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OLYMPISCHE SPIELE<br />

ere gemacht. Wir verabreden uns also zum<br />

Essen im IOC-Hotel. Das ist noch einmal eine<br />

ganz eigene Welt auf dem Planeten Olympia.<br />

Es braucht eine Spezialbewilligung, um hereinzukommen.<br />

Bald ist mir klar, warum. Zu<br />

viele wichtige Leute. Sicherheitsrisiko. Am<br />

Nebentisch speist Ex-Kanzler Gerhard Schröder<br />

mit seiner koreanischen Freundin. Ich<br />

hatte ihn lange Zeit gar nicht bemerkt, und<br />

zum Glück habe ich keine meiner dummen<br />

Lieblingssprüche über unsere kriegerischen<br />

teutonischen Nachbarn gemacht. Item, das<br />

Interview mit dem nordkoreanischen Sportgeneral,<br />

einem Vertrauten Kims, ist auf bestem<br />

Wege.<br />

In der Ruhe der<br />

Unterkunft im<br />

Mediendorf lässt es<br />

sich besser dichten.<br />

DER ANRUF VON KIM<br />

Aber dann überstürzen sich die Ereignisse.<br />

US-Vizepräsident Mike Pence hat soeben in<br />

Japan offiziell verkündet, man werde nun<br />

die Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea<br />

verschärfen. Das ganze olympische Theater<br />

(gemeint ist die weltweite Aufmerksamkeit<br />

für das gemeinsame Koreanische Frauen-<br />

Hockeyteam) interessiere ihn nicht.<br />

Nun wird es hektisch. Unser nordkoreanischer<br />

Gesprächspartner, eben noch freundlich<br />

und gut gelaunt, bekommt einen Telefonanruf<br />

und ist nicht mehr ansprechbar. Er<br />

entschuldigt sich mit zitternder Stimme und<br />

eilt davon, quer durchs Restaurant, dem Ausgang<br />

und wohl seinem Zimmer zu. Mit an<br />

Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />

war Kim persönlich am Hosentelefon – und<br />

ich verpasse die einmalige Gelegenheit, so<br />

an die direkte Nummer des grossen Vorsit­<br />

zenden heranzukommen. Wird die nordkoreanische<br />

Delegation nach dieser Verbalattacke<br />

des US-Vize abreisen? Wird nichts mit<br />

dem gemeinsamen Frauen-Hockeyteam?<br />

Drei Stunden lang ist alles in der Schwebe.<br />

Dann das grosse Aufatmen: Die Nordkoreanerinnen<br />

und Nordkoreaner bleiben.<br />

Aber an ein Interview ist nicht mehr zu denken.<br />

Macht nichts. Es war ja trotzdem interessant,<br />

und das Essen – nun halt mit René<br />

Fasel – hat vorzüglich geschmeckt. Und<br />

bezahlen musste ich auch nicht. Diese Episode<br />

mag zeigen, wie manchmal auch tagelange<br />

Bemühungen um eine gute Story vergeblich<br />

sein können. Und wie läuft es mit<br />

den olympischen Heldinnen und Helden?<br />

Kann der Chronist mit ihnen Kaffee trinken<br />

und plaudern, wann immer er möchte?<br />

Nein, natürlich nicht. Er ist eingebunden in<br />

die grosse olympische Medienmaschine.<br />

Eine seriöse Vorbereitung auf die Wettkämpfe<br />

wäre nicht möglich, wenn ständig irgendein<br />

medialer «Schtürmicheib» (die weibliche<br />

Form kenne ich leider nicht und kann der<br />

politischen Korrektheit daher nicht Genüge<br />

tun) vorbeikäme.<br />

Deshalb gibt es ein oder zwei Tage vor<br />

dem Wettkampf eine ganz offizielle Me­<br />

ZUSATZINFOS<br />

Von Calgary 1988 bis Pyeongchang <strong>2018</strong><br />

Von der Steinzeit in die Gegenwart<br />

in 30 Jahren. 1988 war<br />

ich bei den olympischen Spielen<br />

in Calgary zum ersten Mal<br />

als Chronist dabei.* Für die inzwischen<br />

nicht mehr existierende<br />

Fachzeitung «Sport».<br />

Ach, es waren die goldenen<br />

Jahre des schreibenden Personals.<br />

Die Zeitungen waren<br />

Gelddruckmaschinen. Die Kassen<br />

voll. Selbstverständlich<br />

flogen wir in der Businessklasse<br />

nach Kanada. Die Spesenpauschale<br />

für die kleinen Ausgaben<br />

nebenbei betrug 200<br />

Schtutz. Heute, 30 Jahre später,<br />

quetschen sie alle in die<br />

engen Sitze der Economy-Klasse.<br />

Übrigens auch das Personal<br />

des staatstragenden Fernsehens.<br />

Wohlweislich, kurz vor<br />

der No-Billag-Abstimmung.<br />

1988 gab es weder Hosentelefone<br />

noch Internet. In den Medienzentren<br />

sorgte das Klappern<br />

von Schreibmaschinen<br />

für den Klangteppich. Es gibt<br />

zwar erste Laptops mit einer<br />

Speicherkapazität von 20 000<br />

Zeichen und der Möglichkeit,<br />

per Telefon die Texte zu übermitteln.<br />

Aber es sind rare technische<br />

Wunderwerke, und niemand<br />

glaubt so recht daran,<br />

dass diese sich dereinst durchsetzen<br />

könnten. Das geschriebene<br />

und gedruckte Wort ist<br />

«Gospel», die Wahrheit. Die<br />

Chronisten (und wenigen Chronistinnen)<br />

stehen in hohem<br />

Ansehen. Sie machen die Meinung.<br />

In diesen Zeiten sprach<br />

man noch ehrfürchtig von der<br />

«Power of the Pen», von der<br />

Kraft und Macht der Feder.<br />

Diese herrlichen Zeiten dauerten<br />

bis und mit den Spielen<br />

von 2006 in Turin. Dann setzt<br />

sich das Internet durch. 2004<br />

wird Facebook gegründet und<br />

hat heute mehr als zwei Milliarden<br />

Mitglieder. Spätestens<br />

ab den Spielen von 2014 erkennen<br />

die Stars und sonstigen<br />

Mächtigen im Sport, dass sie<br />

die Medien nicht mehr brauchen<br />

und stattdessen auf den<br />

Kanälen der sozialen Netze mit<br />

dem Publikum kommunizieren<br />

können.<br />

Die Macht der Feder gibt es<br />

nicht mehr. Nun zählt wieder<br />

mehr die Kunst der Feder. Die<br />

Kunst, eine Geschichte zu erzählen.<br />

«Storytelling». Seit Anbeginn<br />

der Zeiten ist es ein<br />

Grundbedürfnis des Menschen,<br />

eine Geschichte zu hören oder<br />

zu lesen. Und es braucht jemanden,<br />

der diese Geschichte<br />

erzählt. Und das ist die edle<br />

Aufgabe des Chronisten im 21.<br />

Jahrhundert. Aber er hat nicht<br />

die Freiheit der Poeten und<br />

Dichter. Er sollte seine Geschichten<br />

nicht erfinden. Sondern<br />

einfach erzählen, was<br />

war. Das Leben schreibt ja immer<br />

noch die besten Storys.<br />

Erst recht auf dem Planeten<br />

Olympia.<br />

* Der Chronist hat vor Pyeongchang<br />

<strong>2018</strong> bereits über die<br />

olympischen Spiele in Calgary<br />

(1988), Albertville (1992), Atlanta<br />

(1996), Nagano (1998),<br />

Salt Lake City (20<strong>02</strong>), Athen<br />

(2004), Turin (2006), Peking<br />

(2008), Vancouver (2010),<br />

London (2012), Sotschi (2014)<br />

und Rio (2016) berichtet.<br />

30 s’Positive 2/ <strong>2018</strong>

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