E_1934_Zeitung_Nr.046
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Bern, Dienstag, 5. Juni <strong>1934</strong><br />
III. Blatt der „Automobil-Revue" No.46<br />
Der Mann im Moor<br />
Es war eine gute Idee gewesen, fand er,<br />
in dies entlegene Gebirge zu gehen. Hier<br />
konnte man ungestört überlegen, sich klarer<br />
werden, einen Entschluss fassen.<br />
Er nahm die Mütze ab und Hess den frischen<br />
Kammwind um den Kopf sausen. Der<br />
Weg war einsam, es war schon eine halbe<br />
Stunde her, seit er den letzten Wanderer begegnete,<br />
einem jungen Paar, das ernst und<br />
glücklich aus windzerwehten Gesichtern In<br />
den tiefen Grund schaute, der zwischen feinen<br />
Nebeln mystisch heraufschimmerte. So,<br />
dachte er, müssen Marianne und ich ausgesehen<br />
haben, vor zehn Jahren, als wir unsere<br />
erste Bergwanderung zusammen machten,<br />
in diesem selben Gebirge.<br />
Ja, zehn Jahre lang waren sie an Meeren<br />
nnd auf Bergen miteinander gegangen, durch<br />
dick und dünn, und das nicht nur in buchstäblichem<br />
Sinne — warum mochte man nun<br />
auf einmal nicht mehr miteinander gehen?<br />
Mochte? Oh, man mochte schon. Aber man<br />
konnte nicht, aus irgend welchen dunklen<br />
Gründen. Es war nicht nur das junge Mädchen<br />
mit den grossen blauen Augen in dem<br />
zarten Gesicht, unter wehendem Schwarzhaar,<br />
das sich einem hindernd in den Weg<br />
stellte — oder war es doch nur das junge<br />
Mädchen? Kein zwangsläufiges Auseinander-<br />
-iallen der Bindungen überhaupt?<br />
^* Nun, zum Teufel, und wenn es nur das<br />
junge Mädchen war! Hatte man nicht ein<br />
Recht auf sich? Marianne hatte das selber<br />
zugegeben, vor acht Tagen. «Selbstverständlich,<br />
mein Lieber», hatte sie gesagt — welche<br />
schöne Anrede übrigens, fand er, so mütterlich<br />
und kameradschaftlich zugleich — «nichts<br />
ist sinnloser als Zwang. Und um mich sorge<br />
dich nicht, in keiner Weise, weder materiell<br />
noch ideell.» Damit hatte sie ihm nach ihrer<br />
Gewohnheit zart übers Haar gestrichen, er<br />
spürte es noch.<br />
Als er am Nachmittag aus der Stadt kam,<br />
war sie fort gewesen. Ein kurzer freundlicher<br />
Brief verhiess ihm ihre Adresse für später.<br />
«Und sei versichert, dass ich stets deine<br />
beste Freundin sein werde, auch wenn ich<br />
nicht mehr deine Frau bin.»<br />
«Irrsinnige Idee», hatte er zuerst gedacht,<br />
«wer in aller Welt soll denn meine Frau sein<br />
wenn nicht Marianne?» Aber dann war ihm<br />
das junge Mädchen eingefallen. Dennoch war<br />
er zuerst hierher gefahren. Warum hierher?<br />
Er wusste es nicht.<br />
Ein starker Wind kam auf und wickelte<br />
ihn in lange wehende Wolkentücher. Der<br />
Weg war schwer erkennbar, nun, vor Dunkelwerden<br />
würde er eine Unterkunft haben.<br />
Er zog die Zigarettendose aus der Westentasche<br />
und zündete eine Zigarette an. Eigentlich<br />
war der Weg ausgezeichnet, so weich<br />
und glatt, er hatte ihn viel steiniger im Gedächtnis.<br />
Vielleicht ging überhaupt alles glatter...<br />
«O Leben, du bist doch schön!» sagte er<br />
laut und trotzig. Dabei stiess er den Stock<br />
kräftig- auf den Boden.<br />
Von Julius Hufschmied.<br />
Was war das? Wie gebannt blieb er stehen.<br />
Der Stock war bis zur Hälfte mühelos in die<br />
Erde gefahren. Merkwürdig auf diesem Felsweg,<br />
sehr merkwürdig. —<br />
Aber war denn das ein Felsweg? Er sah'<br />
hinab, seine Füsse staken bis zu den Knöcheln<br />
in dunklem, weichem Erdreich. Er<br />
machte ziellos ein paar Schritte vorwärts,<br />
rückwärts, seitwärts, immer derselbe weiche,<br />
dunkle, seltsame Boden. Er beugte sich nieder,<br />
deutlich sah er jetzt die aufquirlenden<br />
Wasserbläschen um seine Füsse.<br />
Er erblasste. Das Moor! Das grosse, grundlose<br />
Satansmoor auf der Kammwiese, aus dem<br />
die Bergflüsse hier herum gespeist wurden!<br />
«Wer hier hineingerät, ist verloren», hatte<br />
einer ihm mal gesagt. «Verloren...», dachte<br />
er.<br />
Dann riss er sich zusammen. Wieso verloren?<br />
Man musste nur zurück, bis auf den<br />
festen Kammweg. Aber wo war der Kammweg?<br />
Er zauderte, wandte sich um, nichts war<br />
erkennbar in dem dichten Nebel, nicht Richtung<br />
noch Fusspur. «Westwärts!» dachte er<br />
aufatmend, und: «Mein Kompass!»<br />
Er griff in die Westentasche und erstarrte.<br />
Der Kompass war fort. Hatte er ihn mit der<br />
Zigarettendose zusammen herausgerissen?<br />
Der Mann konnte nicht hindern, dass ihn<br />
ein leichtes Zittern überkam. Wie rasch es<br />
dunkelte! Die Wolken kamen heran, grosse<br />
Urwelttiere, die unheimlich die Gestalt wechselten,<br />
sie griffen nach ihm und leckten<br />
nach ihm.<br />
«Chaos!» dachte er, «aber ich will nicht<br />
darin versinken, nein, ich will nicht!» Drohend<br />
griff das Moorwasser nach seinenFüssen,<br />
er wollte weitereilen — aber wohin sollte<br />
er gehen? Mit jedem Schritt konnte er in ein<br />
Moorloch stürzen, er erinnerte lieh dieser<br />
Löcher, die braun und grundlos neben dem<br />
abgesteckten Weg lagen. -.,, .^<br />
Wie das Wasser stieg! Ja natürlich, er<br />
durfte nicht stehen bleiben, er musste vorsichtig<br />
weiter, vielleicht fand er einen festen<br />
Fleck Erde oder einen Stein, auf dem würde<br />
er bleiben, bis der Nebel vorbei, war, bis die<br />
Nacht vorbei war.<br />
Wie er langsam weiterschritt, von Nebeln<br />
umbraut, von der fallenden Nacht furchtbar<br />
gemahnt, berief er die beiden Frauen zu sich,<br />
er konnte nicht anders. Neben ihm schwebten<br />
sie ins Moor hinein. Die nächste Stunde war<br />
die seltsamste in seinem Leben. Lange Wanderung,<br />
innerer Zwiespalt, Nebeigewoge und<br />
lauernder Schlammtod Hessen ihn nicht mehr<br />
zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden.<br />
Er hörte die Frauen reden, sein<br />
Unterbewusstsein holte ihr tiefstes Wesen<br />
hervor.<br />
Marianne ging schweigend neben ihm, immer<br />
ein wenig voraus, den Weg prüfend.» Wie<br />
oft hatte er sich darüber geärgert, jetzt begriff<br />
er ihr instinktives Verantwortungsgefühl<br />
für die, die um sie waren.<br />
Das junge Mädchen klammerte sich an<br />
seinen Arm und hinderte seine Schritte. «0<br />
Gott», jammerte das junge Mädchen, «wir<br />
haben uns im Satansmoor verirrt! Ich will<br />
heraus, ich will nach Hause, bringt mich nach<br />
Hause!»<br />
Mariane lächelte beruhigend.<br />
«Du hättest nicht mit mir hierhergehen<br />
dürfen!» schluchzte das junge Mädchen, «ich<br />
werde hier versinken, und dann bin ich so<br />
müde, ich will ausruhen!»<br />
«Wenn du zu müde wirst, werden wir dich<br />
tragen», sagte Marianne sanft, «jetzt geht es<br />
sicher noch so!» und zu ihm: «Alles halb so<br />
schlimm, mein Junge, in einer Stunde lachen<br />
wir darüber.»<br />
Alles halb so schlimm. In wieviel kleinen<br />
und grossen Fährnissen dieser letzten zehn<br />
Jahre hatte sie das nicht schon gesagt!<br />
Da schrie das junge Mädchen laut auf. «Ich<br />
bin ganz tief eingesunken», wimmerte es,<br />
«mein rechter Schuh ist fort, ich kann doch<br />
nicht auf Strümpfen gehen, das bin ich nicht<br />
gewohnt, das habe ich noch nie getan, nein,<br />
nie —•»<br />
Wie wohltuend Mariannes warmes, unbekümmertes<br />
Lachen war! «Hoffen wir, dass es<br />
nie schlimmer im Leben kommt, Kind», sagte<br />
sie, aber das junge Mädchen klammerte sich<br />
heftig an ihn : «Rette mich, oder du hast<br />
mich auf dem Gewissen!»<br />
Er erbebte. Dann sank er mit allen beiden<br />
zusammen in den Rand eines tiefen Moorlochs<br />
ein. Das junge Mädchen stiess ihn fort,<br />
sein Gewicht vermehrte ja die Gefahr. Er<br />
taumelte, aber Marianne warf sich zurück<br />
und riss ihn mit sich fort.<br />
'••• «Ich kann nicht mehr!» wimmerte das<br />
junge Mädchen, «wir kommen nie mehr<br />
heraus ! 0, hätte ich dich niemals gesehen,<br />
niemals, ach, ich"'hasse, dich, ja !»<br />
'«Armes kleines Wesen», sagte Marianne,<br />
"«tjiü Nerven spielten ihr einen schlimmen<br />
Sjr^ich.» Dann strich sie, nach ihrer Gewohnheit;<br />
.sahft'über sein Haar. «Ist eine üble<br />
'Sac'he für dich, mein Junge, du tust mir so<br />
leid;»<br />
«Leid?» dachte er, «wieso?» Ach, wegen<br />
des jungen Mädchens ! Aber was ging ihn<br />
das junge Mädchen an, eine zufällige Bekannte,<br />
nichts weiter. Schade, wenn ihr was<br />
zustiessj natürlich — aber warum sollte ihm<br />
das näher gehen als einem anderen? Dagegen,<br />
wenn Marianne etwas geschah — es war<br />
nicht auszudenken !<br />
— — Die beiden Frauen waren fort, er war<br />
nun ganz tief im Moor, und wohl verloren.<br />
Er war nass von Moorwasser, in das er mehrfach<br />
gestürzt war, und so matt, wie lange<br />
wanderte er schon? Es war stockdunkle<br />
Nacht, kein Stern zu sehen.<br />
«Nun,» dachte er, «einen Tod muss jeder<br />
sterben, dann also ist es dieser —»<br />
Aber dann fuhr ein scharfer Schmerz durch<br />
seine Brust. Marianne ! Als ein Abtrünniger,<br />
als ein Verräter war er von ihr geschieden,<br />
nie würde sie wissen, dass er nur sie geliebt<br />
hatte und immer nur sie, bis in den Tod<br />
Ein Lied kam ihm in den Sinn, ein altes<br />
Soldatenlied, das Mantellied. Wie oft hatten<br />
sie es zusammen gesummt, gepfiffen, es war<br />
ihnen eine Art Symbol gewesen.<br />
Straff richtete er sich auf, räusperte steh.<br />
Klar sollte der letzte Gruss an den Kameraden<br />
klingen.<br />
Seine Füsse sanken ein, aber das war nun<br />
gleich. Er sang die erste Strophe, die zweite,<br />
setzte zur dritten an...<br />
War das nicht ein Pfiff ? Er lauschte, pfiff<br />
es nicht noch einmal ? War das nicht der<br />
scharfe Jungenspfiff, Mariannes Signal, o<br />
Gott, und noch einmal...<br />
Mechanisch hob er die Finger an den Mund<br />
und erwiderte den Pfiff.<br />
Atemlos verharrte er, dann fiel er in die<br />
Knie. Es war Antwort gekommen, man hatte<br />
ihm geantwortet! Man!? Wer? Marianne?<br />
Ein Lichtstrahl irrte durch die Nacht, jemand<br />
schwang eine Laterne. Eine Männerstimme<br />
schrie : «Stehenbleiben !» Und nach<br />
endloser Zeit lösten sich drei Gestalten aus<br />
der Nacht, zwei grosse und eine kleinere.<br />
Der Mann rührte sich nicht, auch nicht, als<br />
die kleinere Gestalt auf ihn zutrat und ihm<br />
zart und zitternd über den gebeugten Kopf<br />
strich. «Gottlob, mein Junge», sagte die Gestalt,<br />
bemüht, einen leichten Ton anzuschlagen,<br />
was aber misslang.<br />
Auf dem Rückweg ging Marianne<br />
sorglich ein wenig voraus, damit sein Schritt<br />
gesichert sei, obwohl doch nun die zwei Führer<br />
da waren, und die Laterne.<br />
Er sah auf seinen Kompass, den sie ihm gereicht<br />
hatte.<br />
«Als ich den Kammweg entlangging», sagte<br />
sie, «— übrigens zum dritten Male, seit ich<br />
hier bin, ich liebe ihn so — blitzte etwas seitlich<br />
im Moor, in dem einzigen Sonnenstrahl,<br />
der durch den Nebel kam. Ich hob es auf, ich<br />
erkannte deinen Kompass, er lag mehrere<br />
Meter vom Wege ab, ich ängstigte mich —<br />
dann holte ich die Führer, und wir gingen auf<br />
die Suche, und hörten dich, und ich pfiff —<br />
Alles ganz einfach, wie' du siehst, keine<br />
Hexerei.»<br />
Alles 1 ganz einfach *~o Marianne !<br />
«Ich habe viel erlebt im Moor», sagte er<br />
stockend.<br />
«Ich weiss es», sagte sie leise und legte<br />
für einen Augenblick die Hand auf seinen<br />
Arm, « sage mir nichts.»<br />
Er begriff, woran sie nie gezweifelt hatte.<br />
VEVEY<br />
(Genfersee)<br />
und Mont-Pelerin<br />
Prachtvolles Ausflugszentrum<br />
Modernes Strandbad<br />
Schöne Fahrstrassen<br />
Prospekt durch das Verkehrsbureau<br />
Die ewige Wahrheit.<br />
Roman von Oskar Sonnlechner.<br />
(Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)<br />
«Ich wiederhole dir, Jul, ihre eigenen<br />
Worte, die ich hier in ihrer Liebe zu dir von<br />
Enid gehört. — Nie werde ich bereuen, was<br />
ich getan.»<br />
Da gestand er mir, in einem Brief habe er<br />
bei ihr darauf angespielt, und sie schrieb<br />
ihm, er möge ihr armes Herz nicht bekümmern,<br />
wenn er schon nicht auf sie höre, dann<br />
möge er den Worten eines anderen sein Ohr<br />
schenken... dein Freund Hannes würde sagen<br />
...?<br />
Eines Tages fiel er mir mit einem neuen<br />
Plan ins Haus. Er sei entschlossen, auszuwandern.<br />
Gleich wusste ich, was er damit<br />
meine. Nach Holländisch-Indien. Ich winkte<br />
ihm ab und gab ihm nicht einmal eine Antwort.<br />
Aber innerlich freute ich mich über diese<br />
Dummheit. Das erste Genesungszeichen.<br />
Als der erste Winter ins Land kam, packte<br />
den Zerfahrenen eine plötzliche Arbeitswut.<br />
Bin Bekannter von mir wollte seine Bibliothek<br />
registrieren. Zwanzigtausend Bände. Ich<br />
schlug Jul vor. Aber vorerst bat ich den Besitzer,<br />
die ganzen zwanzigtausend Bände auf<br />
einen Haufen zu schmeissen • und durcheinander<br />
zu wirbeln. Leider tat er es nicht, und<br />
zwei Monate später war Jul wieder da.<br />
Gleichzeitig ein Schreiben des Schlossherrn,<br />
dass er froh sei, dass der junge Mann mit<br />
seiner Arbeit fertig sei. Er wisse nicht, wer<br />
in ihn mehr verliebt, sei, seine Frau oder<br />
seine Tochter.<br />
Wieder ging ein Jahr dahin.<br />
Einem Unbefangenen konnte es scheinen,<br />
er habe alles in sich überwunden, aber ich<br />
kannte ihn besser und wusste, wie der Schein<br />
trügt. Er sehnte sich, die Abende bei mir<br />
hocken zu dürfen, die Taschen vollgestopft<br />
mit Enids Briefen, mir von ihr erzählend.<br />
Nun kam die Reisewut über ihn. Fast ein<br />
Jahr läng trieb er sich in der Welt herum,<br />
bald da, bald dort. Tauchte plötzlich bei mir<br />
auf, verschwand wieder. Aber das eine Anzeichen,<br />
auf das ich sehnlichst wartete, blieb<br />
aus. Die Frauen. Verstohlen klopfte ich an.<br />
Er verzog verächtlich das Gesicht. Ich sagte<br />
mir, bevor dies nicht komme, sei er nie geheilt.<br />
Ich hoffte immer wieder auf dieses<br />
letzte Heilmittel, auf dieses Durchbrechen der<br />
Natur, die sich nie verleugnen lasse. Dass<br />
Enid wiederkomme, glaubte ich in mir nicht<br />
mehr.<br />
Fast ein Jahr verschwand er im Kaukasus.<br />
Mit zweien seiner Bergfreunde und einem<br />
Naturwissenschaftler» der wissenschaftliche<br />
Ziele verfolgte. Ihm war es nur um seine tolle<br />
Beresteigerei za tun. Ich hielt ihn nicht zurück.<br />
Ich musste ihm nur versprechen, eigenhändig<br />
dafür zu sorgen, dass ihm die Briefe<br />
Enids nachgesandt werden. Um sicher zu<br />
sein, an unser Konsulat nach Tiflis.<br />
Selten iekam ich von dort Nachrichten<br />
von ihm. Immer nur einige hingeworfene Zellen<br />
mit seinem Dank für die nachgesandten<br />
Briefe Enids. Und ich möge besorgt sein, dass<br />
sie ihm weiter pünktlich zugehen. Das war<br />
wohl der Hauptzweck seiner spärlichen Mitteilungen.<br />
Eines Tages kam die Nachricht, er<br />
rüste zur Heimkehr, ich möge weitere Nachsendungen<br />
einstellen.<br />
Ueberraschend stand er plötzlich vor mir.<br />
Braungebrannt wie ein Siouxindianer, alles<br />
an ihm nur Haut und Knochen. Stundenlang<br />
erzählte er von seinen Fahrten. Eine Sturzflut<br />
unaussprechlicher Namen ergoss sich über<br />
mich, Berge, Täler, Flüsse, Städte, Menschen,'<br />
Nur über eines schwieg er... über Enid.<br />
Sollte er geheilt sein? Sein Eindruck war<br />
jedenfalls ein anderer wie der, als er sich<br />
vor vielen, vielen Monaten auf den Weg<br />
mächte. Kein Wunder! Tausend Eindrücke<br />
hatten ihn überwältigt und auf andere Gedankenwege<br />
gedrängt. Fast drei Jahre waren<br />
es nun, dass Enid verschwunden war, und<br />
meine grösste Hoffnung von allem Anbeginn,<br />
dass die Zeit einzig und allein ihn heilen<br />
könne, schien sich verwirklicht zu haben.<br />
Mitten in dem Berichte seiner abenteuerlichen<br />
Fahrten brach er ab. Die Ellbogen auf die<br />
Knie aufgestützt, das Kinn in den Händen<br />
vergraben, sah er nachdenklich vor sich hin.<br />
«Und das Schönste aller meiner Erinnerungen,<br />
Hannes, ist eines. Die Abende am Lagerfeuer.»<br />
Mit geschlossenen Augen reckte er<br />
die Rechte weit von sich, wie wenn er Gedanken<br />
aus der Ferne an sich reissen. wolle.<br />
«Wenn in dem Nachtdunkel des Hochwaldes<br />
die Flammenzungen aufloderten, einer meiner<br />
Georgier einen Holzklotz ins Feuer stiess,<br />
dass knisternde Goldfunken aufstoben, ihre<br />
Schatten riesenhaft um uns tanzten, wir ermüdet<br />
und erschöpft ringsum im Kreise lagerten,<br />
dann griff ich nach ihren Briefen. So<br />
las ich oft noch, bis das erste Morgengrauen<br />
aufdämmerte.» Sinnend sah er vor sich hin.<br />
Mit einer heftigen Gebärde, wie wenn er alles<br />
von sich abschütteln wolle, erhob er sich und<br />
reichte mir die Hand. «Auf Wiedersehen,<br />
Hannes. Morgen.»<br />
Er schien sich doch nicht viel geändert zu<br />
haben.<br />
Wieder gingen Monate dahin. Mein einziges<br />
Bestreben ging dahin, ihn irgendwie zu beschäftigen;<br />
damit er nicht in seinen früheren<br />
Trübsinn verfalle, und der Zustand der Aufheiterung,<br />
dem er sichtlich entgegenging, sich<br />
erweitere. Ich hatte das Gefühl... ein kurzes<br />
Jahr noch... und Jul war genesen.<br />
Arme Enid!<br />
(Fortsetzung auf Seite 21.)