Festspielzeit Sommer 2017 Extra
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />
großartig komischen Situationen,<br />
die Beaumarchais erfunden und<br />
Mozart durch die Musik vertieft und<br />
pointiert hat.<br />
Schauen wir uns diese Verwicklungen<br />
etwas näher an: Es gibt eine enttäuschte<br />
Gräfin, einen zudringlichen<br />
Grafen, ein heiratswilliges Angestelltenpaar,<br />
einen lustgeladenen Pubertierenden,<br />
ein sich notgedrungen<br />
wiederfindendes Paar. Wie lassen<br />
sich diese Gefühlswelten heute auf<br />
die Bühne bringen?<br />
Nur durch Einsatz aller musikalischen,<br />
emotionalen und komödiantischen<br />
Ressourcen, die wir<br />
aufbieten können! Interessant sind<br />
die tiefen, in ihrer Vielschichtigkeit<br />
aber unscharfen emotionalen<br />
Bedürfnisse der Figuren. Vor allem<br />
Frauen schenkt Mozart vieldimensionale<br />
Gefühlswelten, die bei den<br />
Männern etwas einfacher erscheinen.<br />
Beim genauen Hören der Musik<br />
zeigt sich, dass sich kein schlichtes<br />
Diagramm entwerfen lässt: Die liebt<br />
den; der hat früher mal die geliebt ...<br />
Es ist zum Glück sehr differenziert,<br />
und mitten in Scharade und Verstellung<br />
sind wahrhaftige Gefühle zu<br />
eigentlich verbotenen Adressaten<br />
zu hören. Aus spaßig ausgeklügelter<br />
Intrige wird plötzlich emotionale<br />
Verwirrung und überraschendes<br />
Verlangen. Zielstrebige Umsetzung<br />
von kleinteiligen Täuschungsplänen<br />
steht tief ehrlicher Auseinandersetzung<br />
mit den eigenen Lebenswidersprüchen<br />
gegenüber. Ich suche auch<br />
nach Erkenntnismomenten der Figuren,<br />
in denen ihnen das Missverhältnis<br />
zwischen ihren Sehnsüchten<br />
einerseits und den Kämpfen mit<br />
Billets und Schlüssellöchern andererseits<br />
bewusst wird.<br />
Den Schlüssel zur Tür dieser<br />
schönen Kompliziertheit lieferte<br />
mir übrigens eine von mir schlau<br />
entdeckte vermeintliche dramaturgische<br />
Schwachstelle des<br />
zweiten Aktes: Kaum der Entdeckungsgefahr<br />
des eingeschlossenen<br />
Cherubinos im Kabinett entronnen,<br />
outen Rosina und Susanna, ohne<br />
sich abzusprechen, den Liebesbrief<br />
an einen imaginären Liebhaber als<br />
Figaros Fälschung, womit sie dessen<br />
sorgfältig eingefädelte Dreifachintrige<br />
fröhlich und in Terzen schon<br />
im Anfangsstadium in die Tonne<br />
treten und ihn außerdem sicherer<br />
Bestrafung ausliefern. Warum?<br />
Leichtsinn, Naivität? Oder verlieren<br />
sie und auch Mozart nicht vielmehr<br />
für einen Augenblick Interesse und<br />
Lust an der Verstellungskomödie<br />
und wollen für einen Moment nicht<br />
akzeptieren, Liebe und Glück erkämpfen<br />
zu müssen, indem sie ihren<br />
Geliebten Fallen stellen und Lehren<br />
erteilen, bevor sie gleich darauf die<br />
nächste situative Verwicklung zu<br />
meistern gezwungen sind?<br />
Wenn das Werk scheinbar perfekt<br />
komponiert ist, wo liegt da der<br />
Spielraum für einen Regisseur? Die<br />
Oper gibt genau vor, wann eine Figur<br />
hinter dem Sessel sitzen oder aus<br />
dem Fenster springen muss, damit<br />
die Szene vorangeht. Sind diese klaren<br />
Vorgaben eine Herausforderung,<br />
eine willkommene Einladung oder<br />
doch eher ein Hindernis?<br />
Handwerklich ist es eine großartige<br />
Herausforderung. Es ist ganz<br />
klar zu ermitteln, wer was von wem<br />
weiß und wer wen wann nicht sehen<br />
oder hören darf. Worauf achtet<br />
Almaviva, wenn er in Anwesenheit<br />
Figaros Susanna und Rosina, die<br />
Gräfin, verhört, während er auf<br />
seine »Geheimwaffe« Marcellina<br />
wartet? Das ist gar nicht so einfach<br />
zu spielen, schon ohne Gesang. Da<br />
gilt es erst einmal, dem gerecht<br />
zu werden, was geschrieben bzw.<br />
komponiert ist. Darüber hinaus<br />
dürfen die Sängerinnen und Sänger<br />
gemeinsam mit dem Dirigenten und<br />
mir herausfinden, wo die Punkte<br />
und Themen sind, an denen sie sich<br />
selbst mit ihren Figuren verbinden<br />
können. Nur so werden wir dem<br />
Reichtum der Partien gerecht und<br />
geben ihnen die Persönlichkeit, die<br />
die Musik verlangt. Und auch die<br />
Fragen bleiben: Ist Figaro nun Revolutionär<br />
oder gekränkter Wüterich?<br />
Wie wird Susanna zur eigentlichen<br />
Hauptfigur, wo sie doch meist nur<br />
auf die anderen Figuren zu reagieren<br />
gezwungen ist? Wie naiv oder<br />
raffiniert ist Barbarina eigentlich<br />
wirklich?<br />
»Die Arbeit mit einem so<br />
jungen Team ermöglicht<br />
Chancen, die erfahrenere<br />
Kräfte kaum bieten können.«<br />
10<br />
Die Inszenierung entsteht erneut mit<br />
jungen Sängerinnen und Sängern am<br />
Beginn ihrer Karriere. Wie wirkt sich<br />
das auf die Konzeption aus? Schafft<br />
die Tatsache, dass es so junge Sänger<br />
sind, einen besonderen Zugang?<br />
Ja, es eröffnet Chancen, die ein<br />
Opernhaus mit erfahreneren<br />
Kräften kaum bieten kann. Bei Così<br />
fan tutte war die Arbeit mit den<br />
jungen Sängern über weite Strecken<br />
überraschend leicht, weil ich auf<br />
ungewöhnlich große Einsatz- und<br />
Entdeckerfreude traf, was sich mit<br />
dem stimmlichen und darstellerischen<br />
Talent auf schöne Weise<br />
verband. Deshalb habe ich mir<br />
vorgenommen, mich diesmal noch<br />
weniger »abzusichern«, sondern<br />
darauf zu setzen, dass alles von den<br />
Sängerinnen und Sängern darge-