Festspielzeit Sommer 2023 - 1
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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Johann Wolfgang von Goethes<br />
Briefroman Die Leiden des<br />
jungen Werther ist ein absoluter<br />
Literaturklassiker. Wie sind Sie<br />
zum ersten Mal mit diesem Stoff in<br />
Berührung gekommen?<br />
OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />
Jana Vetten: In meiner Jugend war<br />
ich ein großer Fan des Sturm und<br />
Drang, eigentlich der gesamten<br />
romantischen Literatur, und konnte<br />
Werther in seiner Emotionalität gut<br />
folgen. Während meines Studiums<br />
habe ich dann selbst eine Schauspielfassung<br />
mit drei Spieler:innen<br />
erarbeitet. Wir haben uns damals<br />
auf die unmögliche Liebe und Themen<br />
wie Sehnsucht und Euphorie<br />
gestürzt und versucht zu verstehen,<br />
was das Gefühl des Verliebtseins<br />
ausmacht – und wie dieses Gefühl<br />
so stark werden kann, dass es das<br />
Einzige ist, was das Leben für eine<br />
Person lebenswert macht.<br />
Sie sagten einmal, sie hätten mit<br />
Werther noch eine Rechnung offen.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Mit den Jahren habe ich mehr und<br />
mehr empfunden, dass ich den anderen<br />
Figuren im Roman – Albert und<br />
vor allem dessen Verlobte Charlotte –<br />
mit dieser affirmativen Lesart nicht<br />
gerecht werde. Charlotte formuliert<br />
ihre Bedürfnisse klar, sie werden<br />
aber von Werther ignoriert und er<br />
bezeichnet diese Ignoranz auch<br />
noch als Liebe. Ich möchte mich<br />
jetzt mehr um Charlottes Geschichte,<br />
ihren Schmerz, ihr Weiterleben<br />
konzentrieren. Denn nach jedem<br />
Suizid gibt es Angehörige, die jeden<br />
Tag wieder aufstehen, zur Arbeit<br />
gehen, den Alltag meistern und<br />
hoffentlich irgendwann wieder<br />
Glück finden können. Sie sind aber<br />
von dem Trauma des Suizids für<br />
ihr Leben gezeichnet und müssen<br />
sich oft mit Gefühlen wie Scham<br />
und Schuld auseinandersetzen.<br />
Bei Werther ist das Thema Schuld<br />
besonders stark. Werther versucht<br />
immer wieder, durch emotionalen<br />
Druck, Charlotte dazu zu bringen,<br />
sich zu ihm zu bekennen, was sie<br />
aber verweigert. Wenn er sich<br />
dann das Leben nimmt, ist es für<br />
Charlotte so, als hätte sie ihn in<br />
den Suizid getrieben.<br />
Wie gehen Sie mit dem Thema Suizid<br />
auf der Bühne um?<br />
Ich finde das ein schwieriges Thema,<br />
Suizid auf eine Art zu inszenieren,<br />
die keine Faszination oder »Lust«<br />
auf Nachahmung auslöst. Es gibt ja<br />
sogar den sogenannten Werther-<br />
Effekt, der eine Welle von Suiziden<br />
nach Erscheinen des Romans<br />
beschreibt. Die Oper hat hier<br />
den großen Vorteil, dass wir mit<br />
Abstraktion und Bildern arbeiten<br />
können und nichts eins zu eins<br />
darstellen müssen. Werther singt<br />
24<br />
JANA VETTEN<br />
studierte Regie am Thomas Bernhard<br />
Institut des Mozarteums Salzburg<br />
sowie Performance an der Norwegian<br />
Theatre Academy Fredrikstad und<br />
arbeitet als freie Regisseurin an der<br />
Schnittstelle von zeitgenössischem<br />
Sprechtheater, Tanz und Musik.<br />
Sie lebt in Wien, wo sie auch die Reihe<br />
Salon in Gesellschaft am Schauspielhaus<br />
mitkuratiert und moderiert.