Festspielzeit Sommer 2023 - 1
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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THEATER AM KORNMARKT<br />
Herr Matthes, seit 2004 sind<br />
Sie Ensemblemitglied des<br />
Deutschen Theaters Berlin.<br />
Was ist für Sie das Schönste am Beruf<br />
eines Theaterschauspielers?<br />
Ulrich Matthes: Zweierlei. Da ist die<br />
lange Probenzeit von sechs bis acht<br />
Wochen, in denen man gemeinsam<br />
Umwege gehen kann. Es ist ein Prozess,<br />
von dem alle Beteiligten wissen,<br />
er landet irgendwann an dieser<br />
künstlich festgelegten Station, nämlich<br />
der Premiere. Auf dieses Datum<br />
arbeiten alle hin, in dem Wissen,<br />
dass man das Stück dann jahrelang<br />
spielt. Insofern erreicht man bei der<br />
Premiere einen Zwischenbahnhof,<br />
von dem es im Laufe der Aufführungen<br />
in die unterschiedlichsten<br />
Richtungen weitergeht – mit dem<br />
Gerüst dessen, was man in den<br />
wochenlangen Proben erarbeitet<br />
hat. Diese Art des Suchens nach dem<br />
angemessenen Ausdruck, nach einer<br />
Wahrhaftigkeit, die mit dem Stück<br />
zu tun hat, die sich spiegelt in den<br />
Augen der Regie, das ist das eine<br />
Schöne an meinem Beruf. Das andere<br />
Schöne sind die Energien einer Vorstellung.<br />
Ich habe weit ausgefahrene<br />
Antennen in Richtung des Publikums<br />
und in Richtung meiner Kolleg:innen.<br />
Aus den Energien auf der Bühne<br />
und aus den Energien, die mir aus<br />
dem Zuschauerraum entgegenschwappen,<br />
entsteht die einzigartige<br />
Energie eines Abends.<br />
Anders läuft es bei Film und Fernsehen.<br />
Sie spielten unter anderem<br />
Joseph Goebbels in Der Untergang<br />
und Adolf Hitler in München – Im<br />
Angesicht des Krieges, Sie waren<br />
mehrfach im Tatort zu sehen. Was<br />
ist das Tolle daran, vor der Kamera<br />
zu agieren?<br />
Beim Film bereite ich mich minutiös<br />
vor, den Text kann ich im Schlaf. Und<br />
dann kommt das Augenblickhafte<br />
der Aufnahme, von dem man weiß,<br />
jetzt gilt es, jetzt wird es quasi für<br />
die Ewigkeit festgehalten. Auch<br />
wenn die Einstellung dann wiederholt<br />
wird: Man hat immer das Gefühl,<br />
jetzt gilt’s! Diese Art der Hochkonzentration<br />
ist anders als im Theater,<br />
wo ich eine Bühne für lange Zeit mit<br />
der eigenen Präsenz füllen und bis<br />
in die letzte Reihe dringen muss. Im<br />
Film muss man den Text nur denken<br />
oder fühlen und die Kamera nimmt es<br />
wahr. Im Vertrauen auf diesen Wunderapparat<br />
muss man nichts spielen,<br />
sondern nur in der Situation sein.<br />
Was ist Ihre Grundmotivation als<br />
Schauspieler?<br />
Die Grundmotivation ist seit meinen<br />
fohlenhaften Anfängen absolut<br />
die gleiche geblieben, zum Glück!<br />
Meine Leidenschaft und mein Wille<br />
zur Wahrhaftigkeit, irgendwo glüht<br />
dieser Kern immer noch in mir. Ich<br />
will jetzt nicht zu pathetisch werden,<br />
das verbietet mir schon allein die<br />
Tatsache, dass ich Berliner bin:<br />
Aber ich liebe die Proben, ich liebe<br />
die Vorstellungen, ich liebe die Arbeit<br />
vor der Kamera.<br />
Sie hatten bereits als Kind erste<br />
Fernsehrollen. Wie ging es weiter?<br />
Als ich ungefähr zwölf Jahre alt<br />
war, haben mir meine Eltern das<br />
untersagt, weil sie das Gefühl hatten,<br />
ich werde ein bisschen hochnäsig.<br />
Sie hatten sicher recht! Später studierte<br />
ich meine beiden Lieblingsfächer<br />
Deutsch und Englisch, um<br />
Lehrer zu werden, brach aber nach<br />
fünf Semestern ab. Offenbar ist der<br />
Glutkern in mir ausgebrochen,<br />
und dann bin ich eben doch Schauspieler<br />
geworden und habe es bis<br />
zum heutigen Tage nicht bereut.<br />
Zwei Mal wurden Sie von der Fachzeitschrift<br />
»Theater heute« als<br />
Schauspieler des Jahres gewählt,<br />
Sie erhielten den Bayerischen Filmpreis,<br />
den Deutschen Theaterpreis<br />
»Der Faust«, den Grimme-Preis, die<br />
Goldene Kamera und das Deutsche<br />
Bundesverdienstkreuz. Alles Auszeichnungen<br />
einer großartigen<br />
Karriere. Wie haben Sie auf Ihrem<br />
Weg Entscheidungen gefällt?<br />
Ich bin ein sehr intuitiver Mensch<br />
und bin in den wesentlichen Momenten<br />
meines Lebens immer erstmal<br />
meiner Intuition gefolgt und danach<br />
habe ich darüber nachgedacht.<br />
Sowohl privat als auch beruflich.<br />
Zum Beispiel habe ich mich für<br />
eine Schnitzler-Arbeit – ich liebe<br />
Schnitzler! – mit Christian Petzold<br />
»Generell gilt am Theater:<br />
immer her mit den Tränen,<br />
dem Lachen, den Emotionen.<br />
Raus damit!«<br />
14<br />
entschieden und dafür ein Angebot<br />
aus Hollywood für einen Film mit<br />
Regisseur Peter Weir abgelehnt.<br />
Vielleicht war die Entscheidung im<br />
Nachhinein falsch, aber so hat es<br />
mein Bauch mir nun mal gesagt.<br />
Bei den Bregenzer Festspielen treten<br />
Sie in einer knackigen 90-Minuten-<br />
Inszenierung als Richter Adam in<br />
Heinrich von Kleists Komödie Der<br />
zerbrochne Krug auf.<br />
Mit dieser Rolle geht ein Herzenswunsch<br />
in Erfüllung. Und ein zweites<br />
Schmankerl wurde mir erfüllt durch<br />
die Zusammenarbeit mit Regisseurin<br />
Anne Lenk. Sie nimmt Autor:innen<br />
sehr ernst, tritt ihnen auf<br />
respektvolle Weise gegenüber, holt<br />
sie aber doch ins Heute.