E_1930_Zeitung_Nr.034
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Bern, Montag 14. April <strong>1930</strong> III. Blatt der „Automobil-Revue" Nr. 34<br />
Frühlingsahnen<br />
Die Sonnenuhr besinnt sich wieder auf die Zeit.<br />
Der Wind spricht mit der Birke von einem<br />
Hochzeitskleid.<br />
Die Wiese sehnt sich bunt das Herz.<br />
Die Lerchen fahren himmelwärts.<br />
Es tropft ein Ton aus Blau und Gold von<br />
Jedem Dach.<br />
Im Wald ist schon ein Kuckuck wach.<br />
In deine Augen gehen Lichter aus und ein.<br />
Da blähst, du blühst! — Es wird wohl<br />
Frühling sein. *)<br />
Sorgenvolle<br />
Früh lingsgedanken<br />
«... das, meine Herrschaften, ist die<br />
Zeit der Wiedergeburt, der seelischen<br />
Erneuerung, des innern Aufschwungs.<br />
Schon die alten Germanen...»<br />
Für Aegypten ist es natürlich wieder zu<br />
spät geworden und Lugano kenne ich schon<br />
auswendig.<br />
Ich dachte, das dunkelblaue Komplett geht<br />
noch, aber es geht wirklich nicht mehr.<br />
Ueberhaupt werde ich der Köchin kündigen,<br />
immer die gleichen langweiligen Vorspeisen...<br />
ImmeT, wenn die Sonne 'rauskommt, sieht<br />
der Teint so scheusslich aus. Fragt sich<br />
bloss: Schälkur oder kosmetische Operation?<br />
Ob es eigentlich hübsch wäre, auch ein<br />
Baby zu haben? Zumindest muss das Auto<br />
überholt werden.<br />
Schuhe, Gürtel und Handtasche aus Haifischleder,<br />
Gottseidank, endlich mal was andres!<br />
Und mit den Haaren muss was geschehen:<br />
entweder lang wachsen lassen oder rot<br />
färben.<br />
Ja, wenn man sich noch einmal $6 richtig<br />
blödsinnig verlieben könnte-* — r<br />
— oder lieber gleich das neue KabrioL.<br />
und ein ganz anderes Parfüm.<br />
Und dann ein veilchenblaues Pyjama mit<br />
bisschen echter Spitze...<br />
Macht der Frühling Sie auch immer so<br />
nervös? So wird in 'der « B. Z.» gefragt<br />
»„.und so ist uns, meine Herrschaften,<br />
der Lenz zu einem Symbol<br />
der Wandlung und Auferstehung im<br />
ethischen Sinne geworden.»<br />
•) Max Jngnickel im „N. W. J.".<br />
F E U I L L E T O N<br />
Die Begegnung<br />
Der Student Sebastian Stäublein sass am<br />
offenen Fenster und fror. Die Frühlingsnacht<br />
brachte Kühlung und frische Winde. Er hatte<br />
die Fäuste an die Wangen gestützt und sah<br />
ins Dunkel. Es war gut, über die Dächer hinweg<br />
sehen zu können. Der Mond war von<br />
einem dunstigen Kreis umgeben, er warf silberne<br />
Streifen über die Strassen und Häuser.<br />
Unten war Lärm und Vergnügen, Lachen und<br />
Rufen gischtete zu dem Studenten empor.<br />
Leute gingen vorbei, das nahe Osterfest<br />
schien sie lustig zu stimmen. Sie hielten sich<br />
an den Armen, plauderten laut. Tramwagen<br />
kreischten, warfen grellen Lärm an den Häusern<br />
empor. Autos rauschten vorüber, Lichtbänder<br />
zuckten an den Fronten der Gebäude<br />
entlang und huschten durch die halbhellen<br />
Strassen. Es wird schöne Ostern geben,<br />
dachte Stäublein. Es war ihm gleichgültig.<br />
Ostern — er pfiff durch die Zähne — Sentimentalität<br />
der Beschränkten. Und er schob<br />
die Hände tief in die Taschen und schauerte<br />
zusammen.<br />
Sebastian stand im dunkeln Zimmer, inmitten<br />
der Unordnung von Büchern, Zeitschriften<br />
Zu Ostern kehren die Schwalben heim, um<br />
das Fest in der Heimat zu feiern. Du fremdes<br />
Land, was sagen mir deine Glocken? Sie<br />
singen Erinnern und bittere Sehnsucht ins<br />
Herz... Ein anderes Geläute klingt von fernher<br />
zu mir, von fernher über den Berg, über<br />
das Wasser kommt ein leises Lied... Und<br />
mit leichtem Flügelschlagen zieh'n die Gedanken<br />
fort...<br />
Mathes war schon bald drei Jahre beim Militär;<br />
jetzt, für die Feiertage, sollte er Urlaub<br />
bekommen. Kraftvoll, wie eine Eiche,<br />
sah der Bursche aus, aber seine Augen blickten<br />
sanft und schüchtern, wie die eines Kindes.<br />
Gab man ihm die Hand, dann wagte er<br />
nicht, sie zu drücken, aus Angst, sie zu zerbrechen.<br />
Weil er gar so schüchtern und ungeschickt<br />
war, kam er auch nicht vorwärts.<br />
Der Korporal versuchte ihn abzurichten, oder<br />
verspottete ihn, wie es ihm gerade einfiel.<br />
Mathes aber dachte: Spotte nur Freund, soviel<br />
du magst, bald hob ich meine Zeit abgedient,<br />
und dass ich ein Dummkopf bin, weiss<br />
ich selber...<br />
Wir sassen im Wirtshaus. Sein Gesicht<br />
strahlte wie der Palmsonntag.<br />
.«Du gehst jetzt nach Hause, Mathes?»<br />
« Freilich. Uebermorgen.»<br />
Er zog ein zerknülltes Papier aus dem Rock.<br />
und gebrauchter Wäsche. Zigarettendunst<br />
hing in den Ecken. Er fluchte leise. Irgend<br />
etwas sass in seinem Nacken, das ihn erdrücken<br />
wollte. Er gab sich nicht die geringste<br />
Mühe, sich aus der gefährlichen Atmosphäre<br />
seines Zimmers zu lösen, alles war<br />
ihm so gleichgültig. Er suchte das Leben in<br />
nächtlichen Stunden in seinen Büchern, nichts<br />
blieb als ein ekler Geschmack auf der Zunge,<br />
eine grosse Müdigkeit und das Gefühl der<br />
Verlorenheit. Was sollte man sich Mühe<br />
geben?<br />
Er durchquerte mit grossen Schritten den<br />
Raum, stiess in Tisch und Stühle. Und weil es<br />
ihn stärker fror, schloss er das Fenster und<br />
machte Licht, das unbarmherzig hell war.<br />
Dann legte er sich schlafen.<br />
Der neue Tag ist angebrochen.<br />
Er erwacht spät am Morgen. Die Sonne<br />
spielt durch die Fensterladen und wirft weisse<br />
Streifen Lichtes in die weiche Dämmerung.<br />
Sebastian kleidet sich langsam an. Seine Augen<br />
sind rotgerändert. Er spült den Mund.<br />
Zigarettengeschmack fault darin. Und während<br />
er in einem Restaurant das Morgenessen<br />
hinunterwürgt, entschliesst er sich, einen Bekannten<br />
zu besuchen, einen Kameraden, der<br />
seit langer Zeit im Spital liegt, wo er langsam<br />
dem Tode zutreibt Was kann man besseres<br />
tun? Und so verlässt er eilig die<br />
Urlaub<br />
) *<br />
Eine Oster-Novelle von' Ivan Cankar.<br />
Die Fahrt in den Frühling<br />
Auf diesem Papier waren geheimnisvolle Zeichen<br />
zu sehn, dicke Striche in unübersehbaren<br />
Reihen.<br />
« Das sind die Tage, die ich gezählt hob...<br />
jetzt zähl' ich die Stunden — von gestern<br />
abend an. Wenn sie vergangen sind...»<br />
Er drehte sich um und warf einen Blick auf<br />
die Wanduhr.<br />
«Wieder eine vorüber,-» rief er und verlängerte<br />
mit schwerfälliger Hand den dicken<br />
Strich, der auf dem Papier langsam von einem<br />
Strichlein zum andern, von einer<br />
Stunde zur andern gewandert war.<br />
«Aber warum eilt es dir so, Mathes? Du<br />
hast es doch weit in die Heimat — einen Tag<br />
hin, einen zurück. Ein einziger kurzer Tag<br />
bleibt dir, um die Mutter wiederzusehn.»<br />
Mathes lachte übers ganze Gesicht. « Ein<br />
einziger Tag? Dieser Tag wird lang sein, —<br />
länger als das ganze Leben — »<br />
« Länger als das ganze Leben? »<br />
« Länger, freilich... Sieh, wenn du mir<br />
jetzt ein Säckchen Dukaten bringst und mir<br />
sagst: Mathes, geh nicht nach Hause, — ich<br />
würde auf die Dukaten spucken. Auch wenn<br />
du sprächst: Gib mir doch eine einzige Stunde<br />
dieses Tages, eine einzige Minute, — ich<br />
würde auf die Dukaten spucken... Siehst du,<br />
so steht es.»<br />
stickige Luft des Lokals und betritt die<br />
Strasse. Sie ist weiss und sauber, und die<br />
Morgensonne spielt darauf. Sonntäglich gekleidete<br />
Menschen kommen, sie sehen sehr<br />
komisch aus mit ihren Mienen, die einen gesammelten<br />
Ausdruck haben und gedankenvolle<br />
Furchen aufweisen. Alles hat Feiertagsgesichter<br />
aufgesetzt. In den Gärten stehen<br />
gelbe und rote Blumen, Kinder bewundern<br />
diese Blüten mit lauten Rufen. Ein<br />
Milchmann kommt vorüber und trägt schwer<br />
einen Kessel voll weisser kalter Milch. Die<br />
Sonne ist hell und klar, sie wärmt Sebastian.<br />
Glocken beginnen zu läuten. Vögel pfeifen<br />
und flattern aufgeregt. Alles ist hart und<br />
grell, die Augen empfinden es schmerzhaft.<br />
Sebastian erreicht das Krankenhaus. Es<br />
liegt behaglich an der Sonne. Man sieht von<br />
weitem die weissen Kissen der Kranken, die<br />
sich an die Sonne wagen. Von allen Seiten<br />
kommen Leute mit weissen Päckchen unter<br />
dem Arm, mit Blumen. Viele sind schwarz<br />
gekleidet und haben ernste Gesichter. Die<br />
helle Sonne blendet sie, so dass sie komisch<br />
zwinkern. Sebastian tritt an einen Früchtestand<br />
und kauft Orangen. Die runden, vollen<br />
Früchte locken. Es ist Gedränge um die<br />
dicke alte Frau, die schnaufend abwägt. Man<br />
spricht nur halblaut, Sebastian sieht sich<br />
verwundert um. Die Nähe des Krankenhauses<br />
wirkt sich auf die Leute aus. —<br />
«Gott befohlen, Mathes. Aber was wirst<br />
du zu Hause machen? Reichtümer warten<br />
nicht auf dich, du armer Kerl, niemand wird<br />
für dich Kolatschen backen, ja nicht einmal<br />
Weizenbrot.»<br />
«Ei,» rief Mathes, «und wenn ich auch<br />
Steine beissen muss... Wenn ich nur die<br />
Glocken von St. Jurje hören darf — alles<br />
andre ist einerlei...»<br />
Er stand auf.<br />
Der lange dicke Strich auf dem Papier<br />
wuchs, riss mit festem Griff Stunde um<br />
Stunde an sich. Und jetzt liebte Mathes<br />
seine Mutter wohl kaum so innig, wie diesen<br />
dicken Strich, der Weg und Fahrt in die HeU<br />
mat bedeutete.<br />
Am Abend, wenn die Kameraden im Dan-*<br />
kein flüsterten, verschränkte er die Hände<br />
unter dem Kopf und starrte zur schwarzen<br />
Zimmerdecke. Und die Decke wich, — WäU<br />
der rauschten, die Sonne grüsste, das grüne<br />
Tal dort schaukelte wie eine Wiege zwischen<br />
den Bergen... Die Hütte auf dem Hügel dort<br />
und die Mutter auf der Schwelle, — sie be*<br />
schattet die Augen mit der Hand: « Du bist<br />
es, Mathes?» Und kaum erblicken ihn die<br />
Glocken von St. Jurje, so fangen sie auch<br />
schon zu schwingen an und singen ihr süsses<br />
altes Lied.<br />
'<br />
« Du bist es, Mathes? Willkommen.»<br />
Die Träume sanken ins Dunkel zurück, der,<br />
Morgen rief.<br />
« Auf.»<br />
Mathes sprang aus dem Bett. Noch während<br />
des Ankleidens träumte er mit offenen<br />
Augen weiter, sah nur Sonne, Wälder, die<br />
grüne Wiege zwischen den Bergen..., hörte<br />
von fernher das süsse alte Lied.<br />
So trat er auf den Hof hinaus, der arme<br />
Tölpel. Er stand und starrte den Himmel an,<br />
der ganz licht und weise auf die Stadt hinab*<br />
sah. Von fernher rauschten die Wälder...<br />
« Du Schwein! » Wie eine Faust schlug die<br />
Stimme in sein Gesicht. « Mit offenem Roch<br />
kommt er daher, schmierig wie ein Ferkel.-*<br />
Marsch. Zum Rapport!» Mathes begriff nicht,<br />
was mit ihm geschah; er ging zum Rapport.<br />
« Drei Tage Kasernenarrest.»<br />
Verwundert blickte er auf. « Was hat et.<br />
gesagt? Was hat er befohlen?»<br />
« Drei Tage Haft... Marsch.»<br />
Mathes hob beschwichtigend die Hand und<br />
lächelte wie ein Kind. «Da hat er sich wohl<br />
geirrt. Zu Ostern muss ich nach Hause —«<br />
heut' abend geh' ich, hob' ja Urlaub bekommen!»<br />
« Marsch.»<br />
« Wohin? Nicht nach Hause? »<br />
« Abführen.»<br />
Die Spitaltreppe ist voller Menschen, die<br />
gebückt sie ersteigen, in langen Reihen. Kinder<br />
halten sich angstvoll an den Grossen, sie<br />
fürchten ein Unsichtbares. Sebastian betritt<br />
den Vorraum des Spitals. Er ist gedrängt<br />
voller Menschen. Zu beiden Seiten des Einganges<br />
sind lange Aufschriften angeklebt, die<br />
Verhaltungsmassregeln enthalten. Halblautes<br />
Geflüster ist in dem Raum. Es riecht stark<br />
nach Desinfektionsmitteln.<br />
Es riecht nach Leid, denkt Sebastian. Die<br />
Luft ist müde und drückend. Man muss sich<br />
zusammennehmen, um nicht davonzulaufen.<br />
Keine Sonne ist mehr da, elektrische Lichter<br />
brennen. Krankenschwestern gehen edlig!<br />
vorüber. Sie sehen sehr gleichgültig aus.<br />
Sebastian steigt mehrere Treppen empor.<br />
Dann durchschreitet er einen Gang. Männer<br />
mit verbundenen Gliedern sitzen müde auf<br />
Bänken, sie sagen manchmal ein Wort und<br />
sehen auf den Boden, betrachten die Fussspitzen.<br />
Sebastian öffnet eine Türe, er betritt<br />
einen Saal, in dem viele Betten stehen.<br />
Er geht zu seinem Freund, der ihn bemerkt<br />
hat.<br />
« Guten Tag,» sagt er leise.<br />
Der Kranke errötet und richtet sich auf.<br />
Es sind noch viele Leute im Saale, die trau-*<br />
rig mit den Kranken reden. Auf den weissen;<br />
Decken liegen Geschenke, weil es Ostern ist,<br />
rote, gelbe, blaue Ostereier. Ein Hase, wohl