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BLICKWECHSEL 2017

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Mehr als Luther. Reformation im östlichen Europa«

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LITERATUR IM <strong>BLICKWECHSEL</strong><br />

»HIER WEHT SO EIN FRISCHER ÖSTLICHER WIND«<br />

Zwei Gedichte von Joachim Ringelnatz (1883–1934) über die ostpreußische Metropole Königsberg<br />

Joachim Ringelnatz – unter diesem Künstlernamen wurde der<br />

1883 in Wurzen geborene Hans Gustav Bötticher in der Zeit<br />

der Weimarer Republik eine Berühmtheit der aufblühenden<br />

urbanen Unterhaltungskultur. In der Bühnenrolle des »Kuttel<br />

Daddeldu« begeisterte er im Matrosenanzug das Publikum<br />

in großen wie kleinen Städten. Seine größten Triumphe<br />

feierte er in der Münchner Künstlerkneipe »Simplicissimus«<br />

und in dem berühmten Berliner Kabarett »Schall und Rauch«.<br />

Seine geistreichen, humorvollen, zum Teil skurrilen Gedichte<br />

erschienen in den führenden satirischen und humoristischen<br />

Periodika und in zahlreichen Gedichtbänden. Als reisender<br />

Vortragskünstler pflegte Ringelnatz in besonders witziger<br />

Weise das literarische Genre des Briefgedichts. Sein 1927<br />

erschienener Gedichtband Reisebriefe eines Artisten enthält<br />

neben Gedichten mit Überschriften wie »Frankfurt am Main«,<br />

»Aus Bad Tölz an den Onkel«, »Weltverkehr« und »Hamburg«<br />

auch die folgenden Verse:<br />

Königsberg in Preußen<br />

Ich habe – fall nicht um vor Schreck –<br />

Ein richtiges Gedicht gemacht.<br />

Und ist sogar ein gut Gedicht!<br />

Ich dichtete im Blutgericht<br />

Bei Sekt und Königsberger Fleck.<br />

Ich nenne es »Sehnsuchtsschwüle Nacht« –<br />

Das sind Gedärme und Eingeweide.<br />

Es ist nach Meinung von zwei Soldaten,<br />

Die selber dichten, sehr schön geraten.<br />

Der Inhalt ist »Mondschein – Liebespaar –<br />

Heide«.<br />

Es fehlen mir noch die letzten zwei Zeilen.<br />

Ich sende dir später eine Kopie.<br />

Ich will auch noch an der Überschrift feilen.<br />

Man tut sich schwer mit der Poesie.<br />

Doch ich glaube, daß ich noch manches mache.<br />

Das Reimen ist übrigens Nebensache<br />

Es muß nur gewisse Eindrücke auslösen.<br />

Hier weht so ein frischer östlicher Wind.<br />

Ich bin im Schloß und Universität<br />

Und einmal bei Journalisten gewesen.<br />

Die nach allen Seiten gebildet sind.<br />

Nur ist es morgens hier immer sehr spät.<br />

Und auch auf dem Viehmarkt herrscht Tempo<br />

und Leben.<br />

Man muß sich in alles einmal vertiefen.<br />

Wie sich die Metzger dort Handschlag geben,<br />

Zum Beispiel, – das schildert sich gar nicht in<br />

Briefen.<br />

Und ist auch nicht weiter interessant.<br />

Aber lies mal Immanuel Kant.<br />

Das sind natürlich nicht Liebesgeschichten<br />

Sondern ein Philosophengenuß.<br />

Morgen bin ich in Memel. – Jetzt muß<br />

Ich weiter Sekt trinken und feilen und dichten.<br />

Der von Olaf Gulbransson gestaltete Bucheinband von Flugzeuggedanken,<br />

Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1929<br />

u Königsberg, Stadttheater und Hotel Central bei Nacht (1900–1910),<br />

© Fritz Krauskopf, Quelle: Sammlung Werner Klebusch,<br />

www.Bildarchiv-Ostpreussen.de, eingestellt von Manfred Schwarz

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