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BLICKWECHSEL 2017

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Mehr als Luther. Reformation im östlichen Europa«

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Buchpreis<br />

2016<br />

GEORG<br />

DEHIO<br />

geschichtlichen Strukturen meiner Stadt erreiche, vergleichbar<br />

mit einem Geologen. Abgesehen von der großen Ehre,<br />

die die wohlwollende Erwähnung durch diesen bedeutenden<br />

Schriftsteller für mich bedeutet, muss ich zugeben, dass<br />

meine Faszination für Wrocław durch die hier sichtbaren Zeichen<br />

der alten deutschen Kultur erweckt wurde. Die deutschen<br />

Schriftzüge an den Wänden, an den Eingangstüren der<br />

Häuser und sogar auf den Deckeln der Gullys, Trophäen wie<br />

Helme, Orden, Kronkorken und Flaschen, die während der<br />

Wanderungen meiner Kindheit in den dunklen Kellerkorridoren<br />

ergattert wurden – all das hat meine Begeisterung entfacht.<br />

Das Tabuthema der nichtpolnischen Geschichte der<br />

Stadt hat mich neugierig gemacht, mein Interesse entfacht<br />

und im Endeffekt diese Faszination verstärkt.<br />

Heutzutage wird in Polen alles politisiert. Vor Kurzem<br />

hat ein Abgeordneter gegen die deutsche Verwendung<br />

des Toponyms »Breslau« protestiert. Dieser Politiker<br />

hätte bestimmt einen Herzinfarkt bekommen, wenn er<br />

erfahren hätte, dass Sie, ein Pole, den deutschen Namen<br />

von Wrocław in Ihren Romanen benutzen, mehr noch –<br />

dass das deutsche Toponym zu Ihrer Marke geworden<br />

ist! Haben Sie sich mit jenen Attacken auseinandergesetzt,<br />

dass Ihre differentia specifica die deutschen Ressentiments<br />

anheizen solle?<br />

Ich verstehe nicht, warum der Name »Breslau« in den Titeln<br />

meiner Bücher dazu beitragen sollte.<br />

Wären Sie so nett und beantworten meine Frage?<br />

Ja, mir sind solche Vorwürfe begegnet.<br />

Und wie haben Sie darauf reagiert?<br />

Um eine Frage mit einer Frage zu beantworten. Ich wiederhole:<br />

Ich verstehe nicht, warum der Name »Breslau« in den<br />

Titeln meiner Romane dazu beitragen sollte. Wenn mein Disputant<br />

es mir explizit erklärt hat, habe ich ihm diese Frage<br />

auch beantwortet.<br />

Na dann, ich erkläre es Ihnen. Die Politiker, die, gelinde<br />

gesagt, keine Enthusiasten von Ihnen sind, könnten<br />

sagen: Weg mit Krajewski, er schmeichelt sich bei den<br />

Deutschen ein!<br />

Ich antworte wie ein Kind, das einen Vorwurf »Du bist doof!«<br />

endlos zurückweist: »Selber doof!« Es ist also nicht wahr, ich<br />

lobhudele den Deutschen nicht!<br />

Warum verwenden Sie dann die deutsche Bezeichnung<br />

von Wrocław?<br />

Das ist endlich eine sinnvolle Frage. Die Antwort lautet – aus<br />

Marketinggründen. Jahrelang wurde die deutsche Bezeichnung<br />

von Wrocław als ein Revisionismus verstanden und<br />

war bei uns verboten. Meine Verwendung dieses Namens<br />

war eine Provokation, deren Ziel es keineswegs war, historische<br />

oder politische Diskussionen zu erwecken. Auch hatte<br />

ich nie beabsichtigt, mich für die Normalisierung der polnisch-deutschen<br />

Beziehungen einzusetzen. Mir ging es nur<br />

darum, das Interesse der Leser zu provozieren. Das war's.<br />

Nun haben Sie viele wohlwollende Deutsche enttäuscht,<br />

die Ihre Bücher für ein solches Zeichen der Normalisierung<br />

halten.<br />

Als Schriftsteller schwebte mir nur ein Ziel vor – dem Leser<br />

spannende Unterhaltung zu bieten. Wenn es mir bei dieser<br />

Gelegenheit gelungen ist, etwas Gutes zu tun, freut mich<br />

das. Denn das Gute, das wir quasi nebenbei verursachen,<br />

darf uns doch nicht bekümmern.<br />

Aus dem Polnischen von Paulina Schulz<br />

Ungekürzte polnische Fassung unter<br />

www.marek-krajewski.pl<br />

Ungekürzte deutsche Fassung unter<br />

www.kulturforum.info<br />

Hintergrund: historischer Stadtplan von Breslau, © MAPSTER<br />

t Die deutschen Ausgaben der Breslau-Krimis von Marek Krajewski,<br />

© dtv Verlag<br />

Marek Krajewski wurde 1966 in Breslau/<br />

Wrocław geboren und studierte dort Altphilologie.<br />

Er arbeitete am Institut für<br />

Klassische Philologie und antike Kultur<br />

der Universität Breslau und wurde<br />

1999 promoviert. Ab 2000 war er wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter und von 2006 bis<br />

2007 Dozent an seinem Institut. Seit 2007<br />

lebt er als freier Schriftsteller in Breslau.<br />

Bekannt wurde Krajewski durch seine Breslau-<br />

Krimis. Er entwirft darin verschiedene Kriminalfälle im deutschen<br />

Breslau bis 1945, an deren Aufklärung stets Kriminalrat Eberhard<br />

Mock beteiligt ist. Seine Bücher wurden in siebzehn Sprachen<br />

übersetzt. 2006 erhielt er den von der Wochenzeitung Polityka<br />

vergebenen Literaturpreis »Paszport Polityki« und 2016 den<br />

Georg Dehio-Buchpreis.<br />

Foto: © Wojciech Karliński

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