Altlandkreis Ausgabe November/Dezember 2017 - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Einzigartige Sammlung von Jörg Drescher<br />
„Die Puppen wieder<br />
zum Leben erwecken“<br />
„Bimboline“ kann<br />
die Trompete ansetzen<br />
und ihre Augen aufund<br />
zumachen.<br />
Peißenberg | Über <strong>den</strong> exakten<br />
Wert seiner Puppen möchte Jörg<br />
Drescher gar nicht erst sprechen.<br />
Allein deshalb, „weil es wenig<br />
Sinn macht, da es deutschlandweit<br />
keine vergleichbaren Exemplare<br />
gibt“. Mehr als 500 Stabpuppen<br />
besitzt der 74-Jährige, der bis 1996<br />
noch selbst mit seinen Eltern und<br />
der familieneigenen Bühne durch<br />
Deutschland getourt ist, um in<br />
Schulen, Theatern sowie TV-Studios<br />
die Puppen tanzen, dirigieren,<br />
fliegen und sprechen zu lassen.<br />
Doch so einzigartig und beliebt<br />
diese Aufführungen auch waren –<br />
der Verdienst bei drei bis vier Auftritten<br />
pro Woche war dem gebürtigen<br />
Berliner dann doch zu wenig,<br />
um damit seine fünfköpfige Familie<br />
zu ernähren. So war Jörg Drescher<br />
bereits Ende der 1960er mehr oder<br />
weniger gezwungen, seine Lei<strong>den</strong>schaft<br />
„aus privaten Grün<strong>den</strong>“<br />
hauptberuflich an <strong>den</strong> Nagel zu<br />
hängen. Er lernte Drogist. „<strong>Das</strong> war<br />
damals keine leichte Entscheidung,<br />
da es mir immer wahnsinnig viel<br />
Spaß gemacht hat“, sagt er rückblickend.<br />
Inzwischen sind auch seit<br />
der allerletzten nebenberuflichen<br />
Aufführung 21 Jahre vergangen.<br />
Und die Puppen hängen noch immer.<br />
Ein Großteil in Kaufbeuren, im<br />
größten Puppenmuseum Deutschlands,<br />
ein kleinerer im Foyer des<br />
Weilheimer Stadttheaters. Der Rest<br />
seiner rund 60 Zentimeter großen<br />
Stabpuppen mit Innenführung ist<br />
jedoch nicht <strong>für</strong> die Öffentlichkeit<br />
zu bestaunen. Er wird in seinem<br />
ruhig gelegenen Wohnhaus nahe<br />
der Ammer in Peißenberg aufbewahrt.<br />
Und auch zum Einsatz<br />
kommen nur noch wenige seiner<br />
prachtvollen Figuren, und das selten.<br />
„Für ein paar private Auftritte,<br />
ansonsten machen wir nichts<br />
mehr“, sagt Jörg Drescher, der zum<br />
Beispiel <strong>für</strong> 50 Jahre Weilheimer<br />
Schlaraffen die Puppen nochmals<br />
im Weilheimer Stadttheater aufführte.<br />
In Zukunft aber möchte<br />
er sich wieder intensiver um das<br />
Puppenspiel kümmern. Sein Traum<br />
wäre eine Interessensgemeinschaft<br />
<strong>für</strong> Puppenspielerei, Räumlichkeit<br />
<strong>für</strong> Museum, Bühne und Tribüne<br />
inklusive. „Am besten in Weilheim,<br />
weil wir dort mit unseren damaligen<br />
Weilheimer Puppenspielen am<br />
tiefsten verwurzelt sind.“<br />
Bildungsauftrag der<br />
Regierung<br />
Angefangen hat die Puppenspielerei<br />
im Hause Drescher unmittelbar<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
Jörgs Vater Karl-Heinz Drescher,<br />
gelernter Bildhauer, Künstler und<br />
Visionär, baut Puppen, Bühne und<br />
Bühnenbilder. Jörgs Mutter Hildegard<br />
zieht voll mit, näht unter<br />
anderem die Puppenkostüme. Die<br />
allererste Aufführung des Ehepaars<br />
findet am 8. <strong>Dezember</strong> 1948 im<br />
Lidl-Saal in Rottach-Egern statt, wo<br />
das damals noch junge Paar aus<br />
Berlin hingezogen war. <strong>Das</strong> Stück<br />
heißt „Kasperls Abenteuer am<br />
Weihnachtsabend“. Und es kommt<br />
ebenso blen<strong>den</strong>d beim Publikum<br />
an wie Dreschers Idee, mit seinen<br />
Puppen, Stücken und seiner gut<br />
verstaubaren Bühne von Ort zu Ort<br />
zu ziehen. Fortan leben Jörg Dreschers<br />
Eltern ihren Traum vom mobilen<br />
Puppenspiel, erhalten schon<br />
bald eine Genehmigung von der<br />
Regierung von Oberbayern, auch<br />
an Schulen auftreten zu dürfen.<br />
Dabei geht es <strong>den</strong> Dreschers nicht<br />
nur um humorvolle Unterhaltung.<br />
Auch gesellschaftskritische Themen<br />
wie Tier- und Naturschutz – zum<br />
Beispiel „<strong>Das</strong> letzte Moos“ – sind<br />
Teil ihres Puppenspieler-Repertoires,<br />
das nur selten an Bücher<br />
und Filme angelehnt ist, überwiegend<br />
aus hauseigener Feder<br />
stammt. „Gerade in <strong>den</strong> Schulen,<br />
hauptsächlich Grundschulen, wollten<br />
wir die Mädchen und Buben<br />
nicht nur unterhalten, sondern<br />
ihnen auch etwas <strong>für</strong>s Leben beibringen“,<br />
sagt Jörg Drescher, der<br />
erstmals in <strong>den</strong> 1960er Jahren sich<br />
56 | der altlandkreis