Festspielzeit Sommer 2023 - 1
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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ES WIRD<br />
»VERY EPIC«<br />
Es geht um nichts weniger als um die Geburt und den Fall des Patriarchats.<br />
Aber spielerisch erzählt. Mit Barockinstrumenten und Folk-Songs.<br />
Philip Venables und Ted Huffmann bringen diesen <strong>Sommer</strong> die<br />
»Faggots and Their Friends« auf die Werkstattbühne.<br />
Seine Lieblingsstelle? Philip<br />
Venables springt vom Sofa<br />
auf und zieht ein Buch mit<br />
rubinrotem Einband aus einem<br />
Regal. Es ist Larry Mitchells 1977<br />
erschienene Erzählung The Faggots<br />
and Their Friends Between Revolutions,<br />
die sich international zum<br />
echten Geheimtipp mauserte. In<br />
Deutschland harrt es bislang noch<br />
seiner Entdeckung. Der in Berlin-<br />
Kreuzberg lebende britische Komponist<br />
blättert einen kurzen<br />
Moment durch die Seiten, bis er<br />
findet, was er sucht. »Diese Szene<br />
mag ich sehr: The men with papers.<br />
Es geht um Geld und Verträge.<br />
Um diese ganze Bürokratie.«<br />
Es ist eine Stelle, an der die Absurditäten<br />
und Attitüden eines von<br />
toxischer Männlichkeit geprägten<br />
Systems in einfachen Sätzen entlarvt<br />
werden. Ramrod: So nennt sich<br />
ein brutales Regime, in dem »die<br />
Männer« nach einer ersten Revolution<br />
die Herrschaft an sich reißen. Sie<br />
unterwerfen Frauen, Schwule und<br />
alle anderen Menschen, die nicht in<br />
ihr heteronormatives Raster passen.<br />
Bald entfremden sich die Unterdrücker<br />
durch ihren Hass von<br />
sich selbst.<br />
Die Männer lieben Papiere. Sie<br />
lieben es, sie zu unterschreiben,<br />
zu archivieren und mit ihnen zu<br />
handeln. Wenn genug Männer,<br />
die von den Männern für wichtige<br />
Männer gehalten werden, ein Papier<br />
unterschreiben, wird es berühmt.<br />
Die Männer glauben, dass bestimmte<br />
Papiere heilig sind und lagern<br />
sie in unterirdischen Verstecken,<br />
wo sie gehortet und beschützt<br />
werden. Wer genug von solchen<br />
Papieren anhäuft, kann reich und<br />
mächtig werden.<br />
Zum Glück gibt es da noch die<br />
»Faggots« und andere Angehörige<br />
queerer Gruppen, die sich in unterschiedliche<br />
Stämme mit phantasievollen<br />
Selbstbezeichnungen aufteilen:<br />
die urbanen »Queens« etwa, die<br />
glauben, dass einzig der persönliche<br />
und ästhetische Stil den Weg zum<br />
wahren Selbst weisen kann. Oder die<br />
esoterisch angehauchten »Fairies«,<br />
die aufs Land fliehen, wo sie Gemüse<br />
anbauen und darauf warten, dass<br />
sich die ökologisch ausgebeutete<br />
Mutter Erde gegen »die Männer«<br />
zur Wehr setzen wird.<br />
Die Fairies verwenden ihre Papiere,<br />
um Feuer zu machen und im<br />
Winter die Bäume einzuwickeln.<br />
Die Faggots werfen ihre Papiere weg,<br />
wenn sie beim Frühjahrsputz den<br />
Wintermuff beseitigen. Die Queens<br />
benutzen ihre Papiere, um sich den<br />
Hintern abzuwischen.<br />
Die »Faggots and Their Friends«<br />
haben sich in ihre Nischen zurückgezogen.<br />
Es sind Communities,<br />
in denen eine anarchische Lebensfreude<br />
herrscht – und wo die<br />
Geflüchteten frei sind von Rollenzwang<br />
und sexueller Repression.<br />
Sie feiern, veranstalten Orgien,<br />
erzählen sich Geschichten und<br />
betätigen sich künstlerisch.<br />
Doch irgendwann wollen sie die<br />
Schikanen ihrer Unterdrücker<br />
nicht mehr hinnehmen. Angestachelt<br />
von den Frauen, mit denen<br />
sie befreundet sind, entschließen<br />
sie sich zur Konterrevolution.<br />
THE FAGGOTS AND THEIR FRIENDS BETWEEN REVOLUTIONS<br />
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