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Peggy Ahwesh Oliver van den Berg Wafaa Bilal ... - Mathildenhöhe

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= Godard, Jean-Luc<br />

Je vous salue, Sarajevo<br />

1993, Video, Farbe, 2 Min.<br />

Courtesy of the artist<br />

In gewisser Hinsicht ist Furcht die Tochter<br />

Gottes, die in der Karfreitagsnacht erlöst<br />

wird. Von allen verspottet, verflucht und<br />

verleugnet, ist sie nicht schön. Aber verstehen<br />

Sie das nicht falsch. Sie wacht über je<strong>den</strong><br />

Todeskampf der Sterblichen, sie legt<br />

Fürsprache für die Menschheit ein. Denn es<br />

gibt eine Regel und eine Ausnahme. Die Kultur<br />

ist die Regel, die Kunst ist die Ausnahme.<br />

Alle äußern die Regel: Zigarette, Computer,<br />

T-Shirt, TV, Tourismus, Krieg. Niemand äußert<br />

die Ausnahme. Sie wird nicht geäußert,<br />

sie wird geschrieben: Flaubert, Dostojewski.<br />

Sie wird komponiert: Gershwin, Mozart.<br />

Sie wird gemalt: Cézanne, Vermeer. Sie<br />

wird gefilmt: Antonioni, Vigo. Oder sie wird<br />

gelebt, und dann ist es die Kunst des Lebens:<br />

Srebrenica, Mostar, Sarajewo. Es gehört<br />

zur Regel, <strong>den</strong> Tod der Ausnahme zu<br />

wollen. Demnach wird es im kulturellen Europa<br />

zur Regel wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Tod der Lebenskunst<br />

zu organisieren, die noch blüht. Wenn<br />

es Zeit ist, das Buch zu schließen, werde ich<br />

das nicht bedauern. Ich habe so viele Leute<br />

gesehen, die so schlecht gelebt haben, und<br />

so viele, die so gut gestorben sind.<br />

Jean-Luc Godard, Off-Text von Je vous<br />

salue, Sarajevo, in: Manfred Eicher,<br />

Jean-Luc Godard u. a., Four Short Films<br />

(De l’origine du XXle siècle / The old<br />

place / Liberté et patrie / Je vous salue,<br />

Sarajevo), Regensburg (ECM) 2006, S. 92<br />

(Übersetzung: Nikolaus G. Schneider).<br />

Je vous salue, Sarajevo<br />

Es galt schon immer, was er [Jean-Luc Godard]<br />

in Je vous salue, Sarajevo sagt: »Die<br />

Kultur ist die Regel, die Kunst ist die Ausnahme.«<br />

Und als Beispiele nennt er Flaubert<br />

und Dostojewski, Gershwin und Mozart,<br />

Cézanne und Vermeer, Antonioni und<br />

Vigo. Aber ehe man sich fragt, ob er nun<br />

<strong>den</strong> kulturellen Konsens oder seine privaten<br />

Hausgötter benennt, fährt er über <strong>den</strong><br />

Ausschnitten eines Fotos aus dem Jugosla-<br />

wienkrieg mit der Aufzählung fort: Srebrenica,<br />

Mostar, Sarajewo. »Es gehört zur Regel,<br />

<strong>den</strong> Tod der Ausnahme zu wollen. Demnach<br />

wird es im kulturellen Europa zur Regel<br />

wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Tod der Lebenskunst zu organisieren,<br />

die noch blüht.« Und dann sieht<br />

man das Foto als Ganzes, zwei Soldaten<br />

auf Patrouille, einer steht über drei Passanten,<br />

die auf dem Bo<strong>den</strong> liegen und die Köpfe<br />

in <strong>den</strong> Armen bergen, und hält in der einen<br />

Hand eine Zigarette, während sein Fuß<br />

gerade ausholt, um eine der am Bo<strong>den</strong> liegen<strong>den</strong><br />

Frauen zu treten. Woran man nur<br />

sieht, dass er auch einen guten Grund hat,<br />

sich keinen Illusionen über das hinzugeben,<br />

was wir Kultur nennen. Wie überhaupt diese<br />

späten Arbeiten von der ernüchtern<strong>den</strong><br />

Erkenntnis geprägt sind, dass Europa<br />

wenig gelernt hat aus seinem Jahrhundert<br />

der Kriege und besinnungslos einen neuen<br />

Krieg in seiner Mitte angefangen hat. Schon<br />

deswegen sind diese Filme in jeder Hinsicht<br />

Arbeiten gegen das Vergessen.<br />

Michael Althen, »Je vous salue, Sarajevo«,<br />

in: Manfred Eicher, Jean-Luc Godard<br />

u. a., Four Short Films (De l’origine du<br />

XXle siècle / The old place / Liberté<br />

et patrie / Je vous salue, Sarajevo),<br />

Regensburg (ECM) 2006, S. 98.<br />

= Godard, Jean-Luc<br />

Je vous salue, Sarajevo<br />

1993, video, color, 2 min.<br />

Courtesy of the artist<br />

In a sense, fear is the daughter of God, redeemed<br />

on Good Friday night. She’s not<br />

beautiful, mocked, cursed, and disowned<br />

by all. But don’t get it wrong. She watches<br />

over all mortal agony; she intercedes for<br />

mankind. For there’s a rule and an exception.<br />

Culture is the rule and art is the exception.<br />

Everybody speaks the rule: cigarette,<br />

computer, T-shirt, TV, tourism, war. Nobody<br />

speaks the exception. It isn’t spoken,<br />

it’s written: Flaubert, Dostoyevsky. It’s composed:<br />

Gershwin, Mozart. It’s painted: Cézanne,<br />

Vermeer. It’s filmed: Antonioni, Vigo.<br />

Or it’s lived, and then, it’s the art of living:<br />

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