16.06.2023 Aufrufe

Festspielzeit Sommer 2023 - 1

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Johann Wolfgang von Goethes<br />

Briefroman Die Leiden des<br />

jungen Werther ist ein absoluter<br />

Literaturklassiker. Wie sind Sie<br />

zum ersten Mal mit diesem Stoff in<br />

Berührung gekommen?<br />

OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />

Jana Vetten: In meiner Jugend war<br />

ich ein großer Fan des Sturm und<br />

Drang, eigentlich der gesamten<br />

romantischen Literatur, und konnte<br />

Werther in seiner Emotionalität gut<br />

folgen. Während meines Studiums<br />

habe ich dann selbst eine Schauspielfassung<br />

mit drei Spieler:innen<br />

erarbeitet. Wir haben uns damals<br />

auf die unmögliche Liebe und Themen<br />

wie Sehnsucht und Euphorie<br />

gestürzt und versucht zu verstehen,<br />

was das Gefühl des Verliebtseins<br />

ausmacht – und wie dieses Gefühl<br />

so stark werden kann, dass es das<br />

Einzige ist, was das Leben für eine<br />

Person lebenswert macht.<br />

Sie sagten einmal, sie hätten mit<br />

Werther noch eine Rechnung offen.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Mit den Jahren habe ich mehr und<br />

mehr empfunden, dass ich den anderen<br />

Figuren im Roman – Albert und<br />

vor allem dessen Verlobte Charlotte –<br />

mit dieser affirmativen Lesart nicht<br />

gerecht werde. Charlotte formuliert<br />

ihre Bedürfnisse klar, sie werden<br />

aber von Werther ignoriert und er<br />

bezeichnet diese Ignoranz auch<br />

noch als Liebe. Ich möchte mich<br />

jetzt mehr um Charlottes Geschichte,<br />

ihren Schmerz, ihr Weiterleben<br />

konzentrieren. Denn nach jedem<br />

Suizid gibt es Angehörige, die jeden<br />

Tag wieder aufstehen, zur Arbeit<br />

gehen, den Alltag meistern und<br />

hoffentlich irgendwann wieder<br />

Glück finden können. Sie sind aber<br />

von dem Trauma des Suizids für<br />

ihr Leben gezeichnet und müssen<br />

sich oft mit Gefühlen wie Scham<br />

und Schuld auseinandersetzen.<br />

Bei Werther ist das Thema Schuld<br />

besonders stark. Werther versucht<br />

immer wieder, durch emotionalen<br />

Druck, Charlotte dazu zu bringen,<br />

sich zu ihm zu bekennen, was sie<br />

aber verweigert. Wenn er sich<br />

dann das Leben nimmt, ist es für<br />

Charlotte so, als hätte sie ihn in<br />

den Suizid getrieben.<br />

Wie gehen Sie mit dem Thema Suizid<br />

auf der Bühne um?<br />

Ich finde das ein schwieriges Thema,<br />

Suizid auf eine Art zu inszenieren,<br />

die keine Faszination oder »Lust«<br />

auf Nachahmung auslöst. Es gibt ja<br />

sogar den sogenannten Werther-<br />

Effekt, der eine Welle von Suiziden<br />

nach Erscheinen des Romans<br />

beschreibt. Die Oper hat hier<br />

den großen Vorteil, dass wir mit<br />

Abstraktion und Bildern arbeiten<br />

können und nichts eins zu eins<br />

darstellen müssen. Werther singt<br />

24<br />

JANA VETTEN<br />

studierte Regie am Thomas Bernhard<br />

Institut des Mozarteums Salzburg<br />

sowie Performance an der Norwegian<br />

Theatre Academy Fredrikstad und<br />

arbeitet als freie Regisseurin an der<br />

Schnittstelle von zeitgenössischem<br />

Sprechtheater, Tanz und Musik.<br />

Sie lebt in Wien, wo sie auch die Reihe<br />

Salon in Gesellschaft am Schauspielhaus<br />

mitkuratiert und moderiert.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!