Barftgaans August/September 2017
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EINFACH UNGLAUBLICH!<br />
Sinclair Lewis beschreibt die USA von 1935 und wir denken dabei an heute<br />
Es ist ja so einfach, über andere den Kopf zu schütteln. Und der Spruch:<br />
Bei uns wäre das niemals möglich, verrät doch nur eine Arroganz, die<br />
den anderen mangelnde Souveränität, gar Dummheit unterstellt. So<br />
schauen wir derzeit übern Ozean mit Belustigung oder Ärger und der<br />
Frage, wohin Donald Trump, dieser Elefant im Porzellanladen der Diplomatie,<br />
das Land führen wird. Ein Land, das eine der ältesten Verfassungen<br />
hat, säkular und selbstbewusst: „We the people“.<br />
Keiner weiß, wohin „America first“ steuert, was diesem autokratischen<br />
Präsidenten, der am liebsten twittert und Dekrete unterschreibt, als<br />
nächstes einfallen wird. Wir reiben uns die Augen und sagen, das kann er<br />
doch nicht machen! Doch, kann er. Sein Kumpel im Geiste am Bosporus<br />
gibt vielleicht die eine oder andere Steilvorlage?<br />
Es ist 80 Jahre her, da hat der Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis<br />
aufgeschrieben, wohin sein Land treiben könnte mit einem solchen Präsidenten.<br />
Der Titel: „It can’t happen here“ – Das ist bei uns nicht möglich.<br />
Das Buch erschien im Jahr 1937 und Lewis warnte damit seine Landsleute<br />
vor zu großer moralischer Überheblichkeit angesichts der Entwicklungen<br />
in Nazi-Deutschland. So lange Zeit später staunt man über die genaue<br />
Beobachtungsgabe des Autors, der eine Dystopie, ein Schreckensbild,<br />
entwarf. So, als täte er es aus heutiger Sicht.<br />
Zum Inhalt: Mit den schönsten Wahlversprechen lässt sich Buzz Windrip<br />
zum Präsidenten wählen. Er verspricht allen reinrassigen (!) Amerikanern<br />
ein Grundeinkommen von 5000 Dollar (und die machen daraufhin<br />
fleißig Schulden), ist ein Schauspieler der Politik und auch sonst,<br />
„mit sicherem Instinkt für das, was der einfache Mann aus dem Volk zu<br />
hören liebt“, begabt. Kaum an der Macht, vereint er Exekutive und Legislative<br />
in seiner Hand und regiert durch. Acht regionale Provinzen, die der<br />
Kontrolle des Präsidenten unterstehen, ersetzen die bisherigen Bundesstaaten.<br />
Seine Personalauswahl setzt auf Ergebenheit, nicht auf Fähigkeiten:<br />
„Als Kommissar für den Bezirk 3 tauchte, zu Jessups wütendem<br />
Gelächter, kein anderer auf als John Sullivan Reek, dieser Hohlköpfigste<br />
der Hohlköpfe…, der im Destillierkolben des Windrip’schen Patriotismus<br />
seine zweite Jugend wiedergefunden hatte.“ Der das resümiert ist der<br />
Hauptprotagonist des Romans: Doremus Jessup, ein Mittelstands-Intellektueller,<br />
Besitzer und Herausgeber des „Daily Informer“. Seine journalistische<br />
Ehre lässt ihn tapfer gegen den neuen Herrscher anschreiben, so<br />
sind die Konflikte vorprogrammiert.<br />
Derweil rüstet der Präsident<br />
zum Krieg gegen Mexiko<br />
und seine Spitzel und<br />
Sturmtruppen verbreiten<br />
Angst und Schrecken im<br />
Land. Von dem versprochenen<br />
Grundeinkommen ist die<br />
Rede schon lange nicht mehr.<br />
Die Errichtung von Konzentrationslagern<br />
nimmt Fahrt<br />
auf. Es ist nur eine Frage der<br />
Zeit, bis es Doremus trifft und<br />
er abgeholt wird: „Er war hilflos…<br />
eingekeilt, und seine Ohnmacht gegen den wilden Fahrer schien nur<br />
ein Teil seiner Ohnmacht gegen die Macht des Diktators – ihm geschah<br />
dies, der so fest daran geglaubt hatte, dass seine Würde und soziale Sicherheit<br />
ihn erhaben machten über Gesetz und Richter und Polizisten,<br />
über alle Gefahr und Not des gewöhnlichen Sterblichen.“ Der Journalist<br />
erkennt, dass aber auch solch gewissenhafte, ehrbare Menschen wie er<br />
selbst „den Demagogen das Tor geöffnet haben, weil sie sich nicht heftig<br />
genug widersetzten.“<br />
Die 433 Seiten lesen sich wie eine Reportage auf die aktuelle politische<br />
Brisanz der Gegenwart. Dass die Handlung am Ende hoffnungsvoll<br />
ausgeht, tröstet kaum. Vielleicht hätte allein dieses Buch nicht für den<br />
Nobelpreis gereicht, obgleich es nicht ohne Humor geschrieben ist und<br />
seine Gedankenklarheit den Sätzen Treffsicherheit verleiht. Und Lewis<br />
schreibt mit dem Erschrecken darüber, dass vieles, was in dieser Welt geschieht,<br />
falsch ist. Eine bemerkenswerte Wiederentdeckung! Dem Aufbau-Verlag<br />
sei Dank.<br />
[Barbara Kaiser]<br />
www.barftgaans.de | <strong>August</strong>/<strong>September</strong> <strong>2017</strong><br />
Der Autor Sinclair Lewis.<br />
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