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Festspielzeit Frühling 2023

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DAS MAGAZIN DER

BREGENZER FESTSPIELE

FESTSPIEL

ZEIT

AUSGABE 2 | BREGENZER FESTSPIELE 19. JULI – 20. AUGUST 2023

»ICH LIEBE

UNVOLLKOMMENE

GESCHICHTEN!«

Lotte de Beer über ihr

»Wunschkind« Ernani

»EHRENVOLL STERBE,

WER NICHT LÄNGER MEHR

LEBEN KANN IN EHREN.«

Im kommenden Festspielsommer

dreht sich alles um die Ehre

»DAS EINZIGE, WAS

UNS WIRKLICH RETTET,

IST DIE PHANTASIE!«

Herbert Fritsch inszeniert

Die gefesselte Phantasie


4

Ehrensache

Im kommenden Festspiel-

sommer dreht sich alles

um die Ehre

20

Dirigent auf

großer Mission

Doppelrolle am Dirigentenpult:

Enrique Mazzola über Madame

Butterfly und Ernani

INHALT

12

»Das Einzige, was

uns wirklich rettet,

ist die Phantasie!«

Phantastisch komisch: Regisseur

Herbert Fritsch inszeniert

Die gefesselte Phantasie

8

»Ich liebe

unvollkommene

Geschichten!«

Regisseurin Lotte de Beer über

ihr »Wunschkind«, die Oper im

Festspielhaus Ernani

14

Entfesselte Phantasie

Theatervorstellung am Schreibtisch:

Sabrina Zwach über ihre

Arbeit mit und für Herbert Fritsch

18

Programmübersicht

26

#VielenDank!

Die Einsendungen zum

Festspiel-Fotowettbewerb

Das Programm der Bregenzer

Festspiele 2023 im Überblick

2


28

Ein Teil der

Vorarlberger Identität

32

Mitsingen in der Oper?

Na klar!

Den Festspielen in besonderer

Freundschaft verbunden:

Heidi und Paul Senger-Weiss

Mitmachoper für junges

Publikum: Die Zauberflöte –

Der Klang des Friedens

Impressum

BREGENZER FESTSPIELE GMBH

INHALT

30

Eine queere

Utopie

Kult-Roman auf der Opernbühne:The

Faggots and Their

Friends Between Revolutions

34

Die Frage nach Gott,

Ehre und den Menschen

Die Reihe Musik & Poesie lädt

erneut ins Seestudio

Platz der Wiener Symphoniker 1

6900 Bregenz | Austria

T +43 5574 407-5

www.bregenzerfestspiele.com

Herausgeber Bregenzer Festspiele GmbH

Intendantin Elisabeth Sobotka

Redaktion Florian Amort, Kathrin Grabher,

Lisa Kloos, Axel Renner

Gestaltung moodley brand identity |

Bregenzer Festspiele – Kathrin Grabher

Druck Vorarlberger Verlagsanstalt GmbH

Lektorat Thorsten Bayer Text

Tex te Ingrid Lughofer (S. 5ff., S. 21ff.) | Florian Amort (S. 8ff.,

S. 30f., S. 34, S. 35) | Sabrina Zwach (S. 12f., S. 15ff.) | Lisa Kloos

(S. 26) | Pzwei. Pressearbeit (S. 28f.) | Dallmayr Kaffee (S. 31 r.) |

Arno Miller (S. 32)

Abbildungsnachweise Anja Köhler, andereart (Titelbild –

Szene aus Madame Butterfly, S. 34) | Ralph@Larmann.com

(S. 2 l. o., S. 4, S. 24) | Andreas Jakwerth – Die Buehne (S. 2 l. u.,

S. 9) | Marcella Ruiz Cruz (S. 2 m. o., S. 12) | Stadt Lahr / Privat

(S. 2. m. u., S. 17) | Lisa Mathis (S. 2 r. o., S. 3 l. o., S. 22, S. 28) |

Wir danken allen Einsender:innen für’s Mitmachen! (S. 26, S.27) |

Dominic Mercier (S. 3 l. u., S. 30) | Alessia Santambrogio (S. 3 r. o.,

S. 33) | Ian Dagnall Computing / Alamy Stock Photo (S. 2 r. u.,

S. 35) | akg-images (S. 6) | Dietmar Mathis (S. 11) | Monika

Rittershaus (S. 14) | Thomas Aurin (S. 16 u.) | Hans Jörg Michel

(S. 16 o.) | Jean Baptiste Millot (S. 20) | Dallmayr Kaffee (S. 31)

Erschienen im März 2023. Es gelten die AGB

sowie die Datenschutzerklärung der Bregenzer

Festspiele GmbH. Änderungen vorbehalten.

Wir möchten darauf hinweisen, dass uns alle

Geschlechter gleich wichtig sind, selbst wenn es

uns manchmal nicht gelingen sollte, dies auch

schriftlich auszudrücken.

35

Florence Price

Die Komponist:innen

der Orchesterkonzerte

Die QR-Codes in diesem Heft erweitern Artikel

um Videos und Tonaufnahmen oder führen zu Webseiten

mit weiteren spannenden Infos zum Thema.

Mit diesem Link zum Beispiel gelangen Sie in die

Online-Bibliothek der Bregenzer Festspiele, in der

auch alle Ausgaben des Magazins »Festspielzeit«

zu finden sind.

bregenzerfestspiele

bregenzfestival

3


BREGENZER FESTSPIELE

4


EHRENSACHE

Was verbindet die Titelfiguren in Giacomo Puccinis Madame Butterfly auf

der Seebühne, Giuseppe Verdis Ernani im Festspielhaus und Jules Massenets

Werther im Opernstudio am Kornmarkt? Tragische Liebe, ein zutiefst

verinnerlichtes Ehrgefühl – und ein bitteres Ende.

EHRENSACHE

Die Oper Ernani gehört zu

den Frühwerken von Verdi

und hievte ihn sofort auf

den italienischen Komponistenthron.

Uraufgeführt 1844, spielt

die Handlung im Jahr 1519. Drei

Adelige fühlen sich betrogen und

schwören sich gegenseitig Rache,

denn sie sind in dieselbe Frau

verliebt: in Elvira, die ihrerseits

nur die Liebe zu Ernani erwidert.

Der ist aktuell Rebellenführer,

da sein Vater von Don Carlo ermordet

wurde, was Ernani Titel

und Güter kostete. Der zweite

Adelige ist eben jener spanische

König Carlo, der sich nicht nur

Rivalen, sondern auch Verschwörern

gegenübersieht. Der dritte

Verehrer, Don Ruy Gomez de Silva,

hat anfangs die besten Karten, da

er kurz vor der Hochzeit mit der

Begehrten steht. Da Silva seinen

Rivalen Ernani jedoch aus einer

brenzligen Situation rettet, verpfändet

dieser sein Leben gegen

einen Hornruf. Carlo, zum neuen

Kaiser Karl V. gewählt, zeigt sich

gnädig und stimmt der Heirat

von Ernani und Elvira zu. Da bläst

Silva ins Rachehorn.

Und Elvira? Elvira hat Ernani Liebe

geschworen, will sich am Traualtar

mit Silva erdolchen, erinnert Carlo,

dass Erbarmen eine Kaisertugend

sei und erlebt, dass sich Ernani

im Glücksmoment ihrer endlich

lebbaren Liebe – dem alten Schwur

folgend – tötet.

Eine Vierecksgeschichte in einem

patriarchalen Machtsystem, mit

drei Männern, denen der strenge

gesellschaftliche Kodex oberste

Pflicht ist und die vor Ehrverletzungen

schreien. Der soziale Anspruch

diktiert Handlungen auf mehreren

Ebenen. Da gilt es, die Ehre der Frau

gegen Kontrahenten zu verteidigen,

einen Mord, einen Verrat zu rächen,

das Gastrecht zu wahren und Versprechen

einzuhalten.

»Ständische Gesellschaften, die

es in Europa bis ca. 1800 gab, wiesen

jedem ›Stand‹ – Adel, Bürger,

Bauern – eine besondere Ehre zu,

die hierarchisch gestaffelt war.

Beim Adel war sie am größten und

sensibelsten – er durfte deshalb

auch ›Ehrenkämpfe‹, sprich Duelle

ausfechten –, bei den Bauern am

5

geringsten«, fasst Historikerin Ute

Frevert vom Max-Planck-Institut

für Bildungsforschung zusammen.

Im Ständestaat wirkte das Konzept

der Ehre strukturierend und

stabilisierend. Satisfaktionsfähig,

berechtigt, eine Waffe zu tragen,

waren ausschließlich Männer der

oberen Schichten. Bei Zweikämpfen

in unteren Schichten galt

Töten im Strafrecht als Mord oder

Totschlag. Ein Verstoß gegen den

Ehrenkodex wurde als Schande,

von der einzelnen Person als Scham

empfunden. Diese beiden Gefühle,

im Lauf der Geschichte zunehmend

auf Frauen und ihre sexuelle »Reinheit«

projiziert, waren ursprünglich

geschlechtsunabhängig. Die Frage

nach dem emotionalen Kontext

von Ehre liegt nahe, zumal Verdi für

die Figuren mitreißende und

leidenschaftliche Musik schuf.

Frevert antwortet: »Gefühle und

gesellschaftliche Pflichten hingen

immer eng zusammen, Ehre war

mitnichten nur ein sozialer Zwang,

sondern ›im Herzen eingewurzelt‹,

wie es Ende des 18. Jahrhunderts

hieß.« Ehre war sozusagen eine

Herzensangelegenheit.


Pech in der Liebe, Erfolg in der Literatur:

Johann Wolfgang von Goethe mit

Charlotte Buff und ihrem Verlobten

Johann Christian Kestner. Hoffnungslos

in sie verliebt, verarbeitete Goethe seine

Erfahrungen in seinem Briefroman

Die Leiden des jungen Werther.

BREGENZER FESTSPIELE

Im aufgeklärten 18. Jahrhundert

kam der Empfindsamkeit in Literatur

und Kunst ein besonderer

Stellenwert zu. Trotzdem hatte die

Vernunftehe Bestand. Das erfuhr

Johann Wolfgang von Goethe

hautnah. Als junger Gerichtspraktikant

in Wetzlar verliebte er sich auf

einem Tanzfest in Charlotte Buff,

deren Verlobter Johann Christian

Kestner eine Aussprache wollte.

Goethe floh aus der Stadt, schenkte

jedoch Charlottes erstem Sohn eine

Münze zur Taufe und Reste von

Charlottes Brautstrauß landeten

auf seinem Hut, obwohl er bei ihrer

Hochzeit mit Kestner gar nicht

anwesend war. Diese unerfüllte

Liebe inspirierte den angehenden

Juristen, der sich in diesem Fach

6

gar nicht daheim fühlte, 1774 zum

Briefroman Die Leiden des jungen

Werther. Charlotte ist darin deutlich

wiederzuerkennen, ihr Mann

Albert hatte zwei Vorbilder: Kestner

und einen weiteren damaligen

Nebenbuhler Goethes. Werther

erinnert natürlich an den Schriftsteller.

Dass sich ein Wetzlarer

Kollege namens Karl Wilhelm

Jerusalem aufgrund einer unglücklichen

Liebesaffäre ausgerechnet

mit Kestners Reisepistole erschoss,

floss ebenfalls mit ein. Bei seinem

Tod war Jerusalem in blau-gelb

mit grauem Hut gekleidet, was nach

dem rasenden Erfolg des Werks

als Werther-Tracht bekannt wurde.

Dieser Kleidungsstil, den auch

Goethe bevorzugte, stand im Gegensatz

zur gängigen französischen

Hofkleidung. In genau diesem Sinn

wurde der Bestseller zum Kult, junge

Menschen im »Werther-Fieber«

nahmen den Roman als Protest

gegen herrschende Autorität und

vorherbestimmtes Bürgerleben.

Massenet gelang mit der 1892

uraufgeführten Oper Werther nach

ersten Anlaufschwierigkeiten ebenfalls

ein Riesenerfolg. Die Seelenqualen

der zwischen zwei Männern

innerlich zerrissenen Charlotte

werden wie Werthers Schmerzen

durch die romantische Musik aufs

Höchste intensiviert. Am Sterbebett

hatte Charlotte der Mutter

versprochen, ihren vernunftorientierten

Verlobten Albert zu

heiraten. So muss sie die Liebe

ihres sehnenden Verehrers ver-


AUS DEM SPIELPLAN

ZUM THEMA

schmähen, lässt ihm sogar

noch selbst Alberts Pistole zukommen,

um ihn dann noch vom

Selbstmord abhalten zu wollen.

Er stirbt in ihren Armen.

Auch hier sind die Motive der

Liebe, der Ehre und des Eids treibende

Kräfte. Wie Ernani erliegt

Werther der gesellschaftlichen

Konvention und der fehlenden

Möglichkeit zur eigenen Gestaltung

des Lebens. Nachdem ihm

klar ist, dass er trotz seiner

will dieser drei Jahre nach der

Scheinehe ihr gemeinsames

Kind holen. Die Japanerin beschließt,

Seppuku zu begehen.

Puccini komponierte die Oper

Anfang des 20. Jahrhunderts,

in dem auch die Handlung spielt.

Verlorene Ehre sowie die damit

einhergehende Schande und

das Gefühl der Scham führen zu

Butterflys Tod. Die Optionen,

eine lebenssichernde Ehe mit

einem reichen Fürsten einzu-

OPER IM FESTSPIELHAUS

ERNANI

Giuseppe Verdi

Drei Männer, eine Frau und ein

verpfändetes Leben: In Ernani

dreht sich alles um die Ehre.

Premiere

19. Juli 2023 – 19.30 Uhr

Vorstellungen

23. Juli – 11.00 Uhr

31. Juli – 19.30 Uhr

EHRENSACHE

Im 18. Jahrhundert war Ehre

»im Herzen eingewurzelt«.

Empfindungen gegenüber

Charlotte eine Distanz zu ihr aufbauen

muss, sieht er im Selbstmord

den einzigen Ausweg, hinterlässt

aber auch Charlotte und

den gemeinsamen Freund:innen

eine schwere Bürde. Handelt

Werther wirklich ehrenhaft?

Eine Begegnung zweier

Personen aus Kulturen

mit unterschiedlichen

Ehrbegriffen zeigte Puccini in

Madame Butterfly. Pinkerton

ist in Japan stationiert, wo

er eine Ehe mit Cio-Cio-San

eingeht. Für Butterfly bedeutet

dies ein ewiges Band der Liebe.

Während sich der uniformiert

auftretende Offizier gewiss an

die Ehrenrituale der Marine hält,

lässt er respektvolles Verhalten

gegenüber Cio-Cio-San

vermissen. In der Bregenzer

Inszenierung auf der Seebühne

ist das bereits beim frivolen

Auftritt zu erkennen. Während

Cio-Cio-San dem in seine

Heimat zurückgereisten

US-Amerikaner treu bleibt,

gehen oder wieder als Geisha

zu arbeiten, kommen für sie

nicht in Frage. Gegen Ende

singt sie: »Ehrenvoll sterbe,

wer nicht länger mehr leben

kann in Ehren.« Cio-Cio-San

ist – im Gegensatz zu Ernani

und Werther – an ihrem Ende

bereits von der Gesellschaft

ausgestoßen. Doch für alle

drei Titelpersonen gilt: Den

sozialen Tod vor Augen wählen

sie den Suizid als scheinbar

einzige Lösung zur Rettung

der Ehre – der eigenen und der

anderer Personen.

Anstelle eines engen Korsetts

kollektiver Zwänge durch

ein Ehrdogma sieht die Sozialwissenschaft

heute die allgemeinen

Menschenrechte sowie

die Ideale von Würde, Empathie,

Mitgefühl und Respekt. Seine

Ehre mit Waffen zu verteidigen,

liegt allerdings noch nicht lange

zurück: In Österreich-Ungarn

erließ Kaiser Karl I., in gewisser

Weise der letzte Nachfolger des

Kaisers Karl V., erst 1917 ein

endgültiges Duellverbot.

SPIEL AUF DEM SEE

MADAME BUTTERFLY

Giacomo Puccini

Eine junge Geisha und ein

amerikanischer Soldat:

Welten und Werte prallen

bei Puccini aufeinander.

Premiere

20. Juli 2023 – 21.15 Uhr

Vorstellungen

siehe Heftmitte

MUSIK & POESIE

EHRE – DAS GEKRÄNKTE ICH

Ehre als immerwährendes

Konzept – der Erzähler Michael

Köhlmeier auf anthropologischer

Spurensuche.

Vorstellung

30. Juli 2023 – 19.30 Uhr

OPERNSTUDIO AM KORNMARKT

WERTHER

Jules Massenet

Die Qualen einer unmöglichen

Liebe – Massenets Blick auf

Goethes Briefroman.

Premiere

14. August 2023 – 19.30 Uhr

Vorstellungen

16., 18. & 19. August – 19.30 Uhr

7


OPER IM FESTSPIELHAUS

»ICH LIEBE

UNVOLLKOMMENE

GESCHICHTEN!«

Mit einer Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Ernani kehrt die niederländische

Regisseurin und Direktorin der Volksoper Wien Lotte de Beer nach ihrer

hochgelobten Produktion von Gioachino Rossinis Moses in Ägypten aus dem

Jahr 2017 zu den Bregenzer Festspielen zurück. Im Interview verrät sie, was

sie an der Oper besonders interessant findet, warum die Musik immer recht

hat und worauf sie sich am meisten freut.


9

ERNANI


OPER IM FESTSPIELHAUS

Ende März feiert Moritz Eggerts

Operette Die letzte Verschwörung

in einer Inszenierung von

Ihnen an der Volksoper Wien ihre

Uraufführung. Sie stecken gerade

mitten in den Proben. Können Sie

eigentlich gerade an Ernani denken?

Lotte de Beer: Als Opernregisseurin

muss man die Liebe immer über

ganz viele Kinder verteilen, das bin

ich so gewohnt und das mag ich

auch. Es war schon so, als ich noch

ein Kind war: Ich habe immer gern

viele Bücher gleichzeitig gelesen,

weil eines allein mich sonst gelangweilt

hätte. Ich habe sie immer

abwechselnd zur Hand genommen.

Das Gleiche mache ich auch jetzt,

wenn ich an meine kommenden szenischen

Produktionen denke. Wenn

ich nun meine Gedanken zu Ernani

schweifen lasse, so empfinde ich

zuallererst ein herrliches Gefühl.

Ich bin nur zuständig für die Produktion

und nicht auch gleichzeitig für

das ganze Haus. Das ist in gewisser

Weise ein Luxus. Ernani ist aber

auch ein Wunschkind von mir, eine

Oper, die ich und auch die Festspielintendantin

Elisabeth Sobotka

schon lange auf dem Wunschzettel

hatten. Ich gebe zu, dass ich eine

Liebesbeziehung zu Verdi habe,

auch zu seinen frühen Opern. Verdi

kann stets mit musikalischen Mitteln

eine menschliche Situation so

herausvergrößern, dass sie ihren

persönlichen Charakter behält –

und gleichzeitig geht es aber immer

auch um die ganze Menschheit.

Das finde ich an dem Genre Oper

überhaupt so toll.

Ernani ist eine sehr unbekannte

und ziemlich selten gespielte Oper.

Wie ist es zu einem Ihrer Wunschkinder

geworden?

Ich habe das Libretto gelesen und

gedacht: Was für eine unglaublich

merkwürdige und imperfekte Geschichte.

Ich liebe unvollkommene

Geschichten, weil sie am besten

die Unvollkommenheit des Lebens

widerspiegeln. Mich fasziniert an

dieser Oper, dass man Menschen

sieht, die die ganze Zeit über Ehre,

Liebe, Freundschaft und Gastfreundschaft,

also immer über hohe

Ideale sprechen und gleichzeitig

drohen sie mit Selbstmord, Duellen,

Rache und Blutvergießen. Das finde

ich so typisch an uns Menschen:

Wir wollen immer etwas Besseres,

als wir schaffen können. Hinzu

kommt die Musik: Verdis Partitur

hat unglaublich schöne Momente,

aber auch stets diesen typischen

Belcanto-Rhythmus, der etwas

buffoneskes hat, auch und vor allem

in den grausamen Szenen. Die Oper

erinnert mich manchmal an Samuel

Beckett und das absurde Theater.

Sein bekanntestes Werk ist Warten

auf Godot, ein Clownsstück über

die Sinnlosigkeit der menschlichen

Existenz. Dieses Thema finde ich

in einer Variante auch bei Ernani

wieder: Es geht in dieser Oper um

die totale Unfähigkeit von uns

Menschen zusammenzuleben.

Das wird aber auf eine so unterhaltsame

Buffoweise erzählt, dass

wir auch über uns lachen können.

Das mag ich an Ernani.

Die weibliche Hauptpartie, Elvira,

wird von drei Männern unterschiedlichen

Alters begehrt und immer

wieder in ihrer emanzipatorischen

Kraft unterdrückt …

Ich sehe da kein feministisches

Motiv. Elvira ist den anderen Figuren

ganz ähnlich. Das Erste, was

sie singt, ist: »Wenn ihr nicht macht,

was ich will, dann bringe ich mich

um.« Ganz ähnlich äußert sich

auch Ernani: »Wenn ihr mir nicht

helft, so bin ich für immer verloren!«

Das alles ist sehr komisch überzeichnet

und zugleich extrem archaisch.

Es hat mit Blutvergießen zu tun.

Deshalb starten wir auch in unserer

Produktion auf der nackten Erde,

wo verschiedene Menschlein leben,

Menschlein à la Beckett. Einer von

ihnen ist Ernani und der sagt: »Mein

Herz ist gebrochen, ich suche nach

Elvira.« Für ihn wird dann als ein

Akt kulturellen Handelns ein weißes

Podest aus Papier gebaut, um seine

Heldenhaftigkeit auszudrücken.

Im zweiten Bild ersetzt ein weißes

Zimmer das provisorische Podest,

ein Zimmer aus Papier, das zerrissen

werden kann. Im dritten Bild

sind es schließlich große Säulen

aus Pappe, Luftschlösser, die die

Kulturen schaffen, wobei wir stets

glauben, dass wir das Richtige tun.

Wir wollen idealistisch sein, mit Gott

leben, einen Wertekodex befolgen,

aber man sieht immer die Unvollkommenheit.

Nehmen wir nur die

zentrale Szene im zweiten Bild des

ersten Aktes, wo drei Männer in

Elviras Schlafzimmer auftauchen,

ein besonders witziger Moment:

König Carlo bedrängt Elvira, sie

weist ihn zurück mit der Drohung,

sich umzubringen. Es kommt zu

einer kleinen Verfolgungsjagd, ehe

Ernani das Schlafzimmer betritt und

ihn zum Duell herausfordert, was

Elvira wiederum zu verhindern weiß.

Als Letzter kommt der Elvira eigentlich

zugedachte Silva, der sich von

gleich zwei Nebenbuhlern betrogen

fühlt und auf die Knie fällt, als er den

König erkennt.

Sie erwähnen Papier als zentrales

Material in Ihrer Produktion.

Wir sehen eine Menschheit wie bei

Beckett, die sich eine Kultur aufbaut,

Zimmer, Paläste, Wände,

die sich auch über ihre ärmlichen

Klamotten mit Papier Schilder und

Harnische bastelt. Doch diese Kultur

wird sofort zerstört. Der Vorteil

bei einem Papierkostüm ist, dass

man sich einerseits als Soldat oder

Jungfrau fühlen kann und andererseits

kann es zerrissen und mit Blut

beschmiert werden. Wir können so

die zerstörerische Kraft des Menschen

zeigen. Etwas zu zerstören ist

viel stärker als etwas aufzubauen.

Im zweiten Akt reden Ernani und

Silva ständig über Wahrheit, Tod

und Zerstörung statt über das Leben

oder über die Liebe.

Am Ende begeht Ernani Suizid …

… und ganz viele Personen sterben

schon in der Szene davor. Carlo lässt

10


LOTTE DE BEER studierte erst Gesang, Klavier und Schauspiel, später Regie

an der Hochschule der Künste in Amsterdam. Nach ihrem Abschluss machte

sie sich schnell einen Namen in der europäischen Musiktheaterlandschaft,

2022 wurde sie bei den International Opera Awards für die beste Regie ausgezeichnet.

Seit 2022 ist sie Direktorin der Wiener Volksoper.

ERNANI

die adeligen Verschwörer umbringen,

erst nach unendlichen Toten

begnadigt er auf Fürsprache von

Elvira die übrigen, darunter auch

Ernani und Silva. Das reine weiße

Kulturbühnenbild ist getränkt von

Blut und so endet auch die Oper:

mit einer blutgetränkten Erde.

Duell geht. Auf dieser Welle muss

man mitsurfen, ohne zu sagen, wir

nehmen diese Dinge nicht ernst.

Sie wollen sich ja töten.

Die Musik hat immer recht, hat

auch Enrique Mazzola, der Dirigent

der Produktion, immer recht?

etwas trinken oder einen Spaziergang

machen. Das vermisse ich in

dieser hektischen Welt, wo jede

Minute sinnvoll benutzt werden

muss. Einfach sich in einer entspannten

Situation austauschen,

das bringt die Kunst weiter!

Wie passt das zusammen, eine

Slapstick-Ästhetik und knallharter

Splatter?

Für mich sind das zwei Seiten der

gleichen Medaille. Komödien muss

man spielen wie Tragödien und Tragödien

wie Komödien. Bei Ernani bin

ich mir noch nicht sicher, ob es eine

komisch komponierte Tragödie oder

eine Komödie mit sehr tragischen

Elementen ist. Es steht genau auf

der Schnittstelle und deshalb finde

ich es so gut. Es hat eine hoffnungslose

Botschaft, aber die Musik und

die Szene sind beste Unterhaltung.

Das zieht mich an. Aber Blut ist Blut

und Tod ist Tod. Das Überdrehte

ist im Stück drinnen, man muss es

eigentlich nur akzentuieren. Wenn

man eine realistische Darstellungsweise

sucht, so steckt man schnell

fest, denn die Musik mit ihren

lustigen Elementen hat immer recht,

auch wenn es um Tod, Mord und

Kein Prozess ist gut, wenn Musik

oder Szene allein den Ton angibt.

Es ist eine Heirat und dabei muss es

ein Gleichgewicht geben. Enrique

kennt aber diese Musik sehr gut und

ich werde gut auf ihn hören, wenn er

was erklärt.

Sie waren schon einmal in Bregenz

und kommen nun wieder zurück.

Worauf freuen Sie sich am meisten?

Die Bregenzer Festspiele sind wie

ein Sommercamp für erwachsene

Künstler:innen. Man kommt aus

Bregenz schlecht weg, deshalb

bleiben die Meisten während der

Probenzeit vor Ort und sind nicht

noch irgendwo anders in der Welt

unterwegs. Deshalb hat man diese

fantastische Konzentration. Die

Leute wollen proben und gleichzeitig

kann man auch miteinander

schwimmen gehen, gemeinsam

11

OPER IM FESTSPIELHAUS

ERNANI

Giuseppe Verdi

Musikalische Leitung

Enrique Mazzola

Insze nie rung Lotte de Beer

Bühne | Kostüme Christof Hetzer

Prager Philharmonischer Chor

Bühnenmusik in Kooperation

mit der Stella Vorarlberg

Privathochschule für Musik

Wiener Symphoniker

PREMIERE

19. Juli 2023 – 19.30 Uhr

WEITERE VORSTELLUNGEN

23. Juli – 11.00 Uhr

31. Juli – 19.30 Uhr

Festspielhaus | Großer Saal


»DAS EINZIGE, WAS

UNS WIRKLICH RETTET,

IST DIE PHANTASIE!«

BURGTHEATER ZU GAST

Bereits zum dritten Mal begrüßen die Bregenzer Festspiele zur Osterzeit

das Burgtheater im Festspielhaus, dieses Jahr mit der Neuproduktion von

Ferdinand Raimunds Zauberspiel Die gefesselte Phantasie. Herbert Fritsch,

der Komödienspezialist, zeichnet für die Inszenierung verantwortlich.

Regisseur Herbert Fritsch und die Burgschauspielerin Maria Happel, die für

Die gefesselte Phantasie in die Rolle der Inselkönigin Hermione schlüpft.

12


Königin Hermione hat einen

Eid abgelegt. Sie wird nur

denjenigen zum Mann nehmen,

der sie mit Gedichten verzaubert.

Auf der Blumeninsel Flora

gewinnt Amphio, als Hirte verkleidet,

mit seinen Gedichten ihr Herz.

Die Liebschaft zwischen Hermione

und dem vermeintlichen Hirten

bleibt erst einmal geheim. Als die

unheilstiftenden Zauberschwestern

Vipria und Arrogantia die Insel

verwüsten, kann laut Orakel nur eine

Heirat Hermiones die beiden aufhalten.

Doch die Zauberschwestern

nehmen die Phantasie gefangen. Und

ohne Phantasie keine Poesie! Muss

Hermione ihr Versprechen brechen?

Die gefesselte Phantasie ist eine

Zauberposse aus der Feder des Dramatikers,

Schauspielers und Regisseurs

Ferdinand Raimund. Herbert

Fritsch, der Spezialist für Komödien

und eigene, meist urkomische und

phantasievolle Bühnenstücke, wird

diese Phantasie entfesseln: Er inszeniert

das Stück in einer Fassung von

Sabrina Zwach für das Burgtheater,

das am Osterwochenende in Bregenz

zu Gast ist. Während der Proben

sprach Sabrina Zwach mit Herbert

Fritsch über die Fähigkeit, sich

Dinge auszudenken und mit neuen

Vorstellungen zu verknüpfen:

Herbert, wie bist du eigentlich

auf das Stück Die gefesselte

Phantasie gekommen?

Herbert Fritsch: Ich bin da nicht darauf

gekommen, das wurde mir von

meiner Dramaturgin »befohlen«.

Hat jeder Mensch Phantasie?

Natürlich. Sonst kann man ja gar

nicht leben! Das ist ja auch das

große Problem unserer Gesellschaft.

Wir sind mittlerweile eine

Gesellschaft, die vom Schein lebt,

und der Schein ist das Produkt

unserer Phantasie.

Außer der Geldschein, nicht wahr?

Ernsthaft: Wir haben es in unserer

Gesellschaft mit einer pervertierten

Form der Phantasie zu tun.

Kann man Phantasie fördern?

Kann man Phantasie ausbilden?

Die Phantasie ist eben wie gesagt

bei jedem Menschen grundsätzlich

vorhanden. Wenn es Probleme

mit der Phantasie gibt, dann, wenn

sie kaputt gemacht oder pervertiert

wird. Wenn sie pervertiert wird,

wird sie für Propaganda benutzt,

wie zum Beispiel die Werbung, da

wird die Phantasie angeregt, aber

in eine Richtung, in der uns eine

Realität vorgespielt wird – eine

phantastische. Oder eben ein

anderes Problem: Die Phantasie

wird gar nicht angeregt. Manche

Menschen wissen gar nicht, dass

sie Phantasie haben und entdecken

irgendwann die Phantasie und

da können dann ganz schlimme

Sachen daraus hervorgehen oder

eben schöne. Die Phantasie ist

ja nicht nur etwas Positives.

Man kann ja auch ganz brutale

Phantasien haben.

Wenn du derjenige wärst, der unsere

materialgewordene Phantasie

ausstatten müsstest, wie würde

sie aussehen?

Die Phantasie wäre für mich ein

Gesicht ohne Schatten und ein

Gesicht ohne Schatten könnte

man nicht sehen, aber es wäre

ein Gesicht.

Sehr schön! Hast du eine Phantasie

für ein Theater der Zukunft?

Das Einzige, was uns wirklich rettet,

ist die Phantasie und in diesem

Gedanken gibt es noch einen

Aspekt, den ich erwähnen will:

Ich komme jetzt auf Marquis de

Sade zu sprechen! Denn Marquis

de Sade ist mit seiner Phantasie

durch dicke Eisentüren gekommen.

Er hatte schlimme Phantasien, die

uns jedoch etwas erzählt haben.

Man kann sich bestimmte Sachen

vorstellen und auf einmal stellt sich

heraus, dass es diese Dinge wirklich

gibt. Deshalb hat Phantasie für

mich fast etwas Übersinnliches.

Die Phantasie ist wie ein zusätzlicher

Sinn, den wir haben.

BURGTHEATER ZU GAST

DIE GEFESSELTE PHANTASIE

Ferdinand Raimund

Insze nie rung | Bühne

Herbert Fritsch

DIE GEFESSELTE PHANTASIE

Du hattest ja bereits eine Beziehung

zu Ferdinand Raimund … ?

Ja, ich hatte während meiner Zeit

an der Otto-Falckenberg-Schule

in München eine wunderschöne

Aufführung von Alpenkönig und

Menschenfeind gesehen. Das hat

mir sehr gefallen und den Wunsch

geweckt, einmal Raimund zu inszenieren.

Ich hätte auch Alpenkönig

und Menschenfeind gemacht, aber

du hast mich ja gezwungen ...

In deinem Beruf, der im besten Fall

mit Phantasie verknüpft ist, weißt

du, dass du sie hast? Verlässt du

dich darauf ?

Das gibt es immer wieder, dass ich

blockiert bin. Ich würde das eben als

geistige Trockenheit bezeichnen,

wenn mir nichts mehr einfällt. Nur

wenn ich akzeptieren und zulassen

kann, dass es diese Momente eben

gibt, dann kann ich die Phantasie

auch wieder mobilisieren.

Kostüme Geraldine Arnold

Mit Maria Happel, Arthur Klemt,

Tim Werths, Sarah Victoria Frick u. a.

PREMIERE

8. April 2023 – 19.30 Uhr

WEITERE VORSTELLUNG

9. April – 16.00 Uhr

Festspielhaus | Großer Saal

Hier geht’s zum

Teaser-Video:

13


14


ENTFESSELTE

PHANTASIE

Seit 18 Jahren ist die Dramaturgin und Bearbeiterin von

Stücktexten Sabrina Zwach an der Seite von Herbert Fritsch.

Die Redaktion der Festspielzeit hat sie um einen Einblick in

die gemeinsame Arbeit gebeten.

DIE GEFESSELTE PHANTASIE

Die gefesselte Phantasie von

Ferdinand Raimund in einer

Bearbeitung von mir feiert

Ende März im Burgtheater in einer

Inszenierung von Herbert Fritsch

Premiere. Gefragt, wie sich mein

Schreiben für die Inszenierungen von

Herbert Fritsch gestaltet, möchte

ich mit einer Definition aus dem

Wörterbuch der deutschen Sprache

beginnen, die nicht mich, sondern

eher den Regisseur beschreibt.

INTUITION f.

»Eingebung, ahnendes Erfassen,

Erkenntnis ohne wissenschaftliche

Einsicht«, entlehnt (18. Jh.) aus lat.

intuitio »das Erscheinen des Bildes

im Spiegel«, spätlat. »geistiges

Schauen«, daher (in der scholastischen

Philosophie) »durch Schauen

(nicht durch Denken) erworbene

Kenntnis«; zu lat. intuērī »genau

auf etw. hinsehen, etw. geistig

betrachten«. – intuitiv Adj. »gefühlsmäßig,

instinktiv erfassend, auf

Eingebung zurückgehend«.

Seit 18 Jahren schreibe ich für das

Theater von Herbert Fritsch, arbeite

ich als Dramaturgin für seine Inszenierungen.

18 Jahre, da denke ich

entweder an die Aufzucht eines Kindes

oder an die Reife von Whiskey;

egal, in welche Richtung ich denke,

es ist eine lange, ereignisreiche Zeit.

Angefangen hat alles mit hamlet_X,

dem crossmedialen Kunstprojekt von

Herbert Fritsch, das er in Berlin realisierte,

als er noch Schauspieler im

Ensemble der Volksbühne von Frank

Castorf war. Über 50 Kurzfilme, ein

Künstlerbuch, eine Hamlet-Verfilmung

in Kinolänge, für die ich das

Drehbuch geschrieben habe – die

Zeitung schrieb, der Film sehe so

aus, als hätte Luis Buñuel auf LSD gedreht

–, und mehrere Installationen

entwickelten wir in den 2000er-Jahren.

Dann beendete Herbert seine

erfolgreiche Schauspiel-Karriere und

begann seine nächste, als Regisseur

und Bühnenbildner.

Ich schreibe in der Regel die Fassungen,

übersetze und bearbeite,

vornehmlich, aber nicht ausschließlich,

Komödien. Fast immer bin ich

dann im weiteren Verlauf der Arbeit

auch die Produktionsdramaturgin.

Ich schreibe die Texte über die

Inszenierungen, die Porträts über

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Herbert und seine Arbeit, ich erfinde

Interviews, die wir nie geführt haben:

ein Traum!

Ja, tatsächlich ein Traum, weil es

einerseits einfach Spaß macht.

Und andererseits, weil der Traum

eben nicht intellektuell, nicht

diskursiv, nicht vorbereitet, nicht

ideologisch ist, weil Träume gewöhnlich

als sinnlich-lebendiges, halluzinatorisches

Geschehen beschrieben

werden und das auch die Beschreibung

einer Inszenierung von Herbert

Fritsch sein könnte. Oder anders gesagt:

Herbert Fritsch ist ein Meister

der Intuition.

Das Schreiben unterscheidet sich

davon wesentlich. Mein Schreibprozess

ist nicht intuitiv. Mein Schreibprozess

ist diskursiv, ist intellektuell,

im Bewusstsein, dass ein Text für

eine Inszenierung entsteht, die

traumtänzerisch über die Dialoge

gleiten wird, im Bewusstsein, dass

der Regisseur sich nicht in erster

Linie für den Text interessieren wird,

sondern den Text als eine von vielen

Komponenten sehen, intuitiv mit

Worten und Inhalten umgehen wird.


BURGTHEATER ZU GAST

Dreimal Fritsch, eine klare Handschrift: Der Freischütz am Opernhaus Zürich (oben), Salome am Theater Basel (unten)

und Der fliegende Holländer an der Komischen Oper Berlin (S. 14).

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Theater ist nicht die Unterabteilung

der Literaturwissenschaft oder

angewandte Textinterpretation. In

Herberts Kosmos kommt einiges zusammen

und in diesem Verständnis

gehe ich meinen Teil der Arbeit an.

Ziemlich zu Beginn unserer Zusammenarbeit

standen Herbert und

ich gemeinsam – nur wir beide – auf

der Bühne. ANGST – ein performatives

Konzert über den schlechtesten

Berater unserer Zeit war Herberts

Inszenierung, ich habe meine Texte

geschrieben und versucht, durch den

Abend zu führen, Herbert hat sich

lediglich an Szenenüberschriften orientiert

und seinen Text jeden Abend

neu entwickelt. Im Tagesspiegel

(24. November 2007) stand, es werde

eine »Internationale der Phobien«

beschworen. »Sabrina Zwach moderiert

mit Hasenzähnen eine 90-minütige

Zitter-Party, die hemmungslos

assoziativ und radikal selbstreflexiv

die Angst des Schauspielers vor

dem Verschwinden beleuchtet.«

Das Ganze sei: »Erschreckend gut«.

Unmittelbar habe ich – in 60 Vorstellungen

– die Intuition, das Wissen

über das Existieren auf der Bühne,

das Herbert Fritsch hat, zu spüren

bekommen, und ein anderes, neues

Verständnis von Text erfahren.

Der Schreibprozess an und für

sich ist immer ähnlich und nicht

erzählenswert. Er ist einsam, von

großer Freude und Glückseligkeit

geprägt, von Verzweiflung, Motivationslöchern

und am Ende von

Zeitdruck, weil eine Deadline mit

irgendeiner Partei – dem Theater

oder einem Verlag – vereinbart

wurde. Das Besondere am Schreiben

für die Inszenierungen von Herbert

Fritsch ist, dass es durch ihn keinerlei

Beschränkungen oder Vorgaben

im Denken gibt. Die meist historischen

Texte bleiben historisch, es

finden keine Modernisierungen

statt, es werden keine tagespolitischen

Bezüge eingefügt, und doch

werden die Texte verändert. Spuren

werden beseitigt, die den Text zu

eindeutig – in Ort, Zeit oder Lesbarkeit

– machen. Die historischen

Stoffe werden vorsichtig aufpoliert,

verkehrstauglich gemacht oder etwas

beschleunigt. Figuren verschwinden

oder kommen dazu. Herbert liest

meine Fassungen oft nicht vor dem

Probenstart. Er lässt sich überraschen.

So oder so ähnlich beschreibt

er diesen Vorgang zumindest. Für

meine Bearbeitung und Übersetzung

von William Shakespeares Macbeth

am Neuen Theater in Halle 2010 gab

es dazu ein Interview:

Zwach: Also, warum machst du Macbeth?

Fritsch: Die Frage stelle ich mir nie.

Ein Stück ist eine Spielregel. Die

Schauspieler:innen stehen auf dem

Spielfeld und spielen nach dem jeweiligen

Regelwerk und dann kommt

etwas raus, was vorher nicht im

Stück stand. Das ist doch völlig egal,

welches Stück ich mache, aber bei

Macbeth gibt es eine hohe Zahl von

Buchstaben und Wörtern, die mich

einfach treffen, fertig! Und deine

Übersetzung habe ich mir bei der

Leseprobe vorlesen lassen und an

der Art, wie die Schauspieler:innen

es gelesen haben, wusste ich, dass

der Text gut ist und mich treffen

wird. Bei einem anderen Ensemble

hätte mich dein Text vielleicht überhaupt

nicht gejuckt!

Meine Schreibweise für Herbert

Fritschs Inszenierungen ist außerdem

geprägt von dem Wissen, dass

ein Ensemble den Text sprechen,

singen und tanzen wird. Herbert

Fritschs Inszenierungen sind

Ensemblearbeiten, sind schauspielerisch-artistische

Hochleistungen,

huldigen der Schauspielkunst, sind

immer Musiktheater, manchmal

auch Ballette. Sie sind bunt und oft

komisch. Wenn Personen Komisches

erfinden, werden sie oft nicht ernst

genommen, weil Ernst und Komik als

Gegensatzpaar gelten. Die Überschriften

der Kritiken lauten dann

auch: »Kinder, ist das lustig«, oder

»Ein Sack voller Knallfrösche« oder

»Action Acting und Apfelsaft« oder

»Irre ins Unbekannte starren«. Der

Text als solcher oder die Fassungen

werden oft genauso betrachtet.

Meines Erachtens muss man kein

ernstes Gesicht machen, um ernst zu

sein, und macht einen Fehler, indem

man das Komische bagatellisiert.

Für das Theater Basel durfte ich

das Libretto von Dmitri Schostakowitschs

Die Nase nach Nikolai Gogol

für Herberts Inszenierung 2022

bearbeiten. Erstmals war die Nase

eine Frau. Einfach weil es »Die Nase«

heißt und weil ich es im Verlauf der

Handlung lustig fand, dass ein Mann

seine Nase verliert, die sich verselbständigt

und als weibliche Nasen-

Figur wieder auftaucht und ihm das

Leben schwer macht. Hubert Wild

interpretierte die Nase als weiblich

gelesene Figur. Der für mich große

und aufregende Umbau blieb weitestgehend

unbemerkt. Das gehört

eben auch zum Schreibprozess, dass

man sich allein freut und die Arbeit

unsichtbar ist.

Kommen wir also zurück zu den

18 Jahren; wenn unsere Arbeit ein

Whiskey wäre, dann wäre er schottisch

und torfig und womöglich wäre

ein bisschen Zuckercouleur darin.

Wenn unsere Arbeit das 18-jährige

Kind wäre, dann wäre es viel herumgekommen

und hätte einen Glaubenssatz

konsequent gehört: Kunst

ist die Lösung all deiner Probleme.

SABRINA ZWACH studierte Kultur-

wissenschaften und ästhetische

Praxis. Sie arbeitete als leitende

Dramaturgin des Zürcher Theater

Spektakel und übernahm von 2008

bis 2011 die Leitung der Presse-

und Öffentlichkeitsarbeit der Volksbühne

am Rosa-Luxemburg-Platz

in Berlin. Sie arbeitet als freie

Dramaturgin, Autorin und Produzentin

für Regisseur:innen wie Herbert

Fritsch, Angela Richter und Ersan

Mondtag, Antú Romero Nunes,

Robert Borgmann, Anne Lenk und

Mateja Koležnik. Ab der Spielzeit

2017|2018 arbeitete Sabrina

Zwach als Dramaturgin am Berliner

Ensemble, bis 2021 am Burgtheater.

DIE GEFESSELTE PHANTASIE

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DAS FESTSPIELJAHR

IM ÜBERBLICK

SPIEL AUF DEM SEE

MADAME BUTTERFLY

Giacomo Puccini

SPIELPLAN 2023

BURGTHEATER ZU GAST

DIE GEFESSELTE PHANTASIE

Ferdinand Raimund

Inszenierung | Bühne Herbert Fritsch

8. April – 19.30 Uhr

9. April – 16.00 Uhr

JUNGE FESTSPIELE

DIE ZAUBERFLÖTE – DER KLANG DES FRIEDENS

Musikalische Leitung Alfredo Salvatore Stillo

Inszenierung Caroline Leboutte

Für Schulen: 23. Mai – 10.00 Uhr & 14.00 Uhr

24. Mai – 10.00 Uhr

Für Familien: 24. Mai – 18.00 Uhr

FESTSPIELGESPRÄCHE

WERKSTATTGESPRÄCH ERNANI

Gäste Künstler:innen der

Oper im Festspielhaus Ernani

Moderation Annette Raschner (ORF)

3. Juli – 20.00 Uhr

JUNGE FESTSPIELE

YOUNG PEOPLE’S NIGHT

Ein ganzer Tag für junge Menschen

zwischen 14 und 26 Jahren. Höhepunkt

ist der Besuch des Spiels auf dem See

Madame Butterfly um 21.15 Uhr.

15. Juli – Detailprogramm ab Mai verfügbar

KLOSTERKIRCHE MEHRERAU

FESTMESSE

16. Juli – 10.00 Uhr

Dirigent | Chorleitung Benjamin Lack

Bregenzer Festspielchor

Symphonieorchester Vorarlberg

Gabriel Fauré und André Messager Messe des

pêcheurs de Villerville für Frauenstimmen,

Kammerorchester und Orgel

Musikalische Leitung Enrique Mazzola,

Yi-Chen Lin

Inszenierung Andreas Homoki

20., 21., 22., 23., 25., 26., 27., 28.,

29. & 30. Juli – 21.15 Uhr

1., 2., 3., 4., 5., 6., 9., 10., 11., 12., 13., 15.,

16., 18., 19. & 20. August – 21.00 Uhr

OPER IM FESTSPIELHAUS

ERNANI

Giuseppe Verdi

Musikalische Leitung Enrique Mazzola

Inszenierung Lotte de Beer

19. & 31. Juli – 19.30 Uhr

23. Juli – 11.00 Uhr

THEATER AM KORNMARKT

DER ZERBROCHNE KRUG

Heinrich von Kleist

Inszenierung Anne Lenk

21., 22. & 24. Juli – 19.30 Uhr

WERKSTATTBÜHNE

THE FAGGOTS AND THEIR FRIENDS

BETWEEN REVOLUTIONS

Ted Huffman | Philip Venables

Musikalische Leitung Yshani Perinpanayagam

Inszenierung Ted Huffman

27. & 28. Juli – 20.00 Uhr

FRANUI ZU GAST

DIE SCHÖNE MÜLLERIN

Franz Schubert | Musicbanda Franui

Musiktheaterabend mit Florian Boesch,

Nikolaus Habjan und der Musicbanda Franui

3. August – 17.00 Uhr

BOCHABELA STRING ORCHESTRA ZU GAST

ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE

Von der Kunst des Trauerns

Dirigent Gerald Wirth

Mit dem Bochabela String Orchestra & Friends

und dem Landesjugendchor VOICES

8. August – 19.30 Uhr


KONZERT IM KUB

Sopran Shira Patchornik

Werke von Éna Brennan u. a.

9. August – 21.00 Uhr

JUNGE FESTSPIELE

BRASS APPASSIONATO

Dirigent Martin Kerschbaum

Absolvent:innen des 6. Internationalen

Blasmusik-Camps

Dozent:innen der Wiener Symphoniker

13. August – 11.00 Uhr

OPERNSTUDIO AM KORNMARKT

WERTHER

Jules Massenet

Musikalische Leitung Claire Levacher

Inszenierung Jana Vetten

14., 16., 18. & 19. August – 19.30 Uhr

WERKSTATTBÜHNE

DIE JUDITH VON SHIMODA

Fabián Panisello

Musikalische Leitung Walter Kobéra

Inszenierung Philipp M. Krenn

17. & 19. August – 20.00 Uhr

MUSIK & POESIE

23. Juli – 19.30 Uhr

KLEIST – DAS ERDBEBEN IN CHILI

Lesung Ulrich Matthes

30. Juli – 19.30 Uhr

EHRE – DAS GEKRÄNKTE ICH

Klavier Sergey Tanin

Erzähler Michael Köhlmeier

ORCHESTERKONZERTE

WIENER SYMPHONIKER

24. Juli – 19.30 Uhr

Dirigent | Cembalo | Akkordeon

Omer Meir Wellber

Richard Strauss Tanzsuite nach Klavierstücken

von François Couperin, Auszüge

Ayal Adler In Motion. Konzert für Continuo

und großes Orchester (Uraufführung)

Richard Strauss Ein Heldenleben. Tondichtung

für großes Orchester Es-Dur op. 40

30. Juli – 11.00 Uhr

Dirigent Dirk Kaftan

Sopran Marlis Petersen

Charles Ives Central Park in the Dark

Richard Strauss Vier letzte Lieder

Florence Price Symphonie Nr. 1 e-Moll

7. August – 19.30 Uhr

Dirigentin Marie Jacquot

Violine Benjamin Schmid

Maurice Ravel Valses nobles et sentimentales

Grażyna Bacewicz Konzert für Violine und

Orchester Nr. 3

Jean Sibelius Symphonie Nr. 1 e-Moll op. 39

ORCHESTERKONZERTE

SYMPHONIE ORCHESTER VORARLBERG

20. August – 11.00 Uhr

Dirigent Leo McFall

Violine Kian Soltani

Paul Dukas Der Zauberlehrling. Scherzo nach

einer Ballade von Johann Wolfgang von Goethe

Dmitri Schostakowitsch Konzert für Violoncello

und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 126

Antonín Dvořák Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88

SPIELPLAN 2023

6. August – 19.30 Uhr

BRECHT – UND EIN SCHIFF MIT ACHT SEGELN

Sopran Roxane Choux

Lesung Luzian Hirzel

Das ausführliche Programm der Bregenzer

Festspiele 2023 finden Sie auf unserer

Website www.bregenzerfestspiele.com.


SPIEL AUF DEM SEE

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DIRIGENT

AUF GROSSER

MISSION

MADAME BUTTERFLY

Enrique Mazzola dirigierte bei den Bregenzer Festspielen bereits mehrere

Orchesterkonzerte, betreute 2017 Gioachino Rossinis Moses in Ägypten im

Festspielhaus, leitet nach seinem gefeierten Debüt auf der Seebühne mit

Giuseppe Verdis Rigoletto dieses Jahr zum zweiten Mal Giacomo Puccinis

Madame Butterfly und kehrt 2024 für Carl Maria von Webers Der Freischütz

erneut nach Bregenz zurück.

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Sie sind Musikdirektor an der

Lyric Opera Chicago, Erster

ständiger Gastdirigent an der

Deutschen Oper Berlin, sind im

Sommer in Bregenz, dirigieren Konzerte

auf der ganzen Welt. Wie lebt

es sich auf Reisen?

SPIEL AUF DEM SEE

Enrique Mazzola: Ich habe das

Glück, an jedem Ort für längere Zeit

bleiben zu können. In Chicago ein

paar Monate im Jahr, in Bregenz

den Sommer über. Wenn ich in

Berlin eine neue Produktion mache,

bin ich mindestens sechs Wochen

dort. Aber es stimmt, ich reise

viel und gerne, denn ich liebe es,

Menschen kennenzulernen. Auch

im Flugzeug sitzen manchmal sehr

interessante Leute neben mir.

2022 nahmen Sie zusätzlich die

neu geschaffene Position eines

Conductor in Residence bei

den Bregenzer Festspielen an.

Was bedeutet das in Ihrem Fall?

Nicht nur die Sänger:innen, auch die musikalische Leitung ist beim Spiel auf

dem See mehrfach besetzt: Enrique Mazzola und seine Kollegin Yi-Chen Lin

bei den Proben zu Madame Butterfly.

Das bedeutet, dass ich als Dirigent

in Bregenz für die kommenden drei

Saisonen jeweils für ungefähr zwei

Monate anwesend bin. Wir greifen

den Schwung auf, den wir bisher

gemeinsam kreiert haben. Ich bleibe

Gastdirigent, betreue meine Stücke,

aber mit größerer Regelmäßigkeit

als die anderen Gastdirigent:innen.

Das führt zu einer starken Verbundenheit

mit allen Mitarbeiter:innen

des Festivals. Die Wiener Symphoniker

und die Sänger:innen wissen,

wie ich arbeite, der Regisseur weiß,

dass ich zu jeder Probe komme, die

Tontechniker:innen kennen meine

Vorstellung vom Klang auf der

Seebühne. Conductor in Residence

zu sein, das ist eine bestimmte

Form der Zusammenarbeit. Diesen

Mazzola-Stil gibt es nun kontinuierlich

in den nächsten drei Saisonen.

Spiels auf dem See im Festspielhaus.

Für mich ist es keine große

Herausforderung, diese Distanz

zu überwinden, denn das passiert

mithilfe hauseigener Technik. Der

relevante Unterschied ist für mich,

dass das Publikum hinter meinem

Rücken fehlt. Wenn ich im Orchestergraben

eines Opernhauses stehe

oder in Bregenz ein symphonisches

Konzert dirigiere, fühle ich die

Menschen hinter mir. Ich nehme

die Wärme wahr, das Atmen, die

minimalen Bewegungen oder den

Ausdruck von Erstaunen, wenn sie

überrascht sind. Deshalb ist es ein

unbeschreibliches Gefühl, wenn ich

nach zwei Stunden Dirigat über die

Brücke auf die Seebühne gehe und

endlich mein Publikum sehen kann.

einer Oper wie Madame Butterfly

brauchen die Sänger:innen ein paar

Tage, um sich von dieser Höchstleistung

zu erholen. Tatsächlich

führt das manchmal zu komplizierten

Situationen, weil ich versuche,

die Butterfly jedes Mal auf die

gleiche Weise zu dirigieren. Aber

jeder Sänger, jede Sängerin hat eine

eigene Persönlichkeit und das führt

zu kleinen Veränderungen. Bei drei

unterschiedlichen Besetzungen

erwartet man Unerwartetes. Das erfordert

jede Sekunde eine unglaublich

hohe Konzentration.

Gab es für Sie während der Butterfly-

Proben trotz Ihrer umfangreichen

Erfahrungen neue Erkenntnisse?

Was ist für Sie der größte Unterschied

zwischen der Seebühne und

einem klassischen Opernhaus?

Wie das Publikum weiß, sind Dirigent:in

und Orchester während des

Die Hauptrollen bei dem Spiel

auf dem See sind dreifach besetzt.

Ist das für Sie stressig?

Für das Festival ist es eine Notwendigkeit,

dreifach zu besetzen. Nach

Bei einer neuen Produktion gibt

es immer Überraschungen! Eine

neue Produktion entspringt einer

kontinuierlichen Zusammenarbeit

von Regie und musikalischer Leitung

und die Regie kann Interpretationsideen

mitbringen, die ich mir

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niemals erträumt hätte. Bei Madame

Butterfly diskutierten Regisseur

Andreas Homoki und ich lange Zeit,

ob Pinkerton Cio-Cio-San liebt oder

ob er sie nicht liebt. Gleich sein

erster Auftritt ist frivol, frech, ungestüm,

ohne Rücksichtnahme und

Respekt. Ihm ist die Katastrophe

nicht bewusst, die er verursacht.

Aber es gibt einen Moment im

Liebesduett, in dem er komplett die

Kontrolle über sich selbst verliert.

Und vielleicht ist er in diesem einen

Augenblick wirklich verliebt. Solche

Dinge ändern sich von einer Neuproduktion

zur anderen. Man kann

entscheiden, dass Pinkerton der

Butterfly auf den ersten Blick verfällt

oder dass die ganze Angelegenheit

für ihn ausschließlich Spiel und

Spaß ist. Wir haben uns entschieden,

dass er diesen einen Moment

ganz in der Liebe ist.

Im Sommer 2023 leiten Sie nicht nur

Madame Butterfly, sondern auch die

Oper im Festspielhaus Ernani. Wie

funktioniert diese Doppelrolle?

Ich bin aufgeregt, es wird für mich

eine neue Erfahrung. Genau das

bedeutet Conductor in Residence:

Ich werde täglich beim Festival sein,

durchgehend von 10.00 bis 23.00

Uhr. Vormittags probe ich abwechselnd

Madame Butterfly und Ernani,

am Nachmittag Ernani und abends

Madame Butterfly. Da werde ich

sehr »resident« sein.

Sie gelten als Belcanto-Spezialist.

Gibt es für Sie in Ernani eine Stelle,

die musikalisch besonders hervorzuheben

ist?

Das Terzett am Ende ist ein ganz

starker Moment. Ernani entscheidet

sich zu sterben, aber seine

Musik und die seiner Liebe Elvira ist

voller Leidenschaft. Kopf und Herz

scheinen sich in ihm zu widersprechen,

das fühlt man in der Musik.

Verdi komponierte das Terzett

äußerst subtil und verwendet Lautstärken

von Fortissimo für alle bis

hin zum leisen Flüstern einzelner

Stimmen. Manchmal scheint es, als

ob die Personen nur zu sich selbst

sprechen würden. Es ist quasi ein

multidimensionales, hochinteressantes

Terzett.

Inhaltlich geht es in dieser Oper um

große Liebe und einen tief verinnerlichten

Ehrbegriff.

Die Dramaturgie ist nicht der

stärkste Punkt dieser Oper. Aber sie

wird bis heute so geliebt, weil Verdi

überwältigende Musik geschrieben

hat. Ernanis Ehransinnen klingt

für heutige Ohren stellenweise

lächerlich. Aus moderner Sichtweise

heraus würde ich sagen, dass Elvira

die authentischste Figur der Oper

ist. Ihre Leidenschaft, ihr Mitgefühl,

ihre Opferbereitschaft. Alle anderen

Personen kreisen nur um sich

selbst. Auch Ernani kümmert sich

in gewisser Weise ständig nur um

seine Ehre. Für mich ist Elvira die

wirkliche Heldin der Oper.

An diese Begeisterung schließt

die letzte Frage an. Was macht

die Bregenzer Festspiele für Sie

einzigartig?

Was mich enthusiastisch macht

in Bezug auf das Festival, ist die

Möglichkeit, in über einem Monat

eine Vielzahl abwechslungsreicher

Aufführungen zu präsentieren

und auf der Seebühne über 6.000

Menschen fast täglich in eine zauberhafte

Welt zu entführen. Das

Publikum besteht aus Opernfans,

Kindern, die zum ersten Mal eine

Inszenierung erleben, und jungen

Leuten, die ein außergewöhnliches

Event suchen. Manche kommen von

weit her, weil sie von der hervorragenden

Seebühne hörten, andere

kommen seit Jahren. Ich bin stolz,

hier zu dirigieren, im Wissen, dass

wir Oper in die Herzen einer so großen

und diversen Gruppe bringen,

jeden Abend wieder. Durch diese

Magie wurde meine Arbeit zu einer

Mission. Ich liebe diese Mission, sie

ist ein Teil meines Bregenzer Seins

und Wirkens.

ENRIQUE MAZZOLA

ist seit 2022 Conductor

in Residence der Bregenzer

Festspiele, leitet in diesem

Sommer sowohl Giacomo

Puccinis Madame Butterfly

als auch Giuseppe Verdis

Ernani und lebt in der

magischen Opernwelt

der Bregenzer Festspiele

seine Mission.

MADAME BUTTERFLY

23


»Alles außer

gewöhnlich.«

BR KLASSIK, ONLINE

Gute Unterhaltung wünschen die Hauptsponsoren



#VIELEN

DANK!

NORMALERWEISE ALS NEBENDARSTELLER IM HINTERGRUND,

NUN IM FOKUS DER AUFMERKSAMKEIT: DAS PAPIERBOOT AUS DER

GEWINNSPIEL

MADAME BUTTERFLY-KULISSE

Zahlreiche Hobby-Fotograf:innen

folgten dem Aufruf der

Bregenzer Festspiele in der

letzten Ausgabe der Festspielzeit

und in den Social-Media-Kanälen des

Sommerfestivals: Über 250 Fotos des

Papierboots erreichten die Redaktion.

Interessierte waren aufgefordert

worden, sich nicht nur mit ihrer Kamera

einer besonderen Herausforderung

zu stellen, sondern auch ihre

Bastelkenntnisse aufzufrischen.

Gefragt war es, eine Miniatur-Ausgabe

des Madame Butterfly-Papierboots

zu falten und, möglichst kreativ

in Szene gesetzt, abzulichten. Dabei

waren der künstlerischen Umsetzung

keine Grenzen gesetzt. So zauberten

Fotos des Papierboots mit tierischer

Unterstützung von Hund, Huhn

und Katz’ der Jury ein Lächeln ins

Gesicht, aufwendig retuschierte

Bilder und außergewöhnliche Bildkompositionen

wurden staunend

bewundert. Keine leichte Aufgabe,

daraus die besten drei zu küren.

Nach vielem Kopfzerbrechen und

feurigen Debatten über die jeweiligen

Favoriten in der Jury wurden schließlich

die drei Gewinnerfotos gekürt.

Diese sehen Sie groß auf dieser Seite.

Unter den Einsender:innen wurden

ein Gutschein in einem Viersterne-

Hotel in Bregenz, eine »Zeitreise

Deluxe« auf hoher See und ein Paket

mit den Highlights aus dem Shop der

Bregenzer Festspiele verlost.

Vielen Dank auch an Bodensee-

Vorarlberg Tourismus und die

Historische Schifffahrt Bodensee

für das Zurverfügungstellen der

Preise. Wir wünschen den Gewinner:innen

viel Freude damit!

26


Alle eingesendeten

Fotos gibt’s hier.


DIE BREGENZER

FESTSPIELE ALS TEIL

DER VORARLBERGER

IDENTITÄT

FREUNDE DER BREGENZER FESTSPIELE

Mit Johann Strauss’ Operette Eine Nacht in Venedig fing für sie alles an. Man schrieb

das Jahr 1948, das Spiel auf dem See war auf der zu dieser Zeit noch vor dem

Strandbad gelegenen Seebühne zu sehen. Dort im Publikum saß auch die damals

siebenjährige Heidi Senger-Weiss. Die Faszination für die Bregenzer Festspiele hat die

erfolgreiche Unternehmerin, die zwischen 1968 und 2004 mit ihrem Mann Paul den

weltweit tätigen Logistik-Konzern Gebrüder Weiss führte, seither nicht mehr

losgelassen. Beide zählen als Cercle-Mitglieder zum innersten Kreis der Freunde der

Bregenzer Festspiele. Wir haben das Ehepaar zu einem Gespräch getroffen.

28


Was bedeuten Ihnen die

Bregenzer Festspiele im

Allgemeinen und der Verein

der Freunde im Besonderen?

Heidi Senger-Weiss: Die Festspiele

sind ein wesentlicher Teil unserer

Identität hier in Vorarlberg. Wir

schätzen sie sehr. Sie brachten

Kunst und Kultur, aber auch Internationalität

ins Ländle.

Paul Senger-Weiss: Den Bregenzer

Festspielen ist es gelungen, nicht

zuletzt durch ihren langjährigen

Intendanten Alfred Wopmann,

einen Stellenwert weit über die Region

hinaus zu bekommen. Seither

verteidigen sie diese Position Jahr

für Jahr. Ohne Zweifel sind sie eine

Visitenkarte der Region. Es ist eine

große Chance, als Freund der Festspiele

eine solche Veranstaltung in

seiner Heimatstadt zu unterstützen.

Zur Premiere des Spiels auf dem See

laden wir immer eine große Runde

von bis zu 15 Gästen ein. Da ist das

Vorzugsbestellrecht natürlich ein

deutlicher Vorteil. Die Nachfrage

nach den Tickets ist enorm.

Der Cercle ist ein kleiner Kreis an

kulturinteressierten und verantwortungsbewussten

Persönlichkeiten.

Was erlebt man in dieser Runde?

Paul Senger-Weiss: Vor wenigen

Wochen gab es beispielsweise einen

Neujahrsempfang im Werkraum

Haus in Andelsbuch im Bregenzerwald.

Die Intendantin Elisabeth

Sobotka und der kaufmännische

Direktor Michael Diem haben von

ihrer Arbeit berichtet. Außerdem

hat ein Saxophon-Quartett der

Stella Privathochschule gespielt.

Das war wirklich sehr gelungen.

Man lernt bei diesen Veranstaltungen

immer wieder interessante

Menschen kennen und erweitert auf

diesem Weg den eigenen Horizont.

Ich sehe diese Runde als Botschafter

der Festspiele. Bregenz ist für

sie auch immer mit den Festspielen

verbunden. Wir haben schon viele

motivieren können, über den Arlberg

hierherzukommen.

Frau Senger-Weiss, Ihre Familie ist

seit jeher eng mit den Bregenzer

Festspielen verknüpft.

Heidi Senger-Weiss: Mein Vater

Ferdinand Weiss war eine der treibenden

Kräfte bei der Gründung

der Bregenzer Festspiele. Er war

zwar nie Präsident, weil er nicht

gerne offizielle Reden gehalten hat.

Aber als Vizepräsident hat er auch

eine Menge Verantwortung übernommen.

Schließlich war es in den

»Wir sehen uns

als Botschafter

der Bregenzer

Festspiele.«

Anfangsjahren eine private Initiative,

bei der es auch um persönliche

Haftung ging. Das war insofern

besonders bemerkenswert, als ja

das Wetter bei den Freiluft-Aufführungen

ein unkalkulierbares

Risiko war – und zudem waren die

Möglichkeiten in Sachen Versicherung

begrenzt. Diese Bregenzer

Bürger:innen hatten wirklich eine

Menge Mut.

Haben Sie noch Erinnerungen an

diese ersten Festspieljahre?

Heidi Senger-Weiss: Ja. Meine Mutter

liebte auch die Kultur, vor allem

die Musik. Sie hat mit meinem Vater

zum Beispiel einen Festspielempfang

in unserem Wohnzimmer gegeben.

Der Dirigent Clemens Krauss saß

auf einem Podest und referierte

über seine Arbeit! Damit haben

meine Eltern ein bisschen dazu

beigetragen, den Künstler:innen,

damals oft Flüchtlinge aus Wien,

das passende gesellschaftliche Umfeld

zu bieten. Es gab ja noch keine

offiziellen Möglichkeiten.

Woran denken Sie gerne zurück,

Herr Senger-Weiss?

Paul Senger-Weiss: Eine Sternstunde

war für mich das Jahr 1980, als

zur Eröffnung des neuen Festspielhauses

Karl Böhm Beethovens

9. Symphonie dirigierte – und das

mit 85 Jahren!

Heidi Senger-Weiss: In meinem

Gedächtnis sind viele tolle Bühnenbilder

geblieben, beispielsweise

Verdis Maskenball mit dem riesigen

Totenkopf, der in ein Buch blickt!

Paul Senger-Weiss: Das Bühnenbild

des Maskenball ging um die Welt!

Frau Senger-Weiss, Sie haben einige

Jahre im Ausland gelebt. Haben Sie

in dieser Zeit die Festspiele weiterverfolgt?

Heidi Senger-Weiss: Die Festspiele

sind für mich immer ein Fixpunkt

geblieben, bei dem ich jedes Jahr

zu Gast gewesen bin. Der Verein

der Freunde setzt das private Engagement

aus der Gründerzeit der

Festspiele fort. So schließt sich für

mich der Kreis.

DER VEREIN DER FREUNDE DER

BREGENZER FESTSPIELE

zählt mehr als 1.000 Mitglieder

aus dem In- und Ausland.

Es gibt verschiedene Optionen:

Freunde zahlen jährlich ab

65 Euro, Förderer 500 und

Cercle-Mitglieder 1.800 Euro.

Vorteile sind unter anderem

das Vorzugsbestellrecht für

Tickets, die Einladung zur

Festspiel-Eröffnung und zur

Programm-Präsentation durch

die Intendantin, zu Opern- und

Konzertfahrten sowie zu

Führungen hinter die Kulissen.

FREUNDE DER BREGENZER FESTSPIELE

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WERKSTATTBÜHNE

EINE

QUEERE

UTOPIE

MIT THE FAGGOTS AND THEIR FRIENDS BETWEEN

REVOLUTIONS PRÄSENTIEREN DER KOMPONIST

PHILIP VENABLES SOWIE DER AUTOR UND

REGISSEUR TED HUFFMAN IM KOMMENDEN

SOMMER EIN MUSIKTHEATERWERK, DAS

DIVERSITÄT UND SEXUELLE VIELFALT FEIERT.

Dieses Buch aus dem Jahr

1977 ist eine Provokation.

Allein schon der Titel,

The Faggots and Their Friends

Between Revolutions, den man

mit »Die Schwuchteln und ihre

Freunde zwischen den Revolutionen«

ins Deutsche übersetzen

müsste. Eigentlich wollte der

US-amerikanische Autor Larry

Mitchell ein Kinderbuch schreiben –

und schuf stattdessen zusammen

mit den Illustrationen von Ned Asta

eine frivol-unzüchtige Collage,

bestehend aus Aphorismen, Kurzgeschichten,

Märchen und Parabeln,

halb Dystopie, halb politisches

Manifest. Mittlerweile gehört das

Buch mit seinem Humor, seinem

Ideenreichtum und seiner Respektlosigkeit

zum internationalen

queeren Literaturkanon. Doch

während es im englischsprachigen

Raum Kultstatus beansprucht,

ist es hierzulande weitestgehend

unbekannt, was nicht zuletzt auch

an einer fehlenden deutschen

Übersetzung liegen dürfte.

Allein der Begriff »Faggot« ist

schwierig. Ursprünglich war er

eine Beleidigung für homosexuelle

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Männer, wenngleich Mitchell

in seinem Buch offensichtlich

die Strategie einer positiven

Selbstaneignung verfolgte, eine

Strategie, die nur bedingt gelang

und stets vom jeweiligen Kontext

abhängig ist. Können sich heute

Personen innerhalb der schwulen

Community durchaus mit

»Faggot« ansprechen, würde man

dieses von einer heterosexuellen

Person nicht tolerieren und eindeutig

als Beleidigung auffassen.

Ganz anders verhält es sich zum

deutschen Pendant: Bis heute

ist »Schwuchtel« ein außergewöhnlich

herabwürdigendes und

widerliches Wort – und eines

der am häufigsten verwendeten

Schimpfwörter.

In Mitchells Buch tauchen allerdings

nicht nur »Faggots«

auf, sondern auch »Fairies«,

»Queens«, »Faggatinas« und

»Dykalets«. Letztere Begriffe

sind Neologismen des Autors,

ebenso die »Gays as a Goose«

und das »House of the Heavy

Horny Hunks«. Interessanterweise

wird der Begriff »queer«

von Mitchell anders verstanden

als heute. Er wird keineswegs

als Synonym für sexuelle Vielfalt

verwendet, sondern für jene

angepassten und unterwürfigen

homosexuellen Männer, die ihre

Sexualität im Geheimen ausleben

und andere Angehörigen der

Community meiden. So sind die

»queeren Männer« keine wirklichen

Freunde der »Faggots«,

aber: »Selbst ein schwaches

Glied in der Kette ist ein Glied der

Kette«, wie es im Buch heißt.

auch die »Strong Women« als

Freundinnen auf der Seite der

»Faggots«. War ihr Verhältnis

am Anfang noch schwierig gewesen

(»Doch sie trauten den

Faggots nicht, weil sie Faggots

nur als Männer kannten und

Männern konnten sie nicht

trauen«) waren sie es, welche den

»Faggots« jenen Kampfesmut

mitgaben, den man für Revolutionen

braucht. Denn in einem

paradiesischen Urzustand hatten

alle Geschlechter in Harmonie

gelebt, ehe die »Männer« in einer

ersten Revolution »die großartigen

Kulturen der Frauen« und

jene der »Faggots« und ihrer

Freunde zerstörten. Doch kommt

es zur Gegenrevolution?

WERKSTATTBÜHNE

THE FAGGOTS AND THEIR

FRIENDS BETWEEN

REVOLUTIONS

Ted Huffman | Philip Venables

Komposition Philip Venables

Musikalische Leitung

Yshani Perinpanayagam

Inszenierung Ted Huffman

PREMIERE

27. Juli 2023 – 20.00 Uhr

WEITERE VORSTELLUNG

28. Juli – 20.00 Uhr

Der Zauber

des Kaffees

Eben war es noch ein Ort

der Glückseligkeit, eine Insel

der Dichtkunst. Bis plötzlich

zwei Zauberschwestern den

Frieden stören und niemand mehr

ein schönes Gedicht zustande

bringt. Wer soll nun die Königin

heiraten? In dem Zauberspiel

Die gefesselte Phantasie rettet ein

göttliches Wesen die Situation.

Und im echten Leben? Was tun,

wenn die Phantasie uns verlässt und

die Ideen ins Stocken geraten?

Eine Tasse Kaffee ist immer eine

gute Idee. So handhabte das sicherlich

auch der Autor des Stücks,

Ferdinand Raimund. Schließlich

war er der Tochter eines Caféhausbesitzers

äußerst zugetan. Auch

Giacomo Puccini liebte Cappuccini.

Oder sagen wir besser: starken

Kaffee. Davon trank er reichlich –

vor allem nachts, um sich zum

Beispiel bei der Komposition zu

Madame Butterfly wach zu halten.

Und für Giuseppe Verdi, dem mit

seinem Frühwerk Ernani der Durchbruch

gelang, war Kaffee »Balsam

für Herz und Seele«. Lassen Sie sich

in diesem Sinne verzaubern.

Dallmayr wünscht Ihnen viel

Genuss und eine wunderbare

Festspielzeit!

PARTNER DER BREGENZER FESTSPIELE

Gemeinsames Feindbild der

»Faggots« und ihrer Freunde

sind die »Men«. Sie sind nicht

nur heterosexuell und weiß,

sondern auch frauenfeindlich

und homophob. Sie herrschen

über das im Verfall begriffene

Imperium Ramrod (im Englischen

bezeichnet »Ramrod«

einen Stock zum Laden von

Feuerwaffen). Daher kämpfen

Werkstattbühne

Auftragswerk der Factory International,

des Festival d’Aix-en-Provence, der

Bregenzer Festspiele und der NYU

Skirball. Eine Produktion der Factory

International für das Manchester

International Festival.

Ted Huffman über

»Faggots«, »Friends«

und Revolution:

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MITSINGEN IN DER

OPER? NA KLAR!

Im Zentrum der Jungen Festspiele, dem bunten Vermittlungsprogramm der

Bregenzer Festspiele für Kinder und Jugendliche, steht 2023

Die Zauberflöte – Der Klang des Friedens. Mit selbst gebastelten Requisiten wird

das junge Publikum im Festspielhaus selbst zum Teil der Inszenierung.

JUNGE FESTSPIELE

Der Titel deutet es unverkennbar

an: Hier steckt Mozart

drin. Das Märchenhafte

seiner 1791 uraufgeführten Oper

ist geblieben, Regisseurin Caroline

Leboutte packt den Zauber jedoch

in ein Singspiel, das in einer von

Medien mitbestimmten Gegenwart

spielt. So melden sich anfangs eine

Journalistin und ein Journalist

»live aus dem finsteren Wald«, schildern

für das »Fernsehpublikum«

später immer wieder die Vorgänge

rund um die Protagonist:innen,

die bekanntlich allerhand irre

Wendungen nehmen. Das Duo von

der Presse hilft so nicht nur dem

besseren Verständnis der Handlung,

es verdichtet damit auch den Ablauf.

So kann das komplexe Werk in einer

kindgerechten Aufmerksamkeitsspanne

von 70 Minuten bleiben.

Zumal die jeweils gut 1.000 Kinder

der drei Schulvorstellungen laufend

beschäftigt sein werden. Teile von

sieben Arien werden sie bis dahin

in der Schule eingeübt haben, um

sie in der Aufführung mitzusingen.

Darüber hinaus werden sie selbstgemachte

Transparente mitbringen

und an der richtigen Stelle hochhalten,

denn, so viel sei schon verraten:

Diese besondere Mozart-Adaption

mündet in eine Friedensdemonstration.

Pamina und Tamino werden

im Laufe der Handlung oft aufgefordert,

für eine der beiden Seiten Partei

zu ergreifen, für Sarastros Reich

des Lichtes oder für die Königin

der Nacht, die Herrscherin über die

Dunkelheit. Doch sie widerstehen

beiden Extremen, schildert Regisseurin

Caroline Leboutte, und

»verstehen vielmehr, dass das eine

nicht ohne das andere existiert und

dass es daher die beiden Seiten derselben

Medaille sind, die unmöglich

getrennt werden können. Damit sie

beiden gerecht werden, ist ein friedliches

Zusammenleben notwendig.«

Neben den Aufführungen für

Schulklassen gibt es am 24. Mai

eine Vorstellung für Familien.

Mit den Tickets erhalten die Kinder

auch hier Unterlagen zur Vorbereitung

und können sich in einem

Sing- und Bastelworkshop vor der

Aufführung einstimmen.

Die Uraufführung von Die Zauberflöte

– Der Klang des Friedens fand

im Februar am Teatro Sociale in

Como statt. Das Opernhaus ist ein

Pfeiler in der Arbeit des AsLiCo,

des italienischen Gesangs- und

Konzertverbandes. Dessen Ziel ist

es unter anderem, jungen aufstrebenden

europäischen Sänger:innen

eine Ausbildung auf hohem Niveau

und die Möglichkeiten für ihre ersten

Bühnenerfahrungen zu bieten.

Diese Inszenierung der Zauberflöte

wird nach Bregenz unter anderem

auch in Frankreich zu sehen sein,

wobei Sprache und Cast wechseln.

Bei den Aufführungen im Rahmen

der Jungen Festspiele musiziert das

Symphonieorchester Vorarlberg.

Musiktheater macht Schule – auch

so könnte man dieses spannende

Projekt überschreiben. Aus ganz

Vorarlberg und den angrenzenden

Regionen werden Kinder der 1. bis

6. Schulstufe eingebunden sein.

Für die Lehrer:innen fanden zwei

Vorbereitungsworkshops statt und

die Bregenzer Festspiele stellten

ihnen umfangreiches Begleitmaterial

für die Nutzung im Unterricht

zur Verfügung. Neben dem Frieden

vermittelt das Stück noch eine zweite

Botschaft, erklärt Jana Linzmeier,

Projektleiterin der Jungen Festspiele:

»Dass Inklusion selbstverständlich

ist. Sarastro wird auch,

wie schon in Como, im Rollstuhl

sein. Und eine Arie wird Tamino in

Gebärdensprache geben – dafür

arbeiten wir mit dem Vorarlberger

Landeszentrum für Hörgeschädigte

in Dornbirn zusammen.«

Die Zauberflöte – Der Klang des

Friedens ist die zweite Kooperation

der Bregenzer Festspiele mit

AsLiCo, Opera Domani in Como.

Bereits 2018 feierte mit großem

Erfolg und viel Spaß für alle jungen

Beteiligten und Besucher:innen

Carmen – Der Star im Zirkus Sevilla

Premiere im Festspielhaus.

Die Zauberflöte –

Der Klang des Friedens

Die Spieltermine finden

Sie in der Heftmitte.

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Die Jungen Festspiele

werden präsentiert von


DIE FRAGE NACH

GOTT, EHRE UND

DEN MENSCHEN

MUSIK & POESIE

MIT KAMMERMUSIK UND LITERATUR ERÖFFNET DIE REIHE

MUSIK & POESIE NEUE BLICKWINKEL AUF DAS FESTSPIELPROGRAMM

in die archaische Welt der japanischen

Samurai zurück. Ihr Versuch,

Amerikanerin zu werden, scheitert.

»Ehrenvoll sterbe, wer nicht länger

mehr leben kann in Ehren.« Der

Vorarlberger Schriftsteller Michael

Köhlmeier spürt dieser anthropologischen

Konstante am zweiten

Abend von Musik & Poesie nach.

Begleitet wird er am Klavier von

Sergey Tanin, der unter anderem

Werke von Franz Liszt spielen wird.

Unter dem Titel Das gekränkte Ich spürt Erzähler Michael Köhlmeier

dem Thema Ehre nach und blickt in menschliche Abgründe.

Lissabon, 1. November 1755.

Ein verheerendes Erdbeben

und ein darauffolgender

Tsunami zerstörten die portugiesische

Hauptstadt fast vollständig.

Die Katastrophe erschütterte auch

das aufgeklärte Weltbild der europäischen

Intellektuellen: Kann es angesichts

dieses Leids in der Welt einen

allmächtigen und allgütigen Gott

geben? Heinrich von Kleist beteiligte

sich an dieser Debatte und zeichnete

in seiner Novelle Das Erdbeben in

Chili ein düsteres Bild der Menschheit.

Als Auftakt der Reihe Musik &

Poesie nimmt sich Schauspieler

Ulrich Matthes dieses eiskalt und in

emotionaler Distanz geschriebenen

Textes an. Matthes konnten die

Festspielbesucher:innen zuletzt

als Don Quijote im Theater am

Kornmarkt erleben, diesen Sommer

auch in Heinrich von Kleists Der

zerbrochne Krug. Musikalisch umrahmt

wird der Abend mit Werken

von Franz Schubert.

Das Konzept der Ehre scheint

über Epochen und Kulturen hinweg

gleich zu sein. Schon Homers Ilias,

einer der ältesten literarischen

Texte der Welt, beginnt mit dem

Vers: »Besinge, o Muse, den Zorn

des Achill.« Achill ist zornig, weil

König Agamemnon seine Ehre

beleidigt hat. Auch in Giuseppe

Verdis Ernani geht es um die Ehre

und um verletzte Eitelkeiten.

Selbst Giacomo Puccinis Madame

Butterfly fällt am Ende der Oper

Der dritte und letzte Abend der

Reihe ist Bertolt Brecht gewidmet.

Brecht war vieles: Dichter, bekennender

Kommunist, Begründer

des epischen Theaters – und Songwriter.

In Zusammenarbeit mit den

Komponisten Paul Dessau, Hanns

Eisler und Kurt Weill entstanden

Klassiker, die teilweise sogar zu

Ohrwürmern geworden sind, wie

der Alabama Song oder die Seeräuber-Jenny

aus dem Theaterstück

Die Dreigroschenoper. Eine

Auswahl dieser Klassiker, aber

auch neu zu entdeckender Songs

bietet der Abend mit der französischen

Sopranistin Roxane Choux.

An ihrer Seite rezitiert Luzian

Hirzel, Ensemblemitglied des

Vorarlberger Landestheaters,

ausgewählte Texte Brechts.

Die Termine von Musik & Poesie

finden Sie in der Heftmitte.

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DIE KOMPONIST:INNEN DER ORCHESTERKONZERTE

FLORENCE

PRICE

Am 5. Juli 1943, 80 Jahre

nachdem die Sklaverei auf

dem Gebiet der Vereinigten

Staaten endgültig abgeschafft

worden war, schrieb die 55-jährige

Florence Price einen Brief an Sergei

Kussewizki, den berühmten und

einflussreichen Musikdirektor des

Boston Symphony Orchestras:

»Eines vorweg: Ich habe zwei Handicaps

– ich bin nicht männlich und

nicht weiß, nein, ich bin eine Frau

und in meinen Adern fließt schwarzes

Blut. Wären Sie mit diesem Wissen

dennoch so gut, den möglichen

Impuls zu unterdrücken, die Komposition

einer Frau als vor Gefühlsduseligkeit

strotzend und an Potenz

und Gehalt mangelnd abzutun, bis

Sie sich einige meiner Stücke angesehen

haben? […] Ich wünsche mir,

dass meine Kompositionen einzig

und allein aufgrund ihres künstlerischen

Werts beurteilt werden.«

Doch Prices Bitte verhallte ungehört,

Kussewizki beantwortete

diesen Brief nicht, wie es auch schon

vor ihm andere Dirigenten taten.

Dabei hatte man die musikalische

Qualität ihrer Werke durchaus

erkannt. Am 15. Juni 1933 wurde

Prices bei einem Kompositionswettbewerb

eingereichte Symphonie

Nr. 1 e-Moll im Rahmen der Weltausstellung

in Chicago vom Chicago

Symphony Orchestra unter der

Leitung von Frederick Stock uraufgeführt,

das erste großbesetzte

Werk einer schwarzen Frau, das von

einem renommierten US-amerikanischen

Orchester gespielt wurde.

Prices Musiksprache ist tief in der

Tradition der Spirituals und Gospels

verwurzelt: Sie verbindet Elemente

der klassischen Instrumentalmusik

mit der traditionellen Musiksprache

der Afroamerikaner:innen, die sie

seit ihrer Kindheit kennt. Am deutlichsten

ist dies im dritten Satz

ihrer Symphonie Nr. 1 zu hören, den

sie nicht als Menuett oder Scherzo,

sondern als Juba Dance gestaltet,

einen Stampftanz der Sklavinnen

und Sklaven in den Südstaaten.

Als Tochter eines Zahnarztes und

einer Musiklehrerin gehörte die

am 9. April 1887 in Little Rock im

Bundesstaat Arkansas geborene

Florence Beatrice Price zur schwarzen

Mittelschicht. Bereits mit vier

Jahren trat sie als Pianistin auf und

veröffentlichte mit nur elf Jahren

erste Kompositionen. Sie studierte

am New England Conservatory

Klavier, Orgel und Musiktheorie,

danach unterrichtete sie, wie so viele

hochmusikalische Frauen den Konventionen

ihrer Zeit folgend, an verschiedenen

Ausbildungsinstituten.

1927 ging sie aufgrund der Rassenunruhen

nach Chicago, wo sie Teil

der Chicago Black Renaissance

wurde, komponierte Werke mit dezidiert

afroamerikanischem Hintergrund

und ließ sich von ihrem gewalttätigen

weißen Ehemann scheiden.

Zeit ihres Lebens kämpfte die zweifache

Mutter für ihre Anerkennung,

doch die meisten ihrer 300 Kompositionen

blieben unveröffentlicht.

Erst seit einigen Jahren wird ihre

Musik zunehmend wiederentdeckt.

ORCHESTERKONZERT

WIENER SYMPHONIKER

Dirigent Dirk Kaftan

Sopran Marlis Petersen

Charles Ives Central Park in the Dark

Richard Strauss Vier letzte Lieder

Florence Price Symphonie Nr. 1

e-Moll

30. Juli 2023 – 11.00 Uhr

Festspielhaus | Großer Saal

Die Orchesterkonzerte

werden präsentiert von

FLORENCE PRICE

ORCHESTERKONZERTE

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Viel Vorfreude wünschen

die Partner der Bregenzer Festspiele.

HAUPTSPONSOREN

GREEN ENERGY

PARTNER

PRODUKTIONSSPONSOREN

GrECo International AG

Hilti Foundation

LIEBHERR-Turmdrehkrane

Wiener Städtische Versicherung AG

CO-SPONSOREN & PARTNER

Coca-Cola

Dallmayr Kaffee

Hendrick’s Gin

Kryolan

Leica Camera

METRO

Mohrenbrauerei

Paul Mitchell

Pfanner & Gutmann

Rauch Fruchtsäfte

Red Bull

Römerquelle

Schlumberger (Wein- und

Sektkellerei)

SUBVENTIONSGEBER

PARTNER

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