2017_06_sPositive_WEB
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Wer viel hat,<br />
wird den Status<br />
Quo nicht verändern<br />
wollen.<br />
ren, wenn seine Position von jedem zu erreichen<br />
ist. Zudem müsste er mit seiner Arbeit<br />
dafür sorgen, dass die Allerärmsten am meisten<br />
profitieren, dass er nicht als Angestellter,<br />
sondern als Manager arbeitet.<br />
FREIHEIT ALS WICHTIGSTER PUNKT<br />
Der wichtigste Punkt wäre aber die Freiheit.<br />
Bei wirtschaftlichen Ungleichheiten ist es am<br />
wichtigsten, dass alle Positionen ausnahmslos<br />
allen offen stehen. Nur mit unbeschnittener<br />
Chancengleichheit erzielt die Gesellschaft<br />
insgesamt ein höheres Mass an Einkommen<br />
und Wohlstand. In Rawls perfekten<br />
Staat müssten also grösstmögliche Freiheit<br />
und Chancengleichheit herrschen. Der Staat<br />
müsste mit jeder seiner Entscheidungen dafür<br />
sorgen, dass die ganze Gesellschaft davon<br />
profitieren könnte und insbesondere die am<br />
wenigsten Wohlhabenden damit unterstützt<br />
würden. Bei Unsicherheit, welchen Effekt<br />
eine bestimmte Veränderung haben könnte,<br />
nutzt Rawls die sogenannte Maximin-Regel,<br />
mit der die schlimmstmöglichen Ausgänge<br />
der verschiedenen Veränderungen miteinander<br />
verglichen werden. Am Ende gewinnt<br />
dann die Regel, die im schlimmsten Fall die<br />
harmlosesten Auswirkungen hätte.<br />
Dabei entscheidet sich Rawls gegen den<br />
maximalen Nutzen für die durchschnittliche<br />
Gesellschaft zugunsten des Schutzes vor Ausbeutung,<br />
auch wenn diese wirtschaftliche<br />
Vorteile hätte.<br />
Die Theorie von Rawls ist beeindruckend<br />
einfach. Sie zeigt ebenso simpel wie rational,<br />
was faktisch gesehen gerecht wäre. Dabei<br />
wird unter dem Schleier des Nichtwissens<br />
der Egoismus jedes Einzelnen genutzt und<br />
lässt uns unwiderlegbar erkennen, wie einfach<br />
und eindeutig Gerechtigkeit sein kann.<br />
Ein Gedankenmodell, das einleuchtet,<br />
das wir jedoch, weil wir in dieser Welt leben,<br />
unsere Interessen wahren und keinen Einfluss<br />
auf unser nächstes Leben haben, kaum<br />
je umsetzen werden. Ein Modell aber auch,<br />
das uns zumindest in Teilen auch mal den<br />
Weg weisen kann. Denken wir zum Beispiel<br />
an die Flüchtlinge: Stellen wir uns vor, dass<br />
wir nach unserem Tod in einem Gebiet in<br />
dem Hunger oder ein grausamer Krieg<br />
herrscht, wiedergeboren werden könnten.<br />
Doch Rawls Theorie ist liberal. Sie stützt<br />
sich auf das Individuum. Rawls fordert deshalb,<br />
der Gesetzgeber solle sich auf die Sicherung<br />
der Grundfreiheiten und ein paar<br />
minimale Regeln der Gerechtigkeit beschränken.<br />
DER GEGENTEILIGE ANSATZ<br />
Während Rawls das einzelne Individuum als<br />
Ausgangspunkt für seine Überlegungen<br />
nimmt, geht Michael Walzer von der Gemeinschaft<br />
aus. Walzer positionierte sich in den<br />
vergangenen Jahrzehnten immer wieder als<br />
Gegenspieler von John Rawls. Er versteht<br />
denn auch seine eigene Theorie als Gegen-<br />
DIE PHILOSOPHEN<br />
Michael Walzer<br />
Der 82-jährige US-Amerikaner Michael<br />
Laban Walzer ist ein bedeutender Sozial-<br />
und Moralphilosoph. Geboren 1935<br />
als Sohn einer jüdischen Emigrantenfamilie<br />
in New York, avancierte er zu<br />
einem bedeutenden amerikanischen<br />
Intellektuellen. Er verfasste vielbeachtete<br />
Abhandlungen über Gerechtigkeit,<br />
Zivilgesellschaft, Gesellschaftskritik<br />
und Krieg.<br />
John Rawls<br />
John Rawls (1921 bis 2002) war ein<br />
US-amerikanischer Philosoph, der als<br />
Professor an der Harvard University<br />
lehrte. Sein Hauptwerk «A Theory of<br />
Justice» vom Jahr 1971 gilt als eines<br />
der einflussreichsten Werke der politischen<br />
Philosophie des 20. Jahrhunderts.<br />
Michael J. Sandel<br />
Der 1953 in Minneapolis geborene Michael<br />
Sandel ist ein US-amerikanischer<br />
Philosoph. Bekannt wurde er vor allem<br />
als Mitbegründer der kommunitaristischen<br />
Strömung.<br />
s’Positive 6 / <strong>2017</strong> 15