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E_1931_Zeitung_Nr.102

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Bern, Dienstag, IS. Dez. 193T III. Blatt der „Automobil-Revue" No. 102<br />

Weihnacht des alten<br />

Mannes<br />

Von Herrmann Hesse.<br />

Als ich ein Knabe war, in Weihnachtszeiten,<br />

Wie war ich selig da und unersättlich,<br />

Im Duft der Kerzen mit dem neuen Spielzeug<br />

Zu spielen unterm Tannenbaum: dem Ross,<br />

Dem Bilderbuch, der Eisenbahn, der Violine!<br />

Und wenn auch jedes Spielzeug bald erlosch<br />

Und Alltag wurde, jeder Weihnachtsbaum<br />

War wieder neu, war Fest und Wunder,<br />

Umfing mich wieder mit dem Zaubernetz.<br />

Heut' iveiss ich keine neuen Spiele wehr,<br />

Erschöpft sind Glanz und Lust, der lange<br />

Weg<br />

Liegt hinter mir, zerbrochenen Spielzeugs<br />

voll,<br />

Die Scherben klirren. Doch die Sehnsucht<br />

malt<br />

Mir einen letzten, höchsten Zauber noch<br />

In holden Farben aus: das letzte Fest,<br />

Den Ausgang aus der Spiel- und Kinder -<br />

weit,<br />

Den Eingang in die nächste, tief ersehnt.<br />

Dein denk ich, wenn die leer gewordne<br />

Welt<br />

Um mich mit ihren farbigen Scherben<br />

flirrt,<br />

Dein denk ich, letztes Spiel: geliebter<br />

Tod!<br />

Aufglänzen wird noch einmal Kinderlust.<br />

Noch einmal wird der dürre Christbaum<br />

blüh'n<br />

Und Wunder strahlen, dass im dunkeln<br />

Schacht<br />

Das Herz vor neuer Wonne bang erquillt.<br />

Und zwischen Kerzenglanz und Tannenduft<br />

Und all dem Wust zerbrochener Spielerein<br />

Wird aus dem wonnevollen Dunkel<br />

Die ferne Stimme meiner Mutter rufen.<br />

Weihnachtsschnee<br />

HH<br />

WinterlandsehÄft bei St. Monte.<br />

(Photo Alb. Steiner, St. Moritz.)<br />

Rund um Weihnachten<br />

Bei den Germanen trug man einen Tannenbaum<br />

in den Wohnraum hinein, um<br />

von der Natur im Winter nicht gänzlich<br />

abgeschnitten su sein. Das Christentum<br />

hat diese heidnische Sitte religiös verbrämt<br />

und den Geburtstag Christi mit<br />

dem Sinnbild des Tannenbaums verknüpft.<br />

Mit der Zeit verlor er aber seine symbolische<br />

Bedeutung, und heute hat er oft nur<br />

noch eine dekorative Wirkung. Die Volksphantasie<br />

treibt an ihm ihr Spiel. Jede<br />

Familie verrät dabei ihren eigenen Geschmack.<br />

Nicht unberührt bleibt natürlich<br />

der Stil des Christbaums von den künstlerischen<br />

Tendenzen: die neue Sachlichkeit<br />

hat mitunter auch mit dem bunten Farbengewirr<br />

aufgeräumt und einen kühlen,<br />

unbefrachteten Baum hingestellt. Indes<br />

pflegen wir von einem bürgerlichen, einem<br />

bäuerlichen und einem aristokratischen<br />

Christbaumstil zu reden: der bäuerliche<br />

Stil dokumentiert sich in den vielen Süssigkeiten,<br />

den vielfarbigen Kerzen, der<br />

bürgerliche Stil schwärmt für weisses<br />

Engelshaar und die Aristokratie begnügt<br />

sich mit einer Weisstanne, auf die man<br />

weisse oder rote Kerzen steckt. Sie ist<br />

ein Feind allen bunten Wirrwarrs, an dem<br />

Volk und Bauer sich berauschen. Nur mitunter<br />

ist der Christbaum noch ein Pentagramm<br />

für böse Geister und Kobolde und<br />

beschivört alle versöhnlichen Geister heraus<br />

und herab. Wenn die Kerzen aufzucken,<br />

werden die Erwachsenen wie Kinder.<br />

Sie erleben zuweilen eine Art Walpurgisnacht:<br />

alte Erinnerungen ziehen wie<br />

ein Geisterzug vorüber, sie versetzen sich<br />

in verklungene und auch künftige Zeiten<br />

und lassen sich von Wehmut packen.<br />

Das Leben, das sonst mit unversöhnlicher<br />

Härte die Menschen knetet, gewinnt<br />

um die Weihnachtszeit herum einen irdischen<br />

und himmlischen Glanz. Alle Menschen<br />

sind für eine Gefühlsbereitschaft<br />

zugänglich, wie die Landschaft dem Mondschein.<br />

Die Eltern besinnen sich auf die<br />

Kinder und die Kinder auf die Eltern: es<br />

wird gefragt, gerätselt, denn alle erwar-<br />

F^Ulll^ton<br />

Weihnachten eines<br />

jungen Menschen<br />

Novellette von E. W.*)<br />

Motto: Das Härteste und Zarteste: das Hera.<br />

Das Befremden und Wundern erwies sich<br />

bald als berechtigt. Dieses Erlebnis mit<br />

einer Schönheit, einer Dame, jung und begehrt,<br />

war wie der Duft von einem besseren<br />

Leben und daher eine Liebe ohne Bestand.<br />

Sie kam, und, wie Ernst Wendner in seiner<br />

jugendlichen Torheit eben an Dauer zu glauben<br />

wagte, war sie schon weg, gehörte bereits<br />

einem anderen, und zwar endgültig,<br />

denn der Auserwählte war eine sehr gute<br />

Partie, wie man zu sagen pflegt, und Lucie<br />

liess in Ernsts bescheidenem Leben nichts zu"<br />

rücK ars grausam vertiefte Einsamkeit und<br />

wehmutsvolle Bilder einer Erinnerung, die an<br />

ihm nagte, auch wenn er es sich nicht mehr<br />

eingestand, und ihn fortan alle Frauen voller<br />

Argwohn fliehen liess. Ernst verwünschte<br />

jetzt die dumme Begegnung um so mehr,<br />

weil sie ausgerechnet in diesem Augenblicke<br />

erfolgte: Er, der Junggeselle, mit einem<br />

*) Siehe Nr. 100, «Autler-Weihnachten».<br />

Weihnachtsbäumchen in der Hand, lief Gefahr,<br />

in diesem Aufzuge der Lächerlichkeit<br />

zu verfallen. Seine Augen senkten sich deshalb<br />

in einer Regung von unerklärlichem<br />

Schamgefühl. Sonderbar schwer wog plötzlich<br />

das bisher geringe Gewicht des armseligen<br />

Tannenbäumchens, das er sich in einer<br />

Anwandlung von Sentimentalität und Jugenderinnerungen<br />

an das Vaterhaus für seine Einsamkeit<br />

am heiligen Abend erstanden hatte.<br />

Die Müdigkeit und Trauer eines dürftigen<br />

Daseins übermannten ihn und ergriffen für<br />

eine Weile vollständig Besitz von ihm.<br />

Welche Torheit, dieses Tannenbäumchen,<br />

dachte er, und das Elend seiner einsamen<br />

Feier, welcher er entgegenging, trieb<br />

ihm einen feuchten Glanz in die Augen, gegen<br />

den er sich freilich sofort zur Wehr<br />

setzte.<br />

Erst als er die Frau weit hinter sich wusste,<br />

liess das Würgen in der Kehle nach und<br />

die Knie griffen wieder tapferer aus. Die Beherrschung<br />

seiner selbst kehrte mit jedem<br />

Schritt froher wieder, und als er zu Hause<br />

ankam, fühlte er sich irel. • &tiri«'dt3 »3<br />

glücklich wie zuvor.<br />

5.<br />

Als Ernst Wendner drei Tage später, am<br />

Spätnachmittag des heiligen Abends, sein<br />

Zimmer betrat, zeigte sich zu seinem grossen<br />

Erstaunen, dass die Post ein Paket ge-<br />

bracht hatte. Das war nicht ganz mit rechted<br />

Dingen zugegangen, denn Ernst stand,<br />

von ein paar weitläufigen Verwandten abgesehen,<br />

allein in der Welt da, seit seine Mutter<br />

gestorben war. Und der unbedeutende<br />

Schreiberposten, den er zu dieser Zeit in einem<br />

aus dem letzten Loch pfeifenden Reklamebureau<br />

versah, gestattete ihm zwar ein<br />

leidliches Auskommen, keineswegs aber jene<br />

ergiebige Pflege von allerhand lustigen und<br />

leichtsinnigen Freundschaften, die hernach<br />

dem freiherzigen Spender als Gegengeschenk<br />

wiederum kleine Andenken und Ueberraschungen<br />

eintrugen.<br />

Ernst wog das Paket mehrmals In der<br />

Hand, drehte es um und um, beroch es,<br />

schloss dabei die Augen, schüttelte den Kopf<br />

und riet weiter hin und her, mutmasste das<br />

Entfernteste und Abenteuerlichste und kam<br />

doch zu keinem vernünftigen Schluss. Die<br />

Adresse war mit der Maschine geschrieben,<br />

des Absenders Name und Wohnort ein offensichtlicher<br />

Schwindel.<br />

Als Ernst sich endlich unter lebhafte*<br />

Herzklopfen und voller Neugier ans Oeffnen<br />

des Paketes machte, Hülle und Schachtel erbrach,<br />

da fand er die 'Bestätigung dessen,<br />

was er halb und halb vorausgeahnt und sich<br />

dunkel eingestanden hatte: Auch hier kein<br />

einziges Wort, auch hier keine Zeile. Aber<br />

wie er dann die Schachtel gänzlich ausge-<br />

packt und den Inhalt vor sich auf den Tisch<br />

ausgebreitet hatte — Blumen obenauf, darnach<br />

Orangen, Aepfel, Schokolade, Zigarren,<br />

Zigaretten, Kuchen und Bretzel, eine richtige,<br />

gewichtige, appetitlich duftende, reiche Weihnachtsbescherung,<br />

alles teuerste und beste<br />

Ware — da wusste er mit einem Schlage in<br />

untrüglicher Sicherheit, woher ihm alle diese<br />

köstlichen Sachen zugekommen waren. Sein<br />

ganzes Gesicht erglühte in tief purpurener<br />

Röte, ihm wurde so selig schwach zumute,<br />

dass die Knie und Beine ihren Dienst versagten<br />

und er sich setzen musste.<br />

Lucie !<br />

Nachdem sich die Erregung gelegt hatte,<br />

war ihm die Kammer zu eng, die Luft zu.<br />

dick und zu warm. Hinaus, in die Abendkühle!<br />

Bis 7 Uhr, bis zum Einläuten des Heiligen<br />

Abends mit allen Glocken, wollte er<br />

ins Freie. Ein Spaziergang am Christnachtabend<br />

musste wohltun, musste entspannen,<br />

musste seine heimlich Freude in Einklang<br />

bringen mit der Weihe des Abends, der bevorstand.<br />

6.<br />

Ernst Wendner erging sich vor der Stadt,<br />

indessen die Dämmerung in die Nacht überging<br />

und das freie Feld immer dichter umhüllte.<br />

Er dachte im Schreiten:<br />

Nun ist es Weihnacht, Winter und kalt, C^<br />

Flocken fallen, hüllen die Welt mit weissem

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