AKZENTE DAS MAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN ISABELLE KELLENBERGER WAR ES MORD? D – Überlingen | Der mysteriöse Tod einer jungen Frau aus Überlingen gibt große Rätsel auf. Sie wurde am 9. Juni 2016 an einer schwer zugänglichen Stelle am Ufer des Bodensees in Überlingen-Goldberg gefunden, in unmittelbarer Nähe der Silvesterkapelle. Unter einer Weide, in 30 Zentimeter tiefem Wasser. Nur bekleidet mit Slip und BH. Vermutlich ist sie im Bodensee ertrunken. Vermutlich. Aber was geschah wirklich mit der 28-jährigen Isabelle Kellenberger? 58
Am Donnerstag, 2. Juni, verbringt sie von 16 bis 20 Uhr einen Spieleabend bei einem befreundeten Ehepaar. Zwischen 22.30 und 23.15 Uhr hört sie – wahrscheinlich sie – in ihrer Wohnung über ihr Notebook Musik. Das zeigt später der Notebook-Verlauf. Am Morgen des 3. Juni um 4 Uhr telefoniert sie über ihr Handy mit ihrem Freund. Danach verliert sich ihre Spur völlig. Als der Freund tagelang nichts von ihr hört, setzt er sich mit den Eltern in Verbindung. Diese fahren zur Wohnung ihrer Tochter nach Überlingen. Weil sie von außen nichts Ungewöhnliches bemerken, gehen sie erst nicht hinein, obwohl sie einen Schlüssel haben. Sie wollen die Privatsphäre ihrer Tochter respektieren. Als es weiterhin kein Lebenszeichen von der jungen Frau gibt, gehen sie am 8. Juni kurz in die Wohnung und melden sie schließlich am 11. Juni als vermisst. Doch zu diesem Zeitpunkt ist die junge Frau schon tot. Sie wurde am Donnerstag, 9. Juni um 16.30 Uhr bereits als unbekannte weibliche Wasserleiche am Überlinger Seeufer gefunden. An einem, weder von Landseite noch von der Seeseite einsehbaren und schwer zugänglichen Privatgrundstück. Der Todeszeitpunkt kann nicht exakt festgestellt werden, aber aufgrund des Algenbewuchses liegt er wohl Tage zurück. Wer war bei Isabelle? Claudia Kellenberger und Karl-Heinz Hulin, Mutter und Stiefvater der jungen Frau, die in Herdwangen-Schönach leben, werden am 12. Juni spätabends über Isabelles Tod benachrichtigt. Die Beamten sprechen von Unfall oder Tötungsdelikt. 13 Stunden später stehen die Eltern in Isabelles Wohnung zwecks DNA-Abgleich. Ein Kriminalkommissar spricht nun von Selbstmord. Die Eltern aber glauben nie an einen Suizid. Sie, die jüngere Schwester der Toten, der Freund, Freunde und Bekannte beschreiben Isabelle als lebensbejahende junge Frau mit vielen Plänen, als gesellig, offen und hilfsbereit. Isabelle Kellenberger war Rettungsschwimmerin, arbeitete als Bademeisterin im Strandbad Nussdorf. In den Tagen ihres Verschwindens herrschte aber kein Badewetter. „Isabelle hat ihre Aufsicht dort vorbildlich gemacht. Ich war stolz auf sie, besonders auf ihre Aussage: ‚Unter meiner Aufsicht, ertrinkt hier niemand‘“, berichtet ihr Stiefvater. Nichts deute auf einen Suizid hin und es gebe auch einfach zu viele Ungereimtheiten. Zu viele Fragezeichen. Zufälle. Für die Eltern steht fest, dass Isabelle in ihrer letzten Stunde nicht alleine war. Sie sind sich sicher, dass jemand bei ihr war. Aber wer? War es ein Freund, ein Bekannter? Sie wurde sehr wahrscheinlich an ihrer Erdgeschosswohnung (mit Terrasse), die rund fünf Kilometer vom Auffindort entfernt liegt, von jemandem abgeholt. Vertraute sie ihm und ging freiwillig mit? Oder wurde sie bedroht? Isabelle hatte kein Auto. Und ihr Fahrrad stand abfahrbereit an der Wohnung. Fuhr sie mit der Person auf den See hinaus? Wurde sie dann umgebracht oder war es ein tragischer Unfall und derjenige hat jetzt nicht den Schneid dazu, sich zu melden? Wer ging an Isabelles Handy? Alles zermürbende Spekulationen. „Das Leben unserer Tochter Isabelle wurde ausgelöscht und wir fragen uns, warum“, schreiben die Eltern im Rahmen der Todesanzeige. Auf eigene Faust tragen sie viele Fakten zusammen, die für sie auf eine ungeklärte Todesursache hindeuten. Der offensichtlich überstürzte Aufbruch ihrer Tochter aus ihrer Wohnung werfe viele Fragen auf. Und wo sind die persönlichen Gegenstände von Isabelle? Ihre olivgrüne Adidas Collegetasche fehlt, ihr Geldbeutel samt Ausweis. Ihr Schlüsselbund. Ihre Kleidung. Wahrscheinlich trug die junge Frau schwarze Jeans und auf jeden Fall braune Turnschuhe der Marke Kangaroo, Größe 37 mit Klettverschluss. Und vor allem das Handy, ein älteres schwarzes Samsung Galaxy Mini, in einem Lederetui, das eine besonders rätselhafte Rolle spielt: Am vermutlichen Todestag steht ihre jüngere Schwester vor Isabelles Wohnung. Weil sie nicht aufmacht, schickt sie eine WhatsApp-Nachricht um 12.59 Uhr an Isabells Handy, die aber nur einen einzigen grauen Haken bekommt. Also nicht zugesandt wird. Dabei habe Isabelle ihr Handy nie ausgeschaltet. Und später – also auch nach Isabelles Tod, ist das Handy dann wieder aktiv. Am Sonntag, 5. Juni, Isabelle ist zu diesem Zeitpunkt wohl seit zwei Tagen tot, ruft eine Bekannte an, und es melden sich auf Isabells Handy zwei ältere Personen, ein Mann und eine Frau, Maschinengeräusch im Hintergrund, man versteht fast nichts und legt dann halt auf. Ebenso ergeht es einem weiteren Bekannten von Isabelle. Andere Bekannte, die sie anrufen wollten und nicht erreichten, erhalten Benachrichtigungs-SMS, das Handy von Isabelle sei ab sofort wieder erreichbar. Das geht bis zum Donnerstag 23. Juni, also 20 Tage nach ihrem vermutlichen Tod. Wie lange hält so ein Akku eines älteren Handys? Die Polizei vermutet Überlagerungen im Netz, die es tatsächlich geben kann. Aber gleich zweimal und dann ausgerechnet jetzt? Auch in der Wohnung ist manches merkwürdig. Die Vorhänge sind zu, ihr Kettchen, das sie immer trug, liegt auf dem Tisch – alles sieht nach einem ungeplanten Aufbruch aus. Isabelle war glücklich mit ihrem Leben Die Tatsache, dass die Leiche nur in BH und Slip aufgefunden wurde, bei Wassertemperaturen von 17 Grad – und absolut keinem Badewetter, ist ebenfalls äußerst merkwürdig für die Eltern. Freunde berichten, dass sie in der Nähe mal baden gegangen ist, an einem dieser Insiderplätze, aber nie allein, weil sie das zu gefährlich fand. Hat sie also jemand entkleidet? Wo ist ihre Kleidung abgeblieben? Nirgends Alles klar, Herr Kommissar? Die besten Krimis schreibt ganz sicher das Leben. Deshalb haben wir uns auf die Suche nach spannenden und außergewöhnlichen Kriminalfällen rund um den Bodensee gemacht, die wir in den nächsten <strong>akzent</strong>-Ausgaben – einen ganzen Krimi- Winter lang – vorstellen werden. wurde etwas angeschwemmt oder gefunden. Und, so fragt der Stiefvater: „Wer läuft fast fünf Kilometer durch Überlingen, knallt sich Alkohol und Drogen in die Birne (ohne Geld!), zieht sich aus, wirft erst die Klamotten und dann sich selbst in den See? Ohne Grund?“ Isabell war glücklich mit ihrem Leben und mit ihrem Freund. Da sind sich alle sicher. Die Eltern wenden sich schließlich an die Öffentlichkeit. Über die regionalen Tageszeitungen, über Radio und die Fernsehsendung „Fahndung Deutschland“ suchen sie nach Zeugen, die am oder um den 3. Juni etwas beobachtet haben. Ohne Ergebnisse. Mit Kokain hat Isabelle nie etwas zu tun gehabt AKZENTE Bei der Obduktion kann keine eindeutige Todesursache ermittelt werden. Außer inneren Blutungen an Kopf und am Hals weist Isabelles Körper keine sichtbaren und auch keine äußeren Verletzungen auf. Und diese Verletzungen könnten auch postmortal entstanden sein. Die Leiche hat etwa eine Woche im Wasser gelegen und hätte dabei leicht an einen Stein oder Baum schlagen können. Strangulationsmerkmale werden auch keine gefunden. Außerdem wird ein mit 1,1 Promille deutlich erhöhter Blutalkoholpegel sowie Spuren von Kokain im Blut festgestellt. Dabei wurde wohl auf dem Spieleabend nur wenig Sekt und Bier getrunken. Und mit Kokain habe Isabelle laut ihren Eltern nie etwas zu tun gehabt, hätte auch gar kein Geld dafür gehabt. In der Wohnung werden weder Alkohol noch Spuren von Kokain gefunden. Wer kann Licht ins Dunkel bringen? Die Ermittlungen gehen weiter. An Suizid glaubt niemand mehr. Die Akte Isabelle ist nach wie vor offen, der mysteriöse Fall wird von der Staatsanwaltschaft behandelt. Was ist passiert? War es ein Unfall während einer feucht-fröhlichen privaten Party, wenn das auch gar nicht ihr Stil gewesen wäre? Wer war dann bei ihr? Wieso meldet die Person sich nicht und bringt Licht ins quälende Dunkel? Oder war es doch ein Gewaltverbrechen? Noch immer werden Zeugen gesucht, die am oder um den 3. Juni herum etwas beobachtet haben – an Land oder auch auf einem Boot auf dem Bodensee – oder irgendetwas wissen, was zur Aufklärung von Isabelle Kellenbergs Tod beitragen könnte, oder auch die vermissten Gegenstände gefunden oder bei jemandem gesehen haben. Zeugen werden gebeten, mit der Kriminalpolizei in Friedrichshafen, +49 (0)7541 70 10, Kontakt aufzunehmen. TEXT: SUSI DONNER DAS MAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN 59