Festspielzeit Sommer 2023 - 1
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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DAS MAGAZIN DER<br />
BREGENZER FESTSPIELE<br />
FESTSPIEL<br />
ZEIT<br />
AUSGABE 3 | BREGENZER FESTSPIELE 19. JULI – 20. AUGUST <strong>2023</strong><br />
»EINE GESELLSCHAFT<br />
KANN SICH WEHREN«<br />
Schauspieler Ulrich Matthes über<br />
Machtmissbrauch und Komik<br />
in Kleists Der zerbrochne Krug<br />
KLEINE DINGE<br />
FÜR DAS GROSSE BILD<br />
Madame Butterfly – von<br />
Wow-Effekten und der<br />
Liebe zum Detail<br />
ES WIRD<br />
»VERY EPIC«<br />
Komponist Philip Venables<br />
und seine queere »Bedtime Story«<br />
für die Werkstattbühne
4<br />
Kleine Dinge für<br />
das große Bild<br />
INHALT<br />
Madame Butterfly – von<br />
Wow-Effekten und der Liebe<br />
zum Detail<br />
12<br />
»Eine Gesellschaft<br />
kann sich wehren«<br />
17<br />
Ayal Adler<br />
Die Komponist:innen<br />
der Orchesterkonzerte<br />
Schauspieler Ulrich Matthes über<br />
Machtmissbrauch und Komik in<br />
Kleists Der zerbrochne Krug<br />
18<br />
Programmübersicht<br />
8<br />
Eine wilde Geschichte<br />
Das Programm der Bregenzer<br />
Festspiele <strong>2023</strong> im Überblick<br />
Ein Blick hinter die Kulissen<br />
von Ernani, der Oper im<br />
Festspielhaus <strong>2023</strong><br />
16<br />
Ein Gebäude<br />
voller Möglichkeiten<br />
Viel geschafft und noch<br />
viel vor: die Großbaustelle im<br />
und um das Festspielhaus<br />
20<br />
Wer ist Okichi?<br />
Ein vielbearbeiteter Stoff in neuer<br />
Umsetzung: Fabián Panisellos<br />
Die Judith von Shimoda<br />
2
22<br />
»Ein Leben zu dritt<br />
könnte möglich sein«<br />
Jana Vettens erste Opernproduktion:<br />
Jules Massenets<br />
Werther<br />
30<br />
»Wir können die<br />
Musik ganz woanders<br />
hintreiben«<br />
Andreas Schett über Franz<br />
Schuberts Die schöne Müllerin<br />
à la Franui<br />
Impressum<br />
BREGENZER FESTSPIELE GMBH<br />
INHALT<br />
Platz der Wiener Symphoniker 1<br />
6900 Bregenz | Austria<br />
T +43 5574 407-5<br />
www.bregenzerfestspiele.com<br />
26<br />
Es wird »very epic«<br />
The Faggots and Their Friends<br />
Between Revolutions: queere<br />
»Bedtime Story« auf der<br />
Werkstattbühne<br />
32<br />
Junge<br />
Tischlerei-Talente<br />
Ein Schauspielstück für<br />
Selbermacher:innen<br />
34<br />
Lehre im<br />
Scheinwerferlicht<br />
Das Festspielhaus Bregenz<br />
sucht die Veranstaltungs-<br />
techniker:innen von morgen<br />
Herausgeber Bregenzer Festspiele GmbH<br />
Intendantin Elisabeth Sobotka<br />
Redaktion Florian Amort, Kathrin Grabher,<br />
Lisa Kloos, Axel Renner<br />
Gestaltung moodley brand identity |<br />
Bregenzer Festspiele – Kathrin Grabher<br />
Druck Vorarlberger Verlagsanstalt GmbH<br />
Lektorat Thorsten Bayer Text<br />
Tex te Jutta Berger (S. 5ff.) | Clemens Räthel (S. 8ff.) | Ö1 (S. 11 u.) |<br />
Ingrid Lughofer (S.13) | Tim Pusnik / red. (S. 16, S. 35) | Florian<br />
Amort (S. 17, S. 20 f., S. 22 ff.) | Axel Krämer (S. 27) | SWR4 (S. 29 l.) |<br />
Elisabeth Merklein (S. 30 ff.) | Lisa Kloos (S. 32 f.)<br />
Abbildungsnachweise Arno Declair (Titelbild – Szene aus<br />
Der zerbrochne Krug, S. 2 m. o., S. 15) | Anja Köhler, andereart<br />
(S. 2 l. o., S. 4, S. 7, S. 32, S. 33) | Christof Hetzer (S. 2 l. u., S. 9) |<br />
Dietrich | Untertrifaller Architekten / Kongresskultur Bregenz<br />
(S. 2 m. u., S. 16) | moodley brand identity (S. 2 r. u., S. 3 l. u., S. 24) |<br />
Michael Pavia (S. 17) | Halie@halie.nl (S. 3 l. o., S. 23) | Frederick<br />
Sams (S. 3 r. u., S. 34) | bobdo (S. 6) | Mathis Fotografie (S. 10) |<br />
Ö1 (S. 11) | Mathias Bothor / photoselection (S. 12) | Niday Picture<br />
Library / Alamy Stock Foto (S. 21 l.) | Dallmayr (S. 21 r.) | Damien<br />
Frost (S. 26) | SWR4 (S. 29) | Bernd Uhlig (S. 3 r. o., 30)<br />
Erschienen im Juni <strong>2023</strong>. Es gelten die AGB<br />
sowie die Datenschutzerklärung der Bregenzer<br />
Festspiele GmbH. Änderungen vorbehalten.<br />
Wir möchten darauf hinweisen, dass uns alle<br />
Geschlechter gleich wichtig sind, selbst wenn es<br />
uns manchmal nicht gelingen sollte, dies auch<br />
schriftlich auszudrücken.<br />
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zu finden sind.<br />
bregenzerfestspiele<br />
bregenzfestival<br />
3
SPIEL AUF DEM SEE
KLEINE DINGE<br />
FÜR DAS<br />
GROSSE BILD<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Spezialeffekte sorgen auf der Seebühne für den Wow-Effekt,<br />
die mit Liebe zum Detail hergestellten Requisiten hingegen schaffen<br />
Atmosphäre und komplettieren das große Bild.<br />
5
SPIEL AUF DEM SEE<br />
In einer kleinen Schatulle bewahrt<br />
Cio-Cio-San, als Geisha Butterfly<br />
genannt, ihre Schätze auf. Es<br />
sind Erinnerungen an ihr früheres<br />
Leben in ihrer traditionellen japanischen<br />
Familie. Kleine Püppchen<br />
erinnern an ihre Ahnen, ein Dolch<br />
an den Selbstmord des Vaters.<br />
Stolz, aber auch wehmütig zeigt sie<br />
die Schatzkiste ihrem Liebsten, dem<br />
US-amerikanischen Marineoffizier<br />
Pinkerton. Der lacht über den alten<br />
Kram, hält die Gefühle seiner jungen<br />
Frau für Sentimentalität und macht<br />
sich über Kultur und Tradition ihres<br />
Heimatlandes lustig. Die Szene<br />
offenbart koloniales Denken des<br />
westlichen Mannes, die Einseitigkeit<br />
der Gefühle in dieser ungleichen<br />
Partnerschaft. Die Betrachtung<br />
eines Gegenstands führt mitten<br />
hinein in die traurige Geschichte<br />
von Cio-Cio-San.<br />
Es sind die kleinen Dinge, die<br />
auf einer Bühne Atmosphäre schaffen.<br />
Sorgsam auf das große Bild<br />
abgestimmte Details »machen<br />
Harmonie und Perfektion spürbar«,<br />
beschreibt Ausstattungsleiterin<br />
Susanna Boehm die Wirkung von<br />
Requisiten. Auch wenn kleine<br />
Ausstattungsdetails mit all ihren<br />
Facetten nicht bis in die letzte Tribünenreihe<br />
sichtbar seien, nehme<br />
das Publikum wahr, ob sie stimmig<br />
seien. Dem Ausstattungsteam, das<br />
aus acht Personen besteht, muss<br />
es gelingen, Wirkung auf eine Entfernung<br />
von 30 bis 50 Metern zu<br />
erzeugen, gleichzeitig müssen<br />
die Requisiten auch einer nahen<br />
Betrachtung bei Foto- und Filmaufnahmen<br />
standhalten.<br />
Jedes Requisit hat seine Entstehungsgeschichte.<br />
Sie beginnt<br />
mit den ersten, grundlegenden<br />
Ideen des Leading Teams, im Falle<br />
der Bregenzer Madame Butterfly<br />
von Regisseur Andreas Homoki,<br />
Bühnenbildner Michael Levine und<br />
Kostümbildner Antony McDonald.<br />
»Bei den ersten Proben sehen sie<br />
dann, dass man manche Dinge<br />
verändern muss, andere Sachen<br />
braucht oder größere Stückzahlen«,<br />
erzählt Boehm und ergänzt<br />
lachend: »Am liebsten hätten sie<br />
das bis zur nächsten Probe, da<br />
geht dann der Wirbel bei uns los.«<br />
Provisorische Requisiten dienen<br />
zur Überbrückung, bis das rundum<br />
passende Stück gefertigt ist.<br />
VON SCHIRMEN<br />
UND BLÜTEN<br />
In großer Zahl waren für<br />
Madame Butterfly asiatisch<br />
anmutende Schirme gewünscht.<br />
Bereits 2021 wurde<br />
mit der Recherche der<br />
Lieferant:innen begonnen.<br />
Massenware aus dem Internet<br />
war nicht brauchbar,<br />
eine New Yorker Firma mit<br />
einem Partnerbetrieb in<br />
Thailand konnte schließlich<br />
liefern, was gebraucht wurde:<br />
Schirme in Spezialgröße<br />
und ohne Kunststoffgriffe.<br />
Den eigens bedruckten<br />
Stoff lieferte jene Firma<br />
in Como, die auch für den<br />
Stoffdruck der Kimonos<br />
verantwortlich war. Bespannt<br />
wurden die Schirme<br />
dann in der Werkstatt der<br />
Bregenzer Festspiele.<br />
Dort werden sie auch – wenn durch<br />
zahlreiche Auftritte in Mitleidenschaft<br />
gezogen – repariert.<br />
Nicht erfüllt werden konnte der<br />
Wunsch nach Kirschblüten. Weil sie<br />
viel zu zierlich und zu leicht für die<br />
Seebühne gewesen wären, waren<br />
Alternativen gefragt. Susanna<br />
Boehm fand Hortensienblüten als<br />
Vorbild und suchte nach passenden<br />
Kunstblumen. Sie ging selbst ans<br />
Werk, bastelte erste Prototypen.<br />
Eine Serie von 500 Kunstblumen<br />
wurde produziert. Größe und Gewicht<br />
mussten für den Bühnenauftritt<br />
sorgfältig ausgetüftelt werden.<br />
»Sie dürfen nicht zu schwer sein,<br />
damit sie nicht herunterplumpsen<br />
wie ein Stein, wenn man sie streut.<br />
Und sie dürfen auch nicht zu leicht<br />
sein, weil sie der leiseste Wind wegblasen<br />
würde.« Damit die Blüten,<br />
die über die steile Bühne verstreut<br />
sind, nicht im See landen, wurden<br />
verborgene Fischernetze gespannt,<br />
die wegrollende Blüten auffangen.<br />
KREATIVE<br />
ORGANISATIONSTALENTE<br />
Kreativität, handwerkliches Geschick<br />
und Mut zu eigenen Ideen<br />
sind Grundvoraussetzungen für<br />
den Beruf der Requisiteurin und des<br />
Requisiteurs. Sehr strukturiert und<br />
organisiert müsse man sein, sagt<br />
Susanna Boehm: »Und man muss<br />
genau arbeiten können, empathisch<br />
und belastbar sein.«<br />
Requisiteur:in ist in Österreich<br />
kein Lehrberuf. Man kann jedoch<br />
nach einer handwerklichen oder<br />
künstlerischen Berufsausbildung<br />
durch Weiterbildung die Berufsbezeichnung<br />
»Geprüfter Requisiteur«<br />
durch die Wirtschaftskammer<br />
bekommen. Wer für ein Musiktheater<br />
arbeiten will, sollte zudem<br />
Musik verstehen, rät Susanna<br />
Boehm, »und zumindest fragmentarisch<br />
Noten lesen können«.<br />
Gefragt seien auch Menschen<br />
mit besonderen Begabungen.<br />
Bewährt habe sich bei der<br />
Arbeit für Madame Butterfly das<br />
Hobby einer Bühnentechnikerin:<br />
6
MADAME BUTTERFLY<br />
60 Schirme wurden für Madame Butterfly in den Werkstätten der Bregenzer Festspiele hergestellt.<br />
der Modellbau. Zusammen mit<br />
ihrem Vater entwickelte sie<br />
das Papierschiffchen, Symbol<br />
für Pinkertons Marineschiff.<br />
Das Schiffchen wird von Butterflys<br />
kleinem Sohn ins Wasser gesetzt.<br />
Eine Herausforderung für die<br />
Requisiteur:innen: Es soll ausschauen<br />
wie ein Papierschiff, muss aber<br />
funktionieren wie ein Modellboot.<br />
Es darf keinen Kiel haben, muss<br />
aber stabil im Wasser liegen, den<br />
Motor darf man weder sehen noch<br />
hören, das Material soll nach Papier<br />
aussehen, darf im Wasser aber<br />
nicht aufquellen oder sich auflösen.<br />
Das Bregenzer Schiffchen wird all<br />
diesen Anforderungen gerecht.<br />
Auch jener, dass jedes Requisit,<br />
das mit dem Seewasser in Berührung<br />
kommt, umweltverträglich<br />
sein muss.<br />
WO FAKE ERWÜNSCHT IST<br />
Die große Kunst der Requisiteur:innen<br />
ist das Täuschen.<br />
Manches ist nur scheinbar, was<br />
man zu sehen glaubt. Auch wenn<br />
es darum geht, Requisiten gleichzeitig<br />
für das Spiel auf dem See<br />
und für Nahaufnahmen der Film-<br />
und Fernsehkameras fit zu machen,<br />
ist man nicht um Ideen verlegen.<br />
»Da muss man dann zu Tricks<br />
greifen«, verrät Susanna Boehm.<br />
Einer davon ist, einen Dolch so<br />
kunstvoll mit Alufolie zu verkleiden,<br />
dass er durch die entsprechende<br />
Beleuchtung aus der Nähe nicht<br />
monströs wirkt und aus der Ferne<br />
dennoch gut sichtbar ist. »Beim<br />
Wort ›Alufolie‹ haben schon manche<br />
Bühnenbildner:innen die Nase<br />
gerümpft«, räumt Susanna Boehm<br />
ein, die gute Wirkung habe aber<br />
noch jeden überzeugt.<br />
Nach getaner Arbeit kommen<br />
die Requisiten an ihren zugedachten<br />
Platz in der Requisitenkammer<br />
oder hinter der Bühne.<br />
Cio-Cio-Sans Ahnenpüppchen<br />
haben einen speziellen Platz.<br />
Sie warten in der Garderobe<br />
der Sängerin auf ihren Auftritt.<br />
Nicht in einem Regal oder in einem<br />
schnöden Karton, nein, im Himmelbett.<br />
Es wurde mit viel Liebe<br />
von den Requisiteur:innen gebaut<br />
und mit feinen Kissen und Decken<br />
ausgestattet. Gefühl spielt bei<br />
Madame Butterfly auch hinter der<br />
Bühne eine große Rolle.<br />
SPIEL AUF DEM SEE<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Giacomo Puccini<br />
Musikalische Leitung<br />
Enrique Mazzola, Yi-Chen Lin<br />
Insze nie rung Andreas Homoki<br />
Bühne Michael Levine<br />
Kostüme Antony McDonald<br />
Wired Aerial Theatre<br />
Bregenzer Festspielchor<br />
Prager Philharmonischer Chor<br />
Wiener Symphoniker<br />
PREMIERE<br />
20. Juli <strong>2023</strong> – 21.15 Uhr<br />
WEITERE VORSTELLUNGEN<br />
siehe Heftmitte<br />
Gute Unterhaltung wünschen<br />
die Hauptsponsoren<br />
7
OPER IM FESTSPIELHAUS<br />
EINE WILDE<br />
GESCHICHTE<br />
Giuseppe Verdi ist bei den Bregenzer Festspielen ein guter Bekannter,<br />
die Seebühne hat dem großen italienischen Opernkomponisten<br />
viele magische Momente zu verdanken. In diesem Jahr feiert seine<br />
kaum bekannte Oper Ernani Premiere im Festspielhaus. Damit am<br />
19. Juli alles glattgeht, laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren.<br />
Ein Blick hinter die Kulissen.
Verdis Oper beginnt in den<br />
Bergen von Aragonien,<br />
spielt zwischenzeitlich<br />
in der unterirdischen Grabkammer<br />
Karls des Großen im Dom zu<br />
Aachen und die Szenerie für das<br />
tragische Finale schließlich bildet<br />
ein hochherrschaftlicher Palast.<br />
Diese Vielfalt der Handlungsorte,<br />
im Theater des 19. Jahrhunderts<br />
einfach durch gemalte Prospekte<br />
im Bühnenhintergrund angedeutet,<br />
braucht im Jahr <strong>2023</strong> eine moderne<br />
Entsprechung. Das Team um Regisseurin<br />
Lotte de Beer sowie Bühnenund<br />
Kostümbildner Christof Hetzer<br />
orientiert sich für ihre Inszenierung<br />
an den Angaben des Librettos,<br />
stellt aber das bei Verdi angelegte<br />
Skizzenhafte der Handlung und der<br />
Charaktere in den Vordergrund.<br />
Dabei werden die Handlungsorte<br />
in eine weniger konkrete Bildsprache<br />
übertragen. Hetzer berichtet:<br />
»Wir sehen am Anfang eine leere<br />
Landschaft, eine rohe Version<br />
einer Commedia-dell’arte-Welt.<br />
Ein Planet, auf dem Figuren hausen<br />
– getrieben von Instinkten<br />
oder von Verlangen.«<br />
Mit fortschreitender Handlung<br />
erwächst auf dem leeren Planeten<br />
Stück für Stück eine eigene Welt,<br />
die den Figuren Handlungsmöglichkeiten<br />
eröffnet, sie gleichzeitig spiegelt<br />
und perspektivisch verändert.<br />
»Aber es sind immer sehr skizzierte,<br />
archetypische Räume und Situationen,<br />
die daraus entstehen. Und die<br />
bieten wiederum Platz für Skizzen<br />
von Personen und Persönlichkeiten«,<br />
berichtet Hetzer. »Eine Skizze<br />
hat eine größere Unmittelbarkeit als<br />
ein ausformuliertes Gemälde.<br />
Am Anfang ist alles trostlos, dann<br />
aber fangen die Figuren an zu<br />
singen und zu kämpfen, um gegen<br />
die Inexistenz anzugehen.« Neben<br />
dem Bühnenbild zeichnet Christof<br />
Hetzer auch für die Kostüme verantwortlich.<br />
Bei Ernani habe er<br />
beides von Beginn an zusammengedacht,<br />
so dass eine in sich schlüssige<br />
Welt entstand.<br />
Die ersten Ideen für die Inszenierung<br />
liegen schon Jahre zurück.<br />
In langen Gesprächen zwischen<br />
Regisseurin und Bühnenbildner<br />
erwuchsen Vorstellungen von Raum<br />
und Figuren. Dabei spielte in den<br />
Überlegungen auch die Materialität<br />
der Ernani-Welt eine zentrale Rolle.<br />
In der Neuinszenierung wird Papier<br />
in Kostüm- und Bühnenbild bedeutsam<br />
in Erscheinung treten,<br />
der Gedanke des Skizzenhaften<br />
also auch im Material umgesetzt.<br />
»Die Idee für das Papier entstand<br />
bei einer Produktion in Paris.<br />
Dort haben uns am Anfang der<br />
Probenzeit Puppenspieler Prinzipien<br />
ihrer Kunst vorgestellt. Dabei<br />
waren einige Puppen aus zusammengeknülltem<br />
Packpapier, die vor<br />
unseren Augen zum Leben erweckt<br />
wurden. Das hat uns umgehauen!<br />
Es war so simpel, so sinnlich, so<br />
spielerisch leicht und trotzdem<br />
so archaisch und kraftvoll.« Von<br />
diesen ersten Überlegungen, über<br />
Zeichnungen und den Bau von<br />
Bühnenbildmodellen konkretisierte<br />
sich die Ausgestaltung des Bühnenraumes<br />
für Ernani – immer in enger<br />
Abstimmung mit dem Team der<br />
Bregenzer Festspiele.<br />
Während die Entstehung und<br />
Konstruktion des Bühnenbildes auf<br />
dem See vor den Augen einer interessierten<br />
Öffentlichkeit vonstattengeht<br />
und fast ein eigenes Schauspiel<br />
ERNANI<br />
9
OPER IM FESTSPIELHAUS<br />
Bühnen- und Kostümbildner<br />
Christof Hetzer<br />
schuf für Ernani eine<br />
archaische Welt, die<br />
den Figuren viel Raum<br />
für Entwicklung bietet.<br />
Nach seinen Zeichnungen<br />
werden in den Werkstätten<br />
die Kostüme und<br />
Kulissenteile gefertigt.<br />
darstellt, finden Planung und Bau<br />
der Kulissen für das Festspielhaus<br />
hinter verschlossenen Türen statt.<br />
Mit großem Aufwand, Blick für<br />
Details und die besonderen Herausforderungen<br />
der Bühne geht das<br />
Team der Bregenzer Festspiele das<br />
Projekt an. »Das erste Treffen mit<br />
Christof Hetzer hatten wir schon<br />
im Mai 2022«, erzählt Christian<br />
Steinschaden, technischer Projektleiter<br />
der Festspiele und verantwortlich<br />
für die Produktionen<br />
im Festspielhaus. Damit bei den<br />
Aufführungen alles reibungslos<br />
laufen kann, ist eine umsichtige und<br />
genaue Planung unerlässlich. Das<br />
gesamte Bühnenbild für Ernani wird<br />
in den Werkstätten der Festspiele<br />
gebaut. Christof Hetzers Entwurf<br />
stellt besondere Herausforderungen<br />
– nicht nur an das Material.<br />
Bühnenbilder müssen oft mehr<br />
können als auf den ersten Blick<br />
ersichtlich. »Von Beginn an müssen<br />
wir beispielsweise Umbauten mit<br />
einplanen, also gewährleisten, dass<br />
die einzelnen Teile so konstruiert<br />
sind, dass wir einen Szenenwechsel<br />
rasch und möglichst geräuschlos<br />
hinbekommen«, bemerkt Christian<br />
Steinschaden und gibt damit Einblicke<br />
in die Vorbereitungen und<br />
die Abstimmung der Arbeiten mit<br />
Christof Hetzer. Das Bühnenbildmodell<br />
wurde bereits im <strong>Sommer</strong><br />
2022 fertiggestellt, im Herbst gab<br />
es dann in Bregenz eine Bauprobe.<br />
»Dabei überprüft man die Dimensionen<br />
des Bühnenbildes, redet<br />
über die praktische Umsetzung<br />
und überlegt, welche Teile aus<br />
welchem Material gefertigt werden<br />
sollen«, berichtet Hetzer. Bestimmte<br />
Materialien – beispielsweise<br />
Papier – könne man nur im Rahmen<br />
einer Festspielproduktion verwenden,<br />
weil die notwendige Reproduzierbarkeit<br />
der Kulissenteile<br />
in einem Repertoirebetrieb<br />
solche Wahlmöglichkeiten gar<br />
nicht zuließe.<br />
Auch Sicherheitsaspekte spielen<br />
bei der Planung eine wichtige Rolle.<br />
So erklärt Christian Steinschaden,<br />
dass sich im ersten Teil von Ernani<br />
ein Bühnenelement über das Portal<br />
fast bis zum Orchestergraben erstrecke.<br />
Um zu gewährleisten, dass<br />
der eiserne Vorhang im Notfall<br />
herunterfahren könne, sei ein<br />
Mechanismus mit zwei pneumatischen<br />
Zylindern installiert, der<br />
auch bei Stromausfall den vorderen<br />
Teil des Bühnenbildes aus dem<br />
Fahrweg drücken würde. »Das ist<br />
vom Zuschauerraum aus nicht zu<br />
sehen und wird sicherlich nicht<br />
zum Einsatz kommen müssen.<br />
Aber eine Aufführung kann nur<br />
stattfinden, wenn der eiserne<br />
Vorhang ungehindert fahren kann.«<br />
Der »Eiserne« – wie er im Theaterjargon<br />
heißt – wurde nach dem<br />
verheerenden Ringtheaterbrand<br />
1881 in Österreich gesetzlich vorgeschrieben.<br />
Er dient dazu, im Brandfall<br />
Bühnen- und Zuschauerraum<br />
voneinander zu trennen, und zählt<br />
heute in jedem Theatergebäude zur<br />
sicherheitsrelevanten Grundausstattung.<br />
Bei anderen Elementen<br />
10
OPER IM FESTSPIELHAUS<br />
geht es darum, eine fragile Optik<br />
zu erzeugen, die jedoch gewährleisten<br />
muss, dass die Sänger:innen<br />
darauf ohne Bedenken spielen,<br />
klettern und kämpfen können. Der<br />
schwerste Teil des Bühnenbildes,<br />
ein skizziertes Zimmer, gefertigt in<br />
Holz- und Papieroptik, benötigt daher<br />
eine nicht sichtbare Unterkonstruktion<br />
aus Holz und Stahl – und<br />
die wiegt stattliche 2,5 Tonnen.<br />
Inzwischen ist der Bau aller Teile<br />
abgeschlossen, die Endmontage hat<br />
begonnen und Anfang Juni erfolgt<br />
die technische Einrichtung – bereits<br />
auf der Bühne im Festspielhaus.<br />
Daraus ergibt sich die einmalige<br />
Situation, dass das Bühnenbild den<br />
Sänger:innen ab dem ersten Probentag<br />
in Bregenz zur Verfügung<br />
steht – an anderen Opernhäusern<br />
ist dies zumeist erst in der letzten<br />
Woche vor der Premiere der Fall.<br />
Zu Probenbeginn im Juni kann das<br />
Ernani-Team also in den Originalkulissen<br />
das Stück zum Leben<br />
erwecken. Für Christof Hetzer keine<br />
Neuigkeit, er kommt heuer zum<br />
dritten Mal nach Bregenz – in diesem<br />
Jahr mit besonderer Vorfreude:<br />
»Wir sind super vorbereitet und<br />
wollen diese tollen Bedingungen bei<br />
den Bregenzer Festspielen nutzen.<br />
Wir werden sehr intensiv daran<br />
arbeiten, uns wilde Sachen auszudenken:<br />
ausgefeilte Kampfszenen<br />
zum Beispiel. Bekanntermaßen ist<br />
das, was spontan und kämpferisch<br />
ausschaut, besonders schwierig<br />
darzustellen und viel, viel Arbeit.<br />
Das wird eine wilde Geschichte.«<br />
ERNANI<br />
Giuseppe Verdi<br />
Musikalische Leitung<br />
Enrique Mazzola<br />
Insze nie rung Lotte de Beer<br />
Bühne | Kostüme Christof Hetzer<br />
Prager Philharmonischer Chor<br />
Bühnenmusik in Kooperation<br />
mit der Stella Vorarlberg<br />
Privathochschule für Musik<br />
Wiener Symphoniker<br />
PREMIERE<br />
19. Juli <strong>2023</strong> – 19.30 Uhr<br />
WEITERE VORSTELLUNGEN<br />
23. Juli – 11.00 Uhr<br />
31. Juli – 19.30 Uhr<br />
Festspielhaus | Großer Saal<br />
ERNANI<br />
KULTURGENUSS MIT Ö1<br />
Von Oper bis Jazz, vom<br />
großen Orchesterkonzert<br />
bis zum Liederabend,<br />
von Worldmusic bis Kammermusik,<br />
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30 österreichischen Festivals<br />
stehen heuer auf dem Programm<br />
von Ö1, darunter drei Konzertmitschnitte<br />
und eine Opernübertragung<br />
von den Bregenzer Festspielen.<br />
Am 19. Juli um 19.30 Uhr<br />
bringt Ö1 Giuseppe Verdis Ernani<br />
live aus dem Festspielhaus Bregenz.<br />
Mit den Wiener Symphonikern,<br />
Dirigent Enrique Mazzola, dem<br />
Prager Philharmonischen Chor und<br />
unter anderem den Sänger:innen<br />
Saimir Pirgu, Igor Golovatenko,<br />
Goran Jurić und Guanqun Yu.<br />
Eine Übersicht aller Übertragungen<br />
finden Sie unter oe1.ORF.at.<br />
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11
THEATER AM KORNMARKT
»EINE GESELLSCHAFT<br />
KANN SICH WEHREN«<br />
DER ZERBROCHNE KRUG<br />
Ulrich Matthes erzählt, warum eine Premiere für ihn wie ein Zwischenbahnhof ist,<br />
was Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug so zeitgemäß macht,<br />
und verrät seine tagesaktuellen Lieblingskomponist:innen.<br />
13
THEATER AM KORNMARKT<br />
Herr Matthes, seit 2004 sind<br />
Sie Ensemblemitglied des<br />
Deutschen Theaters Berlin.<br />
Was ist für Sie das Schönste am Beruf<br />
eines Theaterschauspielers?<br />
Ulrich Matthes: Zweierlei. Da ist die<br />
lange Probenzeit von sechs bis acht<br />
Wochen, in denen man gemeinsam<br />
Umwege gehen kann. Es ist ein Prozess,<br />
von dem alle Beteiligten wissen,<br />
er landet irgendwann an dieser<br />
künstlich festgelegten Station, nämlich<br />
der Premiere. Auf dieses Datum<br />
arbeiten alle hin, in dem Wissen,<br />
dass man das Stück dann jahrelang<br />
spielt. Insofern erreicht man bei der<br />
Premiere einen Zwischenbahnhof,<br />
von dem es im Laufe der Aufführungen<br />
in die unterschiedlichsten<br />
Richtungen weitergeht – mit dem<br />
Gerüst dessen, was man in den<br />
wochenlangen Proben erarbeitet<br />
hat. Diese Art des Suchens nach dem<br />
angemessenen Ausdruck, nach einer<br />
Wahrhaftigkeit, die mit dem Stück<br />
zu tun hat, die sich spiegelt in den<br />
Augen der Regie, das ist das eine<br />
Schöne an meinem Beruf. Das andere<br />
Schöne sind die Energien einer Vorstellung.<br />
Ich habe weit ausgefahrene<br />
Antennen in Richtung des Publikums<br />
und in Richtung meiner Kolleg:innen.<br />
Aus den Energien auf der Bühne<br />
und aus den Energien, die mir aus<br />
dem Zuschauerraum entgegenschwappen,<br />
entsteht die einzigartige<br />
Energie eines Abends.<br />
Anders läuft es bei Film und Fernsehen.<br />
Sie spielten unter anderem<br />
Joseph Goebbels in Der Untergang<br />
und Adolf Hitler in München – Im<br />
Angesicht des Krieges, Sie waren<br />
mehrfach im Tatort zu sehen. Was<br />
ist das Tolle daran, vor der Kamera<br />
zu agieren?<br />
Beim Film bereite ich mich minutiös<br />
vor, den Text kann ich im Schlaf. Und<br />
dann kommt das Augenblickhafte<br />
der Aufnahme, von dem man weiß,<br />
jetzt gilt es, jetzt wird es quasi für<br />
die Ewigkeit festgehalten. Auch<br />
wenn die Einstellung dann wiederholt<br />
wird: Man hat immer das Gefühl,<br />
jetzt gilt’s! Diese Art der Hochkonzentration<br />
ist anders als im Theater,<br />
wo ich eine Bühne für lange Zeit mit<br />
der eigenen Präsenz füllen und bis<br />
in die letzte Reihe dringen muss. Im<br />
Film muss man den Text nur denken<br />
oder fühlen und die Kamera nimmt es<br />
wahr. Im Vertrauen auf diesen Wunderapparat<br />
muss man nichts spielen,<br />
sondern nur in der Situation sein.<br />
Was ist Ihre Grundmotivation als<br />
Schauspieler?<br />
Die Grundmotivation ist seit meinen<br />
fohlenhaften Anfängen absolut<br />
die gleiche geblieben, zum Glück!<br />
Meine Leidenschaft und mein Wille<br />
zur Wahrhaftigkeit, irgendwo glüht<br />
dieser Kern immer noch in mir. Ich<br />
will jetzt nicht zu pathetisch werden,<br />
das verbietet mir schon allein die<br />
Tatsache, dass ich Berliner bin:<br />
Aber ich liebe die Proben, ich liebe<br />
die Vorstellungen, ich liebe die Arbeit<br />
vor der Kamera.<br />
Sie hatten bereits als Kind erste<br />
Fernsehrollen. Wie ging es weiter?<br />
Als ich ungefähr zwölf Jahre alt<br />
war, haben mir meine Eltern das<br />
untersagt, weil sie das Gefühl hatten,<br />
ich werde ein bisschen hochnäsig.<br />
Sie hatten sicher recht! Später studierte<br />
ich meine beiden Lieblingsfächer<br />
Deutsch und Englisch, um<br />
Lehrer zu werden, brach aber nach<br />
fünf Semestern ab. Offenbar ist der<br />
Glutkern in mir ausgebrochen,<br />
und dann bin ich eben doch Schauspieler<br />
geworden und habe es bis<br />
zum heutigen Tage nicht bereut.<br />
Zwei Mal wurden Sie von der Fachzeitschrift<br />
»Theater heute« als<br />
Schauspieler des Jahres gewählt,<br />
Sie erhielten den Bayerischen Filmpreis,<br />
den Deutschen Theaterpreis<br />
»Der Faust«, den Grimme-Preis, die<br />
Goldene Kamera und das Deutsche<br />
Bundesverdienstkreuz. Alles Auszeichnungen<br />
einer großartigen<br />
Karriere. Wie haben Sie auf Ihrem<br />
Weg Entscheidungen gefällt?<br />
Ich bin ein sehr intuitiver Mensch<br />
und bin in den wesentlichen Momenten<br />
meines Lebens immer erstmal<br />
meiner Intuition gefolgt und danach<br />
habe ich darüber nachgedacht.<br />
Sowohl privat als auch beruflich.<br />
Zum Beispiel habe ich mich für<br />
eine Schnitzler-Arbeit – ich liebe<br />
Schnitzler! – mit Christian Petzold<br />
»Generell gilt am Theater:<br />
immer her mit den Tränen,<br />
dem Lachen, den Emotionen.<br />
Raus damit!«<br />
14<br />
entschieden und dafür ein Angebot<br />
aus Hollywood für einen Film mit<br />
Regisseur Peter Weir abgelehnt.<br />
Vielleicht war die Entscheidung im<br />
Nachhinein falsch, aber so hat es<br />
mein Bauch mir nun mal gesagt.<br />
Bei den Bregenzer Festspielen treten<br />
Sie in einer knackigen 90-Minuten-<br />
Inszenierung als Richter Adam in<br />
Heinrich von Kleists Komödie Der<br />
zerbrochne Krug auf.<br />
Mit dieser Rolle geht ein Herzenswunsch<br />
in Erfüllung. Und ein zweites<br />
Schmankerl wurde mir erfüllt durch<br />
die Zusammenarbeit mit Regisseurin<br />
Anne Lenk. Sie nimmt Autor:innen<br />
sehr ernst, tritt ihnen auf<br />
respektvolle Weise gegenüber, holt<br />
sie aber doch ins Heute.
Haben Sie eine:n Liebling unter den<br />
Komponist:innen?<br />
Wenn ich mich festlegen müsste,<br />
würde ich sagen: Mozart. Oha, das<br />
sieht jetzt so aus, als ob ich mich<br />
einschleimen möchte in Österreich.<br />
An anderen Tagen würde ich sagen:<br />
Schubert. Auch ein Österreicher!<br />
Wenn mich ein New Yorker fragt,<br />
würde ich vielleicht sagen: »Was<br />
kost’ die Welt – Gershwin!« Da gibt<br />
es eine Stelle in seinem Klavierkonzert,<br />
da kommen mir immer<br />
die Tränen.<br />
Mit Heinrich von Kleists Der zerbrochne Krug nimmt das Deutsche Theater<br />
Berlin sein Publikum mitten hinein in einen kuriosen Gerichtsstreit. Den Vorsitz<br />
führt der wenig ehrenwerte Richter Adam, gespielt von Ulrich Matthes.<br />
Und heute ist MeToo ein großes<br />
Thema, das uns alle bewegen sollte.<br />
Insofern kann man dieses Stück<br />
nicht mehr so erzählen, wie es bislang<br />
oft üblich war, nämlich als<br />
lustige Geschichte von einem Richter,<br />
der der Eve halt mal ein bisschen<br />
an den Busen gefasst hat, Schwamm<br />
drüber. Adam ist ein übergriffiger<br />
Täter! Eve tut gut daran, dass sie<br />
am Schluss erzählt, wie sich die<br />
Geschichte um den zerbrochenen<br />
Krug wirklich abgespielt hat.<br />
Letztendlich geht es um Machtmissbrauch<br />
und Korruption in<br />
einem Dorf. Dazu ist jedoch eine<br />
gesellschaftliche Struktur nötig,<br />
in der das geschehen kann.<br />
Natürlich, und alle Figuren haben<br />
erstmal Angst vor den beiden Autoritätspersonen,<br />
dem Richter und<br />
dem Gerichtsrat Walter, die bei uns<br />
eine Gerichtsrätin ist. Doch im Laufe<br />
des Stücks wird Adam von allen<br />
anderen Figuren vom Sockel<br />
gestoßen. Ich spiele Adam in dem<br />
Bewusstsein, dass es heute Politiker<br />
gibt, die ihre unendliche Macht missbrauchen<br />
und denken: »Mir passiert<br />
gar nichts«. Trump zum Beispiel.<br />
Im Mikrokosmos des Dorfes stürzt<br />
Adam: Eine Gesellschaft kann sich<br />
also wehren!<br />
Kleists Genie ist es, Anfang des<br />
19. Jahrhunderts ein Stück zu<br />
schreiben, das man im Jahr <strong>2023</strong> –<br />
bis auf eine winzige Stelle – im Originaltext<br />
als Komödie spielen und in<br />
dem man trotzdem einen Täter mit<br />
MeToo bloßstellen kann.<br />
Sind Witz und Komik in Kleists<br />
Freude an Wortspiel und Doppeldeutigkeit<br />
zu finden?<br />
Es gibt wirklich viel zu lachen in<br />
unserer Aufführung. Kleists Text<br />
ist hochmusikalisch, sein Versmaß<br />
berückend schön, jeder Gedankenstrich<br />
hat eine Bedeutung. Ich liebe<br />
Kleist auch deshalb, weil ich musikalisch<br />
bin. Lustig ist auch das sehr gestische<br />
Sprechen: Man unterbricht<br />
sich mitten im Satz oder man hangelt<br />
sich von Einschub zu Einschub.<br />
Ich freue mich, wenn ich Lachen aus<br />
dem Publikum höre. Natürlich ist es<br />
auch schön, wenn die Menschen vor<br />
lauter Rührung schweigen. Generell<br />
gilt am Theater: immer her mit den<br />
Tränen, dem Lachen, den Emotionen.<br />
Raus damit!<br />
Bei den Bregenzer Festspielen dreht<br />
sich – abgesehen von den Aufführungen<br />
des Deutschen Theaters und<br />
des Burgtheaters – alles um Oper,<br />
Musiktheater und Konzerte.<br />
Franz Schuberts Musik erklingt<br />
auch, wenn Sie bei den Festspielen<br />
im Rahmen der Reihe Musik & Poesie<br />
Kleists Das Erdbeben in Chili lesen.<br />
Kleist entwirft in dieser Erzählung<br />
das Ideal einer friedliebenden<br />
Menschheit und zerstört es gegen<br />
Ende radikal. Sie ist eine der irrsten<br />
Geschichten in deutscher Sprache.<br />
Ich habe sie oft vorgelesen, die<br />
Menschen sind sehr bewegt danach.<br />
Bei Schubert ist es dasselbe in<br />
Grün. Er erfand die allerschönsten<br />
Melodien, aber sie führen auch in die<br />
Abgründe der menschlichen Seele.<br />
THEATER AM KORNMARKT<br />
DER ZERBROCHNE KRUG<br />
Heinrich von Kleist<br />
Inszenierung Anne Lenk<br />
Bühne Judith Oswald<br />
Kostüme Sibylle Wallum<br />
Mit Ulrich Matthes,<br />
Jeremy Mockridge, Lorena<br />
Handschin, Franziska Machens,<br />
Lisa Hrdina, Tamer Tahan<br />
und Julia Windischbauer<br />
PREMIERE<br />
21. Juli <strong>2023</strong> – 19.30 Uhr<br />
WEITERE VORSTELLUNGEN<br />
22. & 24. Juli – 19.30 Uhr<br />
Theater am Kornmarkt<br />
Hier geht es zum<br />
Video-Trailer:<br />
DER ZERBROCHNE KRUG<br />
15
EIN GEBÄUDE VOLLER<br />
MÖGLICHKEITEN<br />
DIE SANIERUNG UND ERWEITERUNG DES FESTSPIELHAUSES<br />
SCHREITET ZÜGIG VORAN.<br />
SANIERUNG FESTSPIELHAUS<br />
Ein Gebäude mit vielen Vorteilen,<br />
voller Möglichkeiten und<br />
neuer Energie.« Wolfgang<br />
Urstadt, technischer Leiter der<br />
Bregenzer Festspiele, blickt mit<br />
Überzeugung auf die Großbaustelle<br />
am Bodensee. Seit 10. Jänner 2021<br />
läuft die Sanierung und Erweiterung<br />
des Festspielhauses, das zukünftig<br />
durch eine neue Seethermie-Anlage<br />
mittels Bodenseewasser geheizt<br />
und gekühlt wird. Ein ambitioniertes<br />
Projekt mit straffem Zeitplan.<br />
SCHON VIEL GESCHAFFT …<br />
Der erste Teil des Bauvorhabens ist<br />
schon geschafft. Das neu errichtete<br />
Mehrzweckgebäude wurde bei der<br />
Firstfeier im Jänner der Öffentlichkeit<br />
präsentiert, die Veranstaltungsräume<br />
des Festspielhauses<br />
erstrahlen bereits in neuem Glanz<br />
und die Seetribüne wurde umfassend<br />
saniert. Nach vielen Festspielinszenierungen<br />
auf der Seebühne<br />
haben Bauarbeiter:innen auch die<br />
Klappstühle durch neue ersetzt –<br />
zu Granulat geschreddert erhalten<br />
die Stühle ein neues Leben als<br />
Steckdosen und Autoteile, einige<br />
zu Höherem berufene sollen in der<br />
Gemeinde Wolfurt temporär zum<br />
Kunstwerk werden.<br />
Ein letztes Mal wird das Festspielpublikum<br />
die Werkstattbühne in<br />
diesem <strong>Sommer</strong> über den gewohnten<br />
Zugang betreten. Ab Herbst ist<br />
das neue, rund 300 Quadratmeter<br />
große Foyer für Veranstaltungen<br />
geöffnet, zeitgleich geht auch<br />
Noch Visualisierung: das neue Eingangsfoyer der Werkstattbühne.<br />
das neu errichtete Mehrzweckgebäude<br />
in Vollbetrieb. Neben einer<br />
großen Montagehalle für die Herstellung<br />
der Bühnenbilder bietet<br />
es auch neue Räume für die Festspiel-Werkstätten.<br />
»Die gemeinsame<br />
Arbeitsweise wird durch das<br />
neue Gebäude erheblich erleichtert<br />
und mit der Montagehalle<br />
können wir größtenteils vor Ort<br />
produzieren. Das ist nicht zuletzt<br />
in der Logistik ein immenser Vorteil<br />
für uns«, erläutert Urstadt.<br />
… NOCH VIEL ZU TUN<br />
Während der <strong>Festspielzeit</strong><br />
geht die Baustelle erstmal in<br />
die <strong>Sommer</strong>pause. Im Herbst<br />
wird noch einmal ordentlich<br />
angepackt: Der Küchenbereich<br />
im Festspielhaus wird umgebaut,<br />
die Haus- und Bühnentechnik<br />
überholt und die Seebühne mitsamt<br />
ihrem unter Wasser liegenden<br />
Fundament generalsaniert. Und<br />
natürlich muss auch das Bühnenbild<br />
von Madame Butterfly weichen<br />
und Platz schaffen für Carl Maria<br />
von Webers Der Freischütz. Ob die<br />
Seebühne denn rechtzeitig bis<br />
zum Festspielsommer 2024 fertig<br />
sein wird? »Bisher hat’s zur Premiere<br />
immer irgendwie geklappt«,<br />
bleibt Urstadt seinem Optimismus<br />
treu und lacht. »Natürlich, dass wir<br />
uns den Platz am See diesen Herbst<br />
teilen müssen, wird sicher eine<br />
Herausforderung. Aber auch die<br />
werden wir meistern.«<br />
16
DIE KOMPONIST:INNEN DER ORCHESTERKONZERTE<br />
AYAL ADLER<br />
Im Rahmen des ersten Orchesterkonzerts<br />
am 24. Juli <strong>2023</strong> führen<br />
die Wiener Symphoniker unter<br />
der Leitung von Omer Meir Wellber<br />
mit In Motion, Konzert für Continuo<br />
und großes Orchester, ein neues<br />
Werk des israelischen Komponisten<br />
Ayal Adler auf. Über eine Uraufführung,<br />
die mehr ist als ein kurzer<br />
Flirt mit der Barockmusik.<br />
Ayal Adler liebt die Kombination<br />
von historischen Kompositionstechniken<br />
und Aufführungspraktiken<br />
mit neuen musikalischen<br />
Ausdrucksformen – eine spannende<br />
wie spannungsvolle Mischung aus<br />
Vergangenheit und Gegenwart.<br />
So ist auch sein neues Werk nicht<br />
einfach nur ein Instrumentalkonzert,<br />
sondern eines der besonderen Art:<br />
Denn Omer Meir Wellber wird bei<br />
In Motion nicht nur dirigieren, sondern<br />
zwischen Cembalo und Akkordeon<br />
wechselnd auch den Solopart<br />
übernehmen, der wiederum – ganz<br />
der Ästhetik der Barockmusik verpflichtet<br />
– improvisierende Elemente<br />
aufweist. Auch andere Orchesterinstrumente<br />
wie Trompete oder<br />
Posaune improvisieren in diesem<br />
Stück auf Basis von rhythmischen,<br />
melodischen oder harmonischen<br />
Grundelementen.<br />
Das musikalische Zentrum der<br />
Komposition bildet ein Stück von<br />
François Couperin, das auch in<br />
der Mitte des Konzerts zitiert wird.<br />
Es ist eine Reverenz an den großen<br />
Komponisten des französischen<br />
Barocks, der mit seinen Werken die<br />
Tastenmusik-Literatur auf eine<br />
neue Ebene hob. Aber auch eine<br />
Passacaglia am Ende des Werks<br />
sowie die auf den sich wiederholenden<br />
Basslinien basierenden<br />
nachfolgenden Variationen zeigen<br />
die große Wertschätzung des<br />
Komponisten gegenüber der Musik<br />
der Barockzeit.<br />
Ayal Adler gehört zu den gefragtesten<br />
Komponisten seiner<br />
Generation. Geboren in Jerusalem,<br />
studierte er Klavier und Komposition<br />
am Rubin-Konservatorium in<br />
Jerusalem, später an der Akademie<br />
für Musik und Tanz in Jerusalem,<br />
wo er mittlerweile selbst als Professor<br />
Komposition unterrichtet.<br />
In Anerkennung seiner weltweit<br />
aufgeführten Werke, von solistischen<br />
Stücken bis hin zu großen<br />
Orchesterkompositionen, die<br />
mittlerweile auf fünf Alben zu hören<br />
sind, erhielt er mehrere Preise,<br />
unter anderem den ersten Preis<br />
der International Composition<br />
Competition RMN in London,<br />
den renommierten Prime Minister<br />
Composition Award des Staates<br />
Israel und zweimal den ACUM<br />
Prize. Sein Werk In Motion ist Omer<br />
Meir Wellber gewidmet, mit dem<br />
Adler seit mehreren Jahren befreundet<br />
ist.<br />
Die Orchesterkonzerte<br />
werden präsentiert von<br />
ORCHESTERKONZERT<br />
WIENER SYMPHONIKER<br />
Dirigent | Cembalo | Akkordeon<br />
Omer Meir Wellber<br />
Richard Strauss Tanzsuite nach<br />
Klavierstücken von François<br />
Couperin, Auszüge<br />
Ayal Adler In Motion. Konzert für<br />
Continuo und großes Orchester<br />
(Uraufführung)<br />
Richard Strauss Ein Heldenleben.<br />
Tondichtung für großes Orchester<br />
Es-Dur op. 40<br />
24. Juli <strong>2023</strong> – 19.30 Uhr<br />
Festspielhaus | Großer Saal<br />
ORCHESTERKONZERTE<br />
17
DAS FESTSPIELJAHR<br />
IM ÜBERBLICK<br />
OPER IM FESTSPIELHAUS<br />
ERNANI<br />
Giuseppe Verdi<br />
Musikalische Leitung Enrique Mazzola<br />
Inszenierung Lotte de Beer<br />
19. & 31. Juli – 19.30 Uhr<br />
23. Juli – 11.00 Uhr<br />
SPIEL AUF DEM SEE<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Giacomo Puccini<br />
SPIELPLAN <strong>2023</strong><br />
FESTSPIELGESPRÄCHE<br />
WERKSTATTGESPRÄCH ERNANI<br />
Gäste Künstler:innen der<br />
Oper im Festspielhaus Ernani<br />
Moderation Annette Raschner (ORF)<br />
3. Juli – 20.00 Uhr<br />
Musikalische Leitung Enrique Mazzola,<br />
Yi-Chen Lin<br />
Inszenierung Andreas Homoki<br />
20., 21., 22., 23., 25., 26., 27., 28.,<br />
29. & 30. Juli – 21.15 Uhr<br />
1., 2., 3., 4., 5., 6., 9., 10., 11., 12., 13., 15.,<br />
16., 18., 19. & 20. August – 21.00 Uhr<br />
JUNGE FESTSPIELE<br />
YOUNG PEOPLE’S NIGHT<br />
Ein ganzer Tag für junge Menschen<br />
zwischen 14 und 26 Jahren. Höhepunkt<br />
ist der Besuch des Spiels auf dem See<br />
Madame Butterfly um 21.15 Uhr.<br />
15. Juli – Showprogramm ab 16.00 Uhr<br />
KLOSTERKIRCHE MEHRERAU<br />
FESTMESSE<br />
16. Juli – 10.00 Uhr<br />
Dirigent | Chorleitung Benjamin Lack<br />
Bregenzer Festspielchor<br />
Symphonieorchester Vorarlberg<br />
Gabriel Fauré und André Messager Messe des<br />
pêcheurs de Villerville für Frauenstimmen,<br />
Kammerorchester und Orgel<br />
Freier Eintritt<br />
INNENSTADT BREGENZ<br />
TAG DER WIENER SYMPHONIKER<br />
Es spielen Ensembles der Wiener<br />
Symphoniker<br />
16. Juli – 15.30 Uhr<br />
Ein Projekt mit: Wiener Symphoniker, Kunsthaus<br />
Bregenz, Landeshauptstadt Bregenz und<br />
Bregenz Tourismus & Stadtmarketing<br />
Freier Eintritt<br />
THEATER AM KORNMARKT<br />
DER ZERBROCHNE KRUG<br />
Heinrich von Kleist<br />
Inszenierung Anne Lenk<br />
21., 22. & 24. Juli – 19.30 Uhr<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
THE FAGGOTS AND THEIR FRIENDS<br />
BETWEEN REVOLUTIONS<br />
Ted Huffman | Philip Venables<br />
Musikalische Leitung Yshani Perinpanayagam<br />
Inszenierung Ted Huffman<br />
27. & 28. Juli – 20.00 Uhr<br />
FRANUI ZU GAST<br />
DIE SCHÖNE MÜLLERIN<br />
Franz Schubert | Musicbanda Franui<br />
Musiktheaterabend mit Florian Boesch,<br />
Nikolaus Habjan und der Musicbanda Franui<br />
3. August – 17.00 Uhr<br />
BOCHABELA STRING ORCHESTRA ZU GAST<br />
ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE<br />
Von der Kunst des Trauerns<br />
Dirigent Gerald Wirth<br />
Mit dem Bochabela String Orchestra & Friends<br />
und dem Landesjugendchor VOICES<br />
8. August – 19.30 Uhr
KONZERT IM KUB<br />
Sopran Shira Patchornik<br />
Werke von Éna Brennan u. a.<br />
9. August – 21.00 Uhr<br />
JUNGE FESTSPIELE<br />
BRASS APPASSIONATO<br />
Dirigent Martin Kerschbaum<br />
Absolvent:innen des 6. Internationalen<br />
Blasmusik-Camps<br />
Dozent:innen der Wiener Symphoniker<br />
13. August – 11.00 Uhr<br />
OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />
WERTHER<br />
Jules Massenet<br />
Musikalische Leitung Claire Levacher<br />
Inszenierung Jana Vetten<br />
14., 16., 18. & 19. August – 19.30 Uhr<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
DIE JUDITH VON SHIMODA<br />
Fabián Panisello<br />
Musikalische Leitung Walter Kobéra<br />
Inszenierung Philipp M. Krenn<br />
17. & 19. August – 20.00 Uhr<br />
MUSIK & POESIE<br />
23. Juli – 19.30 Uhr<br />
KLEIST – DAS ERDBEBEN IN CHILI<br />
Lesung Ulrich Matthes<br />
30. Juli – 19.30 Uhr<br />
EHRE – DAS GEKRÄNKTE ICH<br />
Klavier Sergey Tanin<br />
Erzähler Michael Köhlmeier<br />
ORCHESTERKONZERTE<br />
WIENER SYMPHONIKER<br />
24. Juli – 19.30 Uhr<br />
Dirigent | Cembalo | Akkordeon<br />
Omer Meir Wellber<br />
Richard Strauss Tanzsuite nach Klavierstücken<br />
von François Couperin, Auszüge<br />
Ayal Adler In Motion. Konzert für Continuo<br />
und großes Orchester (Uraufführung)<br />
Richard Strauss Ein Heldenleben. Tondichtung<br />
für großes Orchester Es-Dur op. 40<br />
30. Juli – 11.00 Uhr<br />
Dirigent Dirk Kaftan<br />
Charles Ives Central Park in the Dark<br />
Richard Strauss Vier letzte Lieder<br />
Florence Price Symphonie Nr. 1 e-Moll<br />
7. August – 19.30 Uhr<br />
Dirigentin Marie Jacquot<br />
Violine Benjamin Schmid<br />
Maurice Ravel Valses nobles et sentimentales<br />
Grażyna Bacewicz Konzert für Violine und<br />
Orchester Nr. 3<br />
Jean Sibelius Symphonie Nr. 1 e-Moll op. 39<br />
ORCHESTERKONZERTE<br />
SYMPHONIE ORCHESTER VORARLBERG<br />
20. August – 11.00 Uhr<br />
Dirigent Leo McFall<br />
Violine Kian Soltani<br />
Paul Dukas Der Zauberlehrling. Scherzo nach<br />
einer Ballade von Johann Wolfgang von Goethe<br />
Dmitri Schostakowitsch Konzert für Violoncello<br />
und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 126<br />
Antonín Dvořák Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88<br />
SPIELPLAN <strong>2023</strong><br />
6. August – 19.30 Uhr<br />
BRECHT – UND EIN SCHIFF MIT ACHT SEGELN<br />
Sopran Roxane Choux<br />
Lesung Luzian Hirzel<br />
Das ausführliche Programm der Bregenzer<br />
Festspiele <strong>2023</strong> finden Sie auf unserer<br />
Website www.bregenzerfestspiele.com.
WER IST OKICHI?<br />
Auf der Werkstattbühne halten die Bregenzer Festspiele starke Plädoyers für<br />
die Musik der Gegenwart und setzen mit der Uraufführung von Fabián Panisellos<br />
Die Judith von Shimoda ihre enge und fruchtbringende Partnerschaft mit der<br />
Neuen Oper Wien und deren musikalischem Leiter Walter Kobéra fort.<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
Seit 1997 gibt es im Bregenzer<br />
Festspielareal die Werkstattbühne,<br />
eine 45 mal 37 Meter<br />
große, multifunktionale Black Box –<br />
und mit ihr ein einzigartiges Zentrum<br />
für zeitgenössisches Musiktheater<br />
in Österreich. Bereits die<br />
Eröffnungsproduktion im darauffolgenden<br />
Festspielsommer war<br />
eine Uraufführung: die Kammeroper<br />
Nacht von Georg Friedrich<br />
Haas. Seither sind in der Regel zwei<br />
Neuproduktionen pro Festivalsaison<br />
zu erleben. Die Werkstattbühne,<br />
für die gerade ein neues<br />
Foyer gebaut wird, ist eine Erfolgsgeschichte,<br />
worüber sich Festspielintendantin<br />
Elisabeth Sobotka<br />
besonders freut: »Wir wollen<br />
die ganze Bandbreite von zeitgenössischem<br />
Musiktheater präsentieren<br />
– und unser Publikum<br />
folgt der Einladung.«<br />
Opernproduktionen bedürfen<br />
einer langen Vorlaufszeit und so<br />
fanden bereits im August 2019 –<br />
vier Jahre vor der Uraufführung –<br />
erste Gespräche mit dem argentinischen<br />
Komponisten Fabián<br />
Panisello, der Neuen Oper Wien<br />
und den Bregenzer Festspielen<br />
statt. Passend zu Puccinis Madame<br />
Butterfly schlug Panisello als<br />
Librettovorlage Die Judith von<br />
Shimoda vor. Es handelt sich<br />
dabei um eine erst 2006 posthum<br />
veröffentlichte Bearbeitung von<br />
Bertolt Brecht und Hella Wuolijoki<br />
nach dem Schauspiel Nyonin Aishi.<br />
Tōjin Okichi Monogatari (Tragödie<br />
einer Frau. Die Geschichte der<br />
Ausländerin Okichi) von Yamamoto<br />
Yūzō. Die Parallelen zwischen den<br />
beiden Werken sind offensichtlich<br />
und dennoch ist die Bearbeitung<br />
ganz anders.<br />
VIELFACH BEARBEITETER<br />
STOFF<br />
Das 1929 von Yūzō geschriebene<br />
Original erzählt vom ersten<br />
US-amerikanischen Konsul, der<br />
1856 im japanischen Shimoda<br />
eintrifft und bemängelt, dass er<br />
keine einheimische Dienerschaft<br />
bekommt. Als auch noch seine<br />
Gespräche über einen geplanten<br />
Handelsvertrag schwierig verlaufen,<br />
droht er, die Stadt beschießen zu<br />
lassen. Schließlich erklärt sich die<br />
Geisha Okichi bereit, dem Konsul<br />
zu dienen, um ihre Heimatstadt zu<br />
retten. Für ihren Umgang mit dem<br />
Ausländer wird sie jedoch trotz<br />
ihrer Ehe mit einem Japaner geächtet,<br />
verfällt dem Alkohol und wird<br />
wieder Geisha. Brecht sah in diesem<br />
gesellschaftskritischen Stück das<br />
Potential für »eine japanische<br />
Judith« und meinte damit »eine<br />
zu Ende erzählte Geschichte der<br />
großen Heldentat«. Mit dem<br />
Verweis auf die biblische Figur<br />
der Judith betonte Brecht die<br />
Verantwortung der Gesellschaft<br />
für Okichis Entwicklung.<br />
Mit der Uraufführung der Judith<br />
von Shimoda setzen die Bregenzer<br />
Festspiele nicht nur musikalisch,<br />
sondern auch inhaltlich einen Kontrapunkt<br />
zum Spiel auf dem See.<br />
Philipp M. Krenn führt Regie und<br />
zeigt sich begeistert vom Projekt:<br />
»Spannend finde ich zum einen<br />
die Entstehungsgeschichte des<br />
Werks – die Tatsache, dass ein<br />
japanisches Stück zunächst von<br />
Brecht, dann vom Komponisten<br />
und schließlich von mir bearbeitet<br />
wird. Zum anderen: Judith als<br />
starke Frauenfigur, die, von der<br />
Gesellschaft instrumentalisiert,<br />
keine Chance hat, gegen den<br />
Druck ebendieser anzukommen.<br />
Die einzige Lösung, um ihren<br />
Weg zu gehen, ist, sich aus der<br />
Gesellschaft rauszunehmen.«<br />
An der Arbeit reize ihn die Größe<br />
des Schauspielstücks mit den vielen<br />
Rollen und Charakteren: »Es gibt<br />
einige Sänger:innen, die mehrere<br />
Rollen spielen müssen. Ferner ist<br />
es eine Uraufführung, niemand<br />
weiß, wie es am Ende des Tages<br />
klingt oder aussieht.«<br />
HISTORISCHER KONTEXT<br />
Um das Schicksal der im Stück als<br />
»Ausländer-Hure« beschimpften<br />
und verachteten Okichi einordnen<br />
20
Wiener<br />
Melange<br />
Shimoda um 1853. Die japanische Stadt war einer der ersten Vertrags-<br />
häfen, die für den westlichen Handel geöffnet wurden.<br />
zu können, muss man einen Blick<br />
in die Vergangenheit werfen.<br />
Ab 1853 wurde das sich selbst von<br />
der westlichen Welt abschottende<br />
Japan gezwungen, seine Häfen<br />
zu öffnen und Handelsverträge<br />
zu unterzeichnen, in erster Linie<br />
mit den Vereinigten Staaten.<br />
Die Folgen waren eine Inflation im<br />
Land und ein sich zunehmend verschärfender<br />
Hass auf Ausländer<br />
in der Bevölkerung. Als Townsend<br />
Harris als erster US-amerikanischer<br />
Botschafter in die Stadt<br />
Shimoda kam und gegen den<br />
Willen der Eliten einen Handelsvertrag<br />
durchsetzen wollte,<br />
wurde die Geisha Okichi zwangsverpflichtet,<br />
für den Diplomaten<br />
den Haushalt zu machen. Sie<br />
wurde jedoch nach nur drei Tagen<br />
krank, verließ ihre Anstellung und<br />
wurde dennoch von der Gesellschaft<br />
für den kurzen Dienst bei<br />
einem Ausländer verachtet und<br />
verschmäht.<br />
In der Oper bleibt sie bei Harris<br />
und kann durch ihre selbstlose<br />
Aufopferung die Bombardierung<br />
ihrer Heimat verhindern. Aber<br />
die Gesellschaft verzeiht auch<br />
hier nicht und treibt Okichi in den<br />
Alkoholismus. Ganz am Ende der<br />
Oper singt sie in Lumpen gekleidet:<br />
»Man hat mich gepeinigt und<br />
genötigt, und jetzt schimpft man<br />
mich Närrin.« Ihr Frust ist mehr<br />
als verständlich und berührt<br />
uns daher als Figur umso mehr.<br />
Ganz ähnlich wie Cio-Cio-San als<br />
Madame Butterfly wird sie verzwecklicht<br />
und am Ende einfach<br />
weggeworfen.<br />
Die historische Okichi ertränkte<br />
sich nach ihrem finanziellen<br />
Ruin im Alter von nicht einmal<br />
50 Jahren im Fluss Inozawa. Ihr<br />
Grab befindet sich im Tempel<br />
Hōfuku-ji in Shimoda, wo auch ein<br />
Museum ihr Schicksal in lebhafter<br />
Erinnerung hält.<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
DIE JUDITH VON SHIMODA<br />
Fabián Panisello<br />
Musikalische Leitung<br />
Walter Kobéra<br />
Insze nie rung Philipp M. Krenn<br />
Bühne | Kostüme | Video<br />
Susanne Brendel<br />
Wiener Kammerchor<br />
amadeus ensemble-wien<br />
PREMIERE<br />
17. August <strong>2023</strong> – 20.00 Uhr<br />
VORSTELLUNG<br />
19. August – 20.00 Uhr<br />
Werkstattbühne<br />
Bertolt Brecht, der eine Zeit<br />
lang in Wien lebte, soll über<br />
die Donaumetropole gesagt<br />
haben, sie sei »um einige Kaffeehäuser<br />
herum gebaut, in denen<br />
die Bevölkerung beisammen sitzt<br />
und Zeitung liest«. Als alternativer<br />
Wohn- und Arbeitsraum war das<br />
typische Wiener Kaffeehaus ganzjährig<br />
von früh bis spät geöffnet.<br />
Hier konnte man stundenlang bei<br />
einer Wiener Melange in Zeitschriften<br />
blättern, eigene Stücke verfassen<br />
oder sich mit Gleichgesinnten<br />
intellektuell austauschen.<br />
Fabián Panisellos Oper Die Judith<br />
von Shimoda ist eine Koproduktion<br />
der Bregenzer Festspiele mit der<br />
Neuen Oper Wien und beruht auf<br />
einem Stück, das von Brecht und der<br />
finnischen Schriftstellerin Hella<br />
Wuolijoki bearbeitet wurde. Wie so<br />
oft in seinen Dramen steht auch hier<br />
eine Frauengestalt im Mittelpunkt,<br />
die sich für die Gemeinschaft aufopfert.<br />
Die Geschichte der Heldentat<br />
wird bis zum bitteren Ende erzählt.<br />
Sie regt zum Nachdenken und<br />
Diskutieren an. Vielleicht bei einer<br />
Tasse Kaffee?<br />
Dallmayr wünscht Ihnen viel<br />
Genuss und eine wunderbare<br />
<strong>Festspielzeit</strong>.<br />
PARTNER DER BREGENZER FESTSPIELE<br />
21
OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />
»WENN ALLE ETWAS<br />
GROSSZÜGIGER WÄREN,<br />
KÖNNTE AUCH EIN LEBEN<br />
ZU DRITT MÖGLICH SEIN«<br />
Mit einer Neuinszenierung von Jules Massenets Werther kehrt die<br />
junge deutsche Regisseurin Jana Vetten nach ihrer Schauspielproduktion<br />
Lohn der Nacht aus dem Jahr 2021 zu den Bregenzer Festspielen zurück.<br />
Im Interview bekennt sie ihre große Liebe zur Romantik, spricht über<br />
das heikle Thema Suizid und darüber, wie sie sich durch ihre erste Opernproduktion<br />
eine neue Herangehensweise an die Regiearbeit aneignete.<br />
22
WERTHER
Johann Wolfgang von Goethes<br />
Briefroman Die Leiden des<br />
jungen Werther ist ein absoluter<br />
Literaturklassiker. Wie sind Sie<br />
zum ersten Mal mit diesem Stoff in<br />
Berührung gekommen?<br />
OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />
Jana Vetten: In meiner Jugend war<br />
ich ein großer Fan des Sturm und<br />
Drang, eigentlich der gesamten<br />
romantischen Literatur, und konnte<br />
Werther in seiner Emotionalität gut<br />
folgen. Während meines Studiums<br />
habe ich dann selbst eine Schauspielfassung<br />
mit drei Spieler:innen<br />
erarbeitet. Wir haben uns damals<br />
auf die unmögliche Liebe und Themen<br />
wie Sehnsucht und Euphorie<br />
gestürzt und versucht zu verstehen,<br />
was das Gefühl des Verliebtseins<br />
ausmacht – und wie dieses Gefühl<br />
so stark werden kann, dass es das<br />
Einzige ist, was das Leben für eine<br />
Person lebenswert macht.<br />
Sie sagten einmal, sie hätten mit<br />
Werther noch eine Rechnung offen.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Mit den Jahren habe ich mehr und<br />
mehr empfunden, dass ich den anderen<br />
Figuren im Roman – Albert und<br />
vor allem dessen Verlobte Charlotte –<br />
mit dieser affirmativen Lesart nicht<br />
gerecht werde. Charlotte formuliert<br />
ihre Bedürfnisse klar, sie werden<br />
aber von Werther ignoriert und er<br />
bezeichnet diese Ignoranz auch<br />
noch als Liebe. Ich möchte mich<br />
jetzt mehr um Charlottes Geschichte,<br />
ihren Schmerz, ihr Weiterleben<br />
konzentrieren. Denn nach jedem<br />
Suizid gibt es Angehörige, die jeden<br />
Tag wieder aufstehen, zur Arbeit<br />
gehen, den Alltag meistern und<br />
hoffentlich irgendwann wieder<br />
Glück finden können. Sie sind aber<br />
von dem Trauma des Suizids für<br />
ihr Leben gezeichnet und müssen<br />
sich oft mit Gefühlen wie Scham<br />
und Schuld auseinandersetzen.<br />
Bei Werther ist das Thema Schuld<br />
besonders stark. Werther versucht<br />
immer wieder, durch emotionalen<br />
Druck, Charlotte dazu zu bringen,<br />
sich zu ihm zu bekennen, was sie<br />
aber verweigert. Wenn er sich<br />
dann das Leben nimmt, ist es für<br />
Charlotte so, als hätte sie ihn in<br />
den Suizid getrieben.<br />
Wie gehen Sie mit dem Thema Suizid<br />
auf der Bühne um?<br />
Ich finde das ein schwieriges Thema,<br />
Suizid auf eine Art zu inszenieren,<br />
die keine Faszination oder »Lust«<br />
auf Nachahmung auslöst. Es gibt ja<br />
sogar den sogenannten Werther-<br />
Effekt, der eine Welle von Suiziden<br />
nach Erscheinen des Romans<br />
beschreibt. Die Oper hat hier<br />
den großen Vorteil, dass wir mit<br />
Abstraktion und Bildern arbeiten<br />
können und nichts eins zu eins<br />
darstellen müssen. Werther singt<br />
24<br />
JANA VETTEN<br />
studierte Regie am Thomas Bernhard<br />
Institut des Mozarteums Salzburg<br />
sowie Performance an der Norwegian<br />
Theatre Academy Fredrikstad und<br />
arbeitet als freie Regisseurin an der<br />
Schnittstelle von zeitgenössischem<br />
Sprechtheater, Tanz und Musik.<br />
Sie lebt in Wien, wo sie auch die Reihe<br />
Salon in Gesellschaft am Schauspielhaus<br />
mitkuratiert und moderiert.
kurz vor seinem Tod die technisch<br />
schwierigste Passage, allein diese<br />
Tatsache befreit mich als Regisseurin<br />
von jedem Realismus. Außerdem<br />
konzentriert sich unsere Inszenierung<br />
auf die Nachkommen und<br />
die Zeugen dieses Suizids. Mich<br />
interessiert das Anschauen, das<br />
Zeuge-Sein, das Aushalten-Müssen<br />
der ganzen Familie um Charlotte.<br />
Welche Rolle spielt dabei Albert<br />
als Charlottes Verlobter?<br />
Ich glaube, dass in einer Gesellschaft,<br />
die weniger streng an ihren<br />
Normen der bürgerlichen Kleinfamilie<br />
festhält und in einer Welt,<br />
in der Werther nicht ganz so besitzergreifend<br />
ist, eine glückliche Beziehung<br />
zwischen Charlotte, Albert<br />
und Werther möglich sein kann.<br />
Albert strahlt Ruhe und Stabilität<br />
aus, Werther hat eine wilde Phantasie<br />
und große Leidenschaft.<br />
Die beiden Männer mögen sich<br />
grundsätzlich auch und finden<br />
vielleicht sogar diese gegensätzlichen<br />
Eigenschaften interessant<br />
und Charlotte trägt beides in sich.<br />
Wenn alle etwas großzügiger wären,<br />
könnte auch ein Leben zu dritt<br />
möglich sein.<br />
Bild für die Sänger:innen oder<br />
Inspiration für Bühne und Kostüme<br />
mit einfließen lassen.<br />
Anders als im Schauspiel gibt es in<br />
der Oper durch die Partitur einen<br />
zeitlich genau festgelegten Ablauf.<br />
Steht dieser Umstand Ihrer Kreativität<br />
im Weg oder können Sie durch<br />
die Musik zu ganz anderen, neuen<br />
Lösungen kommen?<br />
Ich musste für mich eine neue<br />
Herangehensweise an die Regiearbeit<br />
finden. Den Rhythmus eines<br />
Stückes zu bestimmen, war immer<br />
Teil meiner Aufgabe. Ich bin auch<br />
mit Texten und Figuren oft schon<br />
viel freier umgegangen, als es in<br />
der Oper möglich wäre, es geht ja<br />
hier nicht nur um Texte, sondern<br />
auch um Stimmen und Partien,<br />
die nicht einfach eine andere Figur<br />
singen kann. Ich suche jetzt also<br />
meine Freiheit innerhalb der durch<br />
die Musik vorgegebenen Form.<br />
Gerade bei Massenet ist die Musik<br />
auch emotional sehr aussagekräftig,<br />
und darin Momente zu finden, in<br />
denen wir uns darstellerisch und<br />
visuell Raum schaffen, um eine neue<br />
Lesart möglich zu machen, ist eine<br />
sehr spannende Aufgabe.<br />
Ich war schon 2021 mit der Schauspielproduktion<br />
Lohn der Nacht<br />
in Bregenz und habe einen eher<br />
regnerischen, aber sehr intensiven<br />
<strong>Sommer</strong> erlebt. Umso mehr freue<br />
ich mich, viel im See baden zu gehen<br />
und die großartige Stimmung bei<br />
den Festspielen genießen zu können.<br />
Ich finde es sehr inspirierend,<br />
die anderen Produktionen anzuschauen<br />
und neue künstlerische<br />
Handschriften kennenzulernen –<br />
und ich liebe den Kaffee im Bahi.<br />
OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />
WERTHER<br />
Jules Massenet<br />
Musikalische Leitung Claire Levacher<br />
Inszenierung Jana Vetten<br />
Bühne | Kostüme Camilla Hägebarth<br />
WERTHER<br />
Mit Jules Massenets Werther<br />
inszenieren Sie bei den Bregenzer<br />
Festspielen Ihre erste große Oper.<br />
Waren Sie überrascht von dem, was<br />
die Librettisten Édouard Blau, Paul<br />
Milliet und Georges Hartmann aus<br />
der Vorlage machten?<br />
Die Librettisten haben den Briefroman<br />
in eine szenische Handlung<br />
übersetzt, die viel dialogischer und<br />
weniger literarisch ist als Goethes<br />
Roman, der sich oft in langen Beschreibungen<br />
von Naturphänomenen<br />
und Begegnungen ergeht. In der<br />
Oper findet sich viel von Werthers<br />
Emphase in der Musik wieder, nicht<br />
alles muss ausgesprochen werden.<br />
Das eine oder andere sprachliche<br />
Bild habe ich vermisst, aber zum<br />
Glück kenne ich den Roman sehr<br />
gut und kann das als gedankliches<br />
Im Rahmen der Meisterklasse<br />
mit Brigitte Fassbaender konnten<br />
Sie bereits im März die Sänger:innen<br />
des Opernstudios kennenlernen.<br />
Was war ihr Eindruck?<br />
Ich war sehr beeindruckt von der<br />
Arbeit mit Brigitte Fassbaender.<br />
Wir haben es mit sehr talentierten,<br />
interessierten und klugen jungen<br />
Sänger:innen zu tun, die inhaltlich<br />
mitdenken, technisch auf höchstem<br />
Niveau sind und Lust auf Emotionalität<br />
und Figuren haben. Ich freue<br />
mich sehr, sie in der Zusammenarbeit<br />
noch näher kennenzulernen.<br />
Sie waren schon einmal bei den<br />
Bregenzer Festspielen und kommen<br />
nun wieder an den Bodensee zurück.<br />
Worauf freuen Sie sich am meisten?<br />
Kinderchor der Musikmittelschule<br />
Bregenz-Stadt<br />
Symphonieorchester Vorarlberg<br />
PREMIERE<br />
14. August <strong>2023</strong> – 19.30 Uhr<br />
WEITERE VORSTELLUNGEN<br />
16., 18. & 19. August – 19.30 Uhr<br />
Theater am Kornmarkt<br />
FESTSPIELGESPRÄCHE<br />
FESTSPIELFRÜHSTÜCK 2<br />
Im gemütlichen Rahmen des<br />
Festspielfrühstücks spricht<br />
Regisseurin Jana Vetten über ihr<br />
Leben und ihre Arbeit.<br />
Moderation: Jasmin Ölz (ORF)<br />
6. August <strong>2023</strong> – 9.30 Uhr<br />
Frühstück bereits ab 9.00 Uhr<br />
25
26
ES WIRD<br />
»VERY EPIC«<br />
Es geht um nichts weniger als um die Geburt und den Fall des Patriarchats.<br />
Aber spielerisch erzählt. Mit Barockinstrumenten und Folk-Songs.<br />
Philip Venables und Ted Huffmann bringen diesen <strong>Sommer</strong> die<br />
»Faggots and Their Friends« auf die Werkstattbühne.<br />
Seine Lieblingsstelle? Philip<br />
Venables springt vom Sofa<br />
auf und zieht ein Buch mit<br />
rubinrotem Einband aus einem<br />
Regal. Es ist Larry Mitchells 1977<br />
erschienene Erzählung The Faggots<br />
and Their Friends Between Revolutions,<br />
die sich international zum<br />
echten Geheimtipp mauserte. In<br />
Deutschland harrt es bislang noch<br />
seiner Entdeckung. Der in Berlin-<br />
Kreuzberg lebende britische Komponist<br />
blättert einen kurzen<br />
Moment durch die Seiten, bis er<br />
findet, was er sucht. »Diese Szene<br />
mag ich sehr: The men with papers.<br />
Es geht um Geld und Verträge.<br />
Um diese ganze Bürokratie.«<br />
Es ist eine Stelle, an der die Absurditäten<br />
und Attitüden eines von<br />
toxischer Männlichkeit geprägten<br />
Systems in einfachen Sätzen entlarvt<br />
werden. Ramrod: So nennt sich<br />
ein brutales Regime, in dem »die<br />
Männer« nach einer ersten Revolution<br />
die Herrschaft an sich reißen. Sie<br />
unterwerfen Frauen, Schwule und<br />
alle anderen Menschen, die nicht in<br />
ihr heteronormatives Raster passen.<br />
Bald entfremden sich die Unterdrücker<br />
durch ihren Hass von<br />
sich selbst.<br />
Die Männer lieben Papiere. Sie<br />
lieben es, sie zu unterschreiben,<br />
zu archivieren und mit ihnen zu<br />
handeln. Wenn genug Männer,<br />
die von den Männern für wichtige<br />
Männer gehalten werden, ein Papier<br />
unterschreiben, wird es berühmt.<br />
Die Männer glauben, dass bestimmte<br />
Papiere heilig sind und lagern<br />
sie in unterirdischen Verstecken,<br />
wo sie gehortet und beschützt<br />
werden. Wer genug von solchen<br />
Papieren anhäuft, kann reich und<br />
mächtig werden.<br />
Zum Glück gibt es da noch die<br />
»Faggots« und andere Angehörige<br />
queerer Gruppen, die sich in unterschiedliche<br />
Stämme mit phantasievollen<br />
Selbstbezeichnungen aufteilen:<br />
die urbanen »Queens« etwa, die<br />
glauben, dass einzig der persönliche<br />
und ästhetische Stil den Weg zum<br />
wahren Selbst weisen kann. Oder die<br />
esoterisch angehauchten »Fairies«,<br />
die aufs Land fliehen, wo sie Gemüse<br />
anbauen und darauf warten, dass<br />
sich die ökologisch ausgebeutete<br />
Mutter Erde gegen »die Männer«<br />
zur Wehr setzen wird.<br />
Die Fairies verwenden ihre Papiere,<br />
um Feuer zu machen und im<br />
Winter die Bäume einzuwickeln.<br />
Die Faggots werfen ihre Papiere weg,<br />
wenn sie beim Frühjahrsputz den<br />
Wintermuff beseitigen. Die Queens<br />
benutzen ihre Papiere, um sich den<br />
Hintern abzuwischen.<br />
Die »Faggots and Their Friends«<br />
haben sich in ihre Nischen zurückgezogen.<br />
Es sind Communities,<br />
in denen eine anarchische Lebensfreude<br />
herrscht – und wo die<br />
Geflüchteten frei sind von Rollenzwang<br />
und sexueller Repression.<br />
Sie feiern, veranstalten Orgien,<br />
erzählen sich Geschichten und<br />
betätigen sich künstlerisch.<br />
Doch irgendwann wollen sie die<br />
Schikanen ihrer Unterdrücker<br />
nicht mehr hinnehmen. Angestachelt<br />
von den Frauen, mit denen<br />
sie befreundet sind, entschließen<br />
sie sich zur Konterrevolution.<br />
THE FAGGOTS AND THEIR FRIENDS BETWEEN REVOLUTIONS<br />
27
WERKSTATTBÜHNE<br />
»Es geht um die Geburt und<br />
den Tod des Patriarchats«, fasst<br />
Venables die literarische Vorlage<br />
zusammen, aus der er nun eine Oper<br />
komponiert hat. Dazu zählen auch<br />
Aufstieg und Fall des Kapitalismus.<br />
Das klingt erst mal nach harter<br />
Kost, inklusive Brutalität, Gewalt<br />
und Trauma. Zu düster wird es<br />
dennoch nicht: »Die Handlung ist<br />
eine Bedtime Story, eine Gutenachtgeschichte,<br />
phantasievoll<br />
und charmant erzählt. Auf einer<br />
liebevollen und naiven Ebene, wie in<br />
einer Kindergeschichte. So machen<br />
wir das auch bei der Umsetzung in<br />
unserem Bühnenstück. Wir holen<br />
jedoch weiter aus – und fangen mit<br />
der Vor- und Frühgeschichte an.«<br />
Venables weitet die Augen und wirft<br />
mit schelmischem Lächeln die Arme<br />
auseinander: »Es wird very epic!«<br />
Als Venables das Werk vor zehn<br />
Jahren zum ersten Mal in die Hände<br />
bekam, erregte es sofort sein Interesse.<br />
Freunde aus San Francisco, die<br />
der radikalen Fairy-Szene angehörten,<br />
hatten davon erzählt – ganz<br />
ähnlich dem gleichnamigen Stamm<br />
aus der Geschichte: »Bei ihnen<br />
drehte sich alles um Sexpositivität,<br />
Genderfreiheit und ein selbstbestimmtes<br />
Leben in einer ländlichen<br />
Kommune.« Für sie war das Buch<br />
eine Art Bibel. Es ließ ihn nicht mehr<br />
los. Ein paar Jahre später zeigte er<br />
es Ted Huffman, mit dem Venables<br />
bereits zusammengearbeitet hatte.<br />
»Ted und ich waren auf der Suche<br />
nach neuen Ideen. Wir fanden die<br />
kindliche Qualität des Storytellings<br />
super. Es gibt einen Plot, es ist<br />
spielerisch und trotzdem politisch.<br />
Für uns beide als Faggots hat das<br />
auch eine besondere Bedeutung.«<br />
Die Idee entwickelte sich weiter.<br />
Dazu gehört, dass die Figuren aus<br />
Larry Mitchells Geschichte zugunsten<br />
der realen Bühnendarsteller<br />
verschwinden. »Wir haben fünfzehn<br />
Performer:innen, und die spielen im<br />
Endeffekt nur sich selbst. Musiker:innen,<br />
Sänger:innen, Schauspieler:innen<br />
und Tänzer:innen. Wir<br />
wollen, dass sie ihre persönliche<br />
Geschichte einbringen. Alle werden<br />
Teil der Inszenierung sein, auch<br />
die Instrumentalist:innen. Die Sänger:innen<br />
spielen auch auf den Instrumenten,<br />
auch wenn sie das nicht<br />
können. Außerdem wollen wir, dass<br />
es keine Distanz zwischen Bühne<br />
und Publikum gibt. Keine Festspiele<br />
hinter Glas!«<br />
Venables weiß nicht, ob sich alle<br />
aus der Besetzung in weiterem Sinne<br />
als queer bezeichnen, so genau wollten<br />
sie nicht auf den Zahn fühlen.<br />
Aber letztlich war ihm und dem<br />
Regisseur wichtig, dass alle das<br />
Projekt »mit vollem Herzen unterstützen<br />
und sich mit der Politik<br />
identifizieren. Ihre Sexualität oder<br />
Gender-Identität hat für uns keine<br />
große Rolle gespielt.« Was den<br />
politischen Ansatz des Subversiven<br />
betrifft, wollen Philip Venables und<br />
Ted Huffmann die literarische Vorlage<br />
an die Gegenwart anpassen.<br />
»Es ist zwar ein zeitloses Stück,<br />
aber für unsere heutige Zeit zu<br />
schüchtern. Wir werden vor allem<br />
den intersektionalen Aspekt einbeziehen:<br />
Solidarität mit People of<br />
Color und trans Leuten. Wir schwulen<br />
weißen Männer haben ja, wenn<br />
wir ehrlich sein wollen, nicht mehr<br />
so viele Probleme.«<br />
Nur das ursprüngliche Schimpfwort<br />
»Faggot« kam in den Workshops<br />
unterschiedlich an. Ursprünglich<br />
war es als positive Selbstaneignung<br />
gemeint. Die deutsche<br />
Übersetzung »Schwuchtel« klingt<br />
nicht wirklich überzeugend. In der<br />
literarischen Vorlage, die bislang<br />
noch nicht übersetzt wurde, werden<br />
Missverständnisse durch den spielerischen<br />
Umgang mit einer ganzen<br />
Reihe queerer Selbstbezeichnungen<br />
praktisch ausgeschlossen. Venables<br />
geht davon aus, dass das in der<br />
Bühnenversion auch gelingen wird:<br />
»Wir benutzen es vor allem als etwas<br />
Positives, verbunden mit Liebe.«<br />
Musikalisch werden sich Einflüsse<br />
des Barocks bemerkbar machen.<br />
»Es kommen ein Cembalo, eine<br />
Barockharfe und eine Gambe zum<br />
Einsatz, andererseits aber auch<br />
ein Saxophon und ein Schlagzeug.<br />
Wir machen eine Mischung, es gibt<br />
auch Folkmusic, bei der alle aus<br />
dem Cast mitsingen können. Auch<br />
die, die nicht Profisänger sind.<br />
Wir wollten mit diesem Stück eine<br />
esoterische zeitgenössische Oper<br />
schreiben, in der die Musik direkt<br />
und erkennbar ist.«<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
THE FAGGOTS AND THEIR<br />
FRIENDS BETWEEN<br />
REVOLUTIONS<br />
Ted Huffman | Philip Venables<br />
Inszenierung Ted Huffman<br />
Komposition Philip Venables<br />
Musikalische Leitung<br />
Yshani Perinpanayagam<br />
PREMIERE<br />
27. Juli <strong>2023</strong> – 20.00 Uhr<br />
WEITERE VORSTELLUNG<br />
28. Juli – 20.00 Uhr<br />
Werkstattbühne<br />
EINFÜHRUNGSVORTRAG<br />
jeweils 45 Minuten vor<br />
Veranstaltungsbeginn,<br />
freier Eintritt<br />
Auftragswerk der Factory International,<br />
des Festival d’Aix-en-Provence, der<br />
Bregenzer Festspiele, des Southbank<br />
Centre, London und der NYU Skirball.<br />
Eine Produktion der Factory<br />
International für das Manchester<br />
International Festival.<br />
1977 erschien Larry Mitchells<br />
Roman »The Faggots and Their<br />
Friends Between Revolutions«<br />
mit Illustrationen von Ned Asta.<br />
Mehr darüber lesen Sie hier:<br />
28
GANZ VIEL AMORE<br />
UND EIN<br />
HAPPY END!<br />
Vorfreude<br />
aus dem<br />
Festspielshop<br />
SWR4 Baden-Württemberg<br />
ist voller Liebe, vor allem<br />
musikalisch. »All you need<br />
is love«, beschwören die Beatles,<br />
»Nur mit Dir« möchte Helene<br />
Fischer glücklich sein, »How deep<br />
is your love?«, fragen sehnsuchtsvoll<br />
die Bee Gees und Udo Jürgens,<br />
der wünscht »Liebe ohne Leiden«.<br />
Sorry, Udo, aber damit können die<br />
Bregenzer Festspiele in diesem<br />
Jahr leider nicht dienen. Ganz<br />
viel Amore ist dabei, aber die dramatische,<br />
die Liebe mit ganz viel<br />
Leiden – dank Signore Puccinis<br />
Madame Butterfly. Mit Donnerschlag<br />
verlieben, hoffen, leiden,<br />
das Herz brechen – bis der Vorhang<br />
fällt. Wie wäre es denn, nach<br />
so viel »Drama« vor wundervoller<br />
Bodenseekulisse, mit einem<br />
Happy End im Herbst?<br />
Vom 13. bis 15. Oktober findet<br />
das SWR4 Festival in Hüfingen<br />
statt. Ein Rendezvous mit SWR4<br />
Baden-Württemberg im Schwarzwald-Baar-Kreis.<br />
Am Freitagabend<br />
spielen Truck Stop ein<br />
Konzert ihrer 50-Jahre-Tournee,<br />
Samstagabend wird bei der<br />
Schlagerparty mit NDW-Ikone<br />
Markus getanzt und am Sonntag<br />
ist Giovanni Zarrella mit seiner<br />
Band beim GanzNah-Konzert zu<br />
Gast. Und an allen drei Festivaltagen<br />
begrüßt Jörg Assenheimer<br />
nachmittags spannende Persönlichkeiten<br />
aus der Musik- und<br />
Showbranche zum Promitalk.<br />
Wenn innige Liebe und<br />
blindes Vertrauen zum<br />
Tode führen, Feigheit<br />
aber belohnt wird, kann es nur eins<br />
sein: große Oper.« So steht es in<br />
dem kleinen, liebevoll illustrierten<br />
Opernführer Oper einfach erklärt<br />
über Madame Butterfly und eigentlich<br />
wäre damit schon alles gesagt.<br />
Wer dennoch ein bisschen tiefer in<br />
diese und andere Opern eintauchen<br />
möchte, dem sei der Festspielshop<br />
der Bregenzer Festspiele empfohlen:<br />
Dort finden sich neben CDs und<br />
Geschenkartikeln zahlreiche neue<br />
Bücher zur Festspielsaison <strong>2023</strong>, darunter<br />
Textbücher zu den gezeigten<br />
Aufführungen, deren literarische<br />
Vorlagen sowie der erwähnte und andere<br />
Opernführer. Für alle, die gerne<br />
in Erinnerungen schwelgen, gibt es<br />
außerdem vergangene Festspielaufführungen<br />
auf DVD und Blu-Ray.<br />
PARTNER DER BREGENZER FESTSPIELE | SHOP<br />
Der Shop hat online unter<br />
www.bregenzerfestspiele.com<br />
rund um die Uhr geöffnet, an der<br />
Tageskasse im Festspielhaus von<br />
09.00–12.00 und 14.00–17.00 Uhr<br />
(an Werktagen; ab 26. Juni durchgehend,<br />
während der Saison auch<br />
abends bis Vorstellungsbeginn).<br />
Hier die SWR4 App laden!<br />
29
»WIR KÖNNEN<br />
DIE MUSIK GANZ<br />
WOANDERS<br />
HINTREIBEN«<br />
FRANUI ZU GAST
Pünktlich zu ihrem 200. Geburtstag erstrahlt Franz Schuberts Die Schöne Müllerin<br />
in neuen Klangfarben: Zum ersten Mal gestalten die Musicbanda Franui, der<br />
renommierte Liedinterpret Florian Boesch und der gefeierte Regisseur und<br />
Puppenspieler Nikolaus Habjan einen vollständigen Liederzyklus zusammen.<br />
Es ist ein besonderes Näheverhältnis,<br />
das Franui mit Franz<br />
Schubert verbindet. Etliche<br />
Werke des »Hausheiligen« hat das<br />
legendäre Ensemble aus Osttirol<br />
bereits in seine ureigene Musiksprache<br />
übersetzt – doch Die schöne<br />
Müllerin hat bislang gefehlt. In der<br />
vielfach bewährten Konstellation<br />
mit Florian Boesch und Nikolaus<br />
Habjan widmet sich Franui nun<br />
jenem berühmten Zyklus, den<br />
Schubert 1823 ursprünglich für<br />
Singstimme und Klavier nach<br />
Gedichten von Wilhelm Müller<br />
schuf: ein veritables Ein-Personen-<br />
Drama in 20 Liedern.<br />
Man meint, die Geschichte des<br />
Müllerburschen zu kennen, der<br />
zunächst noch frohen Mutes in die<br />
Welt strebt, bei einem Meister anheuert,<br />
sich Hals über Kopf in dessen<br />
Tochter verliebt und scheinbar<br />
erfolgreich buhlt, bald aber von<br />
einem virilen Konkurrenten ausgestochen<br />
wird und schließlich sein<br />
Ende in den Wellen jenes Baches<br />
findet, der ihm einst »so frisch und<br />
wunderhell« rauschte. Oder hat sich<br />
alles nur in seinem Kopf abgespielt?<br />
Was ist Illusion und was Wirklichkeit,<br />
was Dialog und was Selbstgespräch?<br />
»Aus unserer Sicht erlebt<br />
der Müllerbursche einfach einen<br />
psychotischen Schub nach dem<br />
nächsten«, sagt Andreas Schett,<br />
Gründer und künstlerischer Leiter<br />
von Franui. »Das wird immer krauser,<br />
immer absurder, immer noch<br />
verstiegener.«<br />
Vor allem Florian Boesch hat<br />
der Usus, den liebestollen Müllerburschen<br />
mit heiligem Ernst<br />
zu singen, noch nie überzeugt.<br />
Seit vielen Jahren setzt sich der<br />
österreichische Bassbariton mit der<br />
Schönen Müllerin auseinander, seine<br />
Aufnahme mit Malcolm Martineau<br />
am Klavier wurde 2015 mit einem<br />
Grammy nominiert. Er interpretiert<br />
den Liederzyklus mit kluger Ironie,<br />
und bei den Proben mit Franui war<br />
sofort klar, dass man sich einig ist.<br />
»Wir waren ein bisschen aufgeregt,<br />
nachdem er das Werk so gut kennt –<br />
aber er war ab dem ersten Ton völlig<br />
begeistert«, erinnert sich Schett.<br />
»ZUR GÄNZE NEU RENOVIERT«<br />
Wenn sich die zehnköpfige Musicbanda<br />
mit ihrem unverwechselbaren<br />
Instrumentarium aus Holz- und<br />
Blechbläsern, Streichern, Harfe,<br />
Hackbrett und Akkordeon die<br />
Lieder zu eigen macht, profitiert<br />
sie freilich auch von ihrem großen<br />
Erfahrungsschatz: »Wir können die<br />
Musik ganz woanders hintreiben«,<br />
so Schett. »Die Vokallinie ist über<br />
weite Strecken original Schubert,<br />
der Untergrund ist fast zur Gänze<br />
neu renoviert. Das Geniale an jedem<br />
Schubertlied ist ja, dass da immer<br />
in vier Sekunden eine Formel vorhanden<br />
ist, eine kleine Wendung,<br />
eine Kennmelodie – damit lässt<br />
sich natürlich spielen. Die Herausforderung<br />
ist, etwas zu finden, was<br />
wirklich eine Art Perspektivenwechsel<br />
herstellt, eine Veränderung<br />
der Beleuchtungssituation.«<br />
Und genau dafür könnte es wohl<br />
keinen besseren Mitstreiter geben<br />
als Nikolaus Habjan. Der dreifache<br />
Nestroy-Preisträger aus Graz,<br />
gefragt auch als Regisseur und<br />
Kunstpfeifer, lässt den Müllerburschen<br />
und die Müllerin als<br />
Puppen auftreten und führt sie<br />
empfindsam durch den Liederzyklus.<br />
Es sind völlig neue Facetten,<br />
die dabei ans Licht kommen:<br />
»Die Puppen können so viel erzählen,<br />
was man verbal gar nicht so<br />
leicht ausdrücken kann«, bestätigt<br />
Schett. »Das Pathos, das in diesen<br />
Texten steckt – das kann die Puppe<br />
so bringen, dass man das wirklich<br />
als wahrhaftig begreift.« Nur eine<br />
schwarze Kiste findet sich sonst<br />
noch auf der Bühne, gebaut übrigens<br />
von Florian Boesch höchstpersönlich,<br />
der auch leidenschaftlicher<br />
Handwerker und studierter<br />
Produktdesigner ist.<br />
Gibt es eigentlich ein Lieblingslied,<br />
eine Lieblingsstelle, an der man die<br />
Ohren besonders spitzen sollte?<br />
»Tatsächlich ist keine Melodie dabei,<br />
keine Minute, keine Phrase, die<br />
einem nicht gefallen könnte«, lautet<br />
die Antwort von Andreas Schett.<br />
»Es macht wahnsinnige Freude,<br />
sich diese Musik anzuverwandeln.<br />
Die Müllerin ist wie für Franui geschrieben!«<br />
FRANUI ZU GAST<br />
DIE SCHÖNE MÜLLERIN<br />
Franz Schubert | Musicbanda Franui<br />
Bassbariton Florian Boesch<br />
Musikalische Bearbeitung |<br />
Komposition Markus Kraler,<br />
Andreas Schett<br />
Inszenierung | Puppen | Kunstpfeifen<br />
Nikolaus Habjan<br />
Musicbanda Franui<br />
VORSTELLUNG<br />
3. August <strong>2023</strong> – 17.00 Uhr<br />
Festspielhaus | Großer Saal<br />
DIE SCHÖNE MÜLLERIN<br />
31
JUNGE<br />
TISCHLEREI-<br />
TALENTE<br />
JUNGE FESTSPIELE<br />
Beim MINT-Projekt der Bregenzer Festspiele in Kooperation mit dem<br />
Landestheater Vorarlberg und der Mittelschule Rieden entwickeln Schüler:innen<br />
ein Theaterstück und sammeln Erfahrungen in der Theatertechnik.<br />
32
Normalerweise geht es an<br />
Freitagnachmittagen eher<br />
gemütlich zu, und das<br />
Wochenende ist schon für viele<br />
Berufstätige eingeläutet. Nicht so<br />
in der Tischlerei der Bregenzer<br />
Festspiele: Es ist ein Freitagnachmittag<br />
im März, es wuselt und<br />
man hört Jugendliche werkeln und<br />
angeregt miteinander plaudern.<br />
Das bunte und vielfältige Programm<br />
der Jungen Festspiele ermöglicht<br />
Kindern und Jugendlichen, in die<br />
spannende Welt der Bregenzer<br />
Festspiele einzutauchen. Nicht nur<br />
zuzuhören, sondern auch kreativ<br />
mitzuwirken, ist die Devise.<br />
Zwölf Mädchen und Jungen der<br />
Mittelschule Rieden sind am Ausmessen,<br />
Anzeichnen, Bohren und<br />
Sägen. Angeleitet von Tischler<br />
Jürgen Bahl, Tischlerin Shantira<br />
Kosol und Beleuchter Matthias<br />
Zuggal basteln die Jugendlichen<br />
an 18 Würfeln, die später als Bühnenbild<br />
in einem selbst entwickelten<br />
Theaterstück zu sehen sein werden.<br />
Zu Beginn des Nachmittags teilen<br />
sich die zwölf in drei Gruppen auf:<br />
Zwei Gruppen zeichnen die Bohrlöcher<br />
an und schrauben die Seiten<br />
dann aneinander. Dabei sind millimetergenaues<br />
Arbeiten und der<br />
richtige Umgang mit dem rechten<br />
Winkel wichtig.<br />
nur Deckel und Bemalung fehlen<br />
noch. Der Großteil der Schüler:innen<br />
widmet sich dem Anzeichnen und<br />
Aussägen der Formen in den Deckeln.<br />
Jürgen Bahl wacht über diese Gruppe<br />
mit Argusaugen, damit sich die<br />
Jugendlichen auch nicht verletzen.<br />
Währenddessen führt Festspiel-<br />
Kascheur Robert Grammel drei<br />
Schüler:innen in die Kunst der<br />
Malerei ein. Bevor die drei starten<br />
können, erhalten sie von Robert<br />
Maleranzüge. Anschließend zeigt<br />
der Kascheur vor, wie die Pinsel und<br />
Rollen korrekt in die Farbe eingetaucht<br />
und abgetropft werden, und<br />
erklärt, wie die Schüler:innen die<br />
Würfel am besten bemalen: zuerst<br />
die Ecken der Würfel ausmalen und<br />
von innen nach außen arbeiten.<br />
So werden die Seiten gleichmäßig<br />
bemalt und die Schüler:innen kaum<br />
mit Farbe bekleckert. Am Ende des<br />
Tages sind alle stolz auf ihr Werk:<br />
Das Bühnenbild ist fertig und bereit<br />
für seinen Einsatz im Juni.<br />
Bevor es so weit ist, trifft sich<br />
die Gruppe Ende Mai zu einem<br />
Abschluss-Workshop, in dem die<br />
Schüler:innen Einblicke in Ton- und<br />
Lichttechnik erhalten. Dort soll<br />
ihnen gezeigt werden, was es heißt,<br />
eine Veranstaltung zu »fahren«.<br />
Die Schüler:innen sammeln beim<br />
MINT-Projekt der Stadt Bregenz<br />
in Kooperation mit den Bregenzer<br />
Festspielen und dem Landestheater<br />
Vorarlberg Erfahrungen in der<br />
Theatertechnik und erarbeiten<br />
mithilfe von Theaterpädagog:innen<br />
ein eigenes Stück, welches im Juni<br />
unter dem Namen Loser – ein Stück<br />
gegen Ausgrenzung, Mobbing und<br />
Gewalt im Festspielhaus aufgeführt<br />
werden soll: Das selbstgewählte<br />
Thema des Stücks – Amoklauf und<br />
Außenseiterschule –, die Inszenierung<br />
an sich und das komplette<br />
Bühnenbild entwickeln die Schüler:innen<br />
mit Unterstützung selbst.<br />
Ebenso werden die Nachwuchs-<br />
Theatermacher:innen die vier Aufführungen<br />
selber fahren, also Ton<br />
und Licht während der Aufführung<br />
weitgehend selbständig bedienen.<br />
MINT ist ein Akronym, das für<br />
Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften<br />
und Technik steht.<br />
MINT-PROJEKT<br />
Die dritte Gruppe ist für den<br />
Deckel der Würfel zuständig und<br />
sägt mithilfe von Schablonen unterschiedliche<br />
Formen aus. Damit<br />
Kreise, Herzen und andere Formen<br />
gut aussehen, ist höchste Präzision<br />
gefragt. Die Technik-Expert:innen<br />
der Bregenzer Festspiele sind erstaunt,<br />
wie gut die Jugendlichen<br />
mit Akkuschrauber und Säge umgehen<br />
können. »In der Gruppe verstecken<br />
sich schon ein paar Tischlerei-Talente«,<br />
sagt Festspiel-Tischler<br />
Jürgen Bahl augenzwinkernd.<br />
DIE KUNST DES BEMALENS<br />
Zwei Wochen später trifft sich die<br />
Gruppe zum nächsten Schritt im<br />
Bühnenbildbau: Alle Würfel sind<br />
zusammengebaut und fast fertig,<br />
In der Festspiel-Tischlerei schraubten, leimten und malten die Schüler:innen<br />
fließig an ihrem Bühnenbild.<br />
33
KONGRESSKULTUR BREGENZ
LEHRE IM<br />
SCHEINWERFERLICHT<br />
Das Festspielhaus Bregenz sucht die<br />
Veranstaltungstechniker:innen von morgen<br />
LEHRE IM SCHEINWERFERLICHT<br />
Ab August 2024 bietet<br />
Kongresskultur Bregenz<br />
erneut kreativen und handwerklich<br />
geschickten jungen Menschen<br />
eine Ausbildung im Lehrberuf<br />
Veranstaltungstechnik. Kongresskultur<br />
Bregenz ist Betreiberin des<br />
Festspielhauses Bregenz: Spielort<br />
der Bregenzer Festspiele und Austragungsort<br />
von unterschiedlichsten<br />
Tagungen, Kongressen und Veranstaltungen.<br />
ABWECHSLUNGSREICHER<br />
ARBEITSALLTAG<br />
In der dreieinhalbjährigen Ausbildung<br />
durchwandern die Lehrlinge<br />
im Rotationsmodus für jeweils vier<br />
Monate verschiedenste Abteilungen<br />
und bekommen Einblick in die<br />
Bereiche Bühne/Rigging, Ton, Licht,<br />
Multimedia und Elektrotechnik. So<br />
breitgefächert wie die Ausbildung<br />
sind auch die Veranstaltungen, die<br />
ganzjährig im und rund um das<br />
Festspielhaus stattfinden. »Ob ich<br />
für eine Tagung, ein Konzert oder<br />
eine Oper technisch mitwirke, ist<br />
für mich nicht unbedingt wichtig«,<br />
erklärt Stefan Steurer. Im März<br />
absolvierte er gemeinsam mit<br />
seinem Kollegen Paul Kurzemann<br />
die Lehrabschlussprüfung in der<br />
Berufsschule in Wien. Die Abwechslung<br />
sowie die unterschiedlichen<br />
technischen Herausforderungen<br />
machen für sie diesen Beruf so<br />
spannend. So sind die Lehrlinge<br />
von Herbst bis Frühling bei den Veranstaltungen<br />
von Kongresskultur<br />
Bregenz im Einsatz, im <strong>Sommer</strong> bei<br />
jenen der Bregenzer Festspiele.<br />
AUSGEZEICHNETER<br />
LEHRBETRIEB<br />
Kongresskultur Bregenz ist seit 2007<br />
»Ausgezeichneter Lehrbetrieb«<br />
und wird für ihr Engagement und<br />
überdurchschnittliche Qualitätsstandards<br />
in der Ausbildung von<br />
jungen Menschen seit vielen Jahren<br />
prämiert. Eine Strahlkraft, die über<br />
Landesgrenzen hinaus Wirkung<br />
zeigt. »Wir werden in der Schule von<br />
Lehrlingen aus anderen Bundesländern<br />
eigentlich beneidet«, erläutert<br />
Stefan Steurer. Das habe mit den<br />
Möglichkeiten zu tun, welche die<br />
Ausbildung im Festspielhaus bietet,<br />
aber auch mit dem Bemühen der<br />
Ausbildenden, ist Paul Kurzemann<br />
überzeugt.<br />
REINSCHNUPPERN UND<br />
BEWERBEN<br />
Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz<br />
ab August 2024 sind ab<br />
sofort möglich. Bereits im Herbst<br />
<strong>2023</strong> bietet ein berufspraktischer<br />
Tag Gelegenheit zum Kennenlernen.<br />
Deine Ansprechpartnerin für Bewerbungen,<br />
Anmeldungen zum berufspraktischen<br />
Tag und alle Fragen:<br />
Julia Bitschnau, Personalbüro<br />
julia.bitschnau@kongresskultur.com<br />
Tel. +43 5574 407-241<br />
Weitere Infos zur<br />
Ausbildung bei<br />
Kongresskultur<br />
Bregenz gibt es hier:<br />
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Viel Vorfreude wünschen<br />
die Partner der Bregenzer Festspiele.<br />
HAUPTSPONSOREN<br />
GREEN ENERGY<br />
PARTNER<br />
PRODUKTIONSSPONSOREN<br />
GrECo International AG<br />
Hilti Foundation<br />
LIEBHERR-Turmdrehkrane<br />
Wiener Städtische Versicherung AG<br />
CO-SPONSOREN & PARTNER<br />
Coca-Cola<br />
Dallmayr Kaffee<br />
Hendrick’s Gin<br />
Kryolan<br />
Leica Camera<br />
METRO<br />
Mohrenbrauerei<br />
Paul Mitchell<br />
Pfanner & Gutmann<br />
Rauch Fruchtsäfte<br />
Red Bull<br />
Römerquelle<br />
Schlumberger (Wein- und<br />
Sektkellerei)<br />
SUBVENTIONSGEBER<br />
PARTNER