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FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL

FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 1|2017 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung

FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 1|2017 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung

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<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong><br />

EINE SONDERBEILAGE DES TRE TORRI VERLAGS · DER VERLAG <strong>FÜR</strong> ESSEN, TRINKEN <strong>UND</strong> <strong>GENUSS</strong> 1 |2017<br />

ISSEY MIYAKE, MEISTER <strong>UND</strong> MAGIER DER MINIMALISTISCHEN MODE


VERLEGER <strong>UND</strong> HERAUSGEBER<br />

Ralf Frenzel<br />

ralf.frenzel@fine-magazines.de<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

Thomas Schröder<br />

thomas.schroeder@fine-magazines.de<br />

REDAKTION<br />

Katja Richter<br />

ART DIRECTION<br />

Guido Bittner<br />

MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />

Ellen Alpsten, Ralf Bastian, Hannah<br />

Conradt, Uwe Kauss, Krisztina Koenen,<br />

Stefan Pegatzky, Stuart Pigott, Angelika<br />

Ricard-Wolf<br />

FOTOGRAFEN<br />

Guido Bittner, Rui Camilo, Johannes Grau,<br />

Marco Grundt, Christof Herdt<br />

TITEL-FOTO<br />

Issey Miyake – Beaute Prestige<br />

International<br />

VERLAG<br />

Tre Torri Verlag GmbH<br />

Sonnenberger Straße 43<br />

65191 Wiesbaden<br />

www.tretorri.de<br />

Geschäftsführer: Ralf Frenzel<br />

Wilhelm Weil, Hans-Joachim Vauk, Klaus Westrick<br />

zum Beispiel: Was mögen die drei wohl gemeinsam<br />

haben, was könnte sie verbinden? Eines gewiß:<br />

Alle drei sind Meister ihres Fachs – der Winzer, der Schuhmacher,<br />

der Media-Geschäftsmann. Sie alle haben sich mit<br />

dem normal Erwartbaren nicht zufrieden gegeben, haben das<br />

Besondere ihrer Profession gesucht und so ein Maß gesetzt,<br />

an dem andere gemessen werden. Und wie die genialen Modedesigner<br />

Issey Miyake, Narciso Rodriguez, Wolfgang Joop oder<br />

das Pariser Duo Zadig & Voltaire (eigentlich Cecilia Bönström<br />

und Thierry Gillier) samt ihrer Parfüm-Kreateure schöpfen sie<br />

nicht nur selbst aus dem vollen Vorrat ihrer Inspiration; ihre<br />

Produkte, ihre Handlungen und Haltungen inspirieren stets<br />

auch andere. Dieses Heft zeigt Menschen, deren Kreativi tät sie<br />

immer wieder zu Schaffens- und Erfindungslust bewegt. Ein<br />

stumpfer Geist erdenkt eben kein geschliffenes Produkt.<br />

ANZEIGEN<br />

Judith Völkel<br />

Tre Torri Verlag GmbH<br />

+49 611-57 990<br />

anzeigen@fine-magazines.de<br />

DRUCK<br />

Prinovis Ltd. & Co. KG · Nürnberg<br />

<strong>FINE</strong> Das Magazin für Genuss und Lebensstil<br />

ist eine Sonder beilage des Tre Torri Verlags<br />

und erscheint im Verbund mit <strong>FINE</strong><br />

Das Wein magazin viermal Jährlich im ausgesuchten<br />

Zeitschriftenhandel.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben<br />

nicht unbedingt die Meinung der Redaktion<br />

wieder. Der Verlag haftet nicht für unverlangt<br />

eingereichte Manuskripte, Dateien, Datenträger<br />

und Bilder. Alle in diesem Magazin veröffentlichten<br />

Artikel sind urheberrechtlich geschützt.<br />

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INHALT<br />

WEINE <strong>FÜR</strong> JUNGE WELTBÜRGER<br />

Jetzt macht er auch Wein in Rheinhessen: Der Rheingauer Winzer Wilhelm Weil geht neue Wege<br />

SUBTILER VERFÜHRER: NARCISO RODRIGUEZ<br />

Der amerikanische Designer liebt die Nuancen: in der Mode wie bei den Düften<br />

»MEINE WÄHRUNG SIND DIE MEDIEN«<br />

Klaus Westrick, Chef der XLS Media Group, beweist, dass in der modernen Wirtschaft Tauschhandel funktioniert<br />

EIN ATHLET DES PURISMUS<br />

Der japanische Modeschöpfer Issey Miyake ist ein Meister der Reduktion<br />

MEMBERS ONLY<br />

67, Pall Mall – der exklusive Club für Weinliebhaber in London<br />

ROCK ME BABY!<br />

Wie das Label Zadig & Voltaire die Duft- und Fashionszene aufmischt<br />

KARATE-KOSMETIK<br />

Zwei Tänzerinnen boxen ein neues Schönheitsserum von Shiseido in den Markt<br />

VERTEUFELUNG DER REINHEIT<br />

Stuart Pigott ist dagegen, Fehltöne im Wein als authentisch zu verkaufen<br />

<strong>DAS</strong> DEUTSCHE KÜCHENW<strong>UND</strong>ER<br />

Die Kulinarik im Nachkriegs-Deutschland erlebte ihren Aufschwung dank einer europäischen Agrarpolitik<br />

DIE WILDNIS IM BLICK<br />

Für seinen neuen Duft WOW! lässt Joop eine alte Ikone wieder aufleben: Tarzan<br />

SCHUHE <strong>FÜR</strong> EIN GANZES LEBEN<br />

Hans-Joachim Vauk fertigt seit dreißig Jahren feinste Maßschuhe für Kunden in der ganzen Welt<br />

ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT<br />

Die trauen sich was: Veuve Clicquot präsentiert »Rich«-Champagner – süß und zum Mixen »on the rocks«<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 3


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Alles für<br />

den Garten<br />

<strong>FÜR</strong> EINE ENTSPANNTE <strong>UND</strong><br />

<strong>GENUSS</strong> VOLLE GARTENSAISON 2017.


6 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


WEINE <strong>FÜR</strong><br />

JUNGE<br />

WELTBÜRGER<br />

Rheinhessischer Wein – erzeugt von einem Rheingauer Winzer: Mit seinem<br />

Projekt »Robert Weil Junior« erregt der berühmte Kiedricher Weinmacher<br />

Wilhelm Weil Aufsehen. Und erfüllt sich zugleich einen Generationenwunsch.<br />

Von RALF BASTIAN<br />

Fotos RUI CAMILO<br />

Foto: Guido Bittner<br />

Als die Nachricht vor wenigen Wochen die Runde machte, zuckten<br />

einige zusammen und dachten: Was macht denn der Weil da? Dass<br />

das Weingut Robert Weil nun auch Wein auf der linken Seite des<br />

Rheins, in Rheinhessen, erzeugt, dürfte eine der größten Überraschungen<br />

dieses Weinjahrs sein. Bis jetzt war das unvorstellbar für<br />

die Familie Weil, es wäre fast einem Sakrileg gleichgekommen: Vier<br />

Generationen lang war sie ausschließlich in Kiedrich, auf der rechten<br />

Seite des Stroms, tätig. Robert Weil, das stand bislang für hundert<br />

Prozent Riesling und für hundert Prozent Rheingau in »Reinstkultur«,<br />

wie Wilhelm Weil, der Gutsdirektor des Weinguts, sagt.<br />

Viele sehen im Weingut Robert Weil sogar ein welt weites Symbol<br />

deutscher Riesling- Kultur. Wer kennt nicht das himmelblaue Etikett,<br />

das für die Faszination des Rieslings steht? Robert Weil – das war<br />

immer ein messerscharf gezogenes, präzis aus gerichtetes Konzept:<br />

Hundert Hektar Riesling, die »im Zirkelschlag« um das Weingut<br />

liegen, etwas anderes kam nicht in Frage. Diesen Weg hat Wilhelm<br />

Weil nun mit dem Jahrgang 2016 ver lassen und drei Burgunder- Weine<br />

von der »left bank«, vom linken Ufer des Rheins, vor gelegt. »Der<br />

Rheingau ist eine wunderbar blühende Wiese«, sagt der Winzer,<br />

»aber es gibt auch noch andere begehrenswerte Welten.«<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 7


SUBTILER<br />

Der amerikanische Designer Narciso Rodriguez versteht sich auf<br />

die Kunst der Nuancen. In seiner Mode wie in seinen Parfüms<br />

Von ANGELIKA RICARD-WOLF<br />

Fotos MARCO GR<strong>UND</strong>T<br />

10 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


VERFÜHRER<br />

»Sind Sie der mit den Düften?« fragte der italienische Beamte bei der Passkontrolle. »Ich<br />

bin der Mode macher«, antwortete Narciso Rodriguez. Klar, Parfüms macht er auch. Sehr<br />

erfolgreich sogar. Dass er dafür in einigen Ländern bekannter ist als wegen seiner hin reißend<br />

schönen Fashionlinie, nimmt er gelassen. Schließlich ist es in jedem Fall seine unverwechselbare<br />

Handschrift, die man mit seinem Namen verbindet – die zeitloser Eleganz.<br />

Kaum ein Designer versteht sich so auf die Kunst<br />

subti ler Verführung wie Rodriguez. Das gilt für seine<br />

Düfte wie für seine Mode. Nie würde er etwas entwerfen,<br />

was im übertragenen Sinn »laut« ist. Ein schrilles<br />

Nichts von Kleid etwa, das gerade mal für ein Paparazzi-<br />

Foto auf dem Roten Teppich taugt, aber dann nie wieder<br />

auftaucht, schon gar nicht in den Läden. Oder ein grelles<br />

Parfüm, das seine Trägerin (und ihre Umgebung) erschlägt.<br />

Derlei Effekthascherei liegt ihm nicht. »Ich möchte Dinge<br />

kreieren, die Bestand haben, die bleiben. Die man heute<br />

so gut wie morgen tragen kann, Dinge eben, die lebendig<br />

bleiben.«<br />

Wie gekonnt er die Klaviatur feiner Nuancen beherrscht,<br />

zeigt sich in seinen Mode-Kollektionen, bei denen stets Weiß,<br />

Schwarz und Nude den Ton angeben. Nur selten bricht er<br />

diesen Signatur-Farbcode – wie gerade in der aktuellen Frühjahrslinie.<br />

Darin wagt er sogar mal ein leuchtendes Orange<br />

für einige wenige, ausgesuchte Einzelteile. Grundsätzlich<br />

bestechen seine Outfits durch ihre exzellent geschnittene<br />

Linie, die den Körper fließend umspielt und sublim betont.<br />

Ex-First-Lady Michelle Obama und Film schauspielerinnen<br />

wie Jessica Alba oder Kate Winslet sind seit Jahren treue<br />

Kundinnen.<br />

Zu dieser Mode passt die DNA seiner Düfte. Sie wird<br />

von Musk orchestriert, eine der wichtigsten Basisnoten der<br />

Parfümerie. Schon seinem ersten Damenduft »For her«,<br />

der 2003 herauskam, gibt diese fein holzige Note mit ihrer<br />

fruchtigen Süße Substanz und sinnliche Wärme. »Moschus<br />

ist das Herz jedes meiner Düfte und mein Favorit«, sagt<br />

der Sechsundfünfzigjährige. Er nehme diese Note selbst<br />

gern, »weil sie unglaublich sexy und betörend ist. Ich mag<br />

es, immer mal eine oder mehrere andere Nuancen darüber<br />

zu tragen.«<br />

Seine Lieblingsduftzutat ist daher auch wieder in den<br />

beiden neuesten Parfüms der Marke zu finden. In »Narciso<br />

Eau de Parfum Poudrée« entwickelt sie gemeinsam mit<br />

Jasmin- und Rosenblüten und im Einklang mit Zedernholz<br />

eine zarte Pudrigkeit. Bei »Fleur Musc for her« spielt sie,<br />

wie der Name verspricht, sogar die Hauptrolle – begleitet<br />

vom Aroma rosafarbener Blüten, rosa Pfeffer, Patschuli<br />

und Amber. »Es ist ein Duft, der Charme und Anmut verströmt«<br />

beschreibt Narciso Rodriguez die jüngste Komposition,<br />

den die Parfümeurinnen Calice Becker und Sonia<br />

Constant mit ihm komponiert haben.<br />

Glaube ja nicht einer, die Duftkreation würde der<br />

56-Jährige, der in New York lebt und arbeitet,<br />

komplett anderen überlassen und nur das Endergebnis<br />

abnicken. Er ist aktiv in den Findungsprozess involviert.<br />

Schon aus Prinzip, weil er nach eigenem Bekunden<br />

»pingelig« ist und auch hier – wie im Modeatelier – auf<br />

jedes Detail achtet. Abgesehen davon, sind Parfüms längst<br />

ein Eckpfeiler seines internationalen Erfolgs.<br />

»Die Chance zu haben, Parfüms entwickeln zu können,<br />

spielt auf meinem Lebensweg eine wichtige Rolle«,<br />

sagt er. Denn nur kurz nachdem er sich 2001 mit seinem<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 11


Subtiler Verführer | Narciso Rodriguez<br />

eigenen Label selbständig gemacht hatte, kam schon die<br />

Parfümschmiede Beauté Prestige International, kurz BPI,<br />

mit dem Angebot auf ihn zu, für und mit ihm eine Duftlinie<br />

aufzubauen.<br />

Sinnlich, elegant, modern: Das<br />

Herz seiner Düfte ist Moschus, das<br />

Gesicht seines neuen Parfüms ist<br />

Raquel Zimmermann. Das brasilianische<br />

Topmodel verkörpert perfekt<br />

die charismatisch-verführerische<br />

Narcisco-Rodriguez-Frau.<br />

Für Rodriguez, der sein Handwerk an der renommierten<br />

Parsons School in New York gelernt und im Anschluss<br />

für Modemacher wie Nino Cerruti, Donna Karan<br />

und Calvin Klein gearbeitet hat, war das ein Glücksfall. So<br />

konnte er seine Stilvision parallel realisieren, dank gelungener<br />

Duftlancierungen zusätzlich Geld verdienen und seinen<br />

Bekanntheits grad durch den Bonus des Imagetransfers<br />

zwischen Duft und Mode sukzessive auszubauen – nicht<br />

nur für den Moment einer Passkontrolle auf dem Mailänder<br />

Flughafen.<br />

Es war nämlich nicht gerade einfach für ihn, sich zu<br />

jener Zeit als Neuling im Fashionbusiness zu etablieren.<br />

Doch der Sohn kubanischer Einwanderer, der in Newark/<br />

New Jersey zur Welt kam und aufgewachsen ist, vertraute<br />

auf die ihm eigene Beharrlichkeit. Schon als Junge wollte<br />

er »irgendetwas mit den Händen machen, gestalten. Ich<br />

merkte, dass ich ein Talent für Stoffe und Schnitte hatte.«<br />

Sein Berufsweg war damit praktisch vorgezeichnet, allen<br />

Unkenrufe der Familie zum Trotz.<br />

Sie hätte es wissen müssen. Selbstverwirklichung hat<br />

für einen im Sternzeichen des Wassermann Geborenen<br />

wie ihn nun mal oberste Priori tät. »Auch in schwierigsten<br />

Zeiten habe ich zielstrebig alles daran gesetzt, meine<br />

Arbeit voranzutreiben.«<br />

Das tut er heute noch. Jeden Morgen pilgert er von<br />

seinem Apartment in Chelsea, das er mit seinem Partner,<br />

dem Anzeigenleiter Thomas Tolan teilt, zu seinem Studio<br />

am Irving Place. Es liegt in der Nähe des Union Square<br />

mitten in Manhattan. Sein Vorteil beim Fußmarsch: kein<br />

Stau, kein Stress. Sondern Zeit für Müßig-Gang, zum Sehen,<br />

zum Wahrnehmen.<br />

Das macht ihn aus. Er ist ein Zugewandter, den Menschen,<br />

der Natur, den Sachen gegenüber. Dinge, die an<br />

anderen vorbeirauschen – Narciso Rodriguez realisiert<br />

sie. Im Kopf nimmt er sie mit. So manches kauft er im Vorbeigehen.<br />

Was kontinuierlich das kreative Chaos rund um<br />

seinen Schreibtisch vergrößert, auf dem neben Computer,<br />

Laptop, Telefon, gerahmten Fotos, Büchern und stylischen<br />

Musikboxen sogar noch eine Orchidee Platz hat.<br />

»Ich liebe es, Dinge zu sammeln«, sagt der Modemacher<br />

mit Blick auf die rundum angepinnten Fotos (die<br />

der leidenschaftliche Fotograf meist selbst gemacht hat) und<br />

Zeichnungen, auf die Bilder, die auf dem Fußboden stehen<br />

und gegen die Wand lehnen. Sein Faible für kleine Kunstgegenstände<br />

dokumentiert sich in zauberhaften Skulpturen,<br />

die sich vor und zwischen die unzähligen Bücher in<br />

die Regale geschmuggelt haben. Ein Lämmchen, ein Sparschwein<br />

lugen da hervor. Dazwischen liegen ein paar besonders<br />

schöne, von Reisen mitgebrachte Steine, faszinierend<br />

in ihrer Haptik und Farbe.<br />

Inspiration, wohin man schaut. Der Flusskiesel da, wo<br />

hat man dessen kaum wahrnehmbaren Roséton bloß schon<br />

mal gesehen? Ach ja, natürlich, als zarten Überfang auf dem<br />

Flakon von »Eau Poudrée.«<br />

12 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Von Spezialisten angebaut, geerntet, exportiert und geröstet.


»MEINE<br />

WÄHRUNG<br />

SIND DIE<br />

MEDIEN«<br />

Auch in der modernen monetarisierten Wirtschaftswelt<br />

gibt es Möglichkeiten für Tauschgeschäfte, die<br />

ganz ohne die Vermittlung des Geldes auskommen.<br />

Wie diese Nischen gewinnbringend genutzt werden<br />

können, weiß Klaus Westrick, Gründer und Geschäftsführer<br />

der XLS Media Group.<br />

Von KRISZTINA KOENEN<br />

Fotos CHRISTOF HERDT<br />

Wer überhaupt weiß, was Bartergeschäfte sind, verortet<br />

sie in die Frühzeit der Menschheits geschichte.<br />

Damals, vor der Erfindung des Geldes oder eines<br />

wie auch immer gearteten allgemeinen Äquivalents,<br />

tauschte man eben, was man hatte, gegen Dinge, die<br />

man brauchte. Aber kann es sinnvolle Barter- also<br />

Tauschgeschäfte in unserer durch und durch monetarisierten<br />

Wirtschaft geben? Klaus Westrick beantwortet<br />

die Frage mit einem eindeutigen Ja. Sein Unternehmen,<br />

die XLS Media Group, hat sich auf eben<br />

solche Tauschgeschäfte spezialisiert und dies ganz<br />

offensichtlich mit großem Erfolg.<br />

Das legen die edlen Büroräume in bester Wiesbadener Lage zumindest<br />

nahe, und die Annahme wird vom jugendlich schwungvoll<br />

herbeieilenden Geschäftsführer und Firmengründer gerne<br />

bestätigt. Es sei den meisten Menschen gar nicht bekannt, wie viele<br />

Nischen die moderne Wirtschaft für Tauschgeschäfte biete, sagt er.<br />

Und natürlich dafür, mit diesen Tauschgeschäften Geld zu verdienen.<br />

Am ver breitetsten sind Unternehmen, die – wie auch XLS – im Bereich<br />

Media bartering tätig sind. Das bedeutet: Kunden bezahlen die Werbeleistungen,<br />

die sie benötigen, nicht mit Geld, sondern mit ihren eigenen<br />

Produkten. Gerade weil es um das Ausfüllen von Nischen handelt, haben<br />

Unter nehmen, die solche Geschäfte vermitteln, eine nützliche Funktion.<br />

Von der hohen Warte der Volkswirtschaft aus gesehen sind sie damit<br />

befasst, auf ihrem Gebiet die Reibungsverluste der Markt wirtschaft<br />

zu reduzieren.<br />

Das Geschäftsmodell Mediabarter ist in den Vereinigten Staaten<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Die Betriebe, die während des<br />

Krieges für die Rüstung gearbeitet hatten, stellten wieder auf die zivile<br />

Produktion um, hatten aber kaum flüssige Mittel für Werbung. Also<br />

bezahlten sie für ihre Werbeauftritte mit Waren oder Dienst leistungen.<br />

Die so entstandene Barterindustrie sah sich als Clearing stelle für Unternehmen<br />

mit Warenüberschüssen und half ihnen, ihre Waren zu kapitalisieren<br />

und damit mehr Werbe präsenz zu generieren.<br />

Als Klaus Westrick sein Unternehmen im Jahr 2000 gegründet hatte,<br />

passte er das amerikanische Geschäftsmodell den deutschen Verhältnissen<br />

an. Während es in den Vereinigten Staaten üblich war, die Warenleistung<br />

des Kunden in Credits, also Handelsgutschriften auszudrücken,<br />

die dann später bei den Werbeträgern gegen Flächen oder Werbezeiten<br />

ein getauscht werden konnten, hatte sich der Firmengründer für den<br />

reinen Tausch entschieden: Medien gegen Ware. »Unsere Währung<br />

sind die Medien«, erklärt er. Bezahlt werden die Produkte der Hersteller<br />

mit Media volumina, das heißt Fernseh- und Radiospots, Plakataktionen,<br />

Anzeigen in Print medien und natürlich auch in den neuen<br />

elektronischen Medien. Klaus Westrick begründet diese Präferenz für<br />

den reinen Tausch damit, dass dieser für alle Beteiligten transparenter<br />

sei. Transparenz sei in Deutschland, wo Bartergeschäfte auf viele Vorbehalte<br />

treffen, besonders wichtig. Er ist davon überzeugt, dass die Transparenz<br />

einer der Gründe für seinen Erfolg war und auch bleiben wird.<br />

Wie aber muss man sich so ein Bartergeschäft vorstellen? Und wie<br />

kommen die daran interessierten zusammen? Zum Beispiel so: Die Firma<br />

XLS steht im Kontakt mit einem Hersteller von Fernseh geräten, der wegen<br />

eines Modellwechsels tausend Fernseher der vorher gehenden Generation<br />

auf Lager hat. Diese binden Kapital, belegen Lagerkapazitäten und<br />

14 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


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»Meine Währung sind die Medien« | Klaus Westrick<br />

Tauschhandel modern:<br />

Um im Bartergeschäft<br />

erfolgreich zu sein,<br />

braucht Klaus Westrick<br />

vor allem drei Dinge –<br />

Kontakte, Kontakte<br />

und Kontakte. Dazu<br />

profunde Medienkenntnis,<br />

professionelles<br />

Markt- und<br />

Branchenwissen und<br />

ein lücken loses Netzwerk.<br />

Sein Handel von<br />

Produkten gegen freie<br />

Werbeflächen in den<br />

Medien floriert.<br />

müssen unter Umständen sogar<br />

abgeschrieben werden. Zugleich<br />

aber möchte das Unternehmen<br />

seine neuen Geräte bewerben.<br />

XLS erwirbt die Geräte zum Großhandels<br />

preis und bezahlt sie mit<br />

Werbezeiten einer Sendergruppe,<br />

bei der das Unternehmen davon<br />

ein größeres Kontingent besitzt.<br />

Der Hersteller hat nun die alten<br />

Geräte verkauft und kann Werbung<br />

für die neuen Geräte schalten,<br />

für die ihm sonst die liquiden<br />

Mittel gefehlt hätten.<br />

Nun wiederum muss XLS die<br />

Geräte verkaufen, ohne seinem<br />

Kunden zu schaden oder ihm<br />

auf dem Markt Konkurrenz zu<br />

machen. Da kommen die guten<br />

Kontakte von Klaus Westrick zu<br />

den Importeuren von Autos ins<br />

Spiel. Die TV-Geräte werden<br />

einem Autoimporteur verkauft,<br />

der diese Geräte für eine Werbeaktion<br />

nutzen will. Er bezahlt XLS<br />

nur zum Teil mit Geld, den anderen<br />

Teil bilden Fahrzeuge, die<br />

auch eingesetzt werden, um die<br />

Werbeaktion des Importeurs im<br />

Radio und auf Plakaten zu finanzieren.<br />

Am Ende profitiert auch<br />

der TV-Produzent, weil durch die<br />

Autowerbung auch seine Marke<br />

öffentlich stärker wahr genommen<br />

wird.<br />

Nicht alle Tauschgeschäfte<br />

sind so komplex wie die gerade<br />

dargestellten. Eine Molkerei, die<br />

ungenutzte Kapazi täten für die Herstellung von Yoghurt hatte, bezahlte<br />

eine großangelegte nationale Plakatwerbeaktion mit diesem Produkt,<br />

das wiederum von XLS an Gefängnisse geliefert wurde. Solche Geschäfte<br />

kommen immer wieder zustande, weil Hersteller von Konsumgütern<br />

häufig Überhänge haben, die Lager blockieren und Kapital binden:<br />

Das betrifft vor allem Saisonware oder Produkte mit einem schnellen<br />

Innovations zyklus wie beispielsweise Unterhaltungselektronik. Sie<br />

möchten die Waren auf anderen Wegen in den Markt bringen, auf jeden<br />

Fall so, dass sie damit dem neueren Produkt keinen Schaden zufügen.<br />

Zugleich haben diese Unternehmen auch einen Bedarf an Media präsenz,<br />

um die neuen Waren zu bewerben.<br />

Die Kernkompetenz von XLS sind die Medien. Diese Kompetenzen<br />

sind durch die intensive Zusammenarbeit mit den Media agenturen<br />

im Laufe der Jahre gewachsen<br />

und heute wesentlich für das<br />

Geschäfts modell. Die Interessen<br />

der Medien am Barter geschäft<br />

hätten ebenfalls mit Überangebot<br />

zu tun, erklärt Klaus Westrick.<br />

»Alle Medien haben freie Kapazitäten«,<br />

sagt er, »und das ist die<br />

Grundlage unseres Geschäfts:<br />

Media ist ein handel bares Gut.<br />

Werbe zeiten und - flächen verfallen,<br />

wenn sie nicht genutzt<br />

werden. Sie sind auch substituierbar:<br />

Eine Zielgruppe kann man bei<br />

RTL genauso erreichen wie bei<br />

ProSiebenSat 1. Deshalb haben die<br />

Medien ein Interesse an unserer<br />

Tätigkeit. Wir handeln mit Werbeflächen<br />

und ermöglichen unseren Kunden, dafür mit Ware zu bezahlen.<br />

Dadurch werden zusätzliche Werbebudgets generiert, was den Interessen<br />

der Medien entspricht.« Es geht also darum, die freien Kapazitäten<br />

der Medien zu vermarkten, und für den Medieneinsatz bis dahin<br />

brachliegendes Kapital zu mobilisieren. Durch die Kunden, die mit<br />

Ware bezahlen, entsteht die begehrte zusätzliche Auslastung.<br />

Westrick kennt sich mit dem Geschäft der Medien aus. Er arbeitet<br />

eng zusammen mit den Medienhäusern, die das Plus an Vermarktung<br />

ihrer Werbeflächen durchaus begrüßen. Die persönlichen und vertraulichen<br />

Kontakte sind über Jahre gewachsen, und so sind Geschäftsmodelle<br />

ent standen, die allen Beteiligten Vorteile bieten. Das war in der<br />

Berufs biographie Westricks nicht vorgezeichnet. Ursprünglich kommt<br />

er aus der Finanzwelt, genau genommen vom Aktien handel. 1996 ist er<br />

dann in den Werbezeiten-Handel eingestiegen, und das war die Initialzündung<br />

für die Entwicklung des neuen Geschäftsmodells.<br />

Seine Tätigkeit erfordert Expertise auf gleich drei Gebieten: im<br />

Bereich der Medien, der Konsumgüter produzierenden Industrie<br />

und der Märkte, auf denen die als Gegenleistung für Mediapräsenz<br />

erworbenen Güter veräußert werden. Diese letztere Aufgabe ist<br />

besonders heikel und erfordert viel Phantasie. Denn der Verkauf darf<br />

nicht zur Selbstkannibalisierung des Kunden führen, er darf den ohnehin<br />

schon gesättigten Markt auf keinen Fall überschwemmen und ihn<br />

noch enger machen. Die Verwertung wird deshalb sorgfältig mit dem<br />

Kunden abgestimmt. Dafür in Frage kommen aus ländische, bis dahin<br />

unbearbeitete Märkte oder geschlossene Kreisläufe, wie innerbetriebliche<br />

Bonusprogramme, Preisausschreiben oder auch Werbeaktionen<br />

wie im Falle der Fernseher für Autokäufer.<br />

Die Zukunftschancen seines Unternehmens sieht Westrick sehr<br />

optimistisch. Durch die Digitalisierung würde die Brutto-Werbefläche<br />

schnell weiter wachsen, während die Netto-Werbebudgets der Unternehmen<br />

eher stagnierten. »Da wir Budgets mobilisieren, Waren kapitalisieren<br />

und so zusätzliche Gelder für die Werbebudgets heben, bleiben<br />

wir für die Mediapartner weiterhin sehr interessant«, erklärt er. Der<br />

Kampf um die Werbegelder werde täglich stärker, ebenso der Bedarf<br />

der Kunden, die Budgets zu optimieren. »Durch unsere Arbeit ist die<br />

Gesamt akzeptanz auf diesem kleinen Werbemarkt gewachsen«, fügt<br />

er weiter hinzu, wobei er sich der Grenzen des Wachstums bewusst ist:<br />

»Wir werden weiterhin eine Nische bleiben.«<br />

Wie erfolgreich XLS in dieser Nische agiert, beweisen die Zahlen,<br />

die erst für das Jahr 2015 vorliegen: Seit der Unternehmensgründung<br />

hat der Marktführer etwa 550 Millionen Euro Umsatz gemacht, 11 500<br />

Automobile verkauft, 55 000 TV-Spots und 44 000 Radiospots geschaltet<br />

– das alles mit nur vier festen Mitarbeitern. Das wichtigste Kapital<br />

von XLS ist das Knowhow, die Kontakte und die sorgsam gepflegten<br />

Beziehungen zu den wichtigen Akteuren auf dem Werbemarkt. Dieser<br />

Aufgabenstellung kommt die Persönlichkeit Klaus Westricks sicherlich<br />

entgegen. Er ist nicht nur eloquent, wenn es gilt, die Vorteile von<br />

Barter geschäften zu schildern, er ist auch der geborene Netzwerker, und<br />

wenn ein Geschäft es erforderlich macht, Vertraulichkeit zu bewahren,<br />

kann er auch unerschütterlich verschwiegen sein.<br />

16 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Foto: Brigitte Lacombe<br />

EIN ATHLET<br />

Als Meister der Reduktion setzt der japanische Designer Issey Miyake<br />

auf Minimalismus, Klarheit und Zeitlosigkeit – wie seine Mode und seit<br />

fünfundzwanzig Jahren auch seine Parfüms beweisen.<br />

18 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Der Mann ist beim Kaiser. Privataudienz im Palast. Für ein Tässchen Tee mit dem Tenno versetzt Mode- und Duft-Visionär Issey Miyake<br />

eine Handvoll Journalisten, die eigens für ein Treffen mit ihm nach Japan gereist sind. Eine Frage der Etikette, Majestät geht allemal vor<br />

(Presse-)Volk. Doch diese Einladung sei ihm wirklich gegönnt. Gewährt für seine bahnbrechenden Ideen, die er seit der Gründung seines<br />

eigenen Design-Studios in Tokio 1970 entwickelt und umgesetzt hat. Ein Lebenswerk, dem Nippons National Art Center ver gangenes<br />

Jahr eine umfassende Werkschau widmete. Die hatte auch Throninhaber Akihito gesehen, beeindruckt und zwecks Anerkennung im<br />

Nachhinein zu dieser Einladung bewogen.<br />

Fotos: Beaute Prestige International<br />

Vermutlich war Issey Miyake darüber nicht nur der<br />

Ehre wegen erfreut, sondern auch ein bisschen, weil<br />

er nun eine plausible Ausrede hatte, den Interviewtermin<br />

zu schwänzen. Er steht nicht gern im Mittel punkt,<br />

ist keiner dieser in seiner Branche so verbreiteten Spezies<br />

von Selbstdarstellern, die immer auf Publicity aus sind. Das<br />

war er noch nie. Schon von Anfang an, als er in den frühen<br />

achtziger Jahren als auf gehender Stern in Paris für seine<br />

ausgefallenen und mutigen Kollektionen gefeiert wurde,<br />

tauchte sein voller schwarzer Haarschopf nach dem Defilee<br />

nur kurz aus der Kulisse auf, um sich beim Publikum für<br />

den Beifall zu bedanken. Jetzt, er ist inzwischen grau haarig<br />

und vor ein paar Tagen neunundsiebzig Jahre alt geworden,<br />

macht er sich erst recht rar und schickt stattdessen lieber<br />

seine engste Vertraute vor.<br />

Das ist Midori Kitamura, die vor mehr als vierzig Jahren<br />

als Haus model bei der Marke angefangen hat und heute die<br />

Präsidentin der Miyake Design Studios ist. Formvollendet<br />

übernimmt die große, aparte Japanerin mit dem klassisch<br />

geschnittenen Gesicht und den zu einem Knoten zurückgenommenen<br />

Haaren denn auch an diesem Tag das Kommando.<br />

Sie führt die Gäste durch eine Galerie in der City,<br />

um dort zwischen lauter hauchdünnen Glasobjekten, die<br />

wie dicke Seifen blasen aussehen, das neue Parfüm »Pure«<br />

zu präsentieren. Die klare Duft komposition und der tropfenförmige<br />

Flakon, unter dem wachsamen Kontrollblick des<br />

Meisters vom New Yorker Designer Todd Bracher entworfen,<br />

fügen sich nahtlos in das stringente olfaktorische<br />

Konzept des japanischen Stilisten. Der schuf dafür bereits<br />

1992, also exakt vor fünfundzwanzig Jahren, mit »L’Eau<br />

d’Issey« den Prototyp.<br />

Als Miyake das Parfüm herausbrachte, war es ein absolutes<br />

Feder gewicht im Vergleich zu den damals so beliebten,<br />

opulenten Mischungen wie »Trésor« von Lancôme oder<br />

»Venezia« von Laura Biagiotti. Auch im Auftritt wirkte<br />

der schlichte Glaskegel – im Vergleich zu anderen Flakons<br />

– eher bescheiden. Aber gerade weil dieses Parfüm<br />

so anders roch und aussah, erregte es Aufmerksamkeit und<br />

brachte mit seiner Unbeschwertheit und Transparenz frischen<br />

Wind in die Parfümerie.<br />

Ein Vierteljahrhundert später ist »L’Eau d’Issey« immer<br />

noch ein Bestseller, von dem alle fünf Minuten irgendwo<br />

auf der Welt ein Exemplar verkauft wird. Durch ihn haben<br />

typisch japanische Zutaten wie Nashi-Birne, Lotus, Yuzu<br />

(eine Zitrusart), Bambus oder Ingwer das Portfolio der<br />

Parfümeure erweitert. Eaux wurden wieder modern, mit<br />

ihrer unaufdringlichen Frische gehören sie heute zu den<br />

beliebtesten Duftkonzentrationen.<br />

Eine Entwicklung, ganz im Sinne von Miyake, der aus<br />

einem Land stammt, in dem traditionsgemäß – sieht man<br />

mal von der schrägen Streetfashion in Tokios Trend vierteln<br />

Shibuya oder Harajuku ab – Reduktion und Purismus stilbestimmend<br />

sind. »Wenn ich zurückschaue«, mokiert sich<br />

der sympathische Designer mit den warmen braunen Augen<br />

und einem feinen Lächeln unter dem kessen schmalen<br />

Ober lippen bärtchen, »war es nicht mal so ein Handicap,<br />

in Japan geboren zu sein.« Wohl wahr, denn mit seinem<br />

ausgeprägten Sinn für Minimalismus hat er nicht nur in<br />

der Parfümerie seine Spuren hinterlassen, sondern auch<br />

im Interior- Bereich und vor allem in der Mode.<br />

Alles, was er je entworfen hat, beziehungsweise mit<br />

nie erlahmen dem Enthusiasmus immer noch entwirft,<br />

ist nicht fashionable im eigentlichen Sinn,<br />

sondern futuristisch in Form und Funktion und seiner Zeit<br />

weit voraus. Experimentierfreudig wie kein Zweiter schuf<br />

er bereits als junger Mann Plastik-Bodies, mehr Harnisch<br />

als Bustier, ließ Metall spiralen als »Bodyarmband« um<br />

die Körper der Models wickeln, Stoffe aus mit Baumwolle<br />

überzogener Angelschnur weben, Pullis verkehrt herum<br />

tragen und Kleider aus Taschentüchern nähen. Legendär<br />

auch seine Oversize-Mäntel mit überdimensionaler<br />

Kapuze, die einem Herren- Kimono nachempfunden waren<br />

und heute jedem Preisboxer, der unter Fanfarenklängen<br />

gen Ring schreitet, den ultimativen Gladiatoren status verleihen<br />

würden.<br />

Miyake ist ein Vordenker, ein Forscher was die Entwicklung<br />

neuer Schnitte, Stoffe, Webverfahren und Techniken<br />

angeht. Stets versucht er, ungewöhnliche Materialien<br />

wie Papier, Bambus oder Jute auch für Normalverbraucher<br />

kleidertauglich zu machen. Seine legendären »Pleats<br />

please«-Kollektionen (»Falten bitte«) lässt er beispielsweise<br />

aus Polyester fertigen. Ihr Plissee bekommen die koffertauglichen<br />

Kleidungsstücke erst nach dem Nähen verpasst –<br />

Begehrt: Miyakes Duftklassiker<br />

»L’Eau d’Issey«<br />

verkauft sich weltweit noch<br />

immer im Minuten-Takt.<br />

DES PURISMUS<br />

Von ANGELIKA RICARD-WOLF<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 19


Ein Athlet des Purismus | Issey Miyake<br />

Wegweisend: Eine<br />

Retrospektive in Tokio<br />

zeigte kürzlich vom<br />

Linen Jumpsuit bis zum<br />

Gewand aus Pferdehaar<br />

avantgardis tische<br />

Schöpfungen des japanischen<br />

Designers.<br />

Fotos: Hiroshi Iwasaki<br />

so hält es dauerhaft. »132.5« ist die Bezeichnung einer Art<br />

Origami-Mode. Aus einem flachen Quadrat entfaltet sich<br />

ein einziges, raffiniert geschnittenes Stück Stoff zu einem<br />

tragbaren Gewand – vorausgesetzt, man ver heddert sich<br />

darin nicht beim Anziehen.<br />

Die ungewöhnliche Arbeitsweise von Issey Miyake<br />

nennt man auf Japanisch »Mono-zukuri«. Es bedeutet<br />

so viel wie »Dinge fertigen«. Akribisch – bis sie<br />

ausgereift sind. Miyake »fertigt« denn auch keine Mode,<br />

sondern ein Bekleidungsstück. Keine Lampe, sondern einen<br />

Leuchtkörper. Kein Parfüm, sondern ein Duftwasser. Keinen<br />

Flakon, sondern ein Behältnis.<br />

»Natürlich gab es harte Zeiten, in denen das, was ich<br />

entworfen habe, nicht verstanden wurde«, sagt er, »aber ich<br />

Taufrisch: Der neue<br />

Duft »Pure« im<br />

tropfen förmigen<br />

Flakon fügt sich<br />

ganz in die Miyake-<br />

Tradition – optisch<br />

wie olfaktorisch.<br />

habe versucht, mir mein Anderssein zum Vorteil zu machen.<br />

Dadurch bin ich den unterschiedlichsten Menschen begegnet.«<br />

Grafikern, Architekten und Tänzern, Lichtkünstlern,<br />

Wissenschaftlern und Sportlern: Mit allen hat er zusammengearbeitet,<br />

sich von deren Metiers inspirieren lassen und<br />

mit ihnen oder für sie Neues erdacht und entworfen. Bauwerke,<br />

Druck techniken, Taschen, Kostüme, Lampen und<br />

mit dem Uniform- Projekt sogar die komplette Ausstattung<br />

der Olympia-Mannschaft von Litauen, das nach dem<br />

Zerfall der Sowjetunion erstmals ein eigenes Team aufstellen<br />

konnte. »Ich wollte immer herausfinden, was ich entdecken<br />

und erschaffen konnte, um damit das Leben vieler<br />

Menschen zu berühren und nicht nur das einiger weniger«,<br />

beschreibt er seine Motivation als Designer.<br />

Diesen, seinen ganz eigenen Weg konsequent zu gehen,<br />

hat er früh lernen müssen. Als siebenjähriger Junge, er<br />

radelte gerade zur Schule, verlor Miyake durch den Atomangriff<br />

der Amerikaner auf Hiro shima einen großen Teil seiner<br />

Familie. Seine Mutter erlag den Folgen des Anschlags, er<br />

selbst litt als Jugendlicher an einer Knochenmark erkrankung,<br />

durch die sein rechtes Bein steif blieb. Seine Träume von<br />

einer Laufbahn als Athlet musste er deshalb aufgeben. Das<br />

Talent und die sportliche Statur dazu hätte er gehabt. Stattdessen<br />

studierte er Grafik und Design an der Tama-Universität<br />

in Tokyo.<br />

Im Anschluss ging er Anfang der sechziger Jahre nach<br />

Paris, um die Feinheiten der Haute Couture kennenzulernen.<br />

Dort arbeitete er für Guy Laroche und Hubert de<br />

Givenchy, später für Geoffrey Beene in New York. Ein Intermezzo,<br />

Lehrjahre im besten Sinne. Denn als Couturier im<br />

herkömmlichen Sinn versteht er sich ganz und gar nicht.<br />

Mode püppchen wurden und werden bei ihm und seinen<br />

diversen Kollektionen nicht fündig. »Die Menschen brauchen<br />

japanische Designer, weil sie eine andere Art Ästhetik<br />

haben«, sagt er – ohne jede Spur von Eitelkeit.<br />

In Tokios feiner Einkaufszeile Omotesando Avenue reiht<br />

sich Shop an Shop, in denen seine »andere Art Ästhetik«<br />

anhand seiner zahl reichen, nicht eben preiswerten<br />

Linien stylisch präsentiert wird. Mit zarten Vogeldrucken<br />

auf gefälteltem Stoff liegen bei »me« T-Shirts und Blusen<br />

im Schaufenster, bei »Bao Bao« gibt es in allen Farben die<br />

angesagten beweglichen Taschen aus Polyester-Triangeln,<br />

bei »Pleats please« tanzen Inkas über das Plissee. Und<br />

auch die Männer kommen mit transparenten Shrink-Sakkos<br />

nicht zu kurz. Lauter modernis tische Linien, die für<br />

Frauen und Männer mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein<br />

und Sinn für Funktionalität gemacht sind. Miyake zu tragen<br />

ist ein Statement.<br />

Mit seiner Konzentration auf das Positive und Schöne<br />

ist es Issey Miyake – zumindest nach außen – gelungen,<br />

die schrecklichen Erlebnisse seiner Kindheit zu kompensieren.<br />

Statt über die Vergangenheit zu sprechen, hat er<br />

sich der Zukunft verschrieben. »Ich habe es hinbekommen<br />

zu überleben, weil ich Dinge gemacht habe«, meint<br />

er rück blickend. Er sagt Dinge, nicht Design oder Mode<br />

oder Parfüm.<br />

Ob man den Namen des Schöpfers dieser »Dinge«<br />

kenne, sei ihm egal. So wie er den Namen eines Designers<br />

für absolut nebensächlich hält. »Was zählt ist das, was er<br />

erschafft.« Wenn das so ist, sollte Issey Miyake möglichst<br />

vielen ein Begriff sein.<br />

20 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Walsheimer Straße 18 · 76829 Landau-Nußdorf · Tel: 06341-61754 · E-mail: bauerwein@web.de · www.bauerwein.de<br />

WEINGUT<br />

EMIL BAUER<br />

& SÖHNE


MEMBERS<br />

ONLY<br />

67, PALL MALL – DER<br />

EXKLUSIVE CLUB<br />

<strong>FÜR</strong> WEINLIEBHABER<br />

Von ELLEN ALPSTEN Fotos CHRISTOF HERDT<br />

Variatio delectat, Abwechslung macht Spaß: Das ist<br />

seit eh und je der Leitfaden des Londoner Lebens, und<br />

die zahlreichen Privatclubs in Englands Hauptstadt<br />

bilden da keine Ausnahme. Ob Gentlemen oder Ladies<br />

only, mit rechter, linker oder liberaler Gesinnung, ob<br />

echt englischer Kreativer, Herzog oder internationaler<br />

Medien-Mogul – bisher fand noch jeder einen Club<br />

nach seinem Geschmack. Dem Geschmack huldigt nun<br />

ein Neuankömmling auf der Londoner Club Szene in<br />

ganz besonderer Weise: 67, Pall Mall – benannt nach<br />

der Adresse des Hauses nahe dem St James’s Palace<br />

und dem Green Park – ist ein Members- only- Club<br />

für Weinliebhaber.<br />

Allein das von der Architektenlegende Sir Edward Lutyens entworfene<br />

und unter Denkmal schutz stehende Gebäude ist spektakulär:<br />

Das ehemalige Haupt quartier der Londoner Privatbank<br />

Hambros stand Jahrzehnte lang leer. Grant Ashton, der Gründer des<br />

Clubs, verzieht jedoch das Gesicht, wenn man ihn auf den architektonischen<br />

Schatz anspricht, und sagt düster: »Alle haben mich gewarnt,<br />

dieses Wagnis einzugehen. Zu Recht, wenn man sieht, wie viel Zeit und<br />

Geld dieses Projekt verschlungen hat!« Dann aber lacht er – denn er<br />

ist ein Mann, der gern lacht, feiert und Wein trinkt! – und sieht sich<br />

zufrieden um: All die Mühe hat sich gelohnt. Der Speisesaal mit seiner<br />

zehn Meter hohen Decke badet in golde nem süd-westlichen Licht, das<br />

das Interieur wie Pfauenfedern schimmern lässt. Die Innen einrichterin<br />

Simone McEwan erklärt: »Wir wollten den Art-Deco-Charakter des<br />

Raums beibehalten. So habe ich zwar die Eichenholz vertäfelungen<br />

bewahrt, und man sitzt auch immer noch auf Ledersesseln. Aber ich<br />

habe das Ganze mit vielen anderen, feminineren Elementen gemischt<br />

und aufgelockert.«<br />

Eine kluge Wahl, denn Grant Ashton will gerade junge, solvente<br />

Frauen als Mitglieder werben. »Banker um die Vierzig und mit<br />

Geheimrats ecken haben wir genug«, sagt er an der Bar seines Hauses,<br />

einem langen Marmortresen vor opulent bestückten, verglasten Weinregalen.<br />

Viele der Flaschen lagen einst in Grant Ashtons eigenem Keller –<br />

als er noch der gestresste Eigentümer eines Londoner Hedge-Fonds war.<br />

Dann kam einiges zusammen. »Mein Bruder ist technischer Direktor<br />

bei Ronnie Scott’s, einem der bekanntesten Jazz-Clubs von London.<br />

Also erhielt ich Einblick in die Gastronomie und die Club-Szene.« Was<br />

noch? Grant Ashton, Geldmann bis auf die Knochen, grinst: »Außerdem<br />

hatte ich einfach die Nase voll davon, in einem Restau rant einen<br />

geradezu wahnwitzigen Aufschlag auf eine Flasche Wein zu bezahlen,<br />

22 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


selbst wenn sie außergewöhnlich war. Und ich wollte an einem gemütlichen<br />

Freitagabend daheim nicht gerade meine erlesenste Flasche zu<br />

einem Teller Spaghetti Bolognese öffnen.«<br />

Was tun? Grant Ashton überlegte, eine kleine Wein-Bar zu<br />

eröffnen: irgendwo in Marylebone vielleicht, dem intellektuellsten<br />

und noch verstecktesten der inneren Londoner<br />

Stadtviertel. Eine Art Absatzmarkt für seinen eigenen Weinkeller wie<br />

auch den seiner Freunde. Die waren von der Idee so begeistert, dass sie<br />

wuchs und wuchs: Am Ende hatte Grant Ashton (der ausgesprochen<br />

über zeugend sein kann) neununddreißig Investoren. Im Herbst 2015<br />

war es dann soweit: 67, Pall Mall öffnete seine Pforten – oder seine<br />

meterhohen doppel- flügeligen Türen –, und Grant Ashton konnte<br />

gemeinsam mit seinem Manager Niels Sherry, der sich seine Lorbeeren<br />

sowohl im Savoy als auch in Ian Schragers Hotels verdient hat,<br />

sowie dem Top-Sommelier Ronan Sayburn erste Mitglieder aus aller<br />

Welt begrüßen.<br />

Denn schon vor der Eröffnung war die Liste für neue Mitglieder<br />

fast komplett – mehr als zwölfhundert sollen es nicht werden – und<br />

neue Anträge stapeln sich auf Ashtons Schreibtisch. »Unsere Liste ist<br />

wunderbar bunt gemischt. Bankiers und Hedgefonds-Manager, aber<br />

auch Weingutsbesitzer, Mode designer, Schriftsteller, Händler oder<br />

private Weinliebhaber. Das einzige Kriterium, das für mich zählt, ist<br />

die Leidenschaft für, wie auch die Neugier auf den Wein. Es geht nicht<br />

um Alter, Wissen, Geld oder die Größe des Weinkellers. Ich will eine<br />

dynamische und hoffentlich junge Mischung.«<br />

Passioniert: Für Chef und Gründer Grant<br />

Ashton ist 67, Pall Mall eine Mischung<br />

aus Geschäft und Vergnügen. Im Herbst<br />

2015 eröffnete der Weinkenner und<br />

frühere Eigentümer eines Hedgefonds<br />

den exklusiven internationalen Club<br />

im Herzen des historischen Londoner<br />

Stadtteils St James’s.<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 23


ROCK ME<br />

Cecilia Bönström und Thierry Gillier mischen mit ihrem<br />

Label Zadig & Voltaire die Duft- und Fashionszene auf<br />

Von ANGELIKA RICARD-WOLF<br />

Sie war ein Model, und sie sieht gut aus. Cecilia Bönström ist langbeinig,<br />

blond, schmal. Mit ihren sechsundvierzig Jahren verkörpert<br />

sie perfekt die Frau, die sie als Chefdesignerin der französischen<br />

Lifestyle-Marke Zadig & Voltaire auch anzieht: diesen leicht schlaksigen,<br />

aber dennoch ewig mädchenhaft wirkenden Jane-Birkin-Typ.<br />

Seit elf Jahren prägt das<br />

Ex-Model Cecilia Bönström<br />

den Stil der rockig-femininen<br />

Modemarke Zadig & Voltaire<br />

und feiert so auf dem<br />

Laufsteg noch heute<br />

Erfolge.<br />

Der liebt es lässig. Bloß nicht gestylt aussehen, sondern so, als<br />

habe man Jeans, Top, Lederjacke oder Pulli schnell aus dem<br />

Schrank gegriffen und übergeworfen, bevor man in die Boots<br />

oder Sneaker steigt und die Wohnung verlässt. Klar, das Top ist aus<br />

Seide, der Oversize-Pulli aus hauchdünnem Federkaschmir und ein<br />

Schlangenrelief prägt die roséfarbenen Ziegenleder-Boots – aber das<br />

sehen nur Eingeweihte auf den ersten, alle anderen, wenn überhaupt,<br />

auf den zweiten Blick. Easy luxury nennt man diesen unaufgeregten,<br />

leicht abgerockt wirkenden Style auf hohem Niveau. Ein bisschen<br />

Vintage, ein Hauch androgyn, ein wenig Bohémien, aber immer fashionable<br />

und unglaublich sexy.<br />

Ein unvergleichlicher Mix, den man erstmal hinkriegen muss. Cecilia<br />

Bönström hat ihn quasi verinnerlicht. Fünfzehn Jahre war die gebürtige<br />

Schwedin bei einer legendären Elite-Agentur unter Vertrag, ist für Gucci,<br />

Prada und Co. über die Catwalks gelaufen und hat unzählige Shootings<br />

für Spitzenfotografen und Magazine absolviert. Wer, wenn nicht sie,<br />

wüsste nicht genau, was die Kolleginnen backstage am liebsten tragen?<br />

Abgesehen davon hatte ihre kreative Mutter sie und ihre Zwillingsschwester<br />

(die immer noch modelt) schon als Kinder an eine Art Freestyle<br />

gewöhnt. Denn es war damals auch in Gothenburg, wie Göteborg<br />

einmal hieß, nicht üblich, zwei blondbezopfte Mädchen mal mit<br />

apfelgrünen Zottelstiefeln, mal mit riesigen weißen Hüten zur Schule<br />

zu schicken. Das prägt.<br />

Trotzdem hatte Cecilia Bönström ziemlichen Bammel, als sie aufgrund<br />

der Erkenntnis »Ich kann ja nicht ewig modeln« all ihren Mut<br />

zusammennahm, um sich bei Zadig & Voltaire als Modeaspirantin vorzustellen.<br />

Da wollte sie arbeiten, die Marke hatte es ihr angetan, die<br />

schicke Simplizität der Läden, der Klamotten.<br />

Also das Ideenbuch unter den Arm geklemmt und nix wie hin ins<br />

Zentrum der Marke an der Avenue d’Iéna mitten in Paris. Das war 2003,<br />

und sie war dreiunddreißig. Prompt bekam sie einen Job als Assistentin,<br />

drei Jahre später den als Chefdesignerin. Sie rockte den Laden –<br />

und den Chef. Mit Firmengründer Thierry Gillier ist sie inzwischen<br />

ver heiratet. Das Paar hat drei Söhne.<br />

This is her. So ist sie. Da liegt es nahe, dem neuen Damenparfüm der<br />

Marke diesen Namen zu geben. Denn der ist laut Werbeslogan »für die<br />

freie, rebellische Frau« entworfen. Dazu passt, fanden die Parfümeure<br />

Sidonie Lancesseur und Michel Almairac, eine »rockige Jasminnote«,<br />

die mit Nuancen von Kastanie, Vanille, Sandelholz und – versteht sich –<br />

Fotos: Zadig & Voltaire<br />

26 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


BABY!<br />

einer Prise Pfeffer abgerundet wird. Fragt man Cecilia Bönström, welche<br />

Art Frau sie sich vorgestellt habe, als sie dieses Parfüm in Auftrag gab,<br />

antwortet sie: »Eine Frau, die sehr jung ist. Im Geist. Nicht unbedingt<br />

nach Jahren. Feminin, aber modern. Nicht süß, nicht romantisch. Sie<br />

weiß, was sie will, aber sie ist dabei relaxed. Nonchalant.«<br />

Eigenschaften, denen Thierry Gillier nicht widerstehen konnte,<br />

als er sie 2003 einstellte. Diese Schwedin sah eben verdammt gut aus,<br />

und binnen Kurzem entpuppte sie sich auch noch als Naturtalent für<br />

Mode und Design. Sie war wie geschaffen, um ihn ebenso wie sein<br />

Label zu umgarnen.<br />

Gillier hatte es schon 1997 gegründet. Ein logischer Schritt für<br />

den damals 38-jährigen Franzosen. So modisch vorbelastet,<br />

wie er ist (er stammt aus einer Strickwarenhersteller-Dynastie,<br />

die auch die Marke Lacoste mitbegründete), war eine Fashion-Karriere<br />

praktisch programmiert. Nach einem Studium an der Parsons School,<br />

der berühmten Designer-Schmiede in New York, arbeitete er unter<br />

anderem für Thierry Mugler und Yves Saint Laurent.<br />

Deren große Zeit als namhafte Couturiers begann Anfang der neunziger<br />

Jahre abzulaufen. Gillier hatte das früh erkannt, sich längst neuen<br />

Aufgaben zugewandt und mehrere Mode-Läden eröffnet, in denen es<br />

verschiedene Marken zu kaufen gab. Aus der Zusammenarbeit mit einem<br />

schottischen Kaschmirproduzenten entwickelte sich zuerst eine legere<br />

Pullover-Kollektion, die erweitert wurde und aus der das eigene Label<br />

entstand: Zadig & Voltaire.<br />

Wie um alles in der Welt ist er bloß auf diesen Namen gekommen?<br />

Kein Zufall, wohl eher Methode. Zadig ist der Titelheld eines Romans,<br />

den der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire 1747<br />

ver öffent lichte. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der nach<br />

allerhand Verwicklungen dank himmlischer Fügung ein Happy End<br />

erfährt. Ihr Titel lautet »Zadig ou la destinée«, Zadig oder das Schicksal,<br />

die Bestimmung.<br />

Ganz im Sinne Voltaires steckt in dem Namen eine hintergründige<br />

Ironie, mit der Gillier seinen rebellischen Look damals auf den Mainstream<br />

losgelassen hat. Ob er damit Erfolg haben würde oder nicht …<br />

Schicksal eben!<br />

Ein bisschen Hasardeur: das darf ’s schon sein für ihn – auch wenn<br />

er seine umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Kunst mit einer Neuerwerbung<br />

vergrößert. »Ich muss immer etwas zu weit gehen«, sagte<br />

er einmal in einem Interview über seinen Mut als Käufer und Sammler.<br />

Und fügte zum besseren Vergleich einen Nachsatz hinzu: »Genau wie<br />

bei der Arbeit, wie im Beruf.«<br />

This is him. So ist er. Einer der wagt, um zu gewinnen. Diese Aura<br />

unterstreicht nun ein Herrenduft gleichen Namens mit Auszügen aus<br />

Grapefruit, Pfeffer, Weihrauch, Sandelholz und Vanille. Es ist eine<br />

Komposition der Parfümeure Nathalie Larson und Aurelien Guichard.<br />

»This is him« oder »This is her« eignen sich übrigens hin wie her zum<br />

Mixen. »Sie harmonieren absolut perfekt miteinander«, beschreibt<br />

Cecilia Bönström die Eaux de Toilette.<br />

So wie dieses Powerpaar, das sich gesucht und gefunden zu haben<br />

scheint. Zwanzig Jahre nach der Markengründung führt es ein Firmenimperium<br />

mit Kollektionen für Damen, Herren und Kinder, unterhält<br />

dreihundert Boutiquen in vierundzwanzig Ländern der Welt und zählt<br />

zu den hundert reichsten Familien Frankreichs.<br />

Wer sein Label Zadig nennt, kann dem Schicksal eben vertrauen.<br />

Stand doch schon bei Voltaire.<br />

Die Entwürfe des<br />

französischen Rock-<br />

Chic-Labels Zadig &<br />

Voltaire vereinen<br />

immer einen Hauch<br />

Grunge mit einer Prise<br />

Rock’n’Roll und einem<br />

Touch Pariser Chic.<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 27


KARATE-KOSMETIK<br />

Wie zwei Tänzerinnen in Beauty-Mission ein Schönheitsserum in den Markt boxen<br />

Von ANGELIKA RICARD-WOLF<br />

»Stark, unterhaltsam, großartig«. Jason Sutton ist vom Werbeclip für das Gesichtspflegeserum<br />

»Ultimune Power Infusion Concentrate« von Shiseido total begeistert. Dabei vergisst<br />

der renommierte Fotograf und Regisseur vor lauter Enthusiasmus vollkommen sein<br />

angeborenes britisches Understatement – den Spot hat er nämlich selbst gedreht.<br />

Aber der Mann hat ja Recht. Es ist wirklich außergewöhnlich,<br />

was er da als Werbung für ein Kosmetikprodukt<br />

zur Immunstärkung der Haut wortwörtlich<br />

auf die Beine gestellt hat.<br />

Es sind deren vier, und sie gehören den beiden Japanerinnen<br />

Aya Sato und Bambi Naka. Unter dem Namen<br />

»Ayabambi« genießen die beiden wegen ihres einzigartigen<br />

Tanzstils in der Musik- und Fashionszene Kultstatus.<br />

Bands engagieren sie für ihre Video-Clips, Modemacher<br />

für ihre Kampagnen und Schauen, Madonna holt sie<br />

als Showact zu sich auf die Bühne. Doch für Shiseido und<br />

unter Suttons Obhut tanzen sie auch mal dreißig Sekunden<br />

aus der Reihe, um der Power eines Wirkstoffkonzentrats<br />

Ausdruck zu verleihen.<br />

Alles Eurhythmie oder was? Weit gefehlt. Hier geht<br />

es in Kung-Fu-Manier zur Sache. Der Schwarz-Weiß-Clip<br />

besticht mit Scherenschnitt-Optik und rasanten Cuts, die<br />

perfekt zum atemraubenden Bewegungsablauf passen,<br />

den Aya und Bambi aufs Studioparkett legen. Jede Bewegung<br />

sitzt. Abgezirkelt, exakt, im Sekundentakt. Das Ganze<br />

mal zwei, immer synchron! Rhythmik in Perfektion ist das<br />

Marken zeichen des Duos. Dass die beiden ihre Namen zu<br />

einem verschmolzen haben, spiegelt ihre Verbundenheit.<br />

Im Privat leben wie auf der Bühne.<br />

Die zwei jungen Frauen aus Yokohama, die sich zufällig<br />

beim Vortanzen kennenlernten, sind seit drei Jahren ein<br />

Paar und seit zwei Jahren absolute Stars auf Youtube. Ihre<br />

Clips werden millionenfach geklickt. Was an ihrer prägnanten<br />

Performance liegt. Sie ist vom Voguing beeinflusst,<br />

einer streng linearen Tanzform mit rechtwinkligen Arm-<br />

Ungeschützt ist zarte Haut den Unbilden der Umwelt ausgesetzt, Ultimune<br />

von Shiseido wehrt die täglichen Attacken unbezwingbar wie mit Kampfhandschuhen<br />

ab.<br />

und Beinbewegungen, die in der Subkultur der Ballrooms<br />

im New Yorker Stadtteil Harlem in den achtziger Jahren<br />

entstand. Zusammen mit Tutting, dem Street- Dance- Stil<br />

der Funk- und Hip-Hop-Tänzer und Industrial-Gothic-<br />

Einflüssen ergeben sich daraus faszinierende Bewegungsabläufe,<br />

die so schnell aufeinander folgen, als wären sie im<br />

Zeitraffer gedreht.<br />

Der »Ultimune«-Auftritt bedient sich dieser Elemente,<br />

ist so elegant wie kraftvoll und zusätzlich von Karate- und<br />

Kung-Fu-Anleihen geprägt, die Ayabambi voller Absicht<br />

eingebaut hat. Sinnbildlich dienen die Kampfsportbewegungen<br />

als schlagender Beweis für die Selbstverteidigung,<br />

zu der »Ultimune« der Haut mit einem ausgeklügelten<br />

Wirkstoffomplex verhelfen soll. Dahinter verbirgt<br />

sich ein Mix aus Ginkgo-Biloba-Blattextrakt, Perilla, einem<br />

Sesamblatt und wildem Thymian, dazu ausersehen, die<br />

Langerhans-Zellen in der Haut zu animieren, ihre Abwehrkräfte<br />

zu stärken und die Barriereschutzfunktion der Haut<br />

zu verbessern.<br />

Ein Serum mit – wenn auch avantgardistisch verpackter<br />

– Martial Art in den Markt zu pushen, ist mehr als ungewöhnlich.<br />

Macht aber Sinn. Oder ist es vielleicht nicht die<br />

Haut und gerade die ungeschützte im Gesicht, die sich gegen<br />

Wind, Regen, UV-Strahlen, Smog und andere Umwelteinflüsse<br />

verteidigen, sich quasi durchs Leben boxen muss?<br />

Eben.<br />

Eine Message, die Aya Sato und Bambi Naka mit ihrer<br />

ausdrucksstarken Körpersprache in bewegte Bilder<br />

übersetzen. Shiseido bricht mit diesem Spot bewusst<br />

die klassischen Codes der Kosmetikwerbung, auch um eine<br />

jüngere Zielgruppe anzusprechen. Dennoch hat Regisseur<br />

Sutton darauf geachtet, traditionelle japanische Kulturelemente<br />

subtil in den Film einzuarbeiten. Die weiß gekalkten<br />

Gesichter und die ausdrucksvoll schwarz umrahmten<br />

Augen der beiden Tänzerinnen sind eine gekonnte<br />

Mischung aus überkommener Kabuki-Ästhetik und modernem<br />

Gothic-Look. Trotz dieses grafisch wirkenden Makeups<br />

entsprechen die Protagonistinnen noch der japanischen<br />

Idealvorstellung von einer jungen Frau. Sie sehen<br />

»kawaii« aus, was man mit »süß« übersetzen könnte. Ihre<br />

Outfits sind zwar aus Leder und erinnern an die Kluft der<br />

Samurai, doch sie wirken dank zarter Schleier schwerelos.<br />

Wie der rasant durchchoreografierte Tanz von Aya<br />

Sato und Bambi Naka. Schließlich hatten sich die Zwei in<br />

bester Samurai-Pflichterfüllung auf den Dreh vorbereitet –<br />

mit jeder Menge Karate-Videos.<br />

Fotos: Shiseido<br />

28 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


DER KLEINE JOHNSON<br />

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DIE VERTEUFELUN<br />

Weinkritiker Stuart Pigott findet dumm und falsch, Fehltöne im Wein als Zeichen von<br />

Drehen wir die Uhr ein paar Jahre zurück,<br />

in die hellen, modernen Räumlichkeiten der<br />

Weinhandlung Kössler & Ulbricht in Nürnberg.<br />

Martin Kössler hatte eine Gruppe von<br />

Stammkunden vor sich und war sichtbar gut<br />

gelaunt. Er strahlte ein souveränes Selbstvertrauen<br />

aus. Das machte seine Worte umso<br />

überraschender und schockierender für mich.<br />

Er sprach plötzlich von der »übertriebenen<br />

Sauberkeit der Weine von Weingütern wie<br />

Robert Weil im Rheingau und Dönnhoff<br />

an der Nahe«. Ich gab Kontra, doch solche<br />

Stimmen wurden immer zahlreicher, in manchen<br />

Kreisen haben sie eine gewisse Selbstverständlichkeit<br />

erlangt. Warum ist das so?<br />

Gehen wir der Sache auf den Grund.<br />

Nicht umsonst wird Deutschland weltweit mit Sauberkeit<br />

und Ordnung assoziiert, obgleich hier heute<br />

endlich alles etwas weniger Sagrotan-süchtig wirkt<br />

und deutlich mehr kreatives Chaos wachsen darf. Meine<br />

ersten Eindrücke von Westdeutschland bekam ich Mitte der<br />

1970er-Jahre in der Chemiestadt Ludwigshafen am Rhein,<br />

und selbst die waren von allgegenwärtiger Sauberkeit und<br />

Ordnung geprägt. Damals habe ich auch zum ersten Mal<br />

deutschen Wein getrunken – vor allem Pfälzer Riesling und<br />

Müller-Thurgau –, und der frische, klare und frucht betonte<br />

Geschmack passte zu meinem allgemeinen Eindruck.<br />

Als ich Anfang der 1980er-Jahre begann, mich in den<br />

deutschen Wein richtig zu vertiefen, begriff ich die Kernprobleme<br />

des Weinbaus hierzulande. In der damaligen<br />

klimatischen Situation war es unmöglich, in Deutschland<br />

regel mäßig gute Weine zu erzeugen. Ich weine den<br />

dünnen, grünen und sauren Weinen aus den unreifen Jahrgängen<br />

1977, 1978, 1980 und 1984 keine Träne nach. Hinzu<br />

kamen die oft üppigen Erträge (Stichwort chemischer<br />

Stickstoffdünger) und die nachlässige Weinbergspflege,<br />

die zu Fäulnis und dadurch zu unsauberen Weinen führte.<br />

Im Keller wurden die Weine dann verarztet. Mithilfe von<br />

Schönungs mitteln bekam man sie zwar sauber, doch das<br />

nahm ihnen oft auch den letzten Rest an positiven Aromen.<br />

Das Ziel der guten Winzer bestand verständlicherweise<br />

in möglichst reifen Trauben und wenig korrektiven Eingriffen<br />

im Wein.<br />

Inzwischen ist das Problem unsauberer Weine dank<br />

besserer Arbeit im Weinberg – die wichtigste Errungenschaft<br />

der Geisenheimer und anderer deutscher Weinbauschulen!<br />

– weitgehend gelöst. Wie der Jahrgang 2014<br />

gezeigt hat, entfernen sämtliche guten deutschen Winzer<br />

bei Fäulnis problemen die betroffenen Trauben durch<br />

aufwendige Selektionen während der Lese. Das erhöht<br />

die Kosten und reduziert die Erntemenge, führt aber fast<br />

immer zu sauberen Weinen, die sich mit Freude trinken lassen.<br />

Und dank der Klimaerwärmung werden die Trauben<br />

jedes Jahr mehr oder minder reif. Dies und der enorm gestiegene<br />

Ehrgeiz der Winzer sind die Hauptgründe, warum der<br />

deutsche Wein im internationalen Vergleich inzwischen so<br />

gut positio niert ist.<br />

Zugleich hat eine Revolution in der Keller technik stattgefunden,<br />

die weltweit zu einem großen Qualitätssprung<br />

bei günstigen Alltagsweinen führte. Wie<br />

Jancis Robinson gern bemerkt: »Noch nie war der Unterschied<br />

in der Qualität zwischen den einfachsten und den<br />

besten Weinen so gering.« Richtig schlechte Weine gibt<br />

es nur noch selten, und der Hauptgrund dafür ist menschliches<br />

Versagen (etwa nicht korrekt gereinigte Schläuche<br />

oder Geräte im Keller). Die Weine im Supermarktregal<br />

sind zwar oft banal, aber sie sind trotzdem frisch, klar und<br />

fruchtbetont. Auch gesellschaftliche Trends tragen zu der<br />

steigenden Popularität des Weins in vielen Ländern bei.<br />

Spontangärung des Weins ist nie<br />

ohne Risiko. Aber im Keller von<br />

Moselwinzer Joh. Jos. Prüm und<br />

anderen führt sie zu wunder bar<br />

filigranen Rieslingen.<br />

Foto: Guido Bittner<br />

30 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


G DER REINHEIT<br />

Authentizität zu werten.<br />

Eine bestimmte Gruppe in der internationalen Weinszene<br />

hingegen hat darauf konträr reagiert, hat »frisch, klar und<br />

fruchtbetont« mit industrieller Produktion gleichgestellt<br />

und diesen Weintypus deswegen regelrecht verteufelt.<br />

Hier liegt der Ursprung der »Natural«-Wein- Bewegung,<br />

die sich massiv in die entgegensetzte Richtung bewegt,<br />

möglichst weit weg von moderner Technik. Auf der einen<br />

Seite sind dadurch einige sehr originelle Gewächse entstanden,<br />

und die stilis tische Vielfalt des Weins hat sich deutlich<br />

vergrößert. Auf der anderen Seite stehen Weine mit<br />

klassischen Weinfehlern, also Weine, die den alten »Weinschmutz«<br />

zurückbringen. In der »Natural«-Weinszene wird<br />

dies allerdings gern als Zeichen von Authentizität gefeiert.<br />

Die Anhänger dieser Bewegung neigen dazu, solche<br />

Töne als natürlich und daher unantastbar zu betrachten,<br />

was zu einer tendenziell unkritischen Haltung gegenüber<br />

den betreffenden kellerwirtschaftlichen Problemen führt:<br />

Diese Gewächse gelten gerade deswegen als cool, weil sie<br />

nicht klar, frisch und fruchtbetont schmecken.<br />

Eine deutlich abgemilderte Variante dieser Tendenz<br />

stellt die Verherrlichung der Spontan gärung dar,<br />

einer Gärung ohne zugesetzte gezüchtete Hefen.<br />

Diese Reinzuchthefen werden von einem beachtlichen<br />

Teil der Weinszene als neue und industrielle Mittel verteufelt,<br />

obwohl sie bereits im späten 19. Jahrhundert vor<br />

der Industrialisierung des Weinbaus zum Einsatz kamen.<br />

Eine gelungene Spontangärung in einem Keller, in<br />

dem erstklassige Trauben sauber ver arbeitet werden, ist<br />

eine wunderbare Sache, wie etwa die Weine der Betriebe<br />

Joh. Jos. Prüm in Bernkastel-Wehlen/Mosel, Zehnthof<br />

Luckert in Sulzfeld/Franken oder Koehler-Ruprecht in Kallstadt/Pfalz<br />

beweisen. Die Jungweine aus diesen Gütern zeigen<br />

eine ziemlich konstante hefige Note, die einen wichtigen<br />

Bestandteil ihrer besonderen Persönlichkeit darstellt.<br />

Solche höchst eigenständigen Weine sind in ihrer Jugend<br />

nicht einfach zu verstehen, machen sich aber großartig<br />

auf der Flasche.<br />

Viele »Sponti«-Verfechter suchen hände ringend nach<br />

dem Sponti-Ton im Wein, also einer mehr oder weniger<br />

stinkigen sulfidischen Note. Sie beruht auf gestressten Hefen,<br />

die sich langsam und schwächelnd durch die Gärung quälen.<br />

Für manche Weintypen ist genau dies der ideale Gärverlauf,<br />

wie das Beispiel der restsüßen Rieslinge vom Weingut Joh.<br />

Jos. Prüm zeigt; es handelt sich um die filigransten deutschen<br />

Rieslinge überhaupt mit immenser Lagerfähigkeit.<br />

Aber genau wie manche »Natural«-Weine unharmonisch<br />

(vor allem zu tanninlastig) wirken, kann eine Sponti-Note<br />

zu dominant sein. Das passiert, wenn sich ein bösartiger<br />

Hefestamm durchsetzt, und wird noch verstärkt, wenn<br />

fäulnisbefallene Trauben im Spiel sind. Ein Wein, der aufdringlich<br />

nach verbranntem Gummi riecht, bereitet keine<br />

Freude. Doch offenbar suchen manche nach genau solchen<br />

Tönen in mehr oder weniger ausgeprägter Form.<br />

Dies sind zusammengefasst die unmittel baren Hintergründe<br />

zu Äußerungen wie jener eingangs zitierten von<br />

Martin Kössler. Seine Worte klingen allerdings richtig<br />

milde im Vergleich zu dem, was heute kursiert. Weingüter<br />

wie Robert Weil und Dönnhoff werden inzwischen<br />

von manchen gnadenlos in die Pfanne gehauen, weil ihre<br />

Weine, »too clean,« zu sauber, sind! Aus der verständlichen<br />

Suche nach Weinen, die in Weinberg und Keller<br />

weniger mani puliert werden, sind dogmatische Wein-<br />

Weltanschauungen entstanden, die schon missionarisch<br />

eifernde Züge tragen.<br />

Problematisch wird es meiner Meinung nach, wenn<br />

die Dogmatiker grundsätzlich von allen Winzern<br />

die gleiche »puristische« Arbeitsweise einfordern,<br />

wenn sich alle ständig einigen simplen Regeln unterordnen<br />

sollen. Die Besonder heiten spezieller Weinbauorte und die<br />

genetischen Eigenarten bestimmter Rebsorten werden<br />

dabei komplett ignoriert, weil sie alles viel zu kompliziert<br />

machen würden und damit dem zwang haften Streben nach<br />

einer moralisch ein fachen Welt im Weg stehen.<br />

Ein Teil der Weinszene hat das Prinzip der Toleranz<br />

für diverse Weinstile und des Respekts für unterschiedliche<br />

Geschmäcker schon auf gegeben und damit einen grundsätzlichen<br />

Aspekt der Demokratie. Es mag sein, dass dies<br />

nicht bewusst vorangetrieben wurde, aber wenn bestimmte<br />

Weine nicht nur technisch als richtig oder falsch bewertet<br />

werden, sondern eine moralische Dimension hinzukommt,<br />

dann spielt es eigentlich keine Rolle, wie man<br />

dahin gekommen ist.<br />

Betrachten wir die Weingüter Robert Weil und Dönnhoff,<br />

die besonders häufig angegriffen werden, etwas genauer, um<br />

zu sehen, wie das alles konkret funktioniert. Als ich 1986<br />

das Weingut Robert Weil zum ersten Mal besuchte, war es<br />

ein eher kleiner Familienbetrieb. Wenig später wurde es<br />

vom Getränkekonzern Suntory übernommen, bis heute<br />

Hauptaktionär, mit Robert Weils Sohn Wilhelm als Direktor.<br />

Das Gut ist inzwischen auf neunzig Hektar angewachsen<br />

und produziert allein vom trocknen Gutsriesling jährlich<br />

mehrere hunderttausend Flaschen.<br />

Damit sind bereits einige Punkte genannt, die häufig<br />

als »Industrialisierung« dargestellt werden.<br />

Trotzdem schmecke ich erhebliche Unterschiede<br />

zwischen den Jahrgängen der Weil-Weine; die 2013er<br />

Kollektion etwa fand ich allgemein sehr gut balanciert<br />

und strahlend in ihrer Art. Die Lagenweine sind außerdem<br />

immer ganz klar erkennbar, und mir persönlich gefallen<br />

die rassigen, schlanken Weine aus dem Turmberg mit ihrer<br />

an weiße Pfirsiche erinnernden Note besonders gut. Das<br />

ist nicht gerade das, was ich unter Gleichmacherei oder<br />

Nivellierung verstehe.<br />

Dass mir gelegentlich Weine aus anderen, kleineren<br />

Rheingauer Gütern wie Eva Fricke in Eltville, Fred Prinz<br />

in Hallgarten oder Peter Jakob Kühn in Oestrich noch<br />

besser gefallen, ändert daran nichts. Keiner dieser drei<br />

Betriebe ist ein »deutsches Riesling- Château« mit globaler<br />

Aus strahlung, wie ein Kollege mir gegenüber das<br />

Weingut Robert Weil nach dem letzten großen Umbau<br />

beschrieb. Wer das Gut herunterredet, lehnt es auch aus<br />

irgend welchen politischen und/oder moralischen Gründen<br />

ab und lässt sich in seiner Argumentation von selektiver<br />

Wahrnehmung leiten.<br />

Bei dem echten Familienweingut H. Dönnhoff wird das<br />

alles noch krasser. Auch hier ist man in den letzten zwanzig<br />

Jahren auf fünfundzwanzig Hektar und somit kräftig gewachsen.<br />

Aber der allgemeine Stimmungsumschwung mancher<br />

Kreise scheint mehr mit dem Generations wechsel von<br />

Helmut Dönnhoff auf seinen Sohn Cornelius zu tun zu haben.<br />

Der anfangs schüchterne Cornelius wurde zur Projektionsfläche<br />

manch paranoider Fantasien in der Weinszene, für<br />

die auf den märchenhaften Aufstieg (Helmut) zwangs läufig<br />

der Untergang (Cornelius) folgt.<br />

Cornelius mache die Weine zu weich und zu voluminös,<br />

habe ich oft gehört, obwohl diese Veränderung viel eher<br />

auf der Klimaerwärmung beruht. Darauf folgt dann häufig:<br />

»Und die Weine sind viel zu clean.« Was bedeutet: Sie passen<br />

definitiv nicht in die Kategorie der »Natural«-Weine,<br />

haben meist auch nicht einmal die gesuchte Sponti-Note<br />

zu bieten. Dieses Gerede begann, als die Jahrgänge 2011<br />

und 2012 auf den Markt kamen und sich herumsprach,<br />

dass Cornelius Dönnhoff die Keller arbeit übernommen<br />

hatte. Häufig wurden die Dönnhoff- Rieslinge der Jahrgänge<br />

2008 und 2010 als schlanke, mineralische »Helmut-Weine«<br />

gelobt, während die üppigeren Rieslinge aus 2011 und 2012<br />

als »Cornelius- Weine« geschmäht wurden. In Wahrheit<br />

sind aber alle waschechte »Cornelius- Weine«, weil der<br />

schon 2007 die Kellerarbeit übernommen hat!<br />

Vor einigen Monate fand eine Vertikalprobe der<br />

trocknen und restsüßen Dönnhoff- Rieslinge in der<br />

Cordobar in Berlin statt. Als die Großen Gewächse<br />

aus den Lagen Hermannshöhle und Felsenberg der Jahrgänge<br />

2010 bis 2014 begutachtet wurden, zehn strahlende,<br />

filigrane, trockne Rieslinge, kam das Gespräch auf die<br />

besondere Weinstilistik des Hauses. Alle Anwesenden<br />

waren begeistert von der klaren Art der Weine, bis jemand<br />

bemerkte, dass es diesbezüglich wohl Gegenstimmen gebe.<br />

Bei Cornelius Dönnhoff, der diese Stilistik von seinem<br />

Vater übernommen hat, traf dies offensichtlich einen Nerv.<br />

»Ich glaube, dass die Klarheit unserer Weine mit der<br />

Geschwindigkeit zu tun hat, mit der wir die Trauben verarbeiten«,<br />

erklärte er, »wir wollen unbedingt diese Klarheit<br />

und arbeiten gezielt darauf hin. Wir machen die Weine so,<br />

wie wir glauben, dass sie schmecken sollen.« Und genau<br />

das ist es, was das Ziel jedes begabten Winzers sein sollte,<br />

welche Stilistik er auch immer anstrebt. Nur so entstehen<br />

Spitzenweine. Und bestimmt nicht durch Dogmen.<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 31


DER KALTE KRIEG,<br />

FRANKREICHS BAUERN <strong>UND</strong><br />

<strong>DAS</strong> DEUTSCHE<br />

KÜCHENW<strong>UND</strong>ER<br />

Vor sechzig Jahren wurden die Römischen Verträge ratifiziert: Der 25. März 1957, der den Beginn der<br />

Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft markiert, ist nicht zuletzt auch für Feinschmecker ein denkwürdiger<br />

Tag. Dank der »Gemeinsamen Agrarpolitik« fanden von da an landwirtschaftliche Produkte<br />

aus Frankreich immer mehr den Weg ins Wirtschaftswunder-Deutschland. Was für unsere kulinarische<br />

Bildung zunächst ein Segen war, hatte aber auch fatale Folgen.<br />

Von STEFAN PEGATZKY<br />

Foto: Rainer Zenz via Wikimedia Commons<br />

Am Anfang war der Hunger. Nachdem Nazi-Deutschland besiegt war<br />

und die Alliierten das Land in Besatzungszonen aufgeteilt hatten,<br />

brach die Versorgung zusammen. Am schlimmsten war es im Frühsommer<br />

1947, als die Frühkartoffelernte wegen mangelhaftem Saatgut<br />

ausfiel und lang erwartete Weizenimporte ausblieben. Selbst in<br />

den letzten Kriegswochen hatte ein passabler Ernährungs standard<br />

aufrechterhalten werden können. Nun fiel der Kalorienspiegel pro<br />

Person mancherorts unter tausend – etwa die Hälfte der durchschnittlich<br />

benötigten Tagesration und deutlich unter der Grenze<br />

zu extremer Unterernährung. Die Menschen sammelten Bucheckern<br />

im Wald oder kochten Wassersuppe aus Kartoffelschalen,<br />

sofern sie welche finden konnten. Erst 1952 sollte sich die Nahrungsmittel<br />

situation in Westdeutschland normalisieren. Der Hunger verschwand,<br />

das Trauma blieb.<br />

32 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Fotos: Französische Kochkunst – von den großen Meistern der Küche. Genf: H. Studer S. A. 1953 Foto: Hedwig Maria Stuber: Ich helf dir kochen – was allen schmeckt.<br />

Die Normalisierung war auch der weltpolitischen<br />

Situation geschuldet. Unmittelbar nach Ende des<br />

Krieges war Deutschland zwar besiegt, aber immer<br />

noch »Feindstaat« und wurde entsprechend behandelt.<br />

Doch die beginnende Blockbildung gegen die UdSSR, aber<br />

auch die Einsicht, dass das besiegte Deutschland nur als<br />

ein gebundener Partner zu kontrollieren sei, änderte die<br />

Perspektive. Ab 1947 begann die eigentliche Arbeit an der<br />

europäischen Integration, die sowohl auf die Verhinderung<br />

einer erneuten Vormachtstellung Deutschlands als auch<br />

auf die Eindämmung der sowjetischen Aggression zielte.<br />

Erster Meilenstein auf diesem Weg war 1951 die Montanunion,<br />

der gemeinsame Markt für die kriegs wichtigen<br />

Schlüssel industrien Kohle und Stahl. Diese von Frankreich<br />

aus gehende Initiative bot den ehemaligen Kriegs gegnern<br />

eine Win-Win-Situation: Sie verhinderte ein erneutes Aufrüsten<br />

Deutschlands – und ermöglichte dem noch unter<br />

inter nationaler Kontrolle stehendem Ruhrgebiet einen<br />

wirtschaftlichen Neubeginn.<br />

Die Erinnerung an die Missernten von 1947 war der<br />

Grund, warum zur gleichen Zeit auch über einen gemeinsamen<br />

europäischen Wirtschaftsraum für Agrar erzeugnisse,<br />

den »Pool Vert«, nachgedacht wurde. Tatsächlich war die<br />

Versorgung der Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

auch in Frankreich problematisch gewesen und konnte<br />

nur durch Lebensmittelversorgungen der Amerikaner<br />

sicher gestellt werden. Die aber ließen sich diese Hilfe in<br />

harten Dollar bezahlen, wodurch Mittel für den Ankauf<br />

dringend benötigter Investitionsgüter fehlten und das chronische<br />

Zahlungs bilanzdefizit Frankreichs noch vergrößert<br />

wurde. Nach Beginn des Koreakrieges drängten zudem<br />

die Vereinigten Staaten ihre europäischen Bündnis partner,<br />

eine Selbstversorgung zu erreichen, da im Kriegsfall die<br />

Transport kapazitäten für Nahrungsmittel nicht ausreichen<br />

würden. So setzte sich in Paris die Erkenntnis durch, dass<br />

die Situation nur durch eine dramatische Intensivierung der<br />

Produktion und die Erschließung neuer Exportmärkte gelöst<br />

werden konnte – vor allem in die junge Bundes republik,<br />

wo der wirtschaftliche Aufschwung mächtig Fahrt aufnahm.<br />

Was die Montanunion für die deutsche Wirtschaft war, sollte<br />

der gemeinsame Agrarmarkt für die französische sein.<br />

Für die Grande Nation waren das völlig neue Überlegungen.<br />

Das ländliche, agrarisch geprägte Frankreich<br />

mit seinen kleinen Familienbetrieben bildete den innersten<br />

Kern der nationalen Identität des Landes, die »France<br />

profonde«, die ganz unabhängig von Paris und dessen<br />

intellektuellen Debatten existierte. Der Herzog von Sully<br />

hatte im 16. Jahrhundert das Wort geprägt, wonach »Ackerbau<br />

und Viehzucht die beiden nährenden Brüste Frankreichs«<br />

– les deux mamelles de France – seien. Und daran<br />

hatte sich bis ins 20. Jahrhundert nicht viel geändert. Um<br />

1950 arbeiteten noch immer circa dreißig Prozent der französischen<br />

Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, wogegen<br />

es in Deutschland zwanzig und in den Niederlanden nur<br />

dreizehn Prozent waren. Die aber waren, worauf warnende<br />

Stimmen seit Jahrzehnten hingewiesen hatten, wesentlich<br />

produktiver, von Farmern in Übersee, in den USA, Argentinien<br />

oder Neuseeland ganz zu schweigen.<br />

Darauf brauchte man lange Zeit keine Rücksicht zu<br />

nehmen, weil Frankreichs Agrarwirtschaft in einen romantischen,<br />

fast sakralen Nebel gehüllt war. Die »Vocation<br />

Agricole de la France«, die göttliche Berufung der französischen<br />

Landwirtschaft, galt als eine der wesentlichen Stützpfeiler<br />

der sprichwörtlichen Grandeur unseres Nachbarlandes.<br />

Soviel nationaler Chauvinismus diesen Mythos<br />

auch beflügelt haben mag – völlig grundlos war er nicht.<br />

Denn in Frankreich hatte sich mit der Erfindung der Haute<br />

Cuisine am Hofe von Versailles ein wichtiger Schritt im Prozess<br />

unserer Zivilisation vollzogen. 1654 hatte Nicolas de<br />

Bonnefons in seinem Buch »Les délices de la campagne«<br />

das grundlegende Prinzip der modernen Kulinarik formuliert:<br />

»Es muss, so sage ich, die Kohlsuppe nach Kohl schmecken,<br />

die Lauchsuppe nach Lauch, die Rübchen suppe nach<br />

Rübchen und so fort … Und was ich über die Suppe sage,<br />

muss allgemein gelten und als Gesetz für alles, was man isst.«<br />

Das war ein Bruch mit den Kochtraditionen des Mittelalters,<br />

wo jeder Eigengeschmack bis zur Unkenntlichkeit<br />

überdeckt worden war. Und mehr noch: Mit der Ent deckung<br />

des Eigengeschmacks eines Produktes hatte Bonnefons die<br />

Lebensmittel von ihrer reinen Ernährungsfunktion emanzipiert.<br />

Hinter ihn trat selbst die feudale Rangordnung des<br />

Produkts (an der Spitze Adler oder Steinbock) oder die<br />

barocke Kuriositätensehnsucht (wie Pfauenpasteten) mehr<br />

und mehr zurück. Die neue Kategorie des Eigengeschmacks<br />

bildete von nun an die »Entwicklungsachse« ( Jean-Pierre<br />

Poulain) der Kulinaristik − von Marie-Antoine Carême<br />

über Jean Anthelme Brillat-Savarin und Auguste Escoffier,<br />

die zehn Gebote der »Nouvelle Cuisine« von Henri Gault<br />

und Christian Millau bis hin zu Alain Ducasse. Von nun an<br />

beruhte die Raffinesse der französischen Küche auf dem<br />

Geschmack der Lebensmittel. Das machte sie, die sich im<br />

Prinzip bis dahin wenig von den Küchen ihrer Nachbarländer<br />

unterschieden hatte, einzigartig.<br />

Der Eigengeschmack bildete zugleich ein völlig neues<br />

Beurteilungssystem für die Produkte der höfischen<br />

Lieferanten. Hatte man zuvor allenfalls über die<br />

Verbindung von Herkunft und Geschmack bei Wein und<br />

Käse diskutiert, so wird von nun an in der französischen<br />

Literatur mit Leidenschaft auch über die Herkunft der besten<br />

Masthühner oder Austern gestritten. Die Bauern richten<br />

sich nach den neuen Anforderungen der hohen Herren –<br />

und nicht nur im Umkreis der Krone. Denn von Versailles<br />

aus, dem Zentrum des barocken Absolutismus, schwappt die<br />

neue Mode, wie alles, was am Hof der Bourbonen erdacht<br />

wird, in konzentrischen Kreisen an all die kleineren Höfe<br />

der Provinzen. So entstand in vielen Regionen Frankreichs<br />

so etwas wie ein unsichtbarer Pakt zwischen Bauern und<br />

Gourmets – ein Pakt, der selbst die Revolution über dauerte,<br />

nach der die ehemaligen Leibköche der Aristokraten die<br />

ersten Restaurants eröffnen und die Gastronomie für das<br />

neue Bürgertum neu erfinden. Es entstand jenes französische<br />

»Savoir Vivre«, von dem Heinrich Heine in den Reisebildern<br />

schrieb: »Man lebt in lauter Lust und Pläsier, so<br />

recht wie Gott in Frankreich. Man speist von Morgen bis<br />

Abend, und die Küche ist so gut …«<br />

Das war in Deutschland anders. Hier herrschte kein<br />

sinnen froher Katholizismus, der das Essen heiligte, weil<br />

man sich in ihm etwas von der Substanz Gottes aneignete,<br />

sondern in weiten Teilen die Reformation. Welche Auswirkungen<br />

diese auf die deutsche Küche hatte, hat Peter in<br />

Armes Deutschland: Toast<br />

Hawaii, Sardellen-Ei, gefüllte<br />

Tomaten und »Fliegenpilze« –<br />

so zaghaft wagte die deutsche<br />

Kulinarik ihren Nachkriegsstart.<br />

Pariser Köche exzellierten schon<br />

mit Kreationen wie Galantine<br />

de Faisan, Poularde glacée<br />

und Langouste à la Parisienne.<br />

Glückliches Frankreich!<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 33


Der erste Fernsehkoch<br />

Frankreichs: Von 1954 an führte<br />

Küchenchef Raymond Oliver seine<br />

Zuschauerinnen viele Jahre lang<br />

in die Geheimnisse der Haute<br />

Cuisine ein. Er war zugleich Inhaber<br />

des Pariser Gourmet-Tempels<br />

»Le Grand Véfour« im Palais Royal.<br />

seiner »Kulturgeschichte der deutschen Küche« dar gestellt.<br />

Die »Freiheit des Christenmenschen« verwarf zwar die<br />

katholischen Fastengebote, aber gebot doch jedermann<br />

»mäßig, nüchtern und züchtig zu leben«. In der Sitte des<br />

bescheidenen Abendbrots wurde das Nachtmahl zur privaten<br />

Veranstaltung, Auswärtsessen galt als Verschwendung.<br />

Hausmannskost wurde zum Inbegriff der guten Küche, also<br />

das, was durch landwirtschaftliche Selbstversorgung hergestellt<br />

werden konnte. Auswärtige Delikatessen dagegen<br />

zeugten von Hochmut.<br />

Das reformatorische Ethos der Enthaltsamkeit wurde<br />

verstärkt durch die vielen Kriege auf deutschem<br />

Boden: die Bauernkriege, der Dreißig jährige<br />

Krieg, der Pfälzische Erbfolge- und der Siebenjährige<br />

Krieg, die Napoleonischen und die Deutschen Einigungskriege,<br />

ganz zu schweigen von denen, die danach kommen<br />

sollten. Es ist kein Wunder, dass diese Notzeiten auch bei<br />

den Eliten Vorstellungen von Entsagung und »strengem<br />

Glück« (Thomas Mann) formten, in denen wenig Platz<br />

für sinnliche Genüsse war. Schwäbischer Pietismus und<br />

an holländisch- calvinistischem Gedankengut inspiriertes<br />

preußisches Ethos werden Leitideologien Deutschlands<br />

auf dem Weg in die Moderne – mit entsprechendem Einfluss<br />

auf die deutsche Küche. Nur in einigen vom Katholizismus<br />

geprägten Regionen, zumeist in grenznahen Gebieten<br />

in West- und Süddeutschland, sowie in einigen prosperierenden,<br />

latent glaubensneutralen Handels- und See städten<br />

überlebt eine nennenswerte deutsche Küchenkultur.<br />

Beides, die permanente Drohung wirtschaftlicher Not<br />

wie die religiös grundierte Entsagungsethik hinterließ tiefe<br />

Spuren in der deutschen Landwirtschaft. Produziert wurden<br />

überwiegend Grundnahrungsmittel, ins besondere in den<br />

großen Gütern »Ostelbiens«. Mit der einen Ausnahme des<br />

Weinbaus vornehmlich im Mittel- und Ober rhein, die sich<br />

durch die Kleinbauernstruktur stark von den übrigen agrarischen<br />

Regionen in Deutschland unterschied und wo sich<br />

der Riesling als Leitrebe durchsetzen konnte, entschied<br />

man sich im Zweifelsfall für einfache und schnell zu produzierende<br />

Produkte in großen Volumina. Die Geflügelzucht<br />

in Deutschland etwa favorisierte traditionell die<br />

eier legenden Rassen, während in Frankreich die Vervollkommnung<br />

der aufwendiger zu haltenden Fleischrassen im<br />

Vordergrund stand. Ähnlich in der Rinderzucht: Hier standen<br />

die »Milchrassen« im Vordergrund, in Frankreich dagegen<br />

ebenfalls die Fleischrassen – was bis heute zur Folge<br />

hat, dass deutsche Schlachthöfe dem Verbraucher zumeist<br />

nur qualitativ deutlich schlechteres Jungbullenfleisch liefern,<br />

während in Frankreich besseres Färsen- und Ochsenfleisch<br />

von geeigneteren Rassen angeboten wird.<br />

Ungeachtet dieser Gegebenheiten stand auch in<br />

Deutschland die Agrarromantik in hohem Kurs. Der Dichter<br />

der Befreiungskriege, Ernst-Moritz Arndt, erblickte<br />

im Bauernstand den kraftvollen und sittlichen Urzustand<br />

des Menschen: Noch nicht entartet durch westliche Zivilisation<br />

und welschen Tand sei er der treueste Verteidiger<br />

des Vaterlandes – eine Ideologie, die noch in den Reden<br />

des Reichsbauernführers Walther Darré im Dritten Reich<br />

widerklingen sollte. Doch während Arndt vom Bauern als<br />

Damm gegen die Revolution und der eigentlichen Zukunft<br />

der deutschen Nation schwadronierte, hatte längst auch in<br />

der Landwirtschaft die Moderne begonnen.<br />

England hatte bereits im frühen 18. Jahrhundert mit<br />

dem High Farming begonnen, einer Vier-Felder-<br />

Wirtschaft ohne Brachen mit intensiver Düngung.<br />

Am Ende des Jahrhunderts begann dort zudem, ausgelöst<br />

nicht zuletzt durch den Bevölkerungsdruck der zunehmend<br />

industriell geprägten Gesellschaft, die moderne Nutztierzucht,<br />

in der in lokale Landschläge Rassen aus Fernost eingekreuzt<br />

wurden, um deren Leistungsfähigkeit zu erhöhen.<br />

Deutschland folgte mit deutlicher Verspätung und weniger in<br />

der Praxis als in der Theorie: Albrecht Daniel Thaers Lehre<br />

der »Rationellen Landwirtschaft« gilt als die Begründung<br />

der modernen Agrarwissenschaft. Dennoch fehlte hierzulande<br />

das, was im 19. und frühen 20. Jahrhundert etwa<br />

die Landwirtschaft von Dänemark und den Niederlanden<br />

so leistungsfähig machen sollte, die Verklammerung von<br />

Fachausbildung und landwirtschaftlicher Intensivierung.<br />

Seit 1880 erschienen in Deutschland erste Schriften zur<br />

»Krise der Landwirtschaft«. Tatsächlich wurden die heimischen<br />

Märkte immer stärker von massiven Exporten insbesondere<br />

aus Übersee bedroht, die Frage von Schutzzöllen<br />

beherrschte die Politik des jungen Deutschen Reiches und<br />

seiner europäischen Nachbarn. Zugleich führt der massive<br />

Arbeitskräfteabbau in der Landwirtschaft zur Verarmung<br />

weiter Teile der europäischen Landbevölkerung. Soziale<br />

Unruhen waren die Folge. In den Jahren der Weltwirtschaftskrise<br />

gelang es den politischen Parteien in vielen europäischen<br />

Ländern – nicht nur in Deutschland – nicht mehr,<br />

den sich zunehmend radikalisierenden Bauernstand an<br />

sich zu binden. Es waren diese Erfahrungen, die die jungen<br />

Demokratien Nachkriegseuropas – nicht nur in Deutschland,<br />

auch in Frankreich und Italien hatte es ja politische<br />

Systemwechsel gegeben – dazu bewegten, mit hohen Subventionen<br />

um die Loyalität besonders der ländlichen Bevölkerung<br />

zu werben, etwa indem der Einkommensindex an<br />

den der Industriearbeiterschaft gekoppelt wurde.<br />

Für das Frankreich der Vierten Republik, deren Politiker<br />

unablässig von der Landwirtschaft als dem zentralen<br />

nationalen Interesse des Landes sprachen, war also um<br />

1950 die Frage einer grundsätzlichen Neuorientierung der<br />

Agrarwirtschaft, möglichst im europäischen Rahmen, eine<br />

Frage des politischen Überlebens. Doch das Europa der<br />

Sechs, das sich in der Montanunion, der Europäischen<br />

Gemeinschaft für Kohle und Stahl, zu bilden begonnen<br />

hatte, verfügte über völlig unterschiedliche wirtschaftliche<br />

Zielsetzungen und Agrarsysteme. Die marktliberalen<br />

Nieder lande favorisierten für ihre hochmoderne, exportorientierte<br />

Landwirtschaft möglichst niedrige Zölle. In<br />

Frankreich war dagegen traditionell der Staat ein wesentlicher<br />

Akteur der Wirtschaftspolitik, der seinen Wirtschaftsraum<br />

durch hohe Zölle schützte. Italien war hingegen ein<br />

Fotos: alchetron.com/Raymond-Oliver-1360076-W<br />

Der erste Fernsehkoch Deutschlands:<br />

Er hatte nie Kochen gelernt. Clemens<br />

Wilmenrod war Schauspieler in prekärer<br />

Lage gewesen. Aber seit 1953 zeigte<br />

er elf Jahre lang in seiner populären<br />

TV-Sendung den deutschen Hausfrauen,<br />

dass das Improvisieren am<br />

Herd Teil der Kochkunst ist.<br />

Fotos: ullstein bild - Röhnert<br />

34 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Fotos: ullstein bild – sobotha und ullstein bild<br />

Prachtschau der Agrarwirtschaft: Der<br />

Internationalen Grünen Woche 1957<br />

in Berlin macht auch Kanzler Konrad<br />

Adenauer seine Aufwartung, begrüßt<br />

vom »Regierenden« Otto Suhr und<br />

dem Präsidenten der Berliner Abgeordnetenkammer<br />

Willy Brandt. Landwirtschaft<br />

war jetzt Gegenstand<br />

hoher europäischer Politik.<br />

direkter Konkurrent, dem es vor allem um Mittel aus einem<br />

möglichen Investitionsfonds zur Entwicklung des rückständigen<br />

Südens und um Arbeitnehmerfreizügigkeit ging.<br />

Und Deutschland, der Erzfeind, neigte eigentlich der liberalen<br />

Position der Niederlande zu, wenngleich die existierenden<br />

heimischen Marktordnungen für Lebensmittel im<br />

Grunde protektionistischer Natur waren.<br />

Dass sich Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien,<br />

Luxemburg und die Niederlande schließlich nach<br />

Jahren der Verhandlungen einigten, ist eine außerordentliche<br />

politische Leistung. Sie ist ohne den Hintergrund<br />

des Kalten Krieges und Ereignisse wie den Koreakrieg, die<br />

drohende Annäherung der Bundesrepublik an die UdSSR<br />

nach dem Besuch Adenauers in Moskau 1952, Frankreichs<br />

Verlust von Indochina 1954 und die Suezkrise von 1956<br />

undenkbar. Den führenden Politikern in Frankreich war klar<br />

geworden, dass die Nation keine Weltmacht mehr war und<br />

dass, um es mit de Gaulle zu sagen, die Geschichte Frankreich<br />

»die Ehe mit Deutschland« auf erlegt habe. Immerhin<br />

war es eine »Gemeinsame Agrar politik« nach französischem<br />

Modell: massiv subventioniert und dirigistisch.<br />

Adenauer glaubte für Deutschland an dieser Stelle nachgeben<br />

zu können, weil er längst die Weichen dafür gestellt<br />

sah, dass die Zukunft des Landes in der Industrie- und<br />

Dienstleistungsgesellschaft liegen würde. Und er wusste,<br />

dass der gemeinsame Markt ein entscheidender Meilenstein<br />

war auf dem Weg zur Wieder gewinnung der nationalen<br />

Souveränität.<br />

Die unmittelbaren Folgen für den deutschen Verbraucher<br />

waren hoch erfreulich. Frankreich gab sich erhebliche<br />

Mühe, Deutschland als Exportland für seine Agrarerzeugnisse<br />

und Lebensmittel zu erschließen. Dass dem<br />

Erfolg beschieden sein würde, war bei den unterschiedlichen<br />

Mentalitäten und der Vorgeschichte kaum abzusehen.<br />

Wo in unseren Breiten noch Bücher erschienen mit Titeln<br />

wie »Das Kochen mit knappen Mitteln« (1946), gründeten<br />

in Frankreich die führenden Gourmets ihrer Zeit die Zeitschrift<br />

»Cuisine et Vins de France« (1947). Einige Jahre<br />

später, 1953/54, trat im französischen Fernsehen Raymond<br />

Oliver als Fernsehkoch auf – zur gleichen Zeit wie bei uns<br />

Clemens Wilmenrod. Mit dem Unterschied, dass Oliver<br />

Chefkoch des mit drei Guide-Michelin-Sternen geadelten<br />

»Grand Véfour« in Paris war, Wilmenrod aber ein erfolgloser<br />

Schauspieler, der der Nachwelt so unsterbliche Rezepte<br />

wie den »Toast Hawaii« hinterlassen hat.<br />

Als es aber Anfang der 1960er-Jahre mit den ersten<br />

gemeinsamen europäischen Marktordnungen ernst wurde,<br />

verstärkte Frankreich seine Export-Anstrengungen. 1961 rief<br />

die Grande Nation die Sopexa ins Leben, die Gesellschaft<br />

für den Export von Agrargütern und Lebensmitteln. Mit<br />

zahlreichen Marketinginstrumenten sollte sie in wichtigen<br />

ausländischen Märkten den Verkauf französischer Waren<br />

ankurbeln. Und seit Deutschland Export partner Nummer<br />

eins geworden war, wurden die Anstrengungen hier zulande<br />

− seit 1962 von Düsseldorf, dem ersten Auslands büro der<br />

Sopexa, sowie von verschiedenen Zweigstellen aus − besonders<br />

nachhaltig betrieben. Schon 1960 hatte die Zeitschrift<br />

»Cuisine et Vins de France« einen deutschen Ableger, den<br />

»Feinschmecker« gegründet, und die zahlreichen Nennungen<br />

der Sopexa im Zusammenhang von Berichten über<br />

Messen und Verkaufsaktionen von Käse und Wein sowie<br />

nicht zuletzt als Lieferant von Bildmaterial legen den Schluss<br />

nahe, dass hier die Publizistik und der Außenhandel unseres<br />

Nachbarlandes Hand in Hand arbeiteten.<br />

Der Widerstand in der deutschen Gesellschaft war<br />

erheblich, doch die Erfolge blieben nicht aus. 1964 wurde,<br />

nach fünfzigjähriger Unterbrechung, in Deutschland wieder<br />

ein »Guide Michelin« publiziert, der dann von 1966 an auch<br />

an Restaurants in Deutschland seine berühmten Sterne vergab.<br />

Seit den 1970er-Jahren verkündeten Kritiker wie Klaus<br />

Besser, Gert von Paczensky und Wolfram Siebeck das Lob<br />

der »Nouvelle Cuisine«. 1980 schließlich erhielt Eckart<br />

Witzigmann in seinem Restaurant »Aubergine« in München<br />

als erster Koch in Deutschland den dritten Stern. Ein<br />

Triumph für Witzigmann – aber nicht nur. Denn die Küche<br />

in der »Aubergine« war bis ins Mark Französisch und die<br />

Grundprodukte stammten zumeist vom legendären Großmarkt<br />

Paris-Rungis. Das deutsche Küchen wunder schlüpfte<br />

aus Eierschalen in den Farben der Trikolore.<br />

Unterdessen war aus der »Gemeinsamen Agrarpolitik«<br />

ein Monstrum geworden. Die Schaffung<br />

eines gemeinsamen Marktes bedeutete im<br />

Europa der Sechs das Startsignal für die »Modernisierung<br />

der Agrarstrukturen«, was zur Ausräumung von Landschaften<br />

und zu intensiven Flurbereinigungen führte, um<br />

großflächige industrielle, das heißt maschinenunterstützte<br />

Land nutzung zu ermöglichen. Zusätzlich belasten extensive<br />

Düngung und Pestizideinsatz die Natur, insbesondere in den<br />

1970er- Jahren. Die kleinen bäuerlichen Familien strukturen<br />

wichen vielerorts modernen Agrarfabriken. Damit verbunden<br />

war der Untergang der traditionellen dörflichen Strukturen.<br />

Die moderne Nutztierzucht und -haltung nahm in<br />

vielen Fällen die Form von Tier quälerei an. Was einmal<br />

als sinnvolle Modernisierung begonnen hatte, nahm maßlose<br />

Formen eines entfesselten Agro business an. Durch<br />

garantierte Abnahmepreise angefeuert, entstand eine bald<br />

sprich wörtlich gewordene gewaltige Über produktion in<br />

Form von Butter bergen und Milchseen. Das alles geschah in<br />

Deutschland rücksichtsloser als in Frankreich – der schmerzhafte<br />

Weg zum Fortschritt, die Anpassung an eine Produktion<br />

vornehmlich nach Quantität und nicht nach Qualität<br />

aber sollte auch Frankreichs Land wirtschaft grundlegend<br />

verändern.<br />

In Deutschland begann mit der »Gemeinsamen Agrarordnung«<br />

das eigentliche Ende der traditionellen Landwirtschaft,<br />

eine Entwicklung, die bereits im deutschen<br />

Kaiserreich um 1900 mit der Entscheidung für den Industrieund<br />

gegen den Agrarstaat eingeläutet worden war – heute<br />

beträgt der Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung<br />

der deutschen Wirtschaft gerade einmal 0,6 Prozent.<br />

Aber auch für die französische Landwirtschaft war<br />

die »Gemeinsame Agrarordnung« ein Pyrrhussieg. Ohne<br />

sie hätte es die »Trentes Glorieuses«, die drei prosperierenden<br />

Jahrzehnte in Frankreich zwischen 1945 und 1975,<br />

nicht gegeben. Die Agrarexporte bildeten die wichtigste<br />

Säule des Außen handels – Staatspräsident Giscard d’Estaing<br />

prägte den Begriff vom »pétrole vert«, dem grünen Öl −,<br />

doch französische Produkte wurden immer austauschbarer.<br />

In den Siebzigerjahren begann Italien − und seit dem<br />

EU-Beitritt von 1986 auch Spanien – mit seinen Agrarprodukten,<br />

aber auch mit der kulinarischen Kultur, Frankreich<br />

in den Schatten zu stellen. Heute, wo die Speziali täten<br />

der Welt global verfügbar sind und sich die Kulinarik immer<br />

hektischer neue Spotlights sucht − gestern Barcelona, heute<br />

Kopenhagen, morgen Peru – verblasst immer mehr, dass<br />

Frankreich das eigentliche Vaterland eines jeden wahren<br />

Feinschmeckers ist. Im Weinbau hat unser Nachbarland seit<br />

den späten Neunzigerjahren verstanden, das Steuer energisch<br />

wieder herumzureißen. Es bleibt abzuwarten, ob<br />

auch andere Bereiche der französischen Agrar wirtschaft<br />

wieder dem auf höchste Qualität verpflichteten Kurs folgen<br />

werden.<br />

Kochbücher werden Bestseller:<br />

Die Lust am besseren<br />

Essen inspirierte auch<br />

den Buchmarkt. Und als<br />

1964 der erste deutsche<br />

Guide Michelin erschien,<br />

war der Bann gebrochen.<br />

Peu à peu wurden die<br />

Deutschen auch bei Tisch<br />

wieder wer.<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 35


NEUES VON DEN<br />

<strong>GENUSS</strong>WERKERN<br />

EINE KULTURGESCHICHTE<br />

ÜBER DEUTSCHES ESSEN<br />

Von ritterlichen Banketten<br />

der Minnesängerzeit bis zum<br />

Streetfood der Gegenwart.<br />

Tre Torri Verlag GmbH | Sonnenberger Straße 43 | 65191 Wiesbaden | info@tretorri.de | www.tretorri.de<br />

EINE HOMMAGE AN EINEN DER<br />

GRÖSSTEN KÖCHE UNSERES LANDES<br />

35 der wichtigsten Rezepte von Hans Haas – visualisiert<br />

in authentischen, großformatigen Fotografien, die vermitteln,<br />

wie der Gast den jeweiligen Teller im Tantris tatsächlich<br />

erlebt. Begleitet von kurzen Essays, die die besondere<br />

Eigenart der Haas’schen Küche verdeutlichen.<br />

240 SEITEN | 39,90 €<br />

432 SEITEN | 39,90 €


<strong>DAS</strong> IST DOCH<br />

ALLES GESCHMACKSSACHE<br />

Der bekannte Restaurantkritiker und Kolumnist Jürgen Dollase<br />

entwickelt eine völlig neue Vorstellung von Essen. Er nimmt Sie mit<br />

auf eine sensorische Reise, auf der sich Ihre Rezeption von Essen<br />

entscheidend verändern wird. Im Zentrum der Geschmacksschule<br />

stehen von Meisterköchen speziell komponierte „Löffelgerichte“<br />

und ein fünfgängiges Löffelmenü. Illustriert wird dies durch außergewöhnliche<br />

Darstellungen der Geschmacksverläufe sowie abgerundet<br />

durch ebenso spannende wie moderne Rezeptbeispiele.<br />

Noch nie war es so einfach und gleichzeitig so vielfältig, Geschmack<br />

zu erleben. Es ist an der Zeit, das Verhältnis zu Essen neu zu positionieren<br />

und zu überprüfen, was unsere Geschmacksnerven alles hergeben.<br />

Und wie ausgeprägt Genuss beim Essen wirklich sein kann.<br />

240 SEITEN | 39,90 €<br />

EINLEITUNG<br />

6 | 7<br />

SENSIBILISIERUNG 32 | 33<br />

VON ESSEN<br />

<strong>UND</strong> SCHMECKEN<br />

<strong>UND</strong> DER<br />

GESCHMACKSSCHULE<br />

BEISPIEL 1<br />

Nehmen Sie nun einen Löffel,<br />

füllen Sie ihn wie jeweils beschrieben<br />

und versuchen Sie, die beschriebenen<br />

geschmacklichen<br />

Effekte nachzuvollziehen.<br />

JEDER VON UNS HAT BEIM ESSEN SO SEINE RITU-<br />

Diese Fähigkeit ist ganz offensichtlich zuschaltbar.<br />

EIN DURCHGANG<br />

STUFE 1<br />

STUFE 2<br />

STUFE 3<br />

STUFE 4<br />

STUFE 5<br />

ALE, <strong>UND</strong> JEDER WEISS ZIEMLICH GENAU, WIE ER<br />

Man kann essen und reden oder sich beim Essen eine<br />

AUS GANZ NORMALEN<br />

Füllen Sie den Boden des Löffels<br />

Füllen Sie den Boden des Löffels<br />

Füllen Sie den Boden des Löffels<br />

Füllen Sie den Boden des Löffels mit<br />

Füllen Sie den Boden des Löffels<br />

DAMIT UMGEHEN KANN. MANCHMAL IST ES EBEN<br />

TV-Sendung ansehen und würde am Ende kaum eine<br />

VORRÄTEN, KALT<br />

mit etwas Joghurt.<br />

mit etwas Joghurt und geben<br />

mit etwas Joghurt und geben Sie<br />

etwas Joghurt und geben Sie vorne<br />

mit etwas Joghurt und geben Sie<br />

NUR EINE REINE NAHRUNGSAUFNAHME, DIE MAN<br />

MIT DEN GANZ SICHEREN DINGEN ERLEDIGT,<br />

VON DENEN MAN WEISS, WIE SIE SCHMECKEN<br />

Frage beantworten können, die etwas mit dem Essen zu<br />

tun hat. Waren da Oliven auf der Pizza? Oder irgendwelche<br />

Kräuter? Ich habe einmal in einem sehr guten<br />

ZUTATEN<br />

DEGUSTATIONSNOTIZ<br />

Zuerst empfindet man die Kälte<br />

Sie vorne und hinten etwas<br />

Konfitüre dazu.<br />

vorne und hinten etwas Konfitüre<br />

dazu. Dann legen Sie vier kleine<br />

Apfelwürfel darauf.<br />

und hinten etwas Konfitüre dazu.<br />

Legen Sie vier kleine Apfelwürfel<br />

und ein Walnussviertel darauf.<br />

vorne und hinten etwas Konfitüre<br />

dazu. Legen Sie vier kleine Apfelwürfel<br />

und ein Walnussviertel darauf<br />

<strong>UND</strong> MIT DENEN MAN KEINERLEI „BÖSE“ ÜBER-<br />

Restaurant gegessen, und zwar bei der Präsentation ei-<br />

JOGHURT, natur oder ganz<br />

des Joghurts. Der Kälteeindruck<br />

DEGUSTATIONSNOTIZ<br />

und beschließen Sie den Löffel mit<br />

RASCHUNGEN ERLEBT.<br />

nes neuen Kochbuchs eines sehr kreativen Kochs, den<br />

schwach aromatisiert, kalt aus dem<br />

gehört zu den wichtigsten Wahr-<br />

Wieder steht am Anfang die<br />

DEGUSTATIONSNOTIZ<br />

DEGUSTATIONSNOTIZ<br />

einem Stückchen Zwieback.<br />

ich sehr schätze. Es gab einige Gerichte, ich saß mit<br />

Kühlschrank<br />

nehmungen. Ist etwas im Mund<br />

Kälte des Joghurts. Weil Joghurt<br />

Die neue Zutat Apfelwürfel macht<br />

Mit dem Nussstückchen kommt<br />

Wenn wir das Essen nicht völlig unter Kontrolle haben –<br />

interessanten Leuten am Tisch, und die Unterhaltung<br />

sehr kalt, kann man andere Dinge<br />

und Konfitüre oder Gelee aber<br />

sich selbstverständlich sofort<br />

nun ein ganz deutlicher Kross-<br />

DEGUSTATIONSNOTIZ<br />

also zum Beispiel beim Essen außer Haus –, suchen wir<br />

war sehr angeregt. Am Ende des Essens wusste ich<br />

KONFITÜRE ODER GELEE,<br />

nicht gleichzeitig wahrnehmen,<br />

die gleiche Textur haben (beide<br />

bemerkbar. Sie ist für einen ganz<br />

Effekt hinzu, der zunächst auch alles<br />

Das extrem krosse Stückchen<br />

fast immer das, was in unser “Beuteschema“ passt und<br />

nicht, was ich gegessen hatte! Und das, obwohl es sich<br />

die Sorte ist ziemlich egal<br />

bis das kalte Objekt wieder<br />

haben vergleichsweise wenig<br />

sanften Kross-Effekt zuständig,<br />

andere dominiert. Die Wirkung<br />

Zwieback sorgt für eine totale<br />

werden dann vielleicht kurz und knapp registrieren, ob<br />

in diesem Restaurant wirklich lohnt, auf jedes Detail zu<br />

einigermaßen in der Nähe der<br />

Widerstand und schmelzen),<br />

der aber noch nicht das Apfel-<br />

eines krossen Elementes im Mund<br />

Dominanz des Kross-Effekts zu<br />

das Essen unseren Erwartungen entspricht, so ungefähr<br />

achten. Was Schmecken bedeuten kann, kennen Sie<br />

APFELWÜRFEL von etwa<br />

Körpertemperatur angekommen<br />

vermischen sie sich sehr schnell.<br />

aroma wirklich deutlich macht.<br />

ist fast immer so groß, dass die feine<br />

Beginn. Vor lauter Krachen kann<br />

entspricht, nicht entspricht oder vielleicht auch einmal<br />

vielleicht am ehesten von Weinproben her. Da redet<br />

5 x 5 mm, von einem eher sauren,<br />

ist. Natürlich setzt der Joghurt<br />

Wir können sie – vor allem dann,<br />

Beim Zerkauen ergibt sich ein<br />

Aromenwahrnehmung zurück-<br />

man keine weiteren Dinge regis-<br />

viel besser ist, als wir es erwartet haben. Je größer<br />

dann vielleicht jemand von feinen Quittennoten, die im<br />

ziemlich festen Apfel, am besten<br />

unseren Zähnen auch keinerlei<br />

wenn sich der Joghurt erwärmt<br />

Akkord mit Joghurt und Konfi-<br />

stehen muss, bis der Effekt nicht<br />

trieren. Danach spielt sich alles<br />

die Abweichungen sind – egal in welche Richtung –,<br />

Abgang (also dann, wenn man schluckt) verschiedene<br />

mit etwas Schale. Geeignet ist<br />

Widerstand entgegen. Wir emp-<br />

hat – von der Textur her kaum<br />

türe, der aber nur eine kurze Zeit<br />

mehr so stark ist. Weil ein Nuss-<br />

so ab wie bei Stufe 4, mit dem<br />

desto eher werden wir uns einmal einen Moment auf<br />

exotische Blütenaromen entwickeln. Sie werden das<br />

z. B. Granny Smith<br />

finden ihn als schmelzend, weil<br />

auseinander halten. Und weil sie<br />

anhält. Dann schmelzen Joghurt<br />

stückchen aber nicht nur zu Beginn<br />

Unterschied, dass die weniger<br />

das Essen konzentrieren und „hinschmecken“, um was<br />

vielleicht für bizarr halten und an die vielen Witze den-<br />

er sich quasi sofort – und ohne<br />

sich vermischen, haben wir auch<br />

und Konfitüre endgültig weg.<br />

kross ist, sondern auch etwas, auf<br />

krosse Nuss am Anfang vom<br />

es sich denn da eigentlich handelt. „Oh, dieses Durch-<br />

ken, die man über die Weinsprache macht. Sie werden<br />

ETWAS NUSS, und zwar ent-<br />

Kauen oder größere Mund-<br />

ein Mischaroma, in diesem Falle<br />

Übrig bleibt allein der Apfel,<br />

dem man längere Zeit kaut, hält sich<br />

Zwieback übertüncht wird, so wie<br />

einander von verschiedenen Gemüsesorten schmeckt<br />

aber vielleicht auch zwei wichtige Dinge erkennen,<br />

weder Walnussstückchen oder<br />

bewegungen – aus dem Mund in<br />

einen süßen Joghurt. Wir bemer-<br />

das Apfel aroma und die leicht<br />

das Nussaroma recht lange Zeit. Es<br />

der noch weniger krosse Apfel-<br />

aber gut!“, heißt es dann vielleicht, manchmal aber auch<br />

nämlich erstens, dass sich solche Aromen tatsächlich im<br />

Stücke von der Pekannuss, beide<br />

Richtung Speiseröhre entfernt.<br />

ken in diesem Zusammenhang<br />

faserige Textur des Apfels.<br />

kommt also nach dem ersten Kross-<br />

würfel bei Stufe 4 von der Nuss<br />

„Das schmeckt ja furchtbar, das kann ich nicht essen!“<br />

Wein finden, und zweitens, dass man bisweilen größere<br />

Sorten haben eine ähnliche Textur<br />

Ein leichter Druck mit der Zunge<br />

einen weiteren zeitlichen Verlauf.<br />

Effekt zu einer Akkordbildung mit<br />

überdeckt wurde. Im Gegensatz<br />

Wir benutzen also eine Fähigkeit, die wir offensichtlich<br />

Probleme hat, das, was man offensichtlich schmecken<br />

reicht dazu aus.<br />

Er geht von der Kältewahrneh-<br />

den anderen Elementen, wobei sich<br />

zur Nuss wird der Zwieback aber<br />

alle besitzen. Wir schmecken, wo wir sonst nur essen.<br />

kann, auch mit passenden Worten auszudrücken.<br />

STÜCKCHEN VON<br />

mung über die Verschmelzung<br />

die „schwächeren“ Elemente, wie<br />

viel schneller zerlegt und ist nicht<br />

ZWIEBACK, in der Dicke halbiert<br />

zur Süße der Konfitüre.<br />

Joghurt und Konfitüre, als Erste<br />

so nachhaltig, dass er im weiteren<br />

verflüchtigen. Am Schluss bleibt ein<br />

Verlauf eine größere Rolle spielen<br />

Rest von Apfel und Nuss übrig.<br />

würde.<br />

GESCHMACKSSCHULE<br />

LÖFFELGERICHTE 104 | 105<br />

2<br />

VON AROMEN, TEMPERATUREN<br />

<strong>UND</strong> TEXTUREN<br />

KARTOFFEL,<br />

KERBEL,<br />

SEEHASENROGEN<br />

ZUTATEN<br />

KARTOFFELN<br />

eher längliche Kartoffeln von<br />

etwa 6 cm Länge und rund 2 cm<br />

Höhe (damit sie mit Schale<br />

verwendet werden können.<br />

Notfalls geht es natürlich auch<br />

mit zurechtgeschnittenen<br />

„normalen“ Kartoffeln)<br />

Salzwasser (16 g Salz pro Liter)<br />

WEITERE ZUTATEN<br />

gut gekühlte Crème double oder<br />

französische Crème fraîche von<br />

mindestens 30 % Fettgehalt<br />

eine Handvoll fein gezupfte<br />

Kerbelblätter<br />

Seehasenrogen („falscher Kaviar“/<br />

„Deutscher Kaviar“), gut gekühlt<br />

ZUBEREITUNG<br />

Kartoffeln waschen und mit Schale garen (Messertest: Wenn ein spitzes<br />

Messer nicht mehr in der Kartoffel stecken bleibt, sind sie gar). Passend<br />

zum Löffel zurechtschneiden (s. Bild).<br />

ANRICHTEN<br />

Kartoffel auf den Löffelboden setzen, darauf einen guten TL Crème<br />

double und die gleiche Menge Seehasenrogen. Über alles großzügig<br />

Kerbel streuen.<br />

ANMERKUNG<br />

Trinken Sie dazu einen eiskalten Oude Genever.<br />

DEGUSTATIONSNOTIZ<br />

Über dem die ganze Zeit durchlaufenden Basisgeschmack von der Kartoffel ergibt sich nach kurzer Zeit ein<br />

intensiver Eindruck von Seehasenrogen, weil dieser erst angewärmt werden muss. Die fette Crème double schmilzt<br />

dagegen leichter und füllt den ganzen Mundraum. Der Nachhall kommt vor allem von der Textur der zerkauten<br />

Kräuter. Falls Sie den Genever dazu trinken, gibt es noch einmal eine komplette Reaktion mit allen Elementen,<br />

vor allem mit dem Seehasenrogen.<br />

CRÈME DOUBLE<br />

SEEHASENROGEN<br />

KERBEL<br />

KARTOFFEL<br />

KERBEL<br />

SEEHASENROGEN<br />

KARTOFFEL<br />

KERBEL<br />

CRÈME DOUBLE


DIE WILDNIS<br />

Mit der Kampagne für seinen neuen Herrenduft lässt Joop eine<br />

alte Ikone wieder auferstehen: Tarzan, den König des Dschungels.<br />

Von HANNAH CONRADT<br />

Eine Zeitungsschlagzeile aus dem Jahr 1924 kündet von einer Sensation: Ein junger Lord<br />

ist nach fünfundzwanzig Jahren im Dschungel gefunden worden und kehrt nun nach Hause<br />

zurück. Wir sehen ihn auf dem Rücksitz einer Limousine vor seinem Schloss vorfahren<br />

und den Willkommensgruß eines Butlers schroff zurückweisen. Wir sehen, wie er sich<br />

widerwillig den Bart und die langen, verfilzten Haare abschneiden lässt. Die dreckigen<br />

Lumpen werden gegen einen frischen Maßanzug getauscht, noch ein Spritzer Parfüm<br />

und die Rückkehr in die Zivilisation scheint abgeschlossen. Oder doch nicht? Der intensive<br />

Blick des Protagonisten lässt den Zuschauer erahnen, dass man zwar den Mann aus<br />

der Wildnis holen kann, die Wildnis jedoch immer ein Teil des Mannes bleibt.<br />

Soweit die Geschichte, die uns der Werbespot für den<br />

neuen Herrenduft Wow! von Joop erzählt. Und natürlich<br />

soll es vor allem der erwähnte letzte Spritzer<br />

Parfüm sein, der die Ambivalenz seines Trägers besonders<br />

betont: Dieser Mann mag wie ein Gentleman gekleidet sein,<br />

disting uiert, den Konventionen seines Standes verpflichtet,<br />

doch im Innern bleibt er ein wilder Freigeist. Inspiration<br />

für den Werbespot, für den Olivier Dahan, bekannt durch<br />

seinen Oscar-prämierten Film »La vie en rose«, Regie<br />

führte, war unverkennbar die Legende von Tarzan. Jenem<br />

von Edgar Rice Burroughs erdachten Adligen, der als Kind<br />

im Dschungel seine Eltern verliert und dann von Affen groß-<br />

gezogen wird, mit markantem Schrei und beeindruckendem<br />

Lianenschwung zum König des Dschungels avanciert<br />

und sich schließlich in die furchtlose Forschertochter Jane<br />

verliebt. Ihr folgt er schließlich zurück nach England, sie<br />

heiraten und bekommen einen Sohn. Doch das Leben des<br />

britischen Adels bleibt Tarzan fremd, er sehnt sich nach<br />

seiner eigentlichen Heimat. Schließlich folgt er dem Ruf<br />

der Wildnis und kehrt mit Jane in den Dschungel zurück.<br />

Zunächst als Kurzgeschichte in einer Zeitschrift erschienen,<br />

machten die Geschichten um Tarzan ab 1914 als Buchveröffentlichungen<br />

Karriere. Auch als Filmstoff hat es Tarzan<br />

in mehr als einhundert verschiedenen Versionen auf die<br />

Leinwand geschafft, erstmals im Jahr 1918 mit Gordon<br />

Griffith in der Hauptrolle. Kurz darauf ergatterte der amerikanische<br />

Footballspieler James Pierce die Rolle des Tarzan<br />

und wenig später auch das Herz der Tochter von Tarzan-<br />

Erfinder Edgar Rice Burroughs. Johnny Weissmüller und Lex<br />

Barker wurden durch ihre Rolle als König des Dschungels zu<br />

Hollywoodstars und prägten mit ihrer Darstellung und vor<br />

allem ihrer physischen Präsenz die Vorstellung von wilder,<br />

unverstellter Männlichkeit. 2016 kam Tarzan nach einer<br />

längeren Pause erneut in die Kinos, mit über wältigender<br />

Animationstechnik und mit Alexander Skarsgård in der<br />

Hauptrolle. Es dürfte wenige Figuren geben, die Filmemacher<br />

und Zuschauer über ein ganzes Jahrhundert hinweg<br />

so inspiriert und bewegt haben wie Tarzan.<br />

Fotos: Joop<br />

38 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


IM BLICK<br />

Auch als literarischer Topos hat die Geschichte vom<br />

»Wolfskind«, also dem Helden, der von wilden Tieren<br />

aufgezogen wird, eine lange Tradition. Die Legende von<br />

Romulus und Remus geht auf eine solche Erzählung zurück.<br />

Rudyard Kiplings Dschungelbuch hat mit Mogli ebenfalls<br />

einen Helden, der als Mensch nie wirklich in den Dschungel,<br />

als Dschungelkind aber auch nie wirklich in das Menschendorf<br />

gehört. Sowohl Tarzan als auch Mogli sind so faszinierende<br />

Figuren, weil sie Außenseiter sind, zerrissen zwischen<br />

zwei Welten. Und weil wir durch sie nicht nur unsere eskapistischen<br />

Sehnsüchte gespiegelt sehen, sondern uns der<br />

existentiellen Frage aussetzen, was das Menschsein eigentlich<br />

ausmacht. Und auf welche Konventionen und Annehmlichkeiten<br />

der Zivilisation wir möglicherweise verzichten<br />

könnten, um ein ganz und gar freies Leben in und mit der<br />

Natur zu führen.<br />

Gut möglich, dass sich der Parfümeur Christophe<br />

Raynard von dieser Sehnsucht nach Exotik und<br />

Abenteuer leiten ließ, als er den neuen Signature-<br />

Herren-Duft des Hauses Joop entwarf: Frisch und kühl<br />

in der Kopfnote durch Bergamotte, Kardamon und Veilchen,<br />

geheimnisvoll sinnlich in der Herznote durch Geranie,<br />

Vetiver und Tannenbalsam, in der holzigen Basisnote setzen<br />

Kaschmir, Vanille und Tonkabohne markante und kraftvolle<br />

Akzente. »Seine luxuriöse deutsche Handschrift zusammen<br />

mit einer starken Männlichkeit und einem Touch unkonventionellen<br />

Überschwangs« mache den Duft in seinen<br />

Augen so einzigartig, so Raynard. Acht Monate lang hat er<br />

an seiner Komposition gearbeitet und auf seinen Reisen<br />

vor allem durch Indien reichlich Inspiration gesammelt.<br />

Bleibt zu hoffen, dass sich dieser Überschwang und diese<br />

Hinwendung zum Unkonventionellen auch auf die Träger<br />

von Wow! überträgt.<br />

Ein bisschen Wildheit unterm Maßanzug hat schließlich<br />

noch keinem geschadet.<br />

Die Zähmung des Widerspenstigen: Um den<br />

ungebändigten Urwald-Zottel in einen veritablen<br />

Gentle man zu verwandeln, braucht es nur einen<br />

Friseur, einen Schneider und – für das Beste im<br />

Mann – einen Herrenduft. Der Effekt: WOW!<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 39


SCHUHE<br />

<strong>FÜR</strong> EIN<br />

GANZES<br />

LEBEN<br />

40 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Am liebsten bleibt er bei seinen Leisten. Das edle Schuhwerk, das Hans-Joachim Vauk<br />

in seiner Werkstatt produziert, kann so viel wie ein Kleinwagen kosten. Aber sollte der<br />

Mensch seinen Füßen, die ihn durch ein langes Leben tragen, nicht das Allerbeste gönnen?<br />

Von UWE KAUSS<br />

Fotos JOHANNES GRAU<br />

Wenn Hans-Joachim Vauk in seinem winzigen Büro zum antiken Schreibtisch geht, muss er an einem Kleiderständer vorbei, an dem<br />

sein Leben hängt. Diesmal bleibt er stehen, greift eine schwarze, seidenweich fallende Bahn, schließt die Augen, saugt den Duft mit<br />

der Nase ein und sagt: »Dieses Leder hat eine wirklich gute Qualität. Mit so etwas kann ich arbeiten.« Die Bahn aus zart-rauem Pekari,<br />

einem aus Südamerika stammenden Nabelschwein, ist so leicht, man könnte daraus ein Polohemd schneidern. Hans-Joachim Vauk<br />

wird es aber als Oberleder für Maßschuhe verwenden. Seit rund dreißig Jahren fertigt er eben solche in seiner Werkstatt in Neumünster<br />

nördlich von Hamburg. 1977 hat er sie bezogen, und seit damals hat sich in den geduckten Räumen unterm steilen Ziegeldach mit kleinen<br />

Fenstern, wuchtigen Maschinen und der harzigen Duftmelange aus Leder, Klebstoff, Holz, Stahl und Staub nichts verändert. Die<br />

Kaffee maschine faucht, an der Wand hängt ein großer Wandkalender mit Landschaftsmotiven. Nebenan liefert das Radio den Soundtrack<br />

zum Hämmern, Kleben, Schneiden, Schleifen und Fräsen.<br />

Der siebzigjährige Hans-Joachim Vauk ist einer der<br />

letzten – und besten – Maßschuhmacher Deutschlands.<br />

Die schwere Krise der Schuhmacherbetriebe<br />

seit den 1980er-Jahre ist an seiner Werkstatt vorbei gezogen.<br />

2007 verzeichnete die Handwerksrolle noch rund 3500<br />

Meisterwerkstätten, 2015 waren es nur noch knapp 2450.<br />

Von ihnen arbeiten nur noch wenige Dutzend als Maßschuhmacher.<br />

Doch die Uhren in Vauks Werkstatt schlagen<br />

in ihrem eigenen Rhythmus. Computer gibt es in seinen<br />

Räumen nicht, dafür Hämmer, scharfe Messer, Zangen,<br />

Nägel, dicke Nadeln und Feinwerkzeuge. »Mit meinem<br />

Notebook mache ich Online-Banking, ab und zu suche<br />

ich eine Information. Aber bei der Arbeit ist es nutzlos.«<br />

Seine Kundenliste ist längst international, selbst amerikanische<br />

Kunden treffen sich beim Businesstrip mit ihm,<br />

um neue Schuhe abzuholen oder in Auftrag zu geben. Auch<br />

viele Prominente sind darunter. Doch Namen nennt Hans-<br />

Joachim Vauk nie. Seine norddeutsche Begründung: »Der<br />

Maßschuh wird dadurch ja nicht besser.« Achtzigtausend<br />

Kilometer fährt er pro Jahr quer durch Deutschland, um<br />

in Luxushotels, bei Herrenausstattern oder Maßanzugmachern<br />

seine Kunden mit Schuhen zu versehen. Ob Sylt,<br />

Berlin, Potsdam, Düsseldorf, Frankfurt oder München:<br />

Von Freitag früh bis Sonntagabend ist er unterwegs zu den<br />

Kunden. »Würde ich in Neumünster auf sie warten, wäre<br />

das Geschäft längst am Ende.« Also setzt er sich in seinen<br />

Kombi mit Modellschuhen, Ledermustern und den Werkzeugen<br />

zum Vermessen der Füße. Nur ein Wochenende im<br />

Monat nimmt sich Vauk frei. An einem normalen Montagmittag<br />

steht er wieder in Neumünster in der Werkstatt und<br />

schleift, poliert, färbt oder cremt sieben-, achtmal die halbfertigen<br />

Schuhe ein. Um acht Uhr morgens schließt er die<br />

Werkstatt auf, erst gegen 20 Uhr verlässt er sie. Nur einen<br />

kleinen Luxus gönnt er sich: »Ich mache eine Stunde Mittagspause,<br />

das reicht für ein kurzes Schläfchen.«<br />

Heute arbeitet Vauk mit zwei Meistern und einem<br />

Gesellen an den Maßschuhen, die erst nach knapp fünfzig<br />

Stunden Arbeitszeit und rund zweihundert Arbeitsschritten<br />

bereit sind, getragen zu werden. »Dazu kommen<br />

die Ruhezeiten, in denen sich das Leder an die Form und<br />

Spannung des Schuhs anpasst«, erklärt Hans-Joachim Vauk<br />

den Zeitraum, »zudem arbeiten wir mit Klebstoff und mit<br />

Wasser. Die schließen sich aus, es geht nur eins nach dem<br />

anderen. Dazu muss auch die Farbe gut trocknen.« Jeder<br />

Schritt wird ausschließlich mit geübter Hand ausgeführt.<br />

So dauert es sechs bis neun Monate beim ersten Paar bis<br />

zur Liefe rung in einem Beutel aus Wolle und Kaschmir, mit<br />

passend gefertigten Spannern, französischer Schuhcreme<br />

und feiner Polierbürste.<br />

Nach dem Vermessen der individuellen Tritt spur<br />

des Kunden entstehen in einer Spezialwerkstatt<br />

im Ostharz zunächst die Leisten, die hölzernen<br />

Modell abbildungen der Füße. Nur so lassen sich die Druckverhältnisse<br />

präzise nachvollziehen, die den Fuß beim<br />

Gehen belasten. Daraus fertigen Vauk und seine Mit arbeiter<br />

zunächst den Probeschuh, der äußerlich nur wenig mit<br />

dem späteren Modell zu tun hat. Er hat nur einen Zweck:<br />

Den Leisten präzise zu korrigieren, damit der Schuh später<br />

sitzt wie ein Strumpf. Erst nach Anprobe und Korrektur<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 41


Schuhe für ein ganzes Leben | Hans-Joachim Vauk<br />

machen sich die Maßschuhmacher aus Neumünster an die<br />

Arbeit. Wer das zweite Paar bestellt, wartet nur etwa vier<br />

bis fünf Monate, da die Leisten in der Werkstatt schon vorhanden<br />

sind.<br />

Das sind die Arbeiten, die<br />

Hans-Joachim Vauk liebt:<br />

Zwicken, den Rahmen<br />

einstechen, die Ferse klopfen,<br />

den Absatz schleifen. Nach<br />

bald zweihundert Fertigungsschritten<br />

ist das über<br />

die Leisten gearbeitete<br />

Maßschuhpaar fertig. Das<br />

Ergebnis lässt sich sehen und<br />

seinen Träger schweben.<br />

Über tausend Leistenpaare reihen sich inzwischen,<br />

penibel alphabetisch sortiert, in deckenhohen<br />

Regalen aus Dachlatten. Viele haben hier schon<br />

seit fünfundzwanzig oder dreißig Jahren ihren Platz. »Ich<br />

habe Kunden, die haben fünfzig Paar Maßmodelle in ihren<br />

Schränken. Andere tragen zwanzig Jahre lang ein Paar und<br />

lassen es bei uns immer wieder reparieren oder auf arbeiten«,<br />

sagt Vauk und blickt durch seine randlose Brille auf die<br />

penibel polierten Mustermodelle. Sie stehen in einem dunklen<br />

Regal, das seinem Schreibtisch gegenüber in die Wand<br />

eingebaut ist: Full Brogues, Half Brogues, Oxford, Derby<br />

und Norweger in Schwarz, Braun, Bordeaux oder Cognac.<br />

Diese Herrenschuhformen und -farben hätten sich in hundert<br />

Jahren kaum verändert, erzählt Vauk. »Aber damit können<br />

wir spielen und individuelle Wünsche einbeziehen.«<br />

In Hamburg würden zu neunzig Prozent schwarze Schuhe<br />

in Auftrag gegeben. Je weiter ihn seine Reisen nach Süden<br />

bringen, umso mehr Farbe komme ins Spiel: »In München<br />

ist Bordeaux und Cognac sehr gefragt.«<br />

Häufig würden die Kunden dafür Kalbsleder aus dem<br />

Bayerischen Wald wählen, aber auch Pekari, Hirsch, Wasserbüffel<br />

und viele weitere Sorten hält er vorrätig. Vauk breitet<br />

eine lange Lederbahn auf dem historisch anmutenden Nähmaschinentisch<br />

aus und deutet auf die Farb muster: »Wir<br />

verwenden von jeder Bahn nur die besten, gleich farbenen<br />

Teile für den Schuh. Die Bereiche mit den Wachstumsstreifen<br />

sind nicht gut genug. Aus ihnen fertigen wir höchstens<br />

Probe schuhe.« In seinem klimatisierten Lager hängen<br />

vierzig oder fünfzig Jahre alte Leder bahnen. Doch auch nach<br />

so langer Zeit sei kein Qualitäts unterschied erkennbar. Im<br />

Gegenteil: »Die Tiere sind damals viel langsamer als heute<br />

gewachsen. Das erzeugt eine hervorragende, gleichmäßige<br />

Qualität, die heute nur noch sehr schwer zu bekommen<br />

ist.« 3500 bis 4000 Euro kostet das erste Paar, das zweite ist<br />

einige hundert Euro günstiger. Bei guter Pflege lassen sich<br />

diese Schuhe fünfzehn bis über dreißig Jahre lang tragen.<br />

In Vauks Werkstatt gibt es keine Massenware, keine in<br />

der Fabrik vorproduzierten Teile. Auch die in deutschen<br />

Büros übliche Hektik hat in seiner Werkstatt keinen Platz.<br />

»Stress ist schädlich für die Schuhe – und für uns«, betont<br />

er mit strenger Stimme. »Ich stelle ein Paar gerne mal einen<br />

Tag zur Seite, schaue später ein Detail noch mal an und korrigiere<br />

es. Oft lasse ich auch meine Mitarbeiter draufgucken,<br />

ob sie etwas anpassen würden.« Das geschieht fast wie im<br />

Familienrat: Seine Mitarbeiter hat Vauk, der 1979 seine<br />

Meisterprüfung absolvierte, selbst ausgebildet. Einer seiner<br />

Meister arbeitet schon seit über dreißig Jahren für ihn.<br />

Doch Vauks Anspruch ist hoch: »Die Person muss in unserem<br />

Beruf mehr wollen. ›Ein bisschen‹ oder ›ganz gut‹<br />

reicht mir nicht. Wir turnen schließlich auf der obersten<br />

Stufe.« Einen doppelten Boden gebe es nicht: »Wer etwa<br />

beim Schleifen abrutscht und das Oberleder eines Schuhs<br />

verkratzt, kann gleich einen neuen bauen.«<br />

Vauk trägt an diesem Tag zur Arbeitsjeans mit Werkstattspuren<br />

ein Paar hochglänzend schwarze Tasselloafer,<br />

ein Halbschuhmodell ohne Schnürung, das vorne mit zwei<br />

Quasten verziert ist. »Die sind derzeit ein wenig aus der<br />

Mode, aber das ändert sich wieder«, sagt Vauk und zuckt<br />

mit den Schultern. Der Schuhmachermeister trägt ausschließlich<br />

selbst gefertigte Schuhe – aus gutem Grund:<br />

»Wenn ich neue Oberledersorten oder Sohlen einsetzen<br />

will, mache ich mir erst mal damit ein Paar und trage es.<br />

Ich muss doch herausfinden, ob das Material gut genug ist,<br />

bevor es ein Kunde erhält.«<br />

Das Leder, das er verarbeitet, stammt von den besten<br />

Gerbereien in Deutschland. »Eine Ledersohle für<br />

die Massenfertigung wird heute an einem Tag<br />

gegerbt. Die Sohlen, die ich verwende, brauchen bis zu<br />

sechsunddreißig Monate. Sie werden damit extrem stabil<br />

und zugleich elastisch.« Wer sportliche Chukka Boots<br />

oder Halbstiefel zum Jagen und Wandern bestellt, kann<br />

auch eine Gummisohle auswählen. Da kommt für Vauk<br />

nur eine in Frage: Die, mit der er schon bei der renommierten<br />

Schweizer Schuhmanufaktur Bally arbeitete. Bei<br />

einem Groß händler hat er sie wiederentdeckt. »Sie ist stabil,<br />

elastisch und dämmt die Trittgeräusche besser als eine<br />

Kreppsohle. Daher eignet sie sich auch gut für Business-<br />

Schuhe zum Tragen im Büro mit Marmorboden.«<br />

Bei Bally wollte er nach seiner Ausbildung in Kiel nur<br />

ein Jahr bleiben. Daraus wurden neun Jahre. Erst 1977 verließ<br />

er die Schweiz wieder. Sein Chef hatte Vauks Talent<br />

erkannt und gefördert. Der junge Schuhmacher erlernte<br />

dort die Handfertigung höchstwertiger Schuhe, leitete später<br />

einige Abteilungen und wurde seine rechte Hand. Es<br />

hätte eine glänzende Karriere werden können, doch Vauk<br />

quälte das Heimweh: »Mir hat die Küste und das Meer<br />

gefehlt«, sagt er. Seine Familie suchte eine Schusterwerkstatt<br />

und fand sie noch im selben Jahr in Neu münster. Bis<br />

heute ist sie sein Zuhause. Bally war zu dieser Zeit einer<br />

der renommiertesten und besten Schuhhersteller der Welt.<br />

Zum Abschied bekam er historische Bally-Schuhe geschenkt,<br />

die heute in einer Vitrine im Büro ihren Platz haben. Da<br />

stehen glamouröse, weiß-schwarze Damenstiefel aus den<br />

1920er-Jahren, winzige Kinderschuhe von 1914 und weitere<br />

Raritäten. Sie sehen aus, als hätte Vauk sie erst vor<br />

einer Woche fertiggestellt.<br />

Zurück in Neumünster fertigte er keine Schuhe mehr,<br />

er reparierte Absätze und Sohlen. Vauk seufzt: »Damals<br />

musste ich komplett von vorn anfangen.« Mit seiner<br />

Boden ständig keit, Verlässlichkeit und gutem Geschäftssinn<br />

beschäftigte er bald sieben Gesellen. Die Fräsen, Nähund<br />

Schleif maschinen in seiner Werkstatt stammen aus dem<br />

damaligen Maschinenpark von Bally. Er bekam sie günstig.<br />

Noch heute tun die schweren Werkzeuge aus den 1950erund<br />

1960er-Jahren zuverlässig ihren Dienst.<br />

Erst zehn Jahre später, Ende der 1980er-Jahre, konnte<br />

er das machen, von dem er schon als Kind geträumt hat:<br />

Maßschuhe fertigen. »Als Zehnjähriger lebte ich mit meiner<br />

Familie in einem winzigen Dorf in der Nähe von Mölln,<br />

nicht weit von der damaligen Zonengrenze. Im Sommer war<br />

ich draußen zum Baden, im Winter saß ich beim Schuster<br />

im Dorf in der Werkstatt. Der fertigte den Jägern ihre Stiefel<br />

an. Bei ihm habe ich ganze Tage verbracht und zugesehen.<br />

Es hat so gut gerochen. Eine schöne Zeit. Da wusste<br />

ich: Eines Tages werde ich Schuhe anfertigen.« Dabei ist<br />

es geblieben. So erhält jeder Kunde, der seine Schuhe trägt,<br />

nicht nur eine präzise, wertvolle Handwerksarbeit. Er trägt<br />

auch ein kleines Stück Leben von Hans-Joachim Vauk.<br />

42 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Weingut Robert Weil – Riesling Großes Gewächs.<br />

Einer der Großen Weine der Welt.<br />

www.weingut-robert-weil.com


ZURÜCK IN DIE<br />

ZUKUNFT<br />

Viele Jahre hielt sich der Trend zu möglichst trocknem Champagner. Nun scheint das Pendel wieder<br />

in die andere Richtung zu schlagen. Die traditionsreiche Marke Veuve Clicquot hat die neuen »Rich«-<br />

Champagner vorgestellt: richtig süß und zum Mixen »on the rocks«. Die trauen sich was!<br />

Von STEFAN PEGATZKY<br />

Fotos GUIDO BITTNER<br />

Was der Mann<br />

von Welt in seinen<br />

Champagne<br />

Rich tut: Paprika,<br />

Gurke, grüner<br />

Tee, Sellerie oder<br />

Grapefruit zesten.<br />

Vor mir stehen die beiden Flaschen, als hätte sie Scotty aus dem Raumschiff Enterprise<br />

gerade auf die Erde gebeamt. In sternengeprägte Silberfolie eingehüllt, umgibt das Duo<br />

eine Aura von Party-Glamour und Zukunftseuphorie. Damit stoßen die beiden bei mir aber<br />

erst einmal auf Granit. Veuve Clicquot wirbt damit, den Champagner mit dem Rich und<br />

dem Rich Rosé zur Cocktail-Welt hin zu öffnen. Sollen sie doch, denke ich. Mich interessieren<br />

eher neue Mono-Crus oder alte Vintages.<br />

Immerhin regt sich auch Respekt bei mir: Denn die trauen<br />

sich was! Das erste Mal seit Jahrzehnten bringt eine<br />

größere Maison einen echten »Doux« auf den Markt,<br />

einen Champagner mit einer Restsüße von mehr als fünfzig<br />

Gramm pro Liter – sowohl der Rich als auch der Rich<br />

Rosé weisen eine Wert von sechzig Gramm auf. Dabei wurde<br />

noch bis spät ins neunzehnte Jahrhundert die ganze Welt<br />

von Reims und Epernay aus mit Champagnern von hoher<br />

Dosage versorgt, insbesondere Skandinavien und Russland.<br />

Flaschen vom 1840er Veuve Clicquot, die man jüngst vor<br />

den Åland-Inseln geborgen hat, weisen einen Restzucker<br />

von 150 Gramm pro Liter auf, also zweieinhalbmal so viel<br />

wie die Champagner Rich von 2017.<br />

Tatsächlich waren Champagner historisch gesehen<br />

länger süß, als dass sie trocken waren. Und das waren nicht<br />

die schlechtesten Zeiten. »Während der rosigen Soupers<br />

der Libertins«, heißt es in einer Erinnerung an das sinnliche<br />

achtzehnte Jahrhundert, »feierte man mit Delikatesse<br />

die glückliche Verbindung von Périgord-Trüffeln und süßen<br />

Champagnern, den bevorzugten Komplizen sanfter Liebesspiele.«<br />

Nur ganz allmählich wurde der Champagner trockner.<br />

Zunächst in Frankreich, wo Champagner immer öfter<br />

ein ernstzunehmender Essensbegleiter wurde, und dann<br />

besonders in England, wo »Brut« als neuer Stil in den<br />

1870er-Jahren modern wurde. Doch noch 1899 notierte H.L.<br />

Feuerheerd in »The Gentlemen’s Cellar and Butler’s Guide«,<br />

dass auf dem Kontinent auf einen trockenen Champagner<br />

Hunderte von süßen kämen. Dementsprechend unterschied<br />

man lediglich zwischen zwei Sorten von Champagnern, den<br />

trocknen, die jeweils nach Grad ihrer Trockenheit gekennzeichnet<br />

wurden, und den süßen, die auf dem Konti nent<br />

ohne sonderliche Bezeichnung vertrieben wurden, in England<br />

aber Namen wie »full« oder »rich« erhielten.<br />

Süßer Champagner wurde aber auch damals schon<br />

möglichst angefroren oder mit Eiswürfeln getrunken.<br />

In den 1880er-Jahren machte in der Pariser<br />

Oper der »Soyer« Furore, ein Champagner, den man aus<br />

angeeisten Gläsern mit einem Strohhalm trank. Der Schritt<br />

zum Cocktail war nicht weit. Gemischt wurde mit Früchten<br />

oder Likören, mit Guinness oder Coca Cola. Genauso<br />

alt freilich ist die Debatte, ob es sich bei einem »Kir Royal«<br />

44 <strong>FINE</strong> 1 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


Zurück in die Zukunft | Veuve Clicquot Rich<br />

Was die Dame von Welt<br />

mit dem Rich Rosé aufgießt:<br />

Ananas, Hibiskus,<br />

Ingwer, Erdbeeren oder<br />

Limettenzesten.<br />

oder einem »Black Velvet« um ein Sakrileg handelt. Ausgerechnet<br />

ein Amerikaner schien dann 1977 den Streit ein<br />

für alle Mal beendet zu haben. »Society for the prevention<br />

of cruelty to champagne«, Gesellschaft zur Verhinderung<br />

von Grausamkeiten gegen den Champagner, war die<br />

flammende Streitschrift des Weinkritikers Frank J. Prial<br />

im New York Times Magazine überschrieben, in denen er<br />

jede Verwendung des Champagners in Cocktail-Zubereitungen<br />

aufs Schärfste verdammte.<br />

Zugleich schien sich auch das Zeitalter der Champagner<br />

mit hoher Restsüße dem Ende zuzuneigen. Zucker,<br />

so hieß das Verdikt, überdecke den Eigengeschmack der<br />

Weine – zumal nicht wenige Produzenten die Süße tatsächlich<br />

dazu benutzten, Qualitätsmängel wie einen allzu hohen<br />

Anteil an Presswein zu kaschieren. Nur noch in winzigen<br />

Nischen überlebten Abfüllungen, die vor allem in Frankreich<br />

zur Gänsestopfleber oder zum Dessert getrunken wurden.<br />

Das Haus Roederer war in den 1980er-Jahren das letzte,<br />

das mit dem Carte Blanche auch einen süßen Champa gner<br />

anbot, manche sagen, auf besonderen Wunsch der britischen<br />

Queen Mum.<br />

Und dann präsentierte Lanson 2009 den White Label<br />

Sec – »am besten mit Himbeeren oder Minzblättern« − und<br />

Moët & Chandon im Jahr darauf den Ice Impérial Demi-<br />

Sec – »bitte mit Eiswürfeln«. Beide präsentierten sich<br />

aufregend innovativ und knüpften zugleich mit 28 beziehungsweise<br />

45 Gramm Restsüße pro Liter an die klassische<br />

Zeit der halbtrocknen Champagner an. Die Rich Champagner<br />

von Veuve Clicquot bilden nun die Synthese aus<br />

dem Mix-Appeal des Lanson und dem eisgekühlten Moët.<br />

Und sie legen in Sachen Dosage noch eine Schippe drauf,<br />

wobei Veuve Clicquot seine jüngsten Sprösslinge schon dem<br />

Namen nach ganz in die alte Tradition der süßen Champagner<br />

einreiht (nicht zu verwechseln übrigens mit dem klassischen<br />

Demi-Sec-Vintage-Champagner »Rich Réserve«,<br />

den Veuve Clicquot ebenfalls anbietet).<br />

In allen drei Fällen aber werden von den Produzenten<br />

nicht mehr ältere Damen als Zielpublikum anvisiert<br />

und noch nicht einmal die klassischen Champagner-<br />

Konsumenten, sondern Bartender und Clubgänger. Eine<br />

Generation, von der die großen Häuser der Champagne<br />

fürchten, dass sie den Kontakt zu ihr verlieren, und der sie,<br />

wie es im Kultur bereich heißt, »niederschwellige Angebote«<br />

machen müssen, um sie zu gewinnen. Weil dieses Angebot<br />

aber gleichbedeutend ist mit einem »Zurück in die Zukunft«,<br />

einem Wiederentdecken alter, fast vergessener Ursprünge<br />

der Region, sollten auch Champagner- Connaisseure den<br />

jungen Süßen mit einiger Neugier begegnen.<br />

Bei der Vorbereitung zum Tasting regt sich tatsächlich<br />

der Experimentiergeist in mir. Nicht zuletzt<br />

finde ich Gelegenheit, die Hardy-Rodenstock-<br />

Süßweingläser wieder einmal einzusetzen, die denen, die<br />

Veuve Clicquot empfiehlt, als Vorbild gedient zu haben<br />

scheinen. Brav bereite ich alle Zutaten vor, die die Maison<br />

als Ingredien zien für die neue »Mixology« angibt: Gurken,<br />

Sellerie und Paprika, Ananas und Ingwer, dazu Limonenund<br />

Grapefruit zesten sowie verschiedene Teesorten. Als<br />

Bonus gesellen sich Erdbeeren sowie Hibiskusblüten aus<br />

dem Sudan dazu. Schließlich macht es zweimal Plopp, und<br />

die Flaschen sind endlich offen.<br />

Zum Kalibrieren probiere ich Rich und Rosé zunächst<br />

klassisch »ohne alles«. Der Rich überrascht durch eine<br />

merklich verhaltenere Süße als erwartet. In der Nase dominiert<br />

die primäre Frucht des Pinot-Meunier, die sich auf<br />

einen soliden Pinot-Noir-Hintergrund stützen kann. An diesen<br />

positiven Eindruck kommt der Rich Rosé zunächst nicht<br />

heran – trotz der im Prinzip identischen Grundcuvée aus<br />

45 Prozent Pinot Noir, 40 Prozent Meunier und 15 Prozent<br />

Chardonnay, zu der allerdings noch 16 Prozent Rotwein aus<br />

Pinot-Noir-Trauben kommt. Die Farbe ist leuchtend Pink –<br />

also das ziemliche Gegenteil eines klassisch- seriösen Rosés –<br />

und das Bukett wird von einer bonbonhaften Fruchtigkeit<br />

dominiert. Regelrecht ver blüffend wirkt dann die Zugabe<br />

der Eiswürfel: Beide Weine finden aus einer anfänglich<br />

etwas behäbigen Breite ein schönes Gleichgewicht. Und<br />

mehr noch: Die Kälte bewirkt eine Änderung der Textur,<br />

indem sie wie mit dem Zauberstab die Perlage der<br />

Champagner reduziert und sie wunderbar kribbelig-cremig<br />

wirken lässt.<br />

Der erste finale Mix ist dann der Champagner- Gurken-<br />

Cocktail: Und da ist schon ein erstes »Wow!« fällig. Das<br />

an sich eher dezente Gurkenaroma wird vom Champagner<br />

wie auf ein Podest gestellt. Selbst die Bitternote der Schalen<br />

wird perfekt abgebildet und setzt einen feinen Kontra punkt.<br />

Beim Stangensellerie dominieren erdige Noten, während<br />

der Paprika (die deutsche Veuve- Clicquot-Homepage übersetzt<br />

hier »Pepper« falsch mit Pfeffer − den sollte man<br />

nicht in den Champagner mixen) etwas polarisiert, weil<br />

die Nase auf einmal an unreifen Sauvignon Blanc erinnert.<br />

Der Ingwer bringt dem Rosé würzigen Pep, aber auch eine<br />

leichte Seifigkeit. Die Ananas bleibt, wie auch die Erd beeren,<br />

im Rich unauffällig, während sie im Rosé für wunderschöne<br />

Farbverläufe sorgt. Sowohl farblich wie aromatisch überzeugend<br />

dann die Kombination mit den Limonenzesten<br />

im Rosé – während sie im Rich lediglich Assoziationen an<br />

Gin-Tonic erweckt. Noch stärker wirken die Grapefruitzesten:<br />

Es entsteht ein überaus komplexes Bouquet, das<br />

an edle Parfüms erinnert.<br />

Grüner Tee bleibt, zumindest bei dem von mir benutzten<br />

Ausgangsprodukt, bei beiden Weinen unauffällig, bei<br />

schwarzem Tee dominieren die Gerbstoffe etwas zu sehr<br />

über die Eleganz. Der Earl Grey im Rich aber ist eine Offenbarung:<br />

Die kühle Bergamotte-Note fächert sich vielfältig<br />

auf, ohne den Champagner zu überdecken. Zu den zitronigen<br />

Noten kommt eine Idee von Minze, Baumharz und<br />

Kiefernnadeln. Und regelrecht spektakulär wirkt sich die<br />

Zugabe von Hibiskusblüten in den Rich Rosé aus: Die blutroten<br />

Schlieren zwischen Eis und Pink erinnern an dramatische<br />

Sonnenuntergänge im Spätherbst, wobei die herben<br />

Fruchtaromen des Malvengewächses die sanfte Melancholie<br />

der Assoziation noch vertiefen. Eine kleine Verkostung<br />

verwandelt sich so in eine faszinierende Demonstration<br />

der unerschöpflichen Vielseitigkeit des Champagners.<br />

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