E_1934_Zeitung_Nr.040
E_1934_Zeitung_Nr.040
E_1934_Zeitung_Nr.040
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Bern, Dienstag, 15. Mai <strong>1934</strong> III. Blatider„Automobil-Revue" No.40<br />
Blüten um Pfingsten<br />
Jedes grosse Fest des Jahres ist in seinem<br />
tiefsten Sinn untrennbar mit den Wandlangen<br />
der Natur verbunden. So wie an Weihnachten<br />
in dunkler Nacht und kalter Leblosigkeit das<br />
ewig-gültige Wort der Liebe auferklingt, so<br />
lodert an Pfingsten der schöpferische Weltgeist<br />
in tausend Blütenflammen auf. Wahre<br />
Pfingsten erlebt man überall, wo man jetzt<br />
das Aufbrechen einer neuen, gewältigen Lebenskraft<br />
in der Natur empfinden kann. Jeder<br />
Gang über Land führt durch die beglückende<br />
Welt schaffender Kräfte, die an Baum und<br />
Strauch, in Wiese und Feld in berauschenden<br />
Farben wirken.<br />
Welche Blicke eröffnen sich jetzt dem für<br />
Schönheiten geöffneten Auge, wenn es langsam<br />
über die Täler und Höhen dahingleitet,<br />
in denen sich der Frühling als ein neues<br />
Leben ausbreitet! Er ist in der Luft zu spüren,<br />
die in schwachem Hauch sich bewegt,<br />
und voll erregender Weichheit und Wärme<br />
ist. Schon zittert sie über den weiss, gelb<br />
und grün besprenkelten Matten. Mit den<br />
hellen Wolken, die wie grosse, schwere<br />
Schiffe in die Ferne segeln, schaukelt die<br />
erste Verheissung des Sommers — der Erfüllung<br />
— heran. Die Bäume sind zu silbernen<br />
Herolden des Frühlings geworden. Ihre<br />
weissen Fackeln brennen stumm in den blauen<br />
Tag. Manchmal zieht der Wind schwach<br />
durchs Geäst, dann taumeln müdgewordene<br />
Blütenblättchen ins erste hohe Gras. Die<br />
Maiblumen sind üppiger als je hervorgebrochen,<br />
zum Entzücken der Kinder, die mit<br />
vollen Sträussen den Frühling in die Stuben<br />
tragen. Das junge Laub, das noch keinem<br />
Winde trotzte, keinem Sturme sich versagte,<br />
und über das noch kein sommerliches Gewitter<br />
seine rollende Majestät dahinziehen<br />
Hess, ist unberührt und zart wie ein neugeborenes<br />
Kind. Wenn man unter diese buschigen<br />
Riesensträüsse tritt, dann geniesst das<br />
Auge mit reinem Entzücken das herrliche<br />
Spiel des Irischen Grüns im stillen, sanfteren<br />
Blau des Himmels. Die Wege, auf denen der<br />
Fuss des Pfingstwanderers geht, der aus dem<br />
Schaffen der Natur das Wesen einer' gewaltigen,<br />
schöpferischen Kraft heraushört, die<br />
sich im Wachsen jeder Blume und jedes<br />
Grases offenbart, führen weiss und in vielen<br />
Windungen über den nächsten Hügel geradewegs<br />
in den Himmel hinein. Der Horizont ist<br />
von zartem Dunst umwölkt, so als wäre über<br />
das Grün der jenseitigen Hügel ein zarter<br />
Schleier gebreitet.<br />
Die Morgen sind noch voller Kühle, die<br />
aus der Nacht herauf schauert, und in den<br />
Abenden verfliesst die Wärme des Tages<br />
rasch im offen ausgebreiteten Himmelsgewölbe.<br />
Dann leuchten durch das Dunkel mit<br />
magischer Kraft die weissen Sträusse der<br />
Blütenbäume, und vom Hang herab trägt der<br />
Wind herben Geruch frischen Grases und<br />
offenen Flieders. Die Sterne und die Blüten<br />
werden zum schweizenden Glanz dieser<br />
Nächte, auch sie sind Künder eines schaffenden<br />
pfingstlichen Geistes.<br />
bo.<br />
Lindenblüten<br />
Von Hermann Hesse.<br />
Jetzt blühen wahrhaftig schon die Linden<br />
wieder, und am Abend, wenn es zu dunkeln<br />
beginnt und wenn die schwere Arbeit getan<br />
ist, kommen die Weiber und die Jungfern daher,<br />
steigen an der Leiter die Aeste hinauf<br />
und pflücken sich ein Körblein voll Lindenblüten.<br />
Davon machen sie späterhin, wenn<br />
jemand krank wird und Nöte hat, einen heilsamen<br />
Tee. Sie haben recht; warum soll die<br />
Wärme, die Sonne, die Freude und der Duft<br />
dieser wundersamen Jahreszeit so ungenützt<br />
vergehen, warum soll nicht in Blüten oder<br />
sonstwo etwas davon verdichtet und greifbar<br />
hängenbleiben, dass wir es holen, heimtragen<br />
und später einmal in kalten und bösen<br />
Zeiten einen Trost daran haben können?<br />
Wenn man nur von allem Schönen so<br />
einen Beutel voll aufbewahren und für bedürftige<br />
Zeiten aufsparen könnte! Freilich, es<br />
wären doch nur künstliche Blumen, mit künstlichem<br />
Duft! Alle Tage rauscht die Fülle der<br />
Welt an uns vorüber, alle Tage blühen Blumen,<br />
strahlt das Licht, lacht die Freude.<br />
Manchmal trinken wir uns daran dankbar<br />
satt, manchmal sind wir müde und verdriesslich<br />
und mögen nichts davon wissen, immer<br />
aber umgibt uns ein Ueberfluss des Schönen,<br />
dessen wir nicht wert sind. Das ist das Herrliche<br />
an jeder Freude, dass sie unverdient<br />
kommt und niemals käuflich ist, sie ist frei<br />
Das ist des Jahres hohe Zeit,<br />
Wenn leis aus Frühling Sommer wird;<br />
Es ist mit eins zum Ernst bereit,<br />
Derweil sein Kleid noch bunt geziert.<br />
«Gott — lass den Anger ewig blühn!»<br />
Singt majicher Mund in lieber Not,<br />
*Der Buchen, junges Blätter grün<br />
Ist urisrer Seelen Licht und Brot!»<br />
Pfingsten<br />
Von Alfred Huegenberger.<br />
jymT7H7T7*<br />
0 warte, bis der Sommertag<br />
Aus seines Morgens Tiefe steigt!<br />
0 warte, bis dem Wachtelschlag<br />
Das goldne Gerstenfeld sich neigt!<br />
Erfüllung ist des Wunders Sinn.<br />
Hast du der Mutter Glück erlauscht,<br />
Die, reich an seligstem Gewinn,<br />
Mit ihrem Kindlein Liebe tauscht?<br />
und ein Gottesgeschenk für jedermann, wie<br />
der wehende Duft der Lindenblüte. Die Weiber,<br />
die emsig in den Aesten hocken und einsammeln,<br />
die haben hernach einen Tee für<br />
Atemnot und Fieber, aber das Beste und<br />
wahrhaft Feine davon haben sie nicht. Das<br />
haben nicht einmal die sommerabendlichen,<br />
lustwandelnden Liebespaare in ihrer süssen,<br />
dumpfen Trunkenheit; aber der Wanderer hat<br />
es, der vorübergeht und tiefer atmet. Der<br />
Wanderer hat das Beste und Zarteste von<br />
allen Genüssen, weil er neben dem Schmekken<br />
auch noch das Wissen von der Flüchtigkeit<br />
aller Freuden hat. Ihn kümmert es wenig,<br />
dass er nicht an jedem Börnlein trinken kann,<br />
und der Ueberfluss ist ihm gewohnt; dafür<br />
schaut er auch dem Verlorenen nicht lange<br />
nach und begehrt nicht an jedem Orte, wo es<br />
einmal gut sein war, gleich Wurzeln zu schlagen.<br />
Es gibt solche Lustreisende, die gehen<br />
Jahr für Jahr an denselben Ort, und es gibt<br />
viele, die können von keinem schönen Anblick<br />
Abschied nehmen, ohne dass sie beschliessen,<br />
recht bald wieder herzukommen.<br />
Das mögen gute Leute sein, aber gute Wanderer<br />
sind sie nicht. Sie haben etwas von der<br />
dumpfen Trunkenheit der Liebesleute und<br />
etwas von dem sorglichen Sammlersinn der<br />
Lindenblütenpflückerinnen. Aber den Wandersinn<br />
haben sie nicht, den stillen, ernst^<br />
fröhlichen, immer abschiednehmenden.<br />
Hier ist gestern einer durchgewandert,<br />
ein reisender Handwerksbursche, der grüsste<br />
in seiner fröhlichen Bettlerfreiheit die Sammler<br />
und Bewohner auf eine spöttische Art. Er<br />
nahm an der grossen Linde, die voller Weibsleute<br />
war, die Leiter weg und ging davon,<br />
und obwohl ich selber den Frauen die Leiter<br />
wieder hingetragen und ihr Schmähen besänftigt<br />
habe, hat der Streich mich doch gefreut.<br />
O ihr Wanderburschen, ihr fröhlichen<br />
Leichtfüsse, jedem von euch, auch wenn ich<br />
ihm einen Fünfer geschenkt habe, sehe ich<br />
wie einem König nach, mit Hochachtung, Bewunderung<br />
und Neid. Jeder von euch, auch<br />
der Verlottertste, hat eine unsichtbare Kroneauf,<br />
jeder von euch ist ein Glücklicher und ein<br />
Eroberer. Auch ich bin euresgleichen gewesen<br />
und weiss, wie Wanderschaft in der<br />
Fremde schmeckt. Sie schmeckt trotz Heimweh<br />
und Mangel und Unsicherheit gar süss.<br />
Und immerzu strömt der innigsüsse Duft<br />
aus den alten Bäumen den Weg entlang<br />
durch den lauen Sommerabend. Kinder singen<br />
unten am Strande und spielen mit Windmühlen<br />
aus rotem und gelbem Papier, Liebespaare<br />
spazieren langsam und lässig an<br />
den Hecken hin, und durch den rotgoldenen<br />
Staub der Strasse surren Bienen und Hummeln<br />
in verzückten Kreisen und mit goldenem<br />
Getöne.<br />
Wahrlich, ich beneide die Liebespaare an<br />
den Hecken nicht um ihre süsse, dumpfe<br />
Trunkenheit, so wenig ich die spielenden Kinder<br />
um ihre rechenschaftslose Seligkeit beneide<br />
oder die schwärmenden Bienen um<br />
ihren taumelnden Flug. Nur die Wanderburschen<br />
beneide ich. Die haben den Duft und<br />
die Blüte von allem.<br />
Noch einmal jung, unwissend, ungebunden,<br />
frech und neugierig in die Welt hineinzulaufen,<br />
hungrige Kirschenmahlzeiten am Strassenrande<br />
zu halten und bei den Kreuzwegen<br />
das Rechts oder Links an den Rockknöpfen<br />
abzuzählen! Noch einmal kurze, laue, duftende<br />
Sommernächte unterwegs im Heu verschlafen,<br />
noch einmal eine Wanderzeit in<br />
harmloser Eintracht mit den Vögeln des<br />
Waldes, mit den Eidechsen und Käfern leben!<br />
Das wäre wohl einen Sommer und ein Paar<br />
neue Stiefelsohlen wert! Aber es kann nicht<br />
sein. Es hat keinen Wert, die alten Lieder zu<br />
singen, den alten Wanderstab zu schwingen,<br />
die alten, lieben, staubigen Strassen zu gehen<br />
und sich einzubilden, man sei nun wieder<br />
funsr. und alles sei, wie es damals war.<br />
Nein, das ist vorbei. Nicht, dass ich alt<br />
oder ein Philister geworden wäre! Ach, ich bin<br />
vielleicht törichter und zügelloser als je, und<br />
zwischen mir und den klugen Leuten und ihren<br />
Geschäften ist noch immer kein Verständnis<br />
und Bündnis aufgekommen. Ich höre immer<br />
noch, wie in den drängendsten Jünglingszeiten,<br />
die Stimme des Leben in mir rufen und<br />
mahnen, und ich habe nicht im Sinn, ihr ungetreu<br />
zu werden. Aber sie ruft nicht mehr zu<br />
Wanderschaft und Freundschaft und zu Zechgelage<br />
mit Fackeln und Gesang, sondern sie<br />
ist leise und dringlich geworden und führt<br />
mich immer einsamere, dunklere, stillere<br />
Wege, von denen ich noch nicht weiss, ob<br />
sie in Lust oder in Leide enden sollen, die<br />
ich aber gehen will und gehen muss.<br />
Ich hatte mir als junger Mensch das<br />
Mannesalter ganz anders vorgestellt. Nun ist<br />
es auch wieder ein Warten, Fragen und Unruhigsein,<br />
mehr Sehnsucht als Erfüllung. Die<br />
Lindenblüten duften und Wanderburschen,<br />
Sammelweiber, Kinder und Liebespaare scheinen<br />
aiJe : einem Gesetz zu gehorchen und wohl<br />
zu wissen, jvas sie zu tun haben. Nur ich<br />
weiss nicht, was ich zu tun habe. Ich weiss<br />
nur: weder die rechenschaftslose Seligkeit<br />
Veni Creator Spiritus<br />
Lied zu Pfingsten.<br />
Komm, Heiliger Geist, du Schöpfer da,<br />
Sprich deinen armen Seelen zu;<br />
Erfüll mit Gnaden, süsser Gast,<br />
Die Brust, die du geschaffen hast.<br />
Der da der Tröster bist genannt,<br />
Des allerhöchsten Gottes Pfand,<br />
Des Lebens Brunn, der Liebe Brunst,<br />
Die Salbung, wesentliche Gunst.<br />
Da siebenfaches Gnadengut,<br />
Da Finger Gotts, der Wunder tat;<br />
Du gibst der Erde, dass sie fliesst<br />
So mild, als du verheissen bist.<br />
Zünd unsern Sinnen an dein Licht,<br />
Die Herzen füll mit Liebespflicht;<br />
Stärk unser schwaches Fleisch und Blut,<br />
Durch deiner Gottheit starken Mut.<br />
Den Feind von uns treib fern hinweg,<br />
Und bring uns zu des Friedens Zweck,<br />
Dass wir, durch deine Huld geführt,<br />
Vermeiden, was uns nicht gebührt.<br />
Mach ans durch dich den Vater kund,<br />
Wie auch den Sohn für uns verwund t;<br />
Dich aller beider Geist und Freud,<br />
Lass uns verehren zu jeder Zeit.<br />
Ehr sei dem Vater, unserm Herrn,<br />
Und seinem Sohn, dem Lebensstern;<br />
Dem Heilgen Geist in gleicher Weis<br />
Sei jetzt und ewig Lob und Preis.<br />
Umdichtung von Angelus Süeslus.<br />
(1624 -1677.)<br />
der spielenden Kinder, noch das gleichmütige<br />
Vorübergehen der Wanderer, weder die<br />
dumpfe Trunkenheit der Liebesleute, noch<br />
der sorgliche Sammelsinn der Blütenpflfikkerinnen<br />
ist mir beschieden. Beschieden ist<br />
mir, der Stimme des Lebens zu folgen, die<br />
in mir ruft, ihr zu folgen, auch wenn ich ihren<br />
Sinn und ihr Ziel nicht zu erkennen vermag<br />
und auch wenn sie mich immer mehr von der<br />
fröhlichen Strasse hinweg in das Dunkle und<br />
Ungewisse führen will.<br />
Der heilige Jahres-Reigen<br />
Von Bruno Brehm.<br />
Mit den weissen Schneeglöckchen hebt<br />
das Lied an, noch befangen von winterlicher<br />
Blässe, duftlos, leise, eine stille Weise vor<br />
Morgengrauen. Ein Stück Himmel fällt auf<br />
die Erde, zerflattert in das braune Laub, Leberblümchen<br />
erheben ihr Haupt. Vom Wegrain<br />
her weht Veilchenduft und an sonnigen<br />
Hingen atmet der Seidelbast die gefährliche<br />
Süsse der Erde aus.<br />
Nun erschliessen die Marillenbäume ihre<br />
Knospen, Pfirsich- und Mandelblüten stehen<br />
als Boten einer schöneren Welt, umwölkt von<br />
Abendglühen, in den braunen Weinbergen.<br />
In den weissen Trauben der überreichen<br />
Kirschbäume wiederholt das Summen der<br />
Bienen den Gesang der Engel des Himmels<br />
in irdischem Nachhall. Nun wachen die<br />
Apfelblüten mit rotwangigen Knabengesichtern<br />
auf und die bleichen Mädchenwangen<br />
der Birnblüte ersehnen das milde Licht des<br />
Mondes.<br />
Der Flieder wächst, der Gast aus dem<br />
fernen Osten, das Geschenk der Liebenden<br />
und die Lockung der Gärten. Die weissen<br />
Kastanien entzünden ihre Kerzen und die<br />
roten brennen vor Leben.<br />
Jetzt fliesst das Jahr über in taumelnder<br />
Lust, der Mensch legt die Hände in den<br />
Schoss und kann sich vor Schönheit nicht<br />
fassen Wie es wächst, wie es die braunen,<br />
die verblassten, schneegebleichten Räume<br />
füllt, wo erst vor kurzem die Veilchen scheu<br />
am Wegrand geduftet und die Leberblümchen<br />
mit blauen Augen wie ein Kind, das sich auf<br />
die Zehen stellen muss, um über den Tisch<br />
der Grossen zu blicken, in die noch wartenden<br />
Wälder geäugt haben.<br />
Aber nun hat sich das Jahr schon selbst<br />
an den gedeckten Tisch gesetzt, sein Haar<br />
fällt ihm in die Stirn, seine blanken Augen<br />
leuchten und Wolkenschatten verdunkeln und<br />
erhellen im Kommen und Gehen das Antlitz.<br />
In den Gärten erzählen japanische Zierkirschen<br />
und blühende Magnolien von der<br />
Schönheit fremder Länder, aber sie schwätzen<br />
zu laut, mit zu grossen Worten für unser<br />
stilles Land, wir hören sie gerne an, finden<br />
ein wenig Prahlerei dabei und wenden uns