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KOLUMNE<br />
Bikini, Badehose, fertig – Brasilianer sind total cool, wenn sie an<br />
den Strand gehen. Im Gegensatz zu den Deutschen, dachte unsere<br />
Kolumnistin Miriam Collée, als sie neulich einen Tag an <strong>der</strong><br />
Nordsee verbrachte. Doch dann traf sie eine Freundin wie<strong>der</strong> …<br />
STRANDFEELING AUF<br />
BRASILIANISCH<br />
FOTOS: GETTY IMAGES; PR<br />
Ich hatte mal eine brasilianische<br />
Mitbewohnerin, Flavia. Sie konnte<br />
seltsame Fragen stellen („Wie<br />
schneidet man Tomaten?“ o<strong>der</strong> „Hast<br />
du schon mal die Pofalte waxen lassen?“),<br />
aber man konnte auch viel von<br />
ihr lernen: wie man flucht wie ein Bierkutscher<br />
(„Caralho!“, „Puta!“, „Merda!“)<br />
o<strong>der</strong> wie man sich an <strong>der</strong> Copacabana<br />
verhält. Ich hatte mit meinem damaligen<br />
Freund einen Flug nach Rio gebucht,<br />
und kaum war die Flugbestätigung<br />
eingegangen, klärte sie uns auf:<br />
Männer, begann sie und schleu<strong>der</strong>te<br />
ihre dunkle Mähne über die Schulter,<br />
dürften nur zwei Dinge mit an den<br />
Strand nehmen: eine Badehose und den<br />
Autoschlüssel. Sonnencreme? Nada.<br />
Ist für Weicheier. Flipflops? Ein echter<br />
Mann geht barfuß. Wenigstens ein<br />
Handtuch? Nur, wenn du schwul bist.<br />
Ansonsten lässt du lufttrocknen o<strong>der</strong><br />
setzt dich aufs Handtuch eines hübschen<br />
Mädchens. Mein Freund nickte<br />
wissend. Und ich? „Du, Carinha“, sagte<br />
Flavia, „wirfst als Erstes dieses Zelt<br />
weg und kaufst dir einen anständigen<br />
Bikini, in dem man deine Pobacken<br />
sehen kann.“<br />
Doch <strong>der</strong> nagelneue Bikini, <strong>der</strong><br />
sich so brasilianisch in meine Pofalte<br />
fraß, kam lei<strong>der</strong> nie zum Einsatz. Denn<br />
kurz vor Rio kam es zum jähen Ende<br />
<strong>der</strong> Beziehung, und mein Exfreund<br />
verbrannte sich die Fußsohlen an <strong>der</strong><br />
Copa cabana allein.<br />
Vielleicht hätte dieser Urlaub alles<br />
verän<strong>der</strong>t. Vielleicht wäre aus mir eine<br />
goldbraune Gisele Bündchen geworden,<br />
mit nichts als einem schwarzen<br />
Tanga in <strong>der</strong> Ritze und einem Surfbrett<br />
unterm Arm. Genau daran musste ich<br />
denken, als wir letztes Wochenende<br />
in St. Peter-Ording waren. Ich zerrte<br />
schnaufend und schwitzend einen<br />
faltbaren Bollerwagen über den Sand,<br />
randvoll gefüllt mit Kühltasche, unserer<br />
neuen Outdoor-Pop-up-Strandmuschel<br />
„Zack II“, verschiedenen Sonnencremes<br />
(mit und ohne Sonnenallergie,<br />
Sunblocker und Bronze-Effekt),<br />
Frottee-Bademänteln, Schwimmflügeln,<br />
Flossen und Taucherbrillen,<br />
Keschern, großen Schaufeln, <strong>der</strong><br />
Picknickdecke „Ulvön“ mit wasserabweisen<strong>der</strong><br />
Unterseite, großen und<br />
kleinen Handtüchern, Wechselbadeanzügen<br />
und Pixibüchern. Mein Mann<br />
versuchte, den Drachen zu bändigen,<br />
den unsere Große zu früh von <strong>der</strong> Leine<br />
gelassen hatte, sowie ein aufblas bares<br />
Krokodil und ein bockendes vierjähriges<br />
Mädchen. Die Copacabana war<br />
weiter weg denn je. Gisele Bündchen<br />
auch. Weiter ging nicht mehr.<br />
Ich setzte mich auf den Bollerwagen<br />
und wartete mit zwei nölenden Kin<strong>der</strong>n<br />
(Mir-ist-heiß-ich-hab-Hunger-ichwill-<br />
ein-Eis-ich-muss-Pipi) auf meinen<br />
Mann, <strong>der</strong> zum Strandkorbvermieter<br />
joggte. Etwas mehr Coolness wäre<br />
schön gewesen, aber das sagt sich so<br />
leicht mit einem Gummikrokodil in<br />
<strong>der</strong> einen Hand und einem Kescher<br />
in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Doch dann betrachtete<br />
ich die an<strong>der</strong>en Leute: Auf dem<br />
Parkplatz baute eine Familie ihr Basislager<br />
auf – Campingstühle, Vorzelt,<br />
Sonnen schirme, Klappliegen und mobiler<br />
Wäschestän<strong>der</strong> inklusive. Rechts<br />
am FKK-Strandabschnitt spielten ein<br />
paar Rentner in Plastikbadeschuhen,<br />
T-Shirt und Käppi Unten-ohne-Volleyball,<br />
und direkt vor mir kämpfte eine<br />
Frau mit den Stäben ihrer Strandmuschel.<br />
Um den Bauch hatte sie ein<br />
schreiendes Baby geschnallt, um sie<br />
herum zerlegten zwei Kleinkin<strong>der</strong> in<br />
UV-geschützten Gummianzügen und<br />
Sonnenhüten mit Safari- Nackenschutz<br />
den Inhalt zweier Tchibo-Bade taschen<br />
(last season), während ihr Mann verzweifelt<br />
versuchte, einen Sonnenschirm<br />
in den Sand zu rammen. Der Anblick<br />
war sehr beruhigend. Wir können eben<br />
nicht raus aus unserer Haut, wir Deutschen.<br />
Doch dann begann die Frau zu<br />
fluchen: „Caralho!“. „Merda!“. Flavia?<br />
Mensch, wir haben uns ja seit Ewigkeiten<br />
nicht gesehen!<br />
SOMMER <strong>2017</strong> <strong>der</strong> <strong>urlaub</strong> 59