BLICKWECHSEL 2017
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Mehr als Luther. Reformation im östlichen Europa«
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22 MENSCHEN<br />
<strong>BLICKWECHSEL</strong><br />
DAS GEHEIMNIS DES ANDREAS VOLANUS<br />
Der Reformator aus der polnisch-litauischen Adelsrepublik galt als Erzketzer und ist heute fast vergessen<br />
Der amerikanische Historiker Timothy Snyder hat einmal<br />
gesagt, dass das litauische Großfürstentum und die ab 1569<br />
daran anschließende polnisch-litauische Adelsrepublik zu<br />
den vergessensten Großreichen Europas gehören. In diesem<br />
Vielvölkerstaat, der einst von der Ostsee bis zum Schwarzen<br />
Meer reichte, lebte der Reformator und Staatsmann<br />
Andreas Volanus, auch er heute fast ein Unbekannter. Ein<br />
Bildnis gibt es nicht. Das Grab ist verschollen. Geblieben sind<br />
seine Schriften, an die vierzig Titel in lateinischer Sprache.<br />
Sie wurden von führenden Köpfen der Reformation in ganz<br />
Europa gelesen, mit denen Volanus auch korrespondierte.<br />
Noch in der Bibliothek Isaac Newtons soll sich seine Auseinandersetzung<br />
mit dem italienischen Theologen Fausto Sozzini<br />
angefunden haben.<br />
Volanus wurde 1531 in Großpolen, in Neustadt bei Pinne/<br />
Lwówek in der Nähe von Posen/Poznań, geboren. Sein Vater<br />
Johannes war ein Schlesier deutscher Herkunft, seine Mutter<br />
eine Polin von niederem Adel. Johannes Volanus wirkte eine<br />
Zeit lang als Ratsherr und Bürgermeister von Neustadt. Er<br />
soll in seiner Heimatstadt und in Grätz/Grodzisk Wielkopolski<br />
Brauereien gegründet haben. Wahrscheinlich war der Vater<br />
während seiner Studienjahre in Deutschland mit reformatorischen<br />
Strömungen in Kontakt gekommen. Glaubt man<br />
den autobiografischen Angaben von Andreas Volanus, so<br />
wurde er im Sinne der Wittenberger Reformation erzogen.<br />
Der dreizehnjährige Andreas studierte in Frankfurt an der<br />
Oder, wo er die Polemiken zwischen den Anhängern der<br />
Reformation und den Altgläubigen kennenlernte. Entscheidender<br />
noch waren seine Studien in Königsberg, das zu der<br />
Zeit eine Zufluchtsstätte für lutherische Glaubensflüchtlinge<br />
aus Europa war. Dort hatte Herzog Albrecht den Latinisten<br />
und Schwiegersohn Philipp Melanchthons, Georg Sabinus,<br />
zum Universitätslehrer berufen, der zum Lehrer des Volanus<br />
wurde. Volanus studierte die Freien Künste (artes liberales),<br />
insbesondere Rhetorik, Dialektik und Latein. Für Theologie<br />
hat er sich interessiert, das Fach jedoch nicht studiert.<br />
Im historischen Lesesaal erwarten<br />
uns Originaldrucke<br />
aus dem 16. Jahrhundert.<br />
Daugirdas macht<br />
mich auf einen Vermerk<br />
in einer Rhetorik<br />
des Melanchthon<br />
aufmerksam: »Dieses<br />
Buch war prohibitus,<br />
also verboten. Bei den<br />
Römisch-Katholischen<br />
galt Melanchthon als Erzketzer,<br />
wurde in den polnisch-litauischen<br />
Klöstern aber trotzdem gelesen. Man hat das pragmatisch<br />
gehandhabt. Auch Volanus, der wie viele Humanisten<br />
nicht nur über Theologie, sondern auch über Ethik, Politik,<br />
das Staatswesen und Recht schrieb, wurde auf dem römischen<br />
Index als Erzketzer geführt.«<br />
p Dr. Kestutis Daugirdas, Theologe und Volanus-Experte, im alten<br />
Lesesaal der Universität Wilna/Vilnius<br />
q In der St. Johannes-Kirche auf dem Campus in Wilna disputierte<br />
und debattierte Andreas Volanus vor 450 Jahren mit seinem jesuitischen<br />
Kontrahenten Petrus Skarga.<br />
Alle Fotos: Judith Leister<br />
Um dem Geheimnis des Volanus weiter auf die Spur zu<br />
kommen, treffe ich in der 1579 von Jesuiten gegründeten<br />
Universität in Wilna/Vilnius den Theologen Dr. Kestutis Daugirdas.<br />
Er wurde mit einer Arbeit über Volanus promoviert<br />
und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mainzer Leibniz-<br />
Institut für Europäische Geschichte.