Ungefährliche Dämpfe? Lösungsmittel am Arbeitsplatz Dem Arbeitsmediziner Dr. Axel Muttray von der <strong>Mainz</strong>er <strong>Universität</strong> ist es gelungen, Auswirkungen von gering konzentrierten organischen Lösungsmitteln im Gehirn nachzuweisen. Dabei haben der Mediziner und seine Kollegen festgestellt, dass verschiedene Lösungsmittel ganz unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Außerdem geben ihre Daten Anlass dazu, über eine Senkung des arbeitsmedizinischen Grenzwerts für eines der bisher getesteten Lösungsmittel nachzudenken. Dass Lösungsmittel gesundheitsgefährdend oder toxisch wirken können, ist schon lange bekannt. „Parkettleger können beim Kleben des Parketts in Rauschzustände versetzt werden, wenn sie die Dämpfe einatmen, die von dem Kleber herrühren“, erzählt Privatdozent Dr. Axel Muttray vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der <strong>Mainz</strong>er <strong>Universität</strong>. Neben Parkettlegern gehören Maler und Lackierer sowie Arbeiter, die mit Lösungsmitteln reinigen, zu den Berufsgruppen, die verstärkt mit diesen Dämpfen in Kontakt kommen. Heutzutage wird durch Vorschriften geregelt, wie hoch die Lösungsmitteldampf-Konzentration an Arbeitsplätzen sein darf. Solche Grenzwerte werden nach unterschiedlichen Kriterien festgelegt. Einmal sind es Erfahrungswerte aus Tierversuchen, ein anderes Mal Beobachtungen über die Auswirkungen auf einzelne Organe wie die Leber oder das Nervensystem des Menschen, die zur Festlegung führen. [JOGU] 181/2002 Auswirkungen direkt im Gehirn „Wir wollten feststellen, welche Veränderungen beim Einatmen von Lösungsmitteln im Gehirn stattfinden und dabei überprüfen, ob die bisherigen Grenzwerte Sicherheit bieten“, erklärt Muttray. Zu diesem Zweck wurde eigens eine Expositionskammer errichtet, in der gesunde männliche Probanden Lösungsmittelkonzentrationen ausgesetzt wurden, die dem Arbeitsplatzgrenzwert entsprachen oder darunter lagen. Zu den bisher getesteten Lösungsmitteln gehören 1,1,1-Trichlorethan, Toluol-haltige Reinigungsmittel, Methanol und Isopropanol, die in Reinigungsmitteln, Lacken und Farben vorkommen, und n-Heptan, das ein Bestandteil von Benzingemischen ist. Die Auswirkungen der Lösungsmittel auf das Gehirn wurden über ein sogenanntes EEG gemessen. Damit können elektrische Vorgänge in der Hirnrinde untersucht werden. Teilweise wurden auch Reaktions- und Vigilanztests durchgeführt, die ein hohes Maß an Konzentration von den Probanden erforderten. [ W issenschaft & Forschung ] Lösungsmittelkonzentrationen ausgesetzt: Proband beim Reaktionstest Eigens für die Versuche errichtet: Expositionskammer Bisher konnten die Mediziner nur bei n-Heptan eindeutig müde machende Wirkungen nachweisen. „Eine Belastung mit n-Heptan unter dem Grenzwert führt zu einer deutlichen Verlängerung der Reaktionszeit und einer geringeren Trefferquote im Vigilanztest. Deshalb sollte auch im Hinblick auf mögliche Unfallrisiken über eine Senkung des Grenzwerts nachgedacht werden“, empfiehlt Muttray. Erhöhtes Unfallrisiko Bei den anderen Lösungsmitteln konnten bisher keine klinischen Auffälligkeiten festgestellt werden. Allerdings gibt der Mediziner zu bedenken, dass sie mit ihren Versuchen bei allen 12 Foto: Axel Muttray Foto: Robert Löhr Lösungsmitteln subklinische Veränderungen im EEG nachweisen konnten, die zum Teil eine Erregung oder Dämpfung der Hirntätigkeit widerspiegelten. „Unsere Versuche wurden mit jungen gesunden Probanden durchgeführt. Wir müssen aber damit rechnen, dass kranke oder ältere Arbeitnehmer empfindlicher reagieren. Insbesondere ist mit Wechselwirkungen mit Medikamenten zu rechnen, die auf das Gehirn wirken. Der Betriebsarzt sollte deshalb betroffene Arbeiter entsprechend beraten. Wegen anzunehmender Wechselwirkungen plädieren wir außerdem für einen vollständigen Verzicht auf Alkohol an Arbeitsplätzen mit Lösungsmittelbelastung.“ Wirkung auf Neurotransmitter Foto: privat Arbeitsmediziner Dr. Axel Muttray Neben ihren Befunden zum Arbeitschutz sind Muttrays Versuche auch für die Forschung interessant. Eine wichtige Entdeckung war, dass verschiedene Lösungsmittel unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. 1,1,1-Trichlorethan macht zum Beispiel müde, Methanol wirkt für die Probanden unmerklich erregend. „Früher ist man davon ausgegangen, dass die akuten Wirkungen von Lösungsmitteln unspezifisch sind und sich nur in ihrer Stärke unterscheiden. Wir haben nun den Beweis, dass das nicht so ist,“ erläutert Muttray. Durch den Vergleich ihrer EEG-Daten mit denen aus pharmakologischen Studien konnten die Mediziner sogar in einigen Fällen auf die Wirkungsweise der Lösungsmittel schließen: „Organische Lösungsmittel verändern die Aktivität von Neurotransmittern, Botenstoffen im Gehirn. Wir sind uns zum Beispiel sicher, dass die exzitatorische Wirkung von Methanol auf einer erhöhten Aktivität des Botenstoffs Noradrenalin beruht“, erklärt der Arbeitsmediziner, dem es damit erstmals gelungen ist, Wirkungsmechanismen von Lösungsmitteldämpfen näher zu charakterisieren. Robert LÖHR ■
[ W issenschaft & Forschung ] 13 [JOGU] 181/2002