle wollen<br />
Wissen vermitteln und Vorgänge einordnen,<br />
um Leser zur Verbesserung der Verhältnisse<br />
zu bewegen und nicht in eine<br />
„erlernte Hilfslosigkeit“ fallen zu lassen,<br />
wie sie erstmals 1967 der amerikanische<br />
Psychologie professor Martin E. P. Seligman<br />
beschrieb.<br />
Die Welt ist besser<br />
geworden – wirklich?<br />
Dass die Welt tatsächlich besser geworden<br />
ist, lässt sich nachweisen. Das<br />
Entwicklungsprogramm der Vereinten<br />
Nationen (UNDP) hat mit seinem<br />
Human Development Index (HDI) eine<br />
Maßzahl für den Grad menschlicher Entwicklung<br />
geschaffen. Der kombiniert<br />
und gewichtet die Gesundheit, Bildung<br />
und Wirtschaftskraft eines Landes sowie<br />
die Einkommensverteilung in einer einzigen<br />
Zahl: Die unterste Entwicklungsstufe<br />
ist 0, die oberste hat einen Wert<br />
von 1. Für die Jahre 1990 bis 2014 stieg<br />
der HDI weltweit um fast 20 Prozent –<br />
von 0,597 auf 0,711. Dabei machten<br />
die am wenigsten entwickelten Staaten<br />
annähernd doppelt so gute Fortschritte:<br />
ihr Wert stieg von 0,368 auf 0,505 (rund<br />
37 Prozent). Der Blick auf diese Entwicklung<br />
sollte jeden ermutigen, genau dort<br />
anzuknüpfen.<br />
Wie denken Sie darüber? Schreiben<br />
Sie uns: draegerheft@draeger.com<br />
62 DRÄGERHEFT 400 | 2 / 2016