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soziologie heute Oktober 2011

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8 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Oktober</strong> <strong>2011</strong><br />

Der Liberalismus sei auf die Idee der Freiheit als wichtigstem politischen Ziel heruntergebrochen,<br />

der Sozialismus auf die Idee der Gleichheit. Im Wettbewerb realisierter<br />

Umsetzungen von politischen Leitideen führte die Idee der Freiheit bisher. Für westliche<br />

liberale Politikansätze ist jedoch die Garantie der Freiheit des Marktes zu sehr in das<br />

Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt worden. Es scheint als sei das Prinzip der freien<br />

Marktwirtschaft vom Mittel zum Zweck, ja zum eigentlichen Zweck geworden.<br />

Katrin Späte<br />

Lehrkraft für besondere Aufgaben<br />

in der Stellung einer Studienrätin<br />

im Hochschuldienst am Institut<br />

für Soziologie der Universität<br />

Münster, Vorstandsmitglied des<br />

Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen<br />

und Soziologen e. V.<br />

Sollte das Gemeinwohl aller bisher bereits schon Privilegierter dadurch gesteigert werden,<br />

dass die ausschließliche Konzentration auf die Steigerung des Eigennutzes einer<br />

und eines jeden eben dazu schon beitragen werde, wird nun das Wohl noch weniger<br />

Menschen auf Kosten der verbliebenen etwas Privilegierten gefördert. Immer weniger<br />

Menschen sind auch in reichen Ländern frei von Hunger, Armut und Elend, von der Freiheit<br />

zur Selbstverwirklichung ganz zu schweigen.<br />

Da überrascht es wenig, dass eine Sozialistin gegenwärtig die Formel „Freiheit statt Sozialismus“<br />

in „Freiheit statt Kapitalismus“ umwandelt. Für sozialistische Ansätze ist das<br />

Wirtschaften intentional Mittel zum Zweck geblieben, möglichst vielen Menschen ein<br />

möglichst gleich gutes Leben zu ermöglichen, auch wenn in den realisierten gesellschaftlichen<br />

Ordnungen ebenfalls das Orwell‘sche „Alle Menschen sind gleich, manche sind<br />

gleicher“ galt.<br />

Sozialistisches Denken kann helfen liberalistischen Selbstläufern Grenzen zu setzen, den<br />

Antagonismus zwischen Freiheit und Gleichheit zu mildern. Eine Wiederholung von Albtraum-Diktaturen<br />

möge uns aber erspart bleiben.<br />

Diese Fragen sind ebenso aktuell wie scheinbar klar formuliert. Trotzdem sind sie - wie<br />

zahlreiche ähnliche oft an die Soziologie gestellten Fragen - umfassend kaum zu beantworten.<br />

Wenn, dann nur nach empirischer Forschung, die in einzelnen Gesellschaften durchgeführt<br />

werden. Von welchem Liberalismus, respektive Sozialismus ist die Rede?<br />

Liberalismus oder<br />

Sozialismus?<br />

An Stelle einer Antwort, schlage ich folgendes Vorgehen vor: Ich suche zu den Fragen ein<br />

theoretisches Konzept, das empirisch überprüft werden soll. Von den wenigen mit universeller<br />

Geltung scheint mir dasjenige im vorletzten Jahrhundert von Durkheim angesichts<br />

der tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen der rasch fortschreitenden Industrialisierung<br />

formulierte Axiom der Anomie am zutreffendsten.<br />

Um die obenstehenden Fragen zum Zwecke der Felderhebung in einzelnen Gesellschaften<br />

operationalisieren zu können, stelle ich zunächst Anomie als theoretisches Konzept auf<br />

die gegenwärtigen Umwelt der Gesellschaften in der fortschreitenden Globalisierung vor.<br />

Diese führt insgesamt zu stärkerer Interdependenz aller Gesellschaften, wobei der Soziale<br />

Wandel sich insgesamt beschleunigt, jedoch einzelne Gesellschaften unterschiedlich erfasst.<br />

Daraus folgt, dass die Anomie weltweit wächst. Anomie als gesellschaftliche Struktur<br />

bedeutet , dass sich Menschen zunehmend schwer tun, sich gesellschaftlich zu orientieren<br />

und sich wandelnden normativen Bedingungen anzupassen. Zugang zur Erwerbsarbeit<br />

etwa verändert sich immer rascher. Simple sozioökonomische Indikatoren verlieren an<br />

Aussagekraft und verbieten oft Vergleiche: Hohe Jugendarbeitslosigkeit in Ägypten, in dem<br />

nahezu die Hälfte der Bevölkerung unter 25 Jahren alt ist, bedeutet auf Grund endemischen<br />

Ausmaßes einen weit höheren Grad an Hoffnungslosigkeit und Anomie, als in vielen<br />

reicheren Staaten der Ersten Welt.<br />

Peter Atteslander<br />

em. Universitätsprofessor an der<br />

Universität Augsburg, davor<br />

Professuren in Cornell, New York,<br />

und an den Universitäten von Köln,<br />

Genf und Bern.<br />

Zu den gestellten Fragen zum Zweck der empirischen Untersuchung folgende zwei Hypothesen:<br />

1. Liberalismus in Form von weitgehend unkontrollierter weltweiter Währungsspekulation<br />

führt zu zerstörerischer Anomie . Wenige Gesellschaften ertragen deren langfristigen anomischen<br />

Wirkungen.<br />

2. An Stelle des Begriffes Sozialismus würde ich gesellschaftliche Strukturen nach Grad<br />

gegenseitiger Solidarität oder auch institutioneller Solidarität (z.B. Krankenkasse etc.) und<br />

den Begriff des Sozialen Kapitals verwenden, beides Mittel bestehende Anomie zu mindern,<br />

gar zu überwinden. 1<br />

1) Ausführlicher behandelt in: Atteslander ‚The Impact of Globalization on Methodology. Measuring Anomie and Social Transformation in:<br />

International Review of Sociology Vol.17, No3, 2007, pp.511-524.

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