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MEDIAkompakt 22: Lust

Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien.

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30<br />

NEGATIVE LUST<br />

mediakompakt<br />

Kauflust ohne Ende<br />

Shoppen bereitet vielen Menschen große <strong>Lust</strong> und dementsprechend häufig kaufen sie sich<br />

neue Kleidung. Aber was sind die Auswirkungen unserer nicht enden wollenden Kauflust?<br />

VON LENA JORASCHEK<br />

Viele Kleiderschränke wären viel leerer,<br />

wenn sie nur die Teile enthalten würden,<br />

die wir auch wirklich tragen und die auch<br />

qualitativ in Ordnung sind. Und doch<br />

kaufen wir immer noch mehr. Dahinter<br />

steckt das Konzept der „Fast Fashion“, so nennt<br />

sich die momentane Arbeitsweise der Modeindus -<br />

trie. Denn Mode wird heute nicht mehr saisonal<br />

hergestellt, sondern es kommt wöchentlich etwas<br />

Neues in die Läden. Damit wird die Kauflust erst so<br />

richtig angeheizt, schließlich gibt es immer etwas<br />

zu entdecken und die Werbung sagt uns, dass wir<br />

das alles unbedingt brauchen.<br />

Wir kaufen jährlich rund 80 Milliarden neue<br />

Kleidungsstücke weltweit, das sind 400 Prozent<br />

mehr als vor zwei Jahrzehnten. Jeder denken, dass<br />

das auf Dauer nicht funktioniert. Denn um diese<br />

Menge zu produzieren, bedarf es unvorstellbar<br />

viele Ressourcen, Arbeitskraft und Platz im Laden,<br />

weshalb viel Kleidung einfach wegge -<br />

worfen wird. Dies hat entsprechend<br />

katastrophale Auswirkungen auf Um -<br />

welt und Menschen. Es beginnt mit<br />

dem Anbau der Baumwolle, der haupt -<br />

sächlich in Texas in den USA und in<br />

Indien stattfindet. Große Agrarunter -<br />

nehmen züchteten gen manipulierte<br />

Formen der Pflanze, die resistenter<br />

sein sollen. Diese bringen jedoch nur<br />

in Kombination mit entsprechendem<br />

Dünger und Pestiziden Ertrag, sodass<br />

den Landwirten nichts anderes übrig<br />

bleibt, als beides viel zu teuer von den<br />

Agrarunternehmen zu kaufen. Die<br />

Chemi kalien hinterlassen natürlich<br />

Spuren. In Texas werden immer wieder<br />

Gehirntumore gefunden, in Indien<br />

kommen in den verseuchten Gebie -<br />

ten unzählige Kinder mit Geburts -<br />

schäden auf die Welt. Die Erwach -<br />

senen leiden an Hautkrankheiten,<br />

Krebs und psychischen Erkrankungen, alles auf -<br />

grund der Pestizide. Trotzdem ist es für die Agrar -<br />

unternehmen noch eine win-win Situation, da sie<br />

ebenfalls die entsprechenden Medikamente dafür<br />

herstellen und teuer ver kaufen. Wenn ein Farmer<br />

seine Schulden irgend wann nicht mehr bezahlen<br />

kann, muss er sein Land an das Unternehmen<br />

abgegeben. Viele gehen darauf hin in ihr Feld und<br />

trinken eine Flasche der Pestizide. Allein in den<br />

letzten 15 Jahren liegt die erschreckend hohe Zahl<br />

aufge zeichneter Suizide bei 250.000.<br />

Das viele Leder, welches die westliche Mode -<br />

industrie verschlingt, wird in der Stadt Kanpur in<br />

Indien verarbeitet. Große Teile des Ganges sind<br />

mit den Chemikalien der Produktion verseucht,<br />

das giftige Wasser fließt teilweise direkt in den<br />

Nahrungsanbau und landet im Trinkwasser. Und<br />

jeden Tag entstehen mehr als 50 Millionen Liter<br />

Abwasser. Für uns wäre so etwas undenkbar, aber<br />

da dies alles weit weg geschieht, ziehen sich die<br />

Unternehmen komplett aus der Verantwortung.<br />

Nur gelegentlich flutet das Thema durch<br />

unsere Medienwelt, meist um dann wieder zu<br />

verschwinden, als wäre nichts geschehen. Sogar<br />

die größte der Katastrophen, der Einsturz der Rana<br />

Plaza Textilfabrik 2013 in Bangladesch mit über<br />

1100 Toten und 2500 Verletzten konnte kaum ein<br />

Umdenken in die Köpfe der Menschen bringen.<br />

Dass das Konzept der Fast Fashion (trotzdem) so<br />

gut funktioniert, hat vor allem einen Grund:<br />

Kleidung ist wahnsinnig billig! Denn an einer<br />

Stelle wird hemmungslos gespart, noch mehr als<br />

an der Nichtbeachtung der Umwelt – am Lohn der<br />

TextilarbeiterInnen. Eine gute Zusammenfassung<br />

der ganzen Thematik bietet die Dokumentation<br />

„The True Cost“. Am schlimmsten ist die Lage in<br />

Bangladesch, wo es die niedrigsten Löhne gibt,<br />

weil es quasi keine Gesetze zum Arbeiterschutz<br />

gibt. Da die Textilfabriken die Aufträge benötigen<br />

und davor bangen, dass Modeunternehmen sonst<br />

den Produktionsort wechseln, wird es eben immer<br />

noch billiger gemacht. Das sorgt nicht nur dafür,<br />

dass die TextilarbeiterInnen sich von ihrem Lohn<br />

kaum ernähren können, sondern auch, dass sie<br />

unter fatalen Sicherheitsbedingungen arbeiten<br />

müssen, was zu Katastrophen führt.<br />

„Irgendwie muss man sich fragen: Wo hört das<br />

auf?“ Diese Aussage stammt von Lucy Siegle,<br />

Journalistin und Rundfunksprecherin aus dem<br />

vereinigten Königreich, die sich mit den Aus wirk -<br />

ungen der Modeindustrie beschäftigt. Kann man<br />

das, was wir hier angerichtet haben überhaupt<br />

noch stoppen? Gibt es Wege die dreckige Produkt -<br />

ion für unsere nimmersatte Modeindus trie zu ver -<br />

bessern? In „The True Cost“ kommt der Regisseur<br />

Andrew Morgan zum Entschluss, dass sich kaum<br />

etwas ändern wird, solange der Kapita lismus<br />

besteht. Ein nüchternes Fazit.<br />

Trotzdem zeigt er Alternativen, zum Beispiel<br />

Fair Trade Mode. Bei vielen hat diese leider immer<br />

noch ein ziemliches Öko- Image. Dabei gibt es<br />

viele Marken, die junge und moderne Mode an -<br />

bieten, aber natürlich mit dem Unterschied, dass<br />

eben nur eine gesunde Anzahl von zwei Kollek -<br />

tionen pro Jahr erscheint. Zugegeben, faire Mode<br />

ist nicht unbedingt etwas für das Studenten -<br />

budget, aber für zeitlose Kleidungs -<br />

stücke eine echte Alternative und zu -<br />

dem sind die Preise nicht weit von<br />

Marken kleidung entfernt. Es gibt<br />

bereits eine Auswahl an Online-<br />

Shops und in Großstädten einzelne<br />

Filialen. Außerdem lässt sich die<br />

ständige <strong>Lust</strong> auf Neues auch anders<br />

stillen. Eine tolle Alternative sind<br />

Tausch partys, Flohmärkte oder auch<br />

Second- Hand Läden. Letztere haben<br />

in zwischen längst ihr staubiges<br />

Image abgelegt, zudem sind die<br />

Preise auch für Studierende attraktiv.<br />

Am wich tigsten ist es jedoch den<br />

Verstand einzu setzen und bewusster<br />

einzu kaufen. Inzwischen wurde be -<br />

wiesen, dass Materi elles uns nicht<br />

glück licher macht, nein, sogar un -<br />

glücklicher und depressiv. Und doch<br />

ist es so einfach all diese Dinge bei<br />

der nächsten Shopping Tour wieder<br />

zu vergessen. Denn wir sehen leider immer nur<br />

den Moment, in dem wir das fertige Produkt in<br />

den Händen halten. Doch der Punkt an dem jeder<br />

ansetzen kann, ist das Bewusstsein für ein eigenes<br />

Umdenken zu entwickeln.<br />

Bild: Lena Joraschek<br />

Es bleibt zudem zu hoffen, dass sich mehr<br />

Medien mit dem Thema beschäftigen und dass die<br />

Problematik mehr in unseren Bildungssystemen<br />

behandelt wird. Es sollte für Modeunternehmen<br />

cool werden ihre Produktion zu hinterfragen,<br />

Lieferketten offenzulegen und den ArbeiterInnen,<br />

die die Mode überhaupt erst möglich machen<br />

endlich einen vernünftigen Lohn zu zahlen. Erst<br />

dann kann Mode wieder Freude bringen.

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