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BLICKWECHSEL 2017

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Mehr als Luther. Reformation im östlichen Europa«

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MEHR ALS LUTHER<br />

Ausgabe 5<br />

<strong>2017</strong><br />

<strong>BLICKWECHSEL</strong><br />

MENSCHEN<br />

23<br />

Nach dem Studium wurde Volanus<br />

Sekretär und Geheimdiplomat von Nikolaus<br />

Radziwill, genannt »der Rote«. Die<br />

Familie Radziwill hatte einen prägenden<br />

Einfluss auf die Reformation in Polen-<br />

Litauen. Radziwill der Rote, zunächst<br />

Mundschenk des polnischen Königs<br />

und litauischen Großfürsten Sigismund<br />

II. August, wurde 1565 zum Großkanzler<br />

ernannt. 1563 in Wilna und 1568<br />

in Garten/Grodno erhielten die Protestanten<br />

Privilegien, dank derer auch sie<br />

– wie die Römisch-Katholischen und<br />

Orthodoxen – hohe Staatsämter bekleiden<br />

durften. Um 1590 gab es im Großfürstentum<br />

rund 200 protestantische<br />

Kirchen. Unterdessen war Volanus, der<br />

theologische Berater Radziwills, zu einer<br />

der zentralen Gestalten der Reformation<br />

in Litauen aufgestiegen.<br />

Ich begleite Daugirdas durch das<br />

Labyrinth der Universität Vilnius zur<br />

St. Johannes-Kirche. Hier hat Volanus<br />

vor 450 Jahren gegen den polnischen<br />

Jesuiten Petrus Skarga polemisiert. Die<br />

gegen Skarga gerichtete Schrift Defensio<br />

de sacramento corporis (1579) ist zugleich<br />

sein theologisches Hauptwerk. Gut<br />

reformiert kritisiert Volanus darin die<br />

katholische Transsubstantiationslehre –<br />

also die Verwandlung von Brot und Wein<br />

in Leib und Blut Christi bei der Abendmahlsfeier<br />

– zugunsten eines symbolischen<br />

Verständnisses. Ebenso negiert<br />

er die Priesterweihe als Sakrament, da<br />

der Pfarrer nicht den Character indelebilis,<br />

also das untilgbare Prägemal, besitzen<br />

könne. Innerreformatorisch wandte<br />

sich Volanus vor allem gegen die Sozinianer,<br />

die Anhänger Sozzinis. Als Antitrinitarier,<br />

also Gegner der Dreifaltigkeitslehre,<br />

glaubten diese an eine rationale<br />

Auslegung der Bibel. Sie gelten heute<br />

als Vorläufer der Aufklärung.<br />

Die Bibliothek der Universität Wilna wurde 1570 von Jesuiten gegründet und ist damit sogar<br />

noch neun Jahre älter als die Universität selbst. Im Hintergrund dieser Seite ist ein Originaldruck<br />

eines Werkes von Andreas Volanus aus dem Besitz der Bibliothek zu sehen.<br />

Die Einordnung Volanus’ in die Zusammenhänge<br />

der Reformation ist<br />

nicht einfach. »Volanus war ursprünglich<br />

ein Philippist«, meint Daugirdas,<br />

»also ein Anhänger Melanchthons.<br />

Er machte den endgültigen<br />

Schwenk zu den Reformierten mit<br />

der Annahme des Zweiten Helvetischen<br />

Bekenntnisses 1570 mit. Obwohl<br />

im Geiste der Wittenberger Reformation<br />

erzogen, eignete er sich die<br />

Christologie und Abendmahlslehre<br />

Calvins an. Eine solche Entwicklung<br />

verband ihn mit den anderen Philippisten,<br />

wie etwa Christoph Pezel,<br />

dem Wittenberger Theologieprofessor<br />

und späteren Bremer Prediger. Theologisch<br />

standen die Philippisten in manchen<br />

Fragen den Reformierten näher<br />

als den strengen Lutheranern: Denen<br />

galten sie nämlich als Krypto-Calvinisten.«<br />

Volanus ging es in erster Linie um die<br />

Einheit der neuen Kirche und um deren<br />

Festigung auf dem Gebiet der polnischlitauischen<br />

Adelsrepublik. Nach dem<br />

Tode des reformationsfreundlichen<br />

Sigismund II. August im Jahre 1572<br />

gestaltete sich dieser Anspruch zunehmend<br />

schwieriger. Unter den nachfolgenden<br />

Herrschern setzte der Niedergang<br />

des Protestantismus in Litauen<br />

ein. Um 1600 zog sich Andreas Volanus<br />

aus dem öffentlichen Leben zurück und<br />

starb 1610. Sein Ziel, die Herrscherhäuser<br />

und den Adel seines Landes dauerhaft<br />

für die Reformation zu gewinnen,<br />

hat er nicht erreicht.<br />

Judith Leister<br />

Die Autorin und Journalistin Judith Leister lebt in<br />

München und ist u. a. für die Neue Zürcher Zeitung<br />

sowie für diverse Radiosender tätig.

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