14.08.2017 Aufrufe

Barftgaans August/September 2017

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

EINFACH UNGLAUBLICH!<br />

Sinclair Lewis beschreibt die USA von 1935 und wir denken dabei an heute<br />

Es ist ja so einfach, über andere den Kopf zu schütteln. Und der Spruch:<br />

Bei uns wäre das niemals möglich, verrät doch nur eine Arroganz, die<br />

den anderen mangelnde Souveränität, gar Dummheit unterstellt. So<br />

schauen wir derzeit übern Ozean mit Belustigung oder Ärger und der<br />

Frage, wohin Donald Trump, dieser Elefant im Porzellanladen der Diplomatie,<br />

das Land führen wird. Ein Land, das eine der ältesten Verfassungen<br />

hat, säkular und selbstbewusst: „We the people“.<br />

Keiner weiß, wohin „America first“ steuert, was diesem autokratischen<br />

Präsidenten, der am liebsten twittert und Dekrete unterschreibt, als<br />

nächstes einfallen wird. Wir reiben uns die Augen und sagen, das kann er<br />

doch nicht machen! Doch, kann er. Sein Kumpel im Geiste am Bosporus<br />

gibt vielleicht die eine oder andere Steilvorlage?<br />

Es ist 80 Jahre her, da hat der Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis<br />

aufgeschrieben, wohin sein Land treiben könnte mit einem solchen Präsidenten.<br />

Der Titel: „It can’t happen here“ – Das ist bei uns nicht möglich.<br />

Das Buch erschien im Jahr 1937 und Lewis warnte damit seine Landsleute<br />

vor zu großer moralischer Überheblichkeit angesichts der Entwicklungen<br />

in Nazi-Deutschland. So lange Zeit später staunt man über die genaue<br />

Beobachtungsgabe des Autors, der eine Dystopie, ein Schreckensbild,<br />

entwarf. So, als täte er es aus heutiger Sicht.<br />

Zum Inhalt: Mit den schönsten Wahlversprechen lässt sich Buzz Windrip<br />

zum Präsidenten wählen. Er verspricht allen reinrassigen (!) Amerikanern<br />

ein Grundeinkommen von 5000 Dollar (und die machen daraufhin<br />

fleißig Schulden), ist ein Schauspieler der Politik und auch sonst,<br />

„mit sicherem Instinkt für das, was der einfache Mann aus dem Volk zu<br />

hören liebt“, begabt. Kaum an der Macht, vereint er Exekutive und Legislative<br />

in seiner Hand und regiert durch. Acht regionale Provinzen, die der<br />

Kontrolle des Präsidenten unterstehen, ersetzen die bisherigen Bundesstaaten.<br />

Seine Personalauswahl setzt auf Ergebenheit, nicht auf Fähigkeiten:<br />

„Als Kommissar für den Bezirk 3 tauchte, zu Jessups wütendem<br />

Gelächter, kein anderer auf als John Sullivan Reek, dieser Hohlköpfigste<br />

der Hohlköpfe…, der im Destillierkolben des Windrip’schen Patriotismus<br />

seine zweite Jugend wiedergefunden hatte.“ Der das resümiert ist der<br />

Hauptprotagonist des Romans: Doremus Jessup, ein Mittelstands-Intellektueller,<br />

Besitzer und Herausgeber des „Daily Informer“. Seine journalistische<br />

Ehre lässt ihn tapfer gegen den neuen Herrscher anschreiben, so<br />

sind die Konflikte vorprogrammiert.<br />

Derweil rüstet der Präsident<br />

zum Krieg gegen Mexiko<br />

und seine Spitzel und<br />

Sturmtruppen verbreiten<br />

Angst und Schrecken im<br />

Land. Von dem versprochenen<br />

Grundeinkommen ist die<br />

Rede schon lange nicht mehr.<br />

Die Errichtung von Konzentrationslagern<br />

nimmt Fahrt<br />

auf. Es ist nur eine Frage der<br />

Zeit, bis es Doremus trifft und<br />

er abgeholt wird: „Er war hilflos…<br />

eingekeilt, und seine Ohnmacht gegen den wilden Fahrer schien nur<br />

ein Teil seiner Ohnmacht gegen die Macht des Diktators – ihm geschah<br />

dies, der so fest daran geglaubt hatte, dass seine Würde und soziale Sicherheit<br />

ihn erhaben machten über Gesetz und Richter und Polizisten,<br />

über alle Gefahr und Not des gewöhnlichen Sterblichen.“ Der Journalist<br />

erkennt, dass aber auch solch gewissenhafte, ehrbare Menschen wie er<br />

selbst „den Demagogen das Tor geöffnet haben, weil sie sich nicht heftig<br />

genug widersetzten.“<br />

Die 433 Seiten lesen sich wie eine Reportage auf die aktuelle politische<br />

Brisanz der Gegenwart. Dass die Handlung am Ende hoffnungsvoll<br />

ausgeht, tröstet kaum. Vielleicht hätte allein dieses Buch nicht für den<br />

Nobelpreis gereicht, obgleich es nicht ohne Humor geschrieben ist und<br />

seine Gedankenklarheit den Sätzen Treffsicherheit verleiht. Und Lewis<br />

schreibt mit dem Erschrecken darüber, dass vieles, was in dieser Welt geschieht,<br />

falsch ist. Eine bemerkenswerte Wiederentdeckung! Dem Aufbau-Verlag<br />

sei Dank.<br />

[Barbara Kaiser]<br />

www.barftgaans.de | <strong>August</strong>/<strong>September</strong> <strong>2017</strong><br />

Der Autor Sinclair Lewis.<br />

13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!