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Nahrungsraum Stadt / dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, Heft 67 (2/2017)

Urban Gardening liegt seit Jahren im Trend, städtische Märkte feiern eine Renaissance und sind Fixpunkt von Stadttourismustouren, Kochevents gibt es aller Orten und Streetfood wandelt sich von der exotischen Attraktion zum Alltagsangebot. In der Schwerpunktausgabe Nahrungsraum Stadt werden Sie über die neuesten Urban-Gardening-Tipps trotzdem ebenso wenig informiert, wie über die coolsten Streetfood-Hangouts oder die angesagtesten Community-Kochevents in Ihrer Nachbarschaft. Stattdessen legt der dérive-Schwerpunkt den Fokus auf die räumlichen Ausprägungen und Auswirkungen der diversen Hypes und Trends, beschäftigt sich am Beispiel Wien mit dem Themenkomplex urbane Landwirtschaft, Stadtwachstum, Imagepolitik und Partizipation oder stellt den Nahrungsmittelanbau in Kubas Städten vor. Das Heft kann hier https://shop.derive.at/collections/einzelpublikationen/products/heft-67 bestellt werden.

Urban Gardening liegt seit Jahren im Trend, städtische Märkte feiern eine Renaissance und sind Fixpunkt von Stadttourismustouren, Kochevents gibt es aller Orten und Streetfood wandelt sich von der exotischen Attraktion zum Alltagsangebot. In der Schwerpunktausgabe Nahrungsraum Stadt werden Sie über die neuesten Urban-Gardening-Tipps trotzdem ebenso wenig informiert, wie über die coolsten Streetfood-Hangouts oder die angesagtesten Community-Kochevents in Ihrer Nachbarschaft. Stattdessen legt der dérive-Schwerpunkt den Fokus auf die räumlichen Ausprägungen und Auswirkungen der diversen Hypes und Trends, beschäftigt sich am Beispiel Wien mit dem Themenkomplex urbane Landwirtschaft, Stadtwachstum, Imagepolitik und Partizipation oder stellt den Nahrungsmittelanbau in Kubas Städten vor. Das Heft kann hier https://shop.derive.at/collections/einzelpublikationen/products/heft-67 bestellt werden.

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April — Juni 2017

N o 67

Zeitschrift für Stadtforschung

dérive

dérive

ISSN 1608-8131

8 euro

Sampler

MARSEILLE

Guy Debord

Kunsthaus Graz

STREETART

CIT Collective & Gaswerk Leopoldau

Krems/Lerchenfeld

NAHRUNGSRAUM

SECRETS & CRISES

STADT

Marlene Hausegger

Foucault/HETEROTOPIE

dérive


Editorial

Urban Gardening liegt seit Jahren im Trend, städtische Märkte

feiern eine Renaissance und sind Fixpunkt von Stadttourismustouren,

Kochevents gibt es aller Orten und Streetfood

wandelt sich auch in unseren Breiten von der exotischen Attraktion

zum Alltagsangebot. Man könnte meinen, die Stadtbevölkerung

verbringt ihre Tage mit Gärtnern, Kochen und Essen.

In dieser Schwerpunktausgabe zum Thema Nahrungsraum

Stadt werden Sie trotzdem über die neuesten Urban-Gardening-Tipps

ebenso wenig lesen, wie über die coolsten Streetfood-Hangouts

oder die angesagtesten Community-Kochevents

in Ihrer Nachbarschaft – auf dérive ist eben Verlass.

Stattdessen legen wir unseren Fokus auf die räumlichen

Ausprägungen und Auswirkungen der diversen Hypes und

Trends, beschäftigen uns am Beispiel Wien mit dem Themenkomplex

urbane Landwirtschaft, Stadtwachstum, Imagepolitik

und Partizipation oder sehen uns den Nahrungsmittelanbau

in Kubas Städten näher an.

Katharina Held, die für den Schwerpunkt verantwortliche

Redakteurin, schreibt in ihrem Einleitungsartikel: »Nahrungsmittel

sind als fundamentaler Bestandteil menschlichen

Lebens auf vielfältige Weise in das städtische Alltagsleben

eingebunden, sie verändern öffentliche Räume, das allgemeine

Stadtbild, die Stadtpolitik, durchdringen städtisches Leben

und produzieren Stadt und Urbanität.« Wie sich das im Fall

der Berliner Markthalle Neun auswirkt, analysiert Held in

einem weiteren Artikel für den Schwerpunkt. Im Mittelpunkt

des Beitrages stehen die Eventisierung des Marktgeschehens

und ihre Auswirkungen auf die Nachbarschaft. Berlin ist

gemeinsam mit Beirut gleich noch einmal Schauplatz in

diesem Schwerpunkt, wenn es im Beitrag Falafel gentrified von

Miriam Stock um sich verändernde Geschmackslandschaften

und deren räumliche Effekte geht. Inga Reimers setzt sich

in Die Stadt als Tafel mit dem Trend zum gemeinschaftlichen

Kochen und Essen als Tool für Community-Building oder

zur Inszenierung von Debatten auseinander.

Kuba wiederum gilt wohl zu recht als besonders avanciertes

Beispiel für Urban Farming. Carey Clouse zeigt im

Artikel Hyper-local Foodscapes wie sich die urbane Landwirtschaft

ab 1989, dem Jahr des Untergangs der Sowjetunion und

dem damit verbundenen Abbruch von Handelsbeziehungen,

zur heutigen Blüte entwickelte. International weniger bekannt

ist möglicherweise, dass auch in Wien vergleichsweise viele

Nahrungsmittel angebaut werden. Die Stadt verfügt nach

eigenen Angaben über rund 5.000 Hektar Landwirtschaftsflächen,

870 Hektar davon werden für den Gartenbau – vor allem

für die Gemüseproduktion – genutzt, rund 700 Hektar

gehören dem Weinanbau. Auf diesen Flächen werden jährlich

rund 60.000 Tonnen Gemüse bzw. Trauben für über

2.000.000 Liter Wein geerntet. In einer stark wachsenden

Stadt wie Wien verwundert es jedoch nicht, dass diese Flächen

unter Druck geraten. Sarah Kumnig zeigt mit ihrem Artikel

Partizipation und grüne Imagepolitik in Wien am Beispiel des

Wiener Donaufeldes, wie der Konflikt zwischen baulicher

Stadterweiterung und urbaner Landwirtschaft ausgetragen

bzw. besänftigt wird.

Der Magazinteil dieser dérive-Ausgabe führt mit drei

Beiträgen an die Schauplätze Addis Abeba, Athen und in den

Aufzug als Ort zur Einübung urbanen Verhaltens. Lisa

Bolyos schreibt in ihrer Reportage über die Geschwindigkeit

der schier uferlosen Stadtentwicklung Addis Abebas, die

nicht ganz zufällig an chinesische Verhältnisse erinnert: Die

damit verbundene Zerstörung informeller Siedlungen und

Strukturen erzeugt Widerstand, der sich mittlerweile generell

gegen die Regierungspolitik richtet.

Peter Payer erzählt im zweiten Magazinbeitrag die

»kleine Zivilisationsgeschichte« Wie wir lernten, mit dem

Aufzug zu fahren. Er erinnert an die damit verbundenen Ängste,

die sowohl sozialer Natur waren, als auch in Bezug auf

mögliche Unfälle herrschten. Payer porträtiert die Figur des

Aufzugswärters und analysiert die Fahrstuhl-Kabine als

Ort an dem »es galt, extreme Nähe auszuhalten, auch über

mögliche Klassengrenzen hinweg«.

Für den letzten Beitrag haben wir uns ins Beste Hotel

Europas begeben, um mit einer Aktivistin der Initiative City

Plaza Athens ein Interview zu führen. Vor rund einem Jahr wurde

durch Besetzung aus einem leerstehenden Hotel im Zentrum

Athens eine selbstverwaltete Flüchtlingsunterkunft für 400 Personen.

Die Bewohner und Bewohnerinnen des beeindruckenden

Projekts, das mit dem Slogan »No pool, no minibar, no

room service but still the best hotel in Europe« für sich Werbung

macht, organisieren und finanzieren ihren Alltag entlang von

Solidarität und Selbstorganisation und stellen sich täglich den

zahlreichen Herausforderungen und Widersprüchen.

Das Kunstinsert in dieser Ausgabe stammt von

Maruša Sagadin, die mit ihrer Arbeit Terra Cotta, Panna Cotta

mit der Säule als architektonischem Fragment spielt.

Es dauert zwar noch ein gutes halbes Jahr bis unser

urbanize! Festival von 6. bis 15. Oktober in Wien erneut seine

Tore öffnet, aber wir stecken natürlich längst bis unter die

Haarwurzeln in den Vorbereitungen. Inhaltlich wird sich bei

der 8. Ausgabe von urbanize! alles um das Themenfeld

Stadt und Demokratie drehen. Am besten gleich im Kalender

blockieren – dringend notwendige Debatte ist angesagt!

Bis dahin wünschen wir erkenntnisreiche Lektüre,

die dérives

01


»Für eine

tatsächliche Repolitisierung

von Stadtpolitik müssen Kämpfe

um den Erhalt von landwirtschaftlichen Flächen

mit jenen um Zugang zu Wohnraum für alle

verknüpft werden.«

Sarah Kumnig über Partizipation und grüne Imagepolitik in Wien am Beispiel des

Stadtentwicklungsprozesses Donaufeld auf S. 16 dieser Ausgabe.

ANGEBOT: ABONNEMENT + BUCH*

8 Ausgaben (2 Jahre) dérive um 48,–/68,– Euro (Österr./Europa)

inkl. ein Exemplar von:

Walter Benjamin

Über Städte und Architekturen

Berlin: DOM, 2017

224 Seiten, 28 Euro

Der Philosoph, Kulturtheoretiker und Schriftsteller Walter

Benjamin (1892–1940) ist nicht nur viel gereist, sondern

blieb oft längere Zeit an unterschiedlichen Orten. Paris,

Marseille, Neapel, Capri, Ibiza, Moskau und Riga sind

einige dieser Stationen. Seine Beobachtungen hat der

Autor seit 1925 in Berichten und Essays für Zeitungen und

Zeitschriften verarbeitet. Im Mittelpunkt steht hierbei

die Frage, wie Menschen in umbauten Räumen, vor allem

auf Plätzen und Straßen, zusammenleben.

*Solange der Vorrat reicht!

Bestellungen an: bestellung@derive.at

dérive

Zeitschrift für Stadtforschung

www.derive.at

www.facebook.com/derivemagazin


Inhalt

01

Editorial

CHRISTOPH LAIMER, ELKE RAUTH

04 — 05

Nahrungsmittel in der Stadt,

NAHRUNGSMITTEL aus der STADT

Vorwort zum Schwerpunkt

KATHARINA HELD

06 — 12

Falafel gentrified

Neue »authentische« Geschmackslandschaften

in BERLIN und BEIRUT

MIRIAM STOCK

13 — 16

Partizipation und grüne Imagepolitik in WIEN

Widersprüche des Stadtentwicklungsprozesses

Donaufeld

SAR AH KUMNIG

17 — 20

Hyper-local Foodscapes

CUBA’s Experience with Urban Agriculture

CAREY CLOUSE

21 — 27

MAKING the Market

Controversy and discourse surrounding a

MARKET hall in Berlin Kreuzberg

KATHARINA HELD

28 — 31

Die Stadt als TAFEL

Öffentliches Essen und Kochen als Setting

INGA REIMERS

32 — 36

Kunstinsert

Maruša Sagadin

Terra Cotta, Panna Cotta

MAGAZIN

37 — 41

»Was wir entwickeln müssen, ist unser HORIZONT«

Addis Abebas uferlose Stadtentwicklung

LISA BOLYOS

42 — 47

Wie wir lernten, mit dem AUFZUG zu FAHREN

Eine kleine Zivilisationsgeschichte

PETER PAYER

48 — 52

Das beste Hotel EUROPAS

Interview mit der Athener Initiative Hotel City Plaza

CHRISTOPH LAIMER, ELKE RAUTH

53 — 58

BESPRECHUNGEN

S. 53

Von Spanien lernen?!

S. 54

Wider den Purismus

S. 55

Kleingärten in der Stadt

Von Prag bis Baku:

Erkundungsreisen in osteuropäische Städte

S. 57

Die Terranauten

S. 58

Die Statik der Irrationalität

68

IMPRESSUM

S. 56


dérive – Radio für Stadtforschung

Jeden 1. Dienstag im Monat von

17.30 bis 18 Uhr in Wien auf ORANGE 94.0

oder als Webstream http://o94.at/live.

Sendungsarchiv: http://cba.fro.at/series/1235

03


Katharina Held

Nahrungsmittel

in der Stadt,

NAHRUNGSMITTEL

aus der STADT

Vorwort zum Schwerpunkt

Food »emerges as something with phenomenal power to transform not just landscapes,

but political structures, public spaces, social relationships, cities« (Steel 2009).

Auf einer Anbaufläche von 286 Hektar werden in Wien

jährlich knapp 6.400 Tonnen Salat geerntet; hier ein Feld

im Wiener Bezirk Donaustadt. Foto: dérive

Nahrungsmittel sind als fundamentaler Bestandteil menschlichen

Lebens auf vielfältige Weise in das städtische Alltagsleben

eingebunden, sie verändern öffentliche Räume, das allgemeine

Stadtbild, die Stadtpolitik, durchdringen städtisches Leben und

produzieren Stadt und Urbanität: Als Orte der Nahversorgung

sind Supermärkte, Kioske, Bäckereien etc. fester Bestandteil

des Stadtbildes. Sie tragen zusammen mit Restaurants, Cafés

und Imbissen zur Atmosphäre eines Stadtteils bei, bestimmen

das öffentliche Leben. Im Konsumraum Stadt entfaltet

Ernährung Wirkmacht, stellt doch die Nahrungsmittelindustrie

einen großen Teil des Umsatzes und der Arbeitsplätze städtischer

Wirtschaft. Das Transportaufkommen für die Lebensmittelmassen

verdichtet den Stadtverkehr. Auch für das Image

einer Stadt sind Nahrungsangebot und lokale Spezialitäten

von Bedeutung: Durch Stadtmarketing wird auch die Restaurant-

und Gastronomieszene wichtiges Aushängeschild und

das Essensangebot ein distinktiver Faktor von Städteprofilen.

Die Verbindung zwischen Essen und der Stadt ist aber

zunächst vor allem eine historisch gewachsene, symbiotische

Verknüpfung. Städtische Ernährungssysteme stellen eine der

wichtigsten Infrastrukturen menschlicher Siedlungen und

gleichzeitig auch die Voraussetzung für städtisches Wachstum

dar. Vorindustrielle Städte versorgten sich zumeist autark

aus der unmittelbaren Umgebung oder sogar aus dem eigenen

Stadtgebiet heraus. Aufgrund schlechter Transportbedingungen

und vor allem der wenigen und technisch nicht ausgereiften

Konservierungsmöglichkeiten waren der Anbau von Obst und

04

dérive N o 67 — NAHRUNGSRAUM STADT


Gemüse sowie die Haltung von Vieh notwendigerweise

städtische Praktiken (Stierand 2008): Überwiegend (urban)

landwirtschaftlich genutzte Freiflächen bestimmten das Stadtbild,

Märkte bildeten einen räumlichen und sozialen Mittelpunkt.

Zunehmende Urbanisierung, wissenschaftlicher und

technischer Fortschritt (Erfindung neuer Konservier-Methoden

wie der Konservendose) und mobiler Handel heben ab dem 19.

und beginnenden 20. Jahrhundert die räumlichen Beschränkungen

des städtischen Ernährungssystems auf. Im Zuge der

Globalisierung entkoppelt sich die Erzeugung der Lebensmittel

vom Wohnort: Produktions-, Konsum- und Verbrauchsräume

rücken noch weiter auseinander.

Seit den neunziger Jahren finden die gesellschaftlichen,

sozialen, ökologischen und politischen Zusammenhänge

des globalen Nahrungsmittelsystems stärkere Beachtung in

urbanen Disziplinen, wobei viele der jüngsten Studien über

Nahrungsmittel und Städte zumeist die gesicherte Versorgung

und gesunde Ernährung der Bevölkerung in den Fokus

rücken. Städtische Ernährungssysteme sind von zentraler

Bedeutung in einer Welt, in der die Versorgung großer Teile

der urbanen Bevölkerung aufgrund struktureller Probleme,

in Folge von ökologischen und ökonomischen Notlagen und des

Massenkonsums nicht gewährleistet werden kann. Urban

food planning – beschrieben als »one of the most dynamic and

rapidly expanding city-driven global social movements«

(Ilieva 2016) – erörtert Möglichkeiten lokaler Ernährungspolitik

und neue Strategien in der Stadternährungsplanung. Aber

nicht nur die Wissenschaft und Politik, vor allem auch selbstorganisierte

Bürger und Bürgerinnen setzen sich mehr und

mehr mit der Frage einer nachhaltigen und gesicherten Versorgung

und Entwicklung von Städten auseinander. Sie engagieren

sich in Ernährungsräten, bauen in urbanen Gärten Gemüse

an, erdenken Subsistenz-Szenarien und suchen Wege,

Lebensmittelüberschüsse in neue städtische Ressourcenkreisläufe

zu überführen.

All dies bringt im urbanen Alltag Praktiken hervor, die

den Raum der Stadt aktiv mitgestalten. Im großen Themenfeld

Nahrungsmittel und Stadt wirft der Schwerpunkt dieser

dérive-Ausgabe einen Blick auf sozial-räumliche Zusammenhänge

und Implikationen einiger dieser unterschiedlichen

Praktiken von der Produktion bis zum Konsum von Nahrungsmitteln

in und aus Städten.

Die Beiträge

In ihrem Artikel zu Urban-Farming in Havanna, Kuba,

nimmt Carey Clouse die Besonderheiten des kubanischen

Systems urbaner landwirtschaftlicher Produktion in den Blick.

Zugeschnitten auf den Kontext, die kulturellen Werte und

Restriktionen Havannas, bietet dieses dennoch Ansatzpunkte

und Übersetzungspotential für die Versorgung von Städten

in der Krise.

Urbane Landwirtschaft ist auch Thema im Beitrag

von Sarah Kumnig, der den Kontext neoliberaler Stadtentwicklung

hinterfragt. Analysiert wird hier ein Stadtentwicklungsprozess

in Wien, dessen grünes Entwicklungsleitbild sowie

die Partizipationsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger

am Prozess.

Die Tätigkeiten des gemeinsamen Kochens und

Essens greift Inga Reimers in ihrem Artikel zu Ess-Settings

auf. Anhand zweier Beispiele denkt sie hier über die

zentralen räumlichen Elemente solcher temporärer Settings

und deren Einbindung in den urbanen Raum nach.

Dass Essen in der Stadt mittlerweile auch in den

Medien, von Blogs und Magazinen, als Trend propagiert wird

und die Rolle von authentischer Küche, Food Start-Ups und

Essen als Kulturerfahrung im Zuge der Gentrifizierungsdebatte

diskutiert werden (Zukin 2010, Boniface 2003), reflektieren

zwei Beiträge in diesem Schwerpunkt. Miriam Stock spürt

unter der Überschrift Falafel gentrified auf der Basis eines Vergleiches

des kulinarischen Angebotes in Berlin und Beirut den

sich verändernden Geschmackslandschaften dieser Städte

und den dafür verantwortlichen Einflüssen nach. In Berlin

bleibend widmet sich Katharina Held der Markthalle Neun in

Berlin-Kreuzberg und dem Diskurs um die Halle, der

Widersprüche und Konfliktpotenziale des neuen Food-

Trends aufzeigt.

Katharina Held studierte Kultur der Metropole an der

HafenCity Universität in Hamburg und schloss ihren Master

in Urban Studies am University College in London ab.

In ihrer forschenden Arbeit setzt sie sich verstärkt mit

dem Zusammenhang von Stadt und Nahrungsmitteln,

alternativen Konsumpraktiken und Alltagskultur auseinander

und ist derzeit als Lehrbeauftragte und Lektorin tätig.

Literatur

Ilieva, Rositsa T. (2016): Urban Food Planning: Seeds of

Transition in the Global North. London: Routledge.

Steel, Carolyn (2009): Hungry City. How Food Shapes

Our Lives. London: Vintage.

Stierand, Philipp (2008): Stadt und Lebensmittel. Die

Bedeutung des Städtischen Ernährungssystems für die

Stadtentwicklung. Dissertation. Universität Dortmund.

Verfügbar unter: http://speiseraeume.de/downloads/

SPR_Dissertation_Stierand.pdf [Stand: 10.02.2017].

Zukin, Sharon (2010): Naked City: The Death and Life of

Authentic Urban Places. Oxford & New York: Oxford University

Press.

Boniface, Priscilla (2003): Tasting Tourism: Travelling

for Food and Drink. Burlington: Ashgate.

Katharina Held — Nahrungsmittel in der Stadt, NAHRUNGSMITTEL aus der STADT

05


Miriam Stock

Falafel gentrified

Neue authentische

Geschmackslandschaften

in BERLIN und BEIRUT

Mit der weltweiten Gentrifizierung von urbanen Nachbarschaften geht auch eine

Veränderung des kulinarischen Angebots und Geschmacks einher. Dabei stellt sich

Authentizität als wichtiges Kriterium der Vermarktung heraus, sei es in Form ethnischer

Gastronomie wie der Falafel in Berlin, sei es in Form von wiederbelebten nationalen

kulinarischen Traditionen wie in der libanesischen Küche in Beirut. An diesen Beispielen

aus Berlin und Beirut lässt sich zeigen, wie sich neue authentische Geschmackslandschaften

in enger Wechselwirkung zwischen globalen Bewegungen und lokaler

Distinktion entfalten.

Gentrifizierung, Authentizität, ethnische Gastronomien,

Geschmackslandschaften, Globalisierung

Rissani-Imbiss in Berlin.

Foto: Miriam Stock

06

dérive N o 67 — NAHRUNGSRAUM STADT


Sarah Kumnig

Partizipation und

Urbane Landwirtschaft, Partizipation, Imagepolitik,

Stadtwachstum, Versiegelung, Wohnbau

grüne Imagepolitik

in WIEN

Widersprüche des

Stadtentwicklungsprozesses

Donaufeld

Die Stadt frisst ihre Äcker.

Foto: Peter Krobath

Sarah Kumnig — Partizipation und grüne Imagepolitik in WIEN

13


Carey Clouse

Hyper-local

urban agriculture, Cuba, foodshed,

food security, urban farming

Foodscapes

CUBA’S Experience

with Urban Agriculture

Photo: Andy Cook

Cuba has long been recognized as one of the world leaders in sustainable

urban agriculture – an accomplishment that is made even more impressive

given the country’s long history of economic and development challenges.

Within this context, Cubans have found ways to opportunistically tailor

hyper-local food provisioning to existing urban conditions; in effect layering

agriculture over the framework of the city. Grassroots farming efforts,

combined with robust government programming, has helped Cuban cities to

reduce food miles, improve access to fresh fruits and vegetables, bolster food

literacy, and ultimately, shore up the entire country’s food security.

Carey Clouse — Hyper-local Foodscapes — CUBA’s Experience with Urban Agriculture

17


KATHARINA HELD

MAKING the

food market, urban regeneration, public space,

assemblage theory, Berlin

Market – Controversy

and discourse surrounding

a MARKET hall in Berlin Kreuzberg

Markthalle Neun in Berlin Kreuzberg.

Photo: Markthalle Neun

Depending on who you ask, perceptions of Markthalle Neun in Berlin

Kreuzberg oscillate between two opposing poles. Some people describe

it as a fascinating urban renewal project with an exceptional atmosphere.

Others discern one of the worst examples of the neighbourhood’s ongoing

gentrification, which excludes large sections of the population. These

antagonisms are negotiated in the assemblage 1 of the market that takes

shape in a critical discourse surrounding its daily operations.

1

The notion of the assemblage

was chosen as it

takes into account images,

imaginations, values

and discourse. It conceives

urban space as a relational,

processual fabric

(Farías 2011, p. 9) that is

constantly in the mode of

becoming and »provides an

adequate conceptual tool

[and] a concrete and graspable

image of how the city

is brought into being and

made present in ensembles

of heterogeneous actors,

material and social aspects«

(ibid., p. 14).

Katharina Held — MAKING the Market – Controversy and discourse surrounding a MARKET hall in Berlin Kreuzberg

21


Inga Reimers

Die Stadt

als TAFEL

Öffentliches Essen und

Kochen als Setting

Essen, Kochen, Raum, Zeit,

Ethnographie

Diskursives Dinner von raumlabor in der

mobilen Skulptur Küchenmonument.

Foto: Inga Reimers

Es gibt – nicht nur im urbanen Raum – vielfältige Möglichkeiten

und Orte zur Nahrungsaufnahme: Neben der zumeist privaten

Mahlzeit zu Hause existieren zahlreiche öffentliche und halböffentliche

Essanlässe, die hier näher betrachtet werden sollen.

Einer der naheliegendsten Orte der öffentlichen Nahrungsaufnahme

ist das Restaurant, welches sowohl in geschäftlichen

als auch in privaten und familiären Kontexten aufgesucht wird.

Darüber hinaus werden Parkanlagen für Picknicks und

Verabredungen zum Grillen genutzt. Die Ernte aus urbanen

Gärten wird kollektiv verarbeitet und verspeist. Plätze und Verkehrswege

werden bei Festen, Dinner-Events und Street-Food-

Märkten zu Orten des Essens. Zudem werden halböffentliche

oder private Küchenräume zu öffentlichen Kochveranstaltungen

wie Volxküchen, Supper Clubs oder anderen Dinner-Events

genutzt. Künstler_innen und Aktivist_innen nutzen Picknicks

oder Dinner für politische und/oder künstlerische Aktionen.

Politiker_innen wie Anwohner_inneninitiativen hoffen beim

Nachbarschaftskochen mit gemeinsamem Essen auf mehr

Zusammenhalt und Beteiligung in benachteiligten Quartieren.

Die Nahrungsaufnahme aus biologischen Gründen tritt

bei den aufgezählten, außeralltäglichen Mahlzeiten eher in

den Hintergrund. Hier geht es weniger um Routinen und Notwendigkeiten,

sondern vielmehr darum, mit dem temporären

Setting des kollektiven Essens (und Kochens) andere Abläufe

zu rahmen, zu unterstützen oder hervorzubringen. Es geht um

Verhandlungen, Inszenierungen und in den meisten Fällen

(auch) um die Herstellung von Gemeinschaft. Die Erweiterung

des rein physiologischen Vorgangs der Nahrungsaufnahme um

religiöse, künstlerische, kulturelle sowie politische Aspekte

ist hierbei kein spezifisch zeitgenössisches Phänomen (vgl. Barlösius

2011). So findet beispielsweise im Hamburger Rathaus

seit Jahrhunderten das traditionsreiche Matthiae-Mahl statt

und bereits die Futurist_innen inszenierten ihre Prinzipien in

den 1930er Jahren in aufwändigen Banketten.

Ob und in welchem Maße Debatten um das Essen und

damit verbunden auch neue Formate in den letzten Jahren

tatsächlich zugenommen haben, kann eine kulturwissenschaftliche

Forschung – auf der ein Artikel wie dieser beruht – nicht

gesichert klären. Allerdings stellen u.a. die Kulturanthropologinnen

Regina Bendix und Michaela Fenske in Politische

Mahlzeiten fest, dass sich die Intensität der Diskussionen um

Essen und Nahrungsmittel seit der Jahrtausendwende

intensiviert hat (vgl. Bendix & Fenske 2014, S. 6). Auch aktuelle

Themen wie Migration oder Stadtentwicklung können

in diesem Zusammenhang mit den hier thematisierten Formaten

verknüpft und in diesen Settings (neu) verhandelt werden.

Dieser Diskurs speist sich aus konsumkritischen Bewegungen

u.a. gegen globale Problematiken wie Preisspekulationen

auf Nahrungsmittel, Ressourcenverteilung oder die Patentierung

von Saatgut. Insbesondere in der westlichen Kultur

positionieren sich Bewegungen u.a. mit vegetarischer/veganer

Ernährung und subsistenter Lebensweise gegen diese

Entwicklungen – zum einen in spezifisch urbanen Formaten

28

dérive N o 67 — NAHRUNGSRAUM STADT


Lisa Bolyos

»Was wir

entwickeln müssen,

ist unser HORIZONT.«

Addis Abebas uferlose

Stadtentwicklung

Megacity, Stadtplanung,

Repression, Vertreibung, Informelle Siedlungen,

Widerstand, Äthiopien

Bis zum Kreisverkehr von Olympia ist die Gabon

Road eine einzige Baustelle. »Wenn ich Euch dort

hinbringen soll, mach ich mir das Auto kaputt,«

sagt der Taxifahrer, »also hört auf, den Preis zu

verhandeln«. Meskel Flower Area heißt das Viertel,

in dem wir wohnen, und es gilt, sich Orientierungspunkte

zu merken – eine Klinik, eine Bäckerei,

ein Hotel. In Addis Abeba ist es unüblich, Straßen

beim Namen zu nennen. Diese Orientierungspunkte,

die Landmarks, entlang derer man die

Stadt durchstreift, gehen mit der Stadterneuerung

nach und nach verloren, sagt Konjit Seyoum. »Das

schmerzt. Du vermisst den gewohnten Geruch

von gemahlenem Kaffee und Gewürzen, der dir an

einer Straßenecke zur Orientierung gedient hat,

die Geräusche, wenn das Brot geknetet wird, und

genauso vermisst du das menschliche Miteinander.

Wenn ein Stadtteil zerstört wird, geht das ganze

soziale Gefüge in Brüche.« Konjit Seyoum betreibt

unweit der ALE-Kunstuniversität die Asni Art Gallery.

Sie ist in der Stadt aufgewachsen, ist bildende

Künstlerin, Köchin und Konferenzdolmetscherin

für Englisch, Amharisch und Kroatisch. In der Galerie,

deren direkte Nachbarschaft zur Friedrich-

Ebert-Stiftung auch am Publikum sichtbar wird, ist

Ausstellungspause; an den Wänden hängen Bilder

Meskel Flower Area. »Wenn ein Stadtteil entwickelt

wird, geht nicht nur die Orientierung,

sondern das ganze soziale Gefüge verloren.«

Foto: Lisa Bolyos.

aus der hauseigenen Sammlung zeitgenössischer

Kunst. Da sind Architektur-Skizzen, Aquarelle von

Häusern aus dem 19. Jahrhundert, die es in der

Stadt längst nicht mehr gibt; die Seitengassen

informeller Wohnsiedlungen in graustufigem Acryl

auf Karton; eng aufeinander gestapelter Geschosswohnungsbau

auf gerahmter Leinwand. Die

Frage, wohin sich die Stadt entwickelt, scheint seit

Jahrzehnten Thema zu sein.

Magazin

Lisa Bolyos — »Was wir entwickeln müssen, ist unser HORIZONT« – Addis Abebas uferlose Stadtentwicklung

37


Peter Payer

Wie wir lernten,

mit dem AUFZUG

zu FAHREN

Eine kleine

Zivilisationsgeschichte

Zivilisation, Großstadt, soziale Kontrolle,

Stadtleben, Bürgertum, soziale Nähe

Aufzug in Wien-Wieden, 1914,

Sammlung Peter Payer.

Aufzugfahren ist für uns Stadtbewohner und -bewohnerinnen

längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Seit Ende

des 19. Jahrhunderts erforderte die vertikale Expansion der

Stadt, in die Höhe genauso wie in die Tiefe, das Finden

eines adäquaten Umgangs mit dem neuen Transportmittel.

Allein in Wien gab es im Jahr 1913 bereits mehr als 2.500

Personenaufzüge, Tendenz rasch steigend (Statistisches

Jahrbuch 1916, S. 20). Ein zivilisatorischer Lernprozess

begann, der realiter durchaus Tücken hatte, wie im Folgenden

gezeigt werden soll.

Zeitungsillustration, 1906,

Sammlung Peter Payer.

42

dérive N o 67 — NAHRUNGSRAUM STADT


Interview: Elke Rauth, Christoph Laimer

Das beste Hotel

EUROPAS

Das City Plaza ist ein selbstverwaltetes Refugee-Wohnprojekt in einem

ehemals leerstehenden Hotel im Zentrum von Athen. Das 7-stöckige Haus für

rund 400 Menschen ist im April 2016 besetzt worden und wird seitdem

von den BewohnerInnen auf der Basis von Solidarität und Selbstorganisation

betrieben. dérive hat das in vielen Aspekten herausragende Projekt besucht.

Foto: Nicola Zolin,

www.nicolazolin.it

48

dérive N o 67 — NAHRUNGSRAUM STADT


Besprechungen

Von Spanien lernen?!

Felix Wiegand

Die über Wochen besetzten Plätze in den

Zentren der Metropolen als Orte der

Selbstermächtigung und Laboratorien

einer neuen, echten Demokratie; die vielfältigen

Praxen der Solidarität und Selbstorganisierung

im Angesicht einer alltäglichen

Krise; der offensive Kampf gegen die

Austeritätspolitik nationaler Regierungen

und europäischer Institutionen — die Krisenproteste,

die seit 2010 vor allem, aber

keineswegs ausschließlich in Südeuropa

entstanden sind und Hoffnung auf einen

demokratischen Aufbruch in Europa

geweckt haben, erscheinen angesichts der

aktuellen politischen Großwetterlage beinahe

wie Bilder aus einer längst vergangenen

Zeit. Nicht zuletzt das Experiment

linker Stadtregierungen in Spanien und die

auch hierzulande geführte Debatte um

einen neuen Munizipalismus zeigen jedoch,

dass der mit dem Ausbruch der Krise

begonnene Kampfzyklus noch nicht vollständig

zum Erliegen gekommen ist, sondern

weiterhin Aufmerksamkeit verdient.

Genau hier setzt das im letzten Jahr

erschienene Buch Krisenproteste in

Spanien. Zwischen Selbstorganisation und

Überfall auf die Institutionen des Politikwissenschaftlers

Nikolai Huke an. Wie der

Autor in der Einleitung schreibt, verfolgt

das Buch am Beispiel Spaniens das

Anliegen, »der ereignisorientierten, bruchstückhaften

Rezeption von Protestbewegungen

eine integrale Entwicklungsgeschichte

gegenüber zu stellen, die relativ

kleinteilig Entstehung und Dynamiken

unterschiedlicher Bewegungen und Protestformen

über einen längeren Zeitraum hinweg

begleitet. Ziel ist es, Erfahrungen

mit politischer Organisierung sichtbar zu

machen, die für soziale Bewegungen im

europäischen Zentrum (…) das Potential

bieten, eigene Praxen kritisch zu hinterfragen

und konstruktiv weiterzuentwickeln.«

Zu diesem Zweck zeichnet Huke, der dabei

auf eine Vielzahl von Interviews mit Aktivisten

und Aktivistinnen unterschiedlicher

Bewegungen zurückgreifen kann, detailliert

den Verlauf und den schrittweisen

Wandel der Krisenproteste in Spanien zwischen

2011 und 2015 nach.

In vier eigenständigen Kapiteln widmet

sich das Buch der Bewegungen der Indignados

des 15-M, den vor allem mit der

PAH (Plattform der Hypothekenbetroffenen)

verbundenen Kämpfen um Wohnraum,

den Protesten gegen Kürzungen und

Restrukturierungen im Bildungs- und

Gesundheitsbereich sowie zuletzt dem Versuch,

durch neue linke Parteien und Wahlplattformen

die Machtverhältnisse im Inneren

des Staates selbst zu verändern.

Ausgehend von der Entstehungsgeschichte

der unterschiedlichen Bewegungen rekonstruiert

Huke dabei deren zentrale politische

Inhalte und Strategien ebenso wie die

konkreten Protest- und Organisierungsformen,

die unterschiedlichen Kommunikations-

und Mobilisierungsmethoden und

die soziale Basis und Zusammensetzung

der Proteste. Diese dichte und trotzdem

jederzeit anschauliche Darstellung lässt

nicht nur die ungeheure politische Dynamik

des Protestzyklus lebendig werden. Vielmehr

macht sie auch sichtbar, wie sehr die

Bewegungen — etwa in Gestalt einer alltagsnahen,

ermächtigenden Politik der ersten

Person, der Etablierung inklusiver und

horizontaler Strukturen oder einer relativ

breiten Beteiligung unterschiedlichen sozialer

Gruppen — durch die basisdemokratische

Besprechungen

politische Grammatik der Platzbesetzungen

des 15-M geprägt waren.

Das Buch geht jedoch insofern über

eine bloße Beschreibung der inneren Funktionsweise

der Krisenproteste hinaus, als

Huke diese nicht isoliert betrachtet, sondern

in den breiteren gesellschaftlichen

und politischen Entwicklungen Spaniens

verortet. Neben den Beziehungen zu den

etablierten Organisationen der spanischen

Linken betrifft dies insbesondere die

Auswirkungen der Krisenproteste auf die

gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse

und ihre Wechselwirkung mit den staatlichen

Apparaten. Diese Frage wird

hauptsächlich im letzten, resümierenden

Abschnitt jedes Kapitels thematisiert,

wo Huke auf eine bemerkenswert allgemeinverständliche

Weise Konzepte kritisch-materialistischer

Staatstheorie sowie

neuerer Ansätze aus dem Bereich der

Politischen Theorie aufgreift, um die zuvor

beschriebenen Prozesse gesellschaftstheoretisch

und politisch zu deuten.

Die Ausgangsthese lautet dabei, dass

die Bewegung des 15-M, indem sie Form

und Inhalt der Krisenpolitik der etablierten

Parteien grundlegend in Frage stellte und

mit eigenen, radikal-demokratischen

Formen der Interessenartikulation und Entscheidungsfi

ndung experimentierte, »(…)

gleichzeitig Effekt und Katalysator der

Repräsentations- und Legitimitätskrise der

repräsentativen Demokratie [war]. Ihr

gelang es erfolgreich, die Grenzen der allgemeinen

Repräsentationsbehauptung

des Staates sichtbar zu machen und damit

ungehorsame Praktiken gegenüber dem

Staat zu legitimieren.« Huke zufolge schuf

erst diese Verschiebung im politischen

Koordinatensystem die Grundlage dafür,

dass es in der Folge in d en Kämpfen in

den Bereichen Wohnen bzw. Bildung und

Gesundheit zu einer »Normalisierung

und Ausweitung ungehorsamer Praktiken

weit über ›traditionelle‹ aktivistische

Segmente der Bevölkerung hinaus« kommen

konnte, die bis zur »Selbstvollstreckung«

sozialer Grundrechte in Form von

Hausbesetzungen reichten.

Trotz breiter gesellschaftlicher Unterstützung

und vieler »kleiner großer

Erfolge« vermochten die Proteste jedoch

kaum eine substanzielle Veränderung der

zunehmend autoritär verhärteten Krisenpolitik

zu erwirken. Dass ein Teil der Bewegungen

infolgedessen die strategische

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Impressum

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von Forschungen und wissenschaftlichen Tätigkeiten zu den

Themen Stadt und Urbanität und allen damit zusammenhängenden

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inter- und transdisziplinäre Ansätze finden.

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Ausgabe: Thomas Ballhausen, Lisa Bolyos, Carey Clouse,

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dérive N o 67 — NAHRUNGSRAUM STADT


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Konzept – und Umsetzungskritik, Transparenzbegriff;

Institutionalisierter Rassismus am Beispiel der »Operation

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Kritik des Integrationsbegriffes; Reclaim the Streets/

Politik und Straße

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dérive Nr. 4 (02/2001)

Schwerpunkte: Gentrifi cation, Stadtökologie

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Sampler: Salzburger Speckgürtel, Museumsquartier,

räumen und gendern, Kulturwissenschaften und Stadtforschung,

Virtual Landscapes, Petrzalka,

Juden/Jüdinnen in Bratislava

dérive Nr. 6 (04/2001)

Schwerpunkt: Argument Kultur

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Feministische Stadtplanung,

Manchester, Augarten/Hakoah

dérive Nr. 8 (02/2002)

Sampler: Trznica Arizona, Dresden, Ottakring,

Tokio, Antwerpen, Graffi ti

dérive Nr. 9 (03/2002)

Schwerpunkt in Kooperation mit dem

Tanzquartier Wien: Wien umgehen

dérive Nr. 10 (04/2002) (vergriffen)

Schwerpunkt: Produkt Wohnen

dérive Nr. 11 (01/2003)

Schwerpunkt: Adressierung

dérive Nr. 12 (02/2003)

Schwerpunkt: Angst

dérive Nr. 13 (03/2003)

Sampler: Nikepark, Mumbai,

Radfahren, Belfast

dérive Nr. 14 (04/2003) (vergriffen)

Schwerpunkt: Temporäre Nutzungen

dérive Nr. 15 (01/2004)

Schwerpunkt: Frauenöffentlichkeiten

dérive Nr. 16 (02/2004)

Sampler: Frankfurt am Arsch, Ghetto Realness,

Hier entsteht, (Un)Sicherheit, Reverse Imagineering,

Ein Ort des Gegen

dérive Nr. 17 (03/2004)

Schwerpunkt: Stadterneuerung

dérive Nr. 18 (01/2005)

Sampler: Elektronische Stadt, Erdgeschoßzonen,

Kathmandu, Architektur in Bratislava

dérive Nr. 19 (02/2005)

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Stadt, Spatial Practices as a Blueprint for

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dérive Nr. 28 (03/2007)

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und Stadtpolitik, Planung in der Stadtlandschaft,

Entzivilisierung und Dämonisierung, Stadt-Beschreibung,

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dérive Nr. 29 (04/2007)

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dérive Nr. 30 (01/2008) (vergriffen)

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Altern, Pliensauvorstadt, Istanbul, privater Städtebau,

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»Der multikulturelle

»Konsum wird

»für die Berliner

»Gentrifizierungsmilieus

»zum Distinktionsvehikel,

»um sich jenseits

»einer deutschen Kultur

»zu verorten.«

Miriam Stock, S. 08

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