E_1930_Zeitung_Nr.072
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Bern, Dienstag 26. August <strong>1930</strong> IV. Blatt der „Automobil-Revue "No. 72<br />
Ich will keine Herausforderung zu einem Kampfe<br />
mit 4-Unzen-Boxhandschuhen riskieren, noch ein<br />
Duell mit Maschinengewehren heraufbeschwören,<br />
aber ... Sie entschuldigen! ... wir sind doch alle<br />
ein wenig Vagabunden. Neuzeitlichen Formats, versteht<br />
sich!...<br />
Darüber müssen wir uns nun allerdings keine<br />
grauen Haare wachsen lassen. Es liegt ein gutes<br />
Stück Vagabundenleben in unserem Blut, und es<br />
wäre beinahe schrecklich, wenn dem nicht so wäre.<br />
Es wäre höchst unnatürlich. Oder finden Sie es etwa<br />
seltsam, dass es beispielsweise einen jungen Amerikaner<br />
gereizt hat, frei wie ein Vogel kreuz und<br />
quer in seinem Lande herumzufahren, Tausende<br />
von Kilometern, indem er sich in seiner herrlichen<br />
Freiheit die Freiheit nahm, sich auf einen blinden<br />
Postwagen, seiner famosen Eisenbahnen zu setzen<br />
und so unter Berücksichtigung weitestgehender<br />
Oekonomie ungeheure Strecken zurückzulegen, Hie<br />
Welt zu sehen und dabei seine goldene Freiheit zu<br />
geniessen? Hunderte solcher Tramps oder Hobos,<br />
wie sie der Amerikaner nennt, haben täglich auf<br />
dem Ku&fänger der Lokomotive, auf dem Trittbrett<br />
des blinden Postwagens, zwischen den Achsen unter<br />
dem Wagen oder gar auf dem Wagendach ihr<br />
Genick riskiert, weil ... nun weil sie es eben nicht<br />
lassen konnten.<br />
Weil sie kein sogenanntes Sitzleder hatten, weil<br />
sie mit der Sesshaftigkeit auf dem Kriegsfuss stan-<br />
•<br />
Wir — die Vagabunden<br />
Die blaue Wand<br />
Von Hans Kunz.<br />
Von Richard Washburn Chüd.<br />
Autorisierte Uebersetzun? ans dem Amerikanischen<br />
von läse Landau. (Engelhorns Romanbibliothek.)<br />
(27. Fortsetzung)<br />
«Ich bleibe hier im Hause», antwortete sie<br />
langsam. «Margaret soll mir Gesellschaft<br />
leisten. Die übrige Dienerschaft schicke ich<br />
fort. Aber auf eines muss ich mich verlassen<br />
können. Dass du während dieser drei Wochen<br />
nicht ins Haus kommst! Gott allein weiss,<br />
was geschehen könnte, wenn du es dennoch<br />
versuchen solltest!»<br />
«Du bist wahnsinnig!» schrie ich auf, während<br />
meine Hand ihr zartes Gelenk fest umspannte.<br />
«Das ist's, was drohend über uns<br />
geschwebt hat».<br />
Sie schüttelte den Kopf.<br />
«Schlimmeres», sagte sie traurig.<br />
Dann, als wolle sie mir beweisen, dass sie<br />
bei vollem Verstand sei, rief sie mir die vergangenen<br />
Monate in die Erinnerung zurück<br />
und schilderte mir eindringlicher, als ich es<br />
vermocht hätte, die Veränderungen, die in unserem<br />
Hause, in unserem Leben, mit uns<br />
selbst vorgegangen waren.<br />
«Es geschieht um deinetwillen», brach es<br />
den, weil sie sich nicht anbinden Hessen, weil sie<br />
nun mal an der menschlichen Krankheit der Wanderlust<br />
laborierten. Es war Bernard Shaw, der<br />
sagte, dass der Tramp jene endlose Sorge hätte,<br />
mit sich zu tun, was ihm am besten behage. —<br />
Vagabundenl Romantiker des Schienenstranges<br />
hat man sie auch genannt. Unter ihnen haben einige<br />
Grosse ihre Lehrzeit durdigemacht. Nennen<br />
wir einen der Grössten: Jack London! <strong>Zeitung</strong>sverkäufer<br />
— Fabrikarbeiter — Austernräuber —<br />
Matrose — Vagabund des Schienenstranges — angehender<br />
Schriftsteller — Student — Goldgräber —<br />
Farmer — Kriegsberichterstatter — und schliesslich<br />
einer der grössten Schriftsteller, ein Erzähler,<br />
der seinesgleichen sucht. Von Anfang bis Ende<br />
rang London nach seiner Freiheit, die auf dem<br />
Schienenstrang begann und mit seinen Fahrten auf<br />
seiner Jacht im Stillen Ozean endete. —<br />
Vagabundenl Josiah Flynt war auch einer der<br />
Ihrigen. Maxim Gorky gleichfalls. Jack Dempsey,<br />
Stanley Ketchell, Kid McCoy stammten auch aus<br />
ihrer Zunft. Und man sieht, Jim Tully, der auch<br />
einer war, hatte recht behalten: Wenn sie nicht auf<br />
Abwege kamen, wurden sie meistens Boxmeister<br />
und mitunter — Schriftsteller!<br />
Die Farbe an diesem sorglosen Vagabundenleben<br />
ist verloren gegangen. Nicht aber die freie<br />
Wanderlust, der Drang nach ziellosem Kreuz und<br />
Quer. Die Fortschritte der Technik haben diesen<br />
menschlichen Instinkt nur in andere Bahnen geleitet.<br />
Weg vom Schienenstrang! Auf die Autostrasse!<br />
—<br />
Und ich habe Ihnen ja gesagt: Es steckt in uns<br />
noch ein gutes Stück Vagabundenblut, das dann in<br />
unseren Adern ins Rollen kommt, sobald wir am<br />
Volant sitzen, auf den Gashebel drücken, das Tachometer<br />
springen lassen, irgendwohin sausen, anhalten,<br />
wo's uns beliebt, Picknick machen und dann<br />
wieder weiter fahren, weil — wir eben nicht angebunden<br />
sind und einige Tage goldene Freiheit geniessen<br />
wollen. Es ist vielleicht nicht mehr so romantisch<br />
wie früher, aber es muss ja heute schnell<br />
gehen, und da ist das Benzin-Vehikel doch das<br />
einzig Richtige, um aus einigen wenigen zur Verfügung<br />
stehenden Tagen möglichst viel von dieser<br />
«Oh alten Vagabunden-Herrlichkeit!» herauszuholen.<br />
—<br />
Das alte Vagabundenlied von «Onkel Sammys<br />
Schienenstrang» ist also heute auch etwas reparaturbedürftig<br />
geworden und müsste nun ungefähr so<br />
lauten:<br />
«Hunderttausend Meilen lang<br />
Ist unser Autostrassenstrang,<br />
Und über denselben jagen<br />
Hunderttausend Wagen<br />
Heidi, wir müssen reisen,<br />
Heidi, von Land zu Land,<br />
Die Schuld daran<br />
Trägt nur der Mann,<br />
Der uns das Automobil erfand!»<br />
So eine ungezwungene Ferienreise! Hin, wo<br />
man will! Von Stadt zu Stadt! In die Berge! Ans<br />
Wasser! Wenn' einem beliebt, so tritt man ein bisschen<br />
auf den Gashebel und wechselt im Hundertkilometertempo<br />
die «Szenerie» Begegnet Ihr einem<br />
zu Fusse wandernden Vogel, so «give him a ride»<br />
Auch er will vorwärtskommen und möglichst viel<br />
sehen. —<br />
schliesslich mühsam aus ihr hervor. «Um<br />
deiner — um unserer Zukunft willen bitte ich<br />
dich, tue, was ich von dir verlange!»<br />
«Sag' mir das eine», drang ich in sie, schon<br />
halb gefügig gemacht durch ihre zitternde<br />
Angst, «ist dir irgend etwas aus der Vergangenheit<br />
wieder lebendig geworden?»<br />
«Ja», entgegnete sie und tastete hinter sich<br />
nach der Wand. «Aber frag' nicht weiter. Es<br />
ist wieder da — aus fernster, fernster Vergangenheit.<br />
Um alles Guten willen, versprich<br />
mir, dass du meine Bitte erfüllen wirst».<br />
«Und was dann?»<br />
«Dann kannst du wiederkommen. Du wirst<br />
mich hier finden — dann!»<br />
Ich beugte den Kopf.<br />
«Dein Ehrenwort!» gebot sie.<br />
«Gut; mein Ehrenwort», gab ich zurück;<br />
dann wandte ich mich ab.<br />
Aber kaum war das geschehen, als ich<br />
fühlte, wie ihre Arme meinen Hals umschlangen,<br />
indes ihr Körper sich an mich<br />
schmiegte. Ihre Finger klammerten sich um<br />
meine Arme, meine Handgelenke, und während<br />
ihr ganzer Körper unter Schluchzen<br />
bebte, überschüttete sie mich mit Liebkosungen,<br />
als gälte es einer Trennung für immer.<br />
«Du — du bist nicht etwa in Lebensgefahr?»<br />
rief ich und schob sie sanft auf Armes-<br />
'.änge von mir.<br />
Und wenn Sie, Herr Automobil-Tourist, noch<br />
nicht überzeugt sind, dass in Ihnen ein Stück Vagabundenleben<br />
steckt, so konsultieren Sie Ihren Kilometerzähler,<br />
wenn Sie das nächste Mal wieder zurückkommen.<br />
...<br />
«Heidi, wir müssen reisen.»...<br />
Die grösste Verbrecherin<br />
Amerikas<br />
Vor einigen Tagen nahm — zum Entsetzen<br />
der Stadtbewohner — die Polizei von Laport,<br />
einem Städtchen des Staates Indiana, ein<br />
siebzigjähriges Mütterchen fest, das sich in<br />
der Stadt als angesehene Bürgerin und liebevolle<br />
Grossmutter der allgemeinen Achtung<br />
und Liebe erfreut hatte. Der ausgedehnte<br />
Freundeskreis der Greisin war ebenso verblüfft<br />
wie empört. Man intervenierte bei den<br />
Behörden und gab der Ueberzeugung Ausdruck,<br />
dass es sich in diesem Falle doch bestimmt<br />
um einen Irrtum der Polizei handeln<br />
müsse. Aber allen Bitten und Erklärungen<br />
zum Trotz gab die Polizei die Gefangene<br />
nicht heraus, und sie tat recht daran.<br />
Allmählich lüftet sich das Geheimnis, das<br />
die Verhaftung der Greisin umgibt. Diese angesehene<br />
Bürgerin, diese liebevolle Mutter<br />
und Grossmutter ist die gefährlichste Verbrecherin,<br />
die in den letzten Jahrzehnten in<br />
den Vereinigten Staaten gelebt hat. Sie war in<br />
ihrer Jugend unter dem Namen «Frau Pfeil»<br />
bekannt. Damals lebte sie auf einer Farm in<br />
Indiana, und sie war in weitem Umkreis wegen<br />
ihrer blendenden Schönheit berühmt.<br />
Scheinbar lebte sie völlig zurückgezogen und<br />
wich jeder Gesellschaft aus. In Wirklichkeit<br />
aber betrieb sie einen regelrechten Männerfang.<br />
In geschickt aufgesetzten Heiratsinseraten,<br />
die sie in den grossen amerikanischen<br />
Blättern erscheinen Hess, suchte sie einen<br />
Lebensgefährten. Das wäre an sich ein harmloses<br />
Vergnügen gewesen, wenn sich hinter<br />
diesen Anzeigen nicht eine teuflische Absicht<br />
verborgen hätte. Wenn sich nämlich ein Heiratskandidat<br />
meldete, wurde er von dem<br />
Mädchen eingeladen, sie auf ihrer Farm zu<br />
besuchen. Sie gab den jungen "Leuten<br />
schliesslich zu verstehen, dass sie in Kürze<br />
heiraten wollte, wenn ihr der Bewerber gefiele.<br />
Viele Männer folgten nun der freundlichen<br />
Einladung. Sie kamen auf das Gut,<br />
wurden liebenswürdig aufgenommen, gut bewirtet,<br />
und vor allem mussten sie viel trinken.<br />
In die Getränke aber mischte das Mädchen<br />
stets ein Betäubungsmittel, nach dessen<br />
Genuss der Bewerber in einen tiefen Schlaf<br />
verfielen. Das Mädchen ermordete sie dann,<br />
plünderte sie aus und verscharrte die Lei-<br />
«Nein, das möchte ich nicht annehmen»,<br />
entgegnete sie ruhig. «Ich denke, du wirst<br />
mich so wiederfinden, wie du mich da siehst.»<br />
Damit führte sie mich sachte aus dem Zimmer,<br />
und ich sah mich plötzlich vor der weissen<br />
Täfelung einer geschlossenen Tür. Einan<br />
Augenblick blieb ich verdutzt stehen; dann<br />
ging ich in mein Zimmer und packte eigenhändig<br />
eine grosse, lederne Reisetasche, um,<br />
wie sie es verlangt, das Haus zu verlassen.<br />
Erst als ich recht überdacht, was ich ihr zugesagt<br />
hatte, ging ich hinüber, um noch einmal<br />
mit ihr zu sprechen. Ich klopfte an. Keine<br />
Antwort. Ich versuchte die Tür zu offnen; sie<br />
war verschlossen.<br />
Ohne gefrühstückt zu haben, verliess ich<br />
das Haus, in einem sonderbaren Zwiespalt<br />
zwischen dem tiefen Vertrauen zu der Ehre<br />
meiner Frau und der Erinnerung an die verschiedenen<br />
Erlebnisse, die mir, seitdem ich<br />
sie kennen gelernt, begegnet waren. Ich habe<br />
seine Schwelle seitdem nicht wieder betreten,<br />
obwohl es morgen zwei Wochen sind, dass<br />
ich mein Haus verliess. Verstehen Sie nun,<br />
Das Automobil-Turnier<br />
Wie es in Klein-Fntzchens Vorstellung<br />
existiert.<br />
chen auf der Farm. Da die Bewerber gewöhnlich<br />
grössere Geldbeträge bei sich hatten,<br />
sammelte die Verbrecherin allmählich<br />
ein grösseres Vermögen. So soll sie etwa<br />
zwanzig Männer ermordet und ausgeplündert<br />
haben.<br />
Im Jahre 1908 brach plötzlich auf der<br />
Farm der Mörderin ein heftiger Brand aus,<br />
dem das Wohngebäude und die Ställe zum<br />
Opfer fielen. Die Besitzerin der Farm war<br />
Die<br />
Gigaretten<br />
tyORTH STAT£"<br />
ä Fr. 1.— per 20 Stück-Paket<br />
zeichnen sich aus durch ihr<br />
hochfeines, unaufdringliches<br />
Aroma und ihre grosse Milde.<br />
Doktor, dass ich alle Qualen gelitten, die die<br />
Angst zu erfinden oder die die Phantasie<br />
mit rasch wechselnden Bildern hervorzuzaubern<br />
vermag? Ich habe mir die grösste Mühe<br />
gegeben, alle haltlosen Vermutungen zurückzudrängen.<br />
Bei Tage, wenn ich mich in meine<br />
Büroarbeiten stürzen konnte, ist mir's hie und<br />
da noch geglückt, die immer wiederkehrenden<br />
Bilder jener Geschehnisse los zu werden,<br />
von denen ich ihnen berichtet habe; aber sobald<br />
die Nacht kommt, bin ich eine hilflose<br />
Beute meiner eigenen Gedanken. Sechs Tage<br />
lang bin ich, trotz meiner übertriebenen Scheu<br />
vor dem Gerede der Leute, wie ein Gespenst<br />
um mein eigenes Haus geschlichen, habe im<br />
Schütze irgend eines Baumes meine eigne<br />
Tür bewacht wie ein bezahlter Detektiv.<br />
Stundenlang habe ich, immer auf der Hut<br />
vor dem Schutzmann, der mich erkannt hätte»<br />
das matte Licht beobachtet, das aus dem<br />
Zimmer meiner Frau herabschien. Und wenn<br />
'ich sah, dass hinter den heruntergelassenen<br />
Vorhängen eine Gestalt auf und ab ging, so<br />
schlug mir das Herz bis in den Hals hinauf,<br />
und ich musste mich zusammennehmen, um<br />
nicht laut in die Nacht hinauszurufen: «Julianna!<br />
Julianna!»<br />
Noch eine Sache muss ich Ihnen erzählen.<br />
Ich hatte geglaubt, dass die Veränderung in<br />
Juliannas Wesen eingetreten war, ohne dass<br />
eine dritte Person damit in Zusammenhang<br />
stand. Ich hatte mich getäuscht. Heute abend,<br />
als ich meine Unruhe nicht länger zu bemeistern<br />
vermochte, weil mir war, als müsste<br />
ich irgend etwas unternehmen, da rief ich<br />
mein Haus telephonisch an. Aber es meldete<br />
sich niemand. Und da überfiel mich plötzlich<br />
die Empfindung, meine Frau sei in Gefahr<br />
und riefe nach mir. Neigte ich zu mystischen<br />
Dingen, so hätte ich sicher angenommen,<br />
Schweizerische<br />
Sonntag, den 31. August <strong>1930</strong><br />
BEUNDENFELD<br />
1. Preis von Frei bürg, internationales Flachrennen . . 2000 m Fr. 1500.—<br />
5. Preis der Eidgenossenschaft, Offiziers-Jagdrennen . 3500 m Fr. 1700.-<br />
2. Preis von Neuenburg, internationales Trabfahren . . 4000 m Fr. 1200.—<br />
3. Preis vom<br />
6. P r e i s v o n S o l o t h u r n , Unteroffiziersrennen. . . . . 3000 Fr. 1180.-<br />
Gurten, internationales Hürdenrennen . . 3000 m Fr. 1600.—<br />
7. Preis von Bern, Herrenreiten 4000 m Ehrenpreise<br />
4. Preis vom Kursaal, Soldaten-Jagdrennen<br />
3000 m Fr. 1050.—<br />
Grosse gedeckte Tribünen — Eintritt: Fr. 1.50, 2.50, 3.50, 8.— und 12.—<br />
Rennmusik: Metallharmonie Bern — Totalisator<br />
Schweizerischer Rennverein Bern<br />
FÜR AUTOMOBILISTEN: Parkplatz Im ionern Ring des Rennplatzes. Nach dem Pferderennen Internat. Fussbaüweitbmpf Ujgest (Ungarn)-Ambrosiana (Italien) im Stadion. Wagen können anf dem Rennplatz parkiert bleiben