Festspielzeit Sommer 2023 - 1
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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Haben Sie eine:n Liebling unter den<br />
Komponist:innen?<br />
Wenn ich mich festlegen müsste,<br />
würde ich sagen: Mozart. Oha, das<br />
sieht jetzt so aus, als ob ich mich<br />
einschleimen möchte in Österreich.<br />
An anderen Tagen würde ich sagen:<br />
Schubert. Auch ein Österreicher!<br />
Wenn mich ein New Yorker fragt,<br />
würde ich vielleicht sagen: »Was<br />
kost’ die Welt – Gershwin!« Da gibt<br />
es eine Stelle in seinem Klavierkonzert,<br />
da kommen mir immer<br />
die Tränen.<br />
Mit Heinrich von Kleists Der zerbrochne Krug nimmt das Deutsche Theater<br />
Berlin sein Publikum mitten hinein in einen kuriosen Gerichtsstreit. Den Vorsitz<br />
führt der wenig ehrenwerte Richter Adam, gespielt von Ulrich Matthes.<br />
Und heute ist MeToo ein großes<br />
Thema, das uns alle bewegen sollte.<br />
Insofern kann man dieses Stück<br />
nicht mehr so erzählen, wie es bislang<br />
oft üblich war, nämlich als<br />
lustige Geschichte von einem Richter,<br />
der der Eve halt mal ein bisschen<br />
an den Busen gefasst hat, Schwamm<br />
drüber. Adam ist ein übergriffiger<br />
Täter! Eve tut gut daran, dass sie<br />
am Schluss erzählt, wie sich die<br />
Geschichte um den zerbrochenen<br />
Krug wirklich abgespielt hat.<br />
Letztendlich geht es um Machtmissbrauch<br />
und Korruption in<br />
einem Dorf. Dazu ist jedoch eine<br />
gesellschaftliche Struktur nötig,<br />
in der das geschehen kann.<br />
Natürlich, und alle Figuren haben<br />
erstmal Angst vor den beiden Autoritätspersonen,<br />
dem Richter und<br />
dem Gerichtsrat Walter, die bei uns<br />
eine Gerichtsrätin ist. Doch im Laufe<br />
des Stücks wird Adam von allen<br />
anderen Figuren vom Sockel<br />
gestoßen. Ich spiele Adam in dem<br />
Bewusstsein, dass es heute Politiker<br />
gibt, die ihre unendliche Macht missbrauchen<br />
und denken: »Mir passiert<br />
gar nichts«. Trump zum Beispiel.<br />
Im Mikrokosmos des Dorfes stürzt<br />
Adam: Eine Gesellschaft kann sich<br />
also wehren!<br />
Kleists Genie ist es, Anfang des<br />
19. Jahrhunderts ein Stück zu<br />
schreiben, das man im Jahr <strong>2023</strong> –<br />
bis auf eine winzige Stelle – im Originaltext<br />
als Komödie spielen und in<br />
dem man trotzdem einen Täter mit<br />
MeToo bloßstellen kann.<br />
Sind Witz und Komik in Kleists<br />
Freude an Wortspiel und Doppeldeutigkeit<br />
zu finden?<br />
Es gibt wirklich viel zu lachen in<br />
unserer Aufführung. Kleists Text<br />
ist hochmusikalisch, sein Versmaß<br />
berückend schön, jeder Gedankenstrich<br />
hat eine Bedeutung. Ich liebe<br />
Kleist auch deshalb, weil ich musikalisch<br />
bin. Lustig ist auch das sehr gestische<br />
Sprechen: Man unterbricht<br />
sich mitten im Satz oder man hangelt<br />
sich von Einschub zu Einschub.<br />
Ich freue mich, wenn ich Lachen aus<br />
dem Publikum höre. Natürlich ist es<br />
auch schön, wenn die Menschen vor<br />
lauter Rührung schweigen. Generell<br />
gilt am Theater: immer her mit den<br />
Tränen, dem Lachen, den Emotionen.<br />
Raus damit!<br />
Bei den Bregenzer Festspielen dreht<br />
sich – abgesehen von den Aufführungen<br />
des Deutschen Theaters und<br />
des Burgtheaters – alles um Oper,<br />
Musiktheater und Konzerte.<br />
Franz Schuberts Musik erklingt<br />
auch, wenn Sie bei den Festspielen<br />
im Rahmen der Reihe Musik & Poesie<br />
Kleists Das Erdbeben in Chili lesen.<br />
Kleist entwirft in dieser Erzählung<br />
das Ideal einer friedliebenden<br />
Menschheit und zerstört es gegen<br />
Ende radikal. Sie ist eine der irrsten<br />
Geschichten in deutscher Sprache.<br />
Ich habe sie oft vorgelesen, die<br />
Menschen sind sehr bewegt danach.<br />
Bei Schubert ist es dasselbe in<br />
Grün. Er erfand die allerschönsten<br />
Melodien, aber sie führen auch in die<br />
Abgründe der menschlichen Seele.<br />
THEATER AM KORNMARKT<br />
DER ZERBROCHNE KRUG<br />
Heinrich von Kleist<br />
Inszenierung Anne Lenk<br />
Bühne Judith Oswald<br />
Kostüme Sibylle Wallum<br />
Mit Ulrich Matthes,<br />
Jeremy Mockridge, Lorena<br />
Handschin, Franziska Machens,<br />
Lisa Hrdina, Tamer Tahan<br />
und Julia Windischbauer<br />
PREMIERE<br />
21. Juli <strong>2023</strong> – 19.30 Uhr<br />
WEITERE VORSTELLUNGEN<br />
22. & 24. Juli – 19.30 Uhr<br />
Theater am Kornmarkt<br />
Hier geht es zum<br />
Video-Trailer:<br />
DER ZERBROCHNE KRUG<br />
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