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Mensch Solothurn 2017

Mensch Solothurn das Magazin der Region, porträtiert Menschen aus Gesellschaft, Kultur, Sport, Wirtschaft und Politik.

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Rockstar werden<br />

Es gibt zwei Möglichkeiten, Mitglied einer Band zu werden:<br />

musikalische Freunde oder ein Inserat. Meine Freunde<br />

stritten sich und hatten zu wenig Zeit. Also meldete ich<br />

mich auf ein Inserat; durfte vorspielen gehen. Mich instruieren<br />

lassen, von Manuel, einem Zimmermann, der einen<br />

Schuppen in Lommiswil ausgebaut hatte, der aber, bevor<br />

wir endlich spielen konnten, darüber referierte, was er sich<br />

bei den Texten überlegt hatte, und mir sein musikalisches<br />

Konzept erklärte: Dass die Band gewöhnlich erst nach<br />

dem Üben Alkohol trinke und er Effekte mit verschiedenen<br />

Gitarren und nicht mit Effektgeräten herstelle. Seinen<br />

Vortrag illustrierte er mit Aufnahmen, auf denen schrille<br />

Gitarren und ein Gesang zu hören waren, der sich immer<br />

knapp ausserhalb der Tonart befand, in den höheren Lagen<br />

noch etwas mehr als in den tiefen, wo er immer denselben<br />

Ton, den tiefsten, den er herausbrachte, knurrte. Ich wies<br />

Manuel vorsichtig darauf hin, aber er sagte, dass es sich<br />

hier natürlich bloss um Demos handle, mit dem richtigen<br />

Mix und mit anständigen Boxen töne das noch viel besser.<br />

Jetzt trafen auch die anderen ein, zwei pummelige Handwerker<br />

mit Spitzbärten, man begrüsste sich knapp und ich<br />

durfte ein Lied wählen. Um es einfach zu halten, schlug ich<br />

«Knocking on Heaven’s Door» vor, die Kollegen nickten, der<br />

Schlagzeuger zählte an, die Tonart stimmte, der Song war<br />

im Repertoire. Ich wartete auf meinen Einsatz, sang mit<br />

Herzblut und ein wenig zu laut ins Mikrofon, «Mama take<br />

this badge from me» und «hey, hey, heyheyhey». Manuel<br />

kostete das Gitarrensolo aus, ging auf die Knie, wechselte<br />

vor dem Refrain schnell die Gitarre, drehte an den Knöpfen<br />

des Verstärkers, bog den Rücken durch und betrachtete<br />

sich im Wandspiegel. Das Ende dirigierte er dramatisch,<br />

Trommelwirbel, Geschrumme, lauter, schneller, ein Satz in<br />

die Luft, fertig. «Du hast die Version von Guns’n’Roses gewählt»,<br />

sagte er, als wir danach vor dem Übungsschuppen<br />

herumstanden und endlich ein Bier tranken. «Die find ich<br />

eben nicht so gut. Dieses ‹yeah, yeah, hey, hey›, das ist<br />

Christian de Simoni ist 1979<br />

geboren und in der Nähe von Olten<br />

aufgewachsen. 2011 erschien sein<br />

Debütroman «Rückseitenwetter».<br />

2014 wurde er mit dem Förderpreis<br />

Literatur des Kantons <strong>Solothurn</strong><br />

ausgezeichnet. Im Mai <strong>2017</strong> erscheint<br />

sein neues Buch «Das Rigilied.<br />

Herkunft und Bedeutung». Infos<br />

dazu: www.rigilied.ch<br />

doch ein Scheiss. Wenn du jetzt die Version von Eric Clapton<br />

gewählt hättest, dann hätte ich gesagt: Ja, lass uns<br />

darüber reden. Aber so, sorry. Ich glaube, das wird nichts.»<br />

Ich bedankte mich für die Gastfreundschaft, das Bier und<br />

den Vortrag, spazierte die Bauernhöfe entlang zum Bahnhof<br />

und fühlte mich mit meiner Gitarrentasche am Rücken<br />

wie ein Rockstar, trotz Ablehnung. Dasselbe Gefühl hatte<br />

ich auch, wenn ich am Samstagmorgen den Bassunterricht<br />

bei Toni Sterchi, einem arbeitslosen Musiklehrer, besuchte.<br />

Dazu musste ich mit der Regionalbahn nach <strong>Solothurn</strong><br />

«Dieses ‹yeah, yeah,<br />

hey, hey›, das ist doch ein<br />

Scheiss. Wenn du jetzt<br />

die Version von<br />

Eric Clapton gewählt<br />

hättest, dann hätte<br />

ich gesagt: Ja, lass uns<br />

darüber reden.»<br />

fahren, dort in den Bus umsteigen, eine kürzere Strecke zu<br />

Fuss zurücklegen. Der Bassunterricht fand im Estrich von<br />

Toni statt, neben der Waschmaschine standen zwei Hocker<br />

und ein grosser Verstärker. Manchmal war Toni noch nicht<br />

ganz wach, seine langen Haare waren nass. Er brachte<br />

mir ein paar technische Übungen bei, bevor wir zu Songs<br />

mitspielten, die wir abwechslungsweise vorschlugen. Toni<br />

hörte die Akkorde heraus und erklärte mir, welche Töne ich<br />

zu spielen hatte. Oft ging ich danach noch bei einem Musikgeschäft<br />

oder einem Kiosk vorbei, kaufte mir eine neue CD<br />

oder ein Metal-Magazin, das ich dann auf der Bahnfahrt zurück<br />

betrachtete. Es waren schöne, ausgefüllte Samstage.<br />

Am Mittag ass ich meist bei meiner Grossmutter, die sich<br />

wenig erfreut über meine T-Shirts zeigte. Sie kochte und<br />

zeigte mir die Blumen auf dem Balkon. Und sie hatte recht:<br />

Ich wurde kein Rockstar. Aber die Vision hat mich noch viele<br />

Jahre angetrieben: Durch Keller, alte Lagerhallen, leer stehenden<br />

Fabriken, Schulhäuser und Kanalisationsschächte;<br />

und danach immer wieder mit der S-Bahn zurück ins Dorf.<br />

Bild: Sabrina Christ

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