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Altlandkreis Ausgabe November/Dezember 2017 - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel

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Traumabewältigung <strong>für</strong> Rettungskräfte<br />

Wegen Schweißausbrüchen<br />

und Wut zur Seelsorge<br />

<strong>Altlandkreis</strong> | Unfälle mit Todesfolge<br />

sind nicht nur <strong>für</strong> Angehörige der<br />

Unfallopfer eine große Belastung.<br />

Auch Rettungs- und Einsatzkräfte,<br />

die Tag und Nacht ausrücken,<br />

müssen das Erlebte trotz spezieller<br />

Ausbildung erst mal – und vor allem<br />

immer wieder – verkraften. Je<br />

nach Schwere des Vorfalls klappt<br />

das nicht immer ohne professionelle<br />

Hilfe. Eine Möglichkeit <strong>für</strong><br />

Notärzte, Feuerwehrleute und<br />

Polizisten, sich von traumatischen<br />

Erlebnissen zu erholen: Der direkte<br />

Kontakt zu Seelsorgern. Angelika<br />

Zwerger, 51, Studium in<br />

Theologie und Sozialpädagogik,<br />

arbeitet seit 14 Jahren als Polizeiseelsorgerin.<br />

Sie sitzt in einem<br />

kleinen Büro der Polizeidienststelle<br />

Murnau, betreut<br />

von dort Beamte im Gebiet<br />

des Polizeipräsidiums Oberbayern<br />

Süd, unter anderem<br />

auch die Schongauer,<br />

Weilheimer und Garmisch-<br />

Partenkirchener. Mit die<br />

schwerste Aufgabe ihres Klientels<br />

ist die Überbringung<br />

einer Todesnachricht. „Wenn<br />

eine schwangere Ehefrau die<br />

Haustüre aufmacht und ein<br />

kleines Kind im Hintergrund<br />

steht und nach dem Papa frägt,<br />

lässt das nieman<strong>den</strong> mehr kalt“,<br />

sagt Angelika Zwerger.<br />

Mögliche Folgen: Schweißausbrüche,<br />

Albträume, Konzentrationsschwierigkeiten,<br />

Schuldgefühle,<br />

Wut, Panik, Unsicherheit, Rastlosigkeit,<br />

Depressionen. 27 solcher<br />

Symptome, unterteilt in kognitive,<br />

physische, emotionale und auf<br />

der Verhaltensebene basierende<br />

stehen auf Zwergers Belastungsreaktions-Liste.<br />

Und alle 27 sind<br />

Anzeichen, die nach heftigen Erlebnissen<br />

völlig normal sind. Die<br />

Frage ist nur: Wie geht der Betroffene<br />

damit um? Und wie lange<br />

halten die Symptome an? Sollten<br />

sie nach vier bis sechs Wochen<br />

nicht nachlassen, handelt es sich<br />

um eine posttraumatische Störung.<br />

„Dann ist es unter anderem<br />

meine Aufgabe, weiterzuvermitteln“,<br />

sagt Zwerger, die ihre Klienten<br />

letztlich zu hochprofessionellen<br />

Psychologen schickt. Wobei<br />

das „Gott sei Dank“ eher selten<br />

notwendig sei.<br />

Re<strong>den</strong> hilft, um Bilder<br />

zu verarbeiten<br />

<strong>Das</strong> bestätigt auch Dirk Wollenweber.<br />

Der in Peiting lebende evangelische<br />

Pfarrer ist seit elf Jahren<br />

Notfallseelsorger <strong>für</strong> Feuerwehrleute<br />

und Rettungskräfte, derzeit<br />

zuständig <strong>für</strong> ganz Südbayern,<br />

somit auch <strong>für</strong> die Kreisbrandinspektion<br />

im Landkreis Weilheim-<br />

Schongau. Immer dann, wenn Verkehrsunfälle<br />

oder Brände extreme,<br />

meist tödliche Folgen haben, ist er<br />

nicht nur als aktiver Feuerwehrmann<br />

vor Ort, sondern auch als<br />

Seelsorger <strong>für</strong> die Einsatzkräfte.<br />

Wie oft seine Hilfe als Seelsorger<br />

von <strong>den</strong> Ehrenamtlichen in Anspruch<br />

genommen wird, möchte<br />

er aus Diskretions-Grün<strong>den</strong> nicht<br />

verraten. „Die Feuerwehrleute<br />

haben mein absolutes Vertrauen“,<br />

sagt er. Niemand werde erfahren,<br />

mit wem er wo und wie lange<br />

über welch traumatisches Erlebnis<br />

spricht. Wichtiger sei, dass gesprochen<br />

wird. Denn Re<strong>den</strong> hilft, ist<br />

die effektivste Methode, um Bilder<br />

von Toten oder Schwerstverletzten<br />

schneller zu verarbeiten. Einfach<br />

re<strong>den</strong>? Was nach einer einfachen<br />

Lösung klingt, gestaltet sich häufig<br />

als sehr schwierig.<br />

Der Knackpunkt im Vier-Augengespräch<br />

sei laut Polizeiseelsorgerin<br />

Angelika Zwerger, dass der Gegenüber<br />

es schafft, sich zu öffnen<br />

und ehrlich über seine Gefühle<br />

spricht, sie nicht unterdrückt. Da<strong>für</strong><br />

wählt sie auch gerne mal einen<br />

außergewöhnlichen Gesprächsort,<br />

der das Überwin<strong>den</strong> möglicher<br />

Hemmschwellen erleichtert. Zum<br />

Beispiel <strong>den</strong> Weg auf einen Berg.<br />

Unvergessen: „Ich habe gemerkt,<br />

dass der Kollege ständig vor seinen<br />

Gefühlen wegläuft, bis wir auf<br />

eine Lichtung zugegangen sind,<br />

wo auch noch der Weg zu Ende<br />

war.“ An exakt dieser Stelle, an der<br />

kein weiteres Ausweichen mehr<br />

möglich war, redete sich der Polizist<br />

plötzlich all sein Lei<strong>den</strong> von<br />

der Seele – der wichtigste Schritt<br />

<strong>für</strong> eine Wendung zum Guten.<br />

Wie eine<br />

Schürfwunde<br />

Egal ob auf dem Weg zum Gipfel,<br />

in ihrem Büro in Murnau oder in<br />

<strong>den</strong> Räumlichkeiten des Regionalzentrums<br />

in Weilheim, wo<br />

sich Zwerger regelmäßig <strong>für</strong> Gespräche<br />

einmietet – die Art und<br />

Weise des Gesprächs führt Angelika<br />

Zwerger stets nach ähnlichem<br />

Muster. Zunächst versucht sie<br />

herauszufin<strong>den</strong>, welche Erfahrung<br />

die traumatisierte Person,<br />

privat wie beruflich, mit Extrem-<br />

Situationen wie der Konfrontation<br />

mit einem Toten bereits gemacht<br />

hat und wie sie damals mit dieser<br />

Situation umgegangen ist.<br />

Anschließend bittet sie, <strong>den</strong> belasten<strong>den</strong><br />

Einsatz zu beschreiben.<br />

„Es ist wichtig zu wissen, was bei<br />

einem Unfall wirklich passiert ist.“<br />

Schließlich bekommt der Polizist,<br />

der die Unfallstelle absichert,<br />

Bilder schwerer Verkehrsunfälle sind auch <strong>für</strong><br />

Rettungskräfte nicht einfach wegzustecken.<br />

40 | der altlandkreis

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