sPositive_02_2018_Web
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OLYMPISCHE SPIELE<br />
ere gemacht. Wir verabreden uns also zum<br />
Essen im IOC-Hotel. Das ist noch einmal eine<br />
ganz eigene Welt auf dem Planeten Olympia.<br />
Es braucht eine Spezialbewilligung, um hereinzukommen.<br />
Bald ist mir klar, warum. Zu<br />
viele wichtige Leute. Sicherheitsrisiko. Am<br />
Nebentisch speist Ex-Kanzler Gerhard Schröder<br />
mit seiner koreanischen Freundin. Ich<br />
hatte ihn lange Zeit gar nicht bemerkt, und<br />
zum Glück habe ich keine meiner dummen<br />
Lieblingssprüche über unsere kriegerischen<br />
teutonischen Nachbarn gemacht. Item, das<br />
Interview mit dem nordkoreanischen Sportgeneral,<br />
einem Vertrauten Kims, ist auf bestem<br />
Wege.<br />
In der Ruhe der<br />
Unterkunft im<br />
Mediendorf lässt es<br />
sich besser dichten.<br />
DER ANRUF VON KIM<br />
Aber dann überstürzen sich die Ereignisse.<br />
US-Vizepräsident Mike Pence hat soeben in<br />
Japan offiziell verkündet, man werde nun<br />
die Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea<br />
verschärfen. Das ganze olympische Theater<br />
(gemeint ist die weltweite Aufmerksamkeit<br />
für das gemeinsame Koreanische Frauen-<br />
Hockeyteam) interessiere ihn nicht.<br />
Nun wird es hektisch. Unser nordkoreanischer<br />
Gesprächspartner, eben noch freundlich<br />
und gut gelaunt, bekommt einen Telefonanruf<br />
und ist nicht mehr ansprechbar. Er<br />
entschuldigt sich mit zitternder Stimme und<br />
eilt davon, quer durchs Restaurant, dem Ausgang<br />
und wohl seinem Zimmer zu. Mit an<br />
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />
war Kim persönlich am Hosentelefon – und<br />
ich verpasse die einmalige Gelegenheit, so<br />
an die direkte Nummer des grossen Vorsit<br />
zenden heranzukommen. Wird die nordkoreanische<br />
Delegation nach dieser Verbalattacke<br />
des US-Vize abreisen? Wird nichts mit<br />
dem gemeinsamen Frauen-Hockeyteam?<br />
Drei Stunden lang ist alles in der Schwebe.<br />
Dann das grosse Aufatmen: Die Nordkoreanerinnen<br />
und Nordkoreaner bleiben.<br />
Aber an ein Interview ist nicht mehr zu denken.<br />
Macht nichts. Es war ja trotzdem interessant,<br />
und das Essen – nun halt mit René<br />
Fasel – hat vorzüglich geschmeckt. Und<br />
bezahlen musste ich auch nicht. Diese Episode<br />
mag zeigen, wie manchmal auch tagelange<br />
Bemühungen um eine gute Story vergeblich<br />
sein können. Und wie läuft es mit<br />
den olympischen Heldinnen und Helden?<br />
Kann der Chronist mit ihnen Kaffee trinken<br />
und plaudern, wann immer er möchte?<br />
Nein, natürlich nicht. Er ist eingebunden in<br />
die grosse olympische Medienmaschine.<br />
Eine seriöse Vorbereitung auf die Wettkämpfe<br />
wäre nicht möglich, wenn ständig irgendein<br />
medialer «Schtürmicheib» (die weibliche<br />
Form kenne ich leider nicht und kann der<br />
politischen Korrektheit daher nicht Genüge<br />
tun) vorbeikäme.<br />
Deshalb gibt es ein oder zwei Tage vor<br />
dem Wettkampf eine ganz offizielle Me<br />
ZUSATZINFOS<br />
Von Calgary 1988 bis Pyeongchang <strong>2018</strong><br />
Von der Steinzeit in die Gegenwart<br />
in 30 Jahren. 1988 war<br />
ich bei den olympischen Spielen<br />
in Calgary zum ersten Mal<br />
als Chronist dabei.* Für die inzwischen<br />
nicht mehr existierende<br />
Fachzeitung «Sport».<br />
Ach, es waren die goldenen<br />
Jahre des schreibenden Personals.<br />
Die Zeitungen waren<br />
Gelddruckmaschinen. Die Kassen<br />
voll. Selbstverständlich<br />
flogen wir in der Businessklasse<br />
nach Kanada. Die Spesenpauschale<br />
für die kleinen Ausgaben<br />
nebenbei betrug 200<br />
Schtutz. Heute, 30 Jahre später,<br />
quetschen sie alle in die<br />
engen Sitze der Economy-Klasse.<br />
Übrigens auch das Personal<br />
des staatstragenden Fernsehens.<br />
Wohlweislich, kurz vor<br />
der No-Billag-Abstimmung.<br />
1988 gab es weder Hosentelefone<br />
noch Internet. In den Medienzentren<br />
sorgte das Klappern<br />
von Schreibmaschinen<br />
für den Klangteppich. Es gibt<br />
zwar erste Laptops mit einer<br />
Speicherkapazität von 20 000<br />
Zeichen und der Möglichkeit,<br />
per Telefon die Texte zu übermitteln.<br />
Aber es sind rare technische<br />
Wunderwerke, und niemand<br />
glaubt so recht daran,<br />
dass diese sich dereinst durchsetzen<br />
könnten. Das geschriebene<br />
und gedruckte Wort ist<br />
«Gospel», die Wahrheit. Die<br />
Chronisten (und wenigen Chronistinnen)<br />
stehen in hohem<br />
Ansehen. Sie machen die Meinung.<br />
In diesen Zeiten sprach<br />
man noch ehrfürchtig von der<br />
«Power of the Pen», von der<br />
Kraft und Macht der Feder.<br />
Diese herrlichen Zeiten dauerten<br />
bis und mit den Spielen<br />
von 2006 in Turin. Dann setzt<br />
sich das Internet durch. 2004<br />
wird Facebook gegründet und<br />
hat heute mehr als zwei Milliarden<br />
Mitglieder. Spätestens<br />
ab den Spielen von 2014 erkennen<br />
die Stars und sonstigen<br />
Mächtigen im Sport, dass sie<br />
die Medien nicht mehr brauchen<br />
und stattdessen auf den<br />
Kanälen der sozialen Netze mit<br />
dem Publikum kommunizieren<br />
können.<br />
Die Macht der Feder gibt es<br />
nicht mehr. Nun zählt wieder<br />
mehr die Kunst der Feder. Die<br />
Kunst, eine Geschichte zu erzählen.<br />
«Storytelling». Seit Anbeginn<br />
der Zeiten ist es ein<br />
Grundbedürfnis des Menschen,<br />
eine Geschichte zu hören oder<br />
zu lesen. Und es braucht jemanden,<br />
der diese Geschichte<br />
erzählt. Und das ist die edle<br />
Aufgabe des Chronisten im 21.<br />
Jahrhundert. Aber er hat nicht<br />
die Freiheit der Poeten und<br />
Dichter. Er sollte seine Geschichten<br />
nicht erfinden. Sondern<br />
einfach erzählen, was<br />
war. Das Leben schreibt ja immer<br />
noch die besten Storys.<br />
Erst recht auf dem Planeten<br />
Olympia.<br />
* Der Chronist hat vor Pyeongchang<br />
<strong>2018</strong> bereits über die<br />
olympischen Spiele in Calgary<br />
(1988), Albertville (1992), Atlanta<br />
(1996), Nagano (1998),<br />
Salt Lake City (20<strong>02</strong>), Athen<br />
(2004), Turin (2006), Peking<br />
(2008), Vancouver (2010),<br />
London (2012), Sotschi (2014)<br />
und Rio (2016) berichtet.<br />
30 s’Positive 2/ <strong>2018</strong>