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E_1934_Zeitung_Nr.062

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N° 62<br />

III. Blatt<br />

BERN, 31. Juli <strong>1934</strong><br />

Geschichte und Bedeutung des Klausenpasses<br />

Die meisten schweizerischen Bergpässe haben<br />

eine reiche, wechselvolle Geschichte,<br />

und die ersten Angaben, die wir von ihnen<br />

besitzen, reichen weit zurück ins Altertum.<br />

Sie haben im Leben der Völker nördlich und<br />

südlich der Alpen stets eine grosse Rolle gespielt<br />

und die Aufmerksamkeit zu allen Zeiten<br />

auf sich gezogen. Nicht so der Klausen.<br />

Der Klausenpass gehört nicht zu den wichtigsten<br />

Nord-Süd-Routen, sondern stellt lediglich<br />

eine Querverbindung zwischen den<br />

Alpentälern von Glarus und Uri her. Vor 1899<br />

führte nur ein Saumpfad aus dem Glarnerland<br />

hinüber ins Schächental, und erst in<br />

Unterschächen begann eine nicht ganz einwandfreie<br />

Strasse, die die Verbindung mit<br />

dem Reusstal herstellte.<br />

Am 21. August 1899 ist dann die jetzige<br />

Klausenstrasse eröffnet worden, deren Bau<br />

nur durch reichliche Unterstützung von seiten<br />

des Bundes überhaupt möglich geworden<br />

war. Militärische Gründe mögen beim Bund<br />

für eine so weitgehende Unterstützung in erster<br />

Linie mitgespielt haben. Für das Glarnerland<br />

bedeutete die Klausenstrasse einen<br />

Ausweg aus der Sackgasse bei Linthal und<br />

eine wichtige Anschlusslinie an die Gotthardstrasse.<br />

In der Lokalgeschichte freilich hat der<br />

Klausenpass auch schon seit altersher eine<br />

Rolle gespielt. Die Grenze zwischen Uri und<br />

Glarus war immer ein Zankapfel zwischen<br />

diesen Ländern, und ihre definitive Festlegung,<br />

die übrigens sehr zugunsten der Urner<br />

ausgefallen ist, bildet den Grund für die<br />

Entstehung einer hübschen Sage.<br />

Als die Glarner und Urner sich über die<br />

Grenze durchaus nicht einigen konnten, beschlossen<br />

sie, dass an einem bestimmten<br />

Tage beim ersten Hahnenschrei je ein Läufer<br />

von Altdorf und Linthal starten sollte,<br />

um dort, wo sich die beiden dann treffen<br />

würden, endgültig die Grenze festzulegen.<br />

Die Glarner fütterten ihren Hahn, nach dessen<br />

erstem Schrei der Läufer starten sollte,<br />

aufs beste. Die Urner aber gaben dem ihrigen<br />

überhaupt nichts zu fressen. An dem verabredeten<br />

Morgen krähte nun der Urner Hahn<br />

viel früher als der wohlgemästete Glarner<br />

Güggel. So kam es, dass der Urner Läufer<br />

schon im Abstieg vom Urnerboden begriffen<br />

war, während der Glarner erst den Berg<br />

hinankeuchte. Als sich die beiden trafen, erreichte<br />

der Glarner noch die Begünstigung,<br />

dass die Grenze an dem Punkt festgelegt<br />

'erde, bis zu dem er den Urner wieder bergauftragen<br />

könne. Am heutigen Scheidbach<br />

(aus den Urkunden als Ursinbach bekannt)<br />

brach der Glarner tot zusammen. Heute verläuft<br />

die glarnerisch-urnerische Grenze am<br />

Ostende des Urnerbodens, dem Scheidbach<br />

entlang.<br />

Auch kriegerische Aktionen haben sich auf<br />

dem Klausen abgespielt. So drängten am<br />

18. August 1799 die Franzosen vom Schächental<br />

her die Oesterreicher über die Klausenhöhe<br />

auf den Urnerboden zurück und warfen<br />

sie hinunter ins Linthtal. Einige Wochen<br />

später kam Suworoff mit seinem Heer über<br />

den Gotthard, um nach Schwyz hinauszustossen.<br />

Der Uebergang über den Axenberg<br />

^euilleion<br />

Siegernation oder Sieger?<br />

Klausen-Beilage<br />

wurde ihm aber verwehrt, und so sah er<br />

sich gezwungen, erst Schächental einwärts<br />

und dann vom 27.—30. September 1799 unter<br />

schweren Verlusten über den Kinzigpass<br />

ins Muotatal zu marschieren, eine Leistung,<br />

die für die damalige Zeit geradezu unerhört<br />

erscheint.<br />

Auch vor Naturkatastrophen ist das Gebiet<br />

des Klausenpasses nicht ganz verschont<br />

geblieben. 1887 ist von den «Spitzen» gegenüber<br />

von Spiringen ein Bergsturz niedergegangen,<br />

der viel zerstörte und auch Menschenleben<br />

vernichtete.<br />

Mancher, der im bequemen Wagen über<br />

den Klausenpass fährt, ahnt nicht, dass rechts<br />

und links der Strasse neben den einzigartigen<br />

Naturschönheiten auch noch architektonische<br />

und künstlerische Werke verborgen<br />

sind, deren Besichtigung recht angelegentlich<br />

empfohlen werden muss. So steht auf<br />

dem Urnerboden eine alte Kapelle aus dem<br />

17. Jahrhundert, und besonders bemerkenswert<br />

sind auch die Dekorationsmalereien<br />

von Josef Heimgartner in dem 1912 von<br />

Hardegger erbauten neuen Kirchlein.<br />

Auf der Schächentalerseite, unweit von<br />

Urigen, findet man im Qetschwiler eine Kapelle,<br />

die ein prächtiges Altargemälde von<br />

Denijs Calvaert (ca. um 1600) enthält, das<br />

ein lange im Ausland lebender Urner, Azarias<br />

Püntener, gestiftet hat. Unterhalb Spiringen<br />

erhebt sich, in Witerschwanden, die St. Antons-Kapelle,<br />

ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert,<br />

und bei der Loretobrüeke vor Bürglen<br />

die mit Wandbildern geschmückte Loretokapelle<br />

aus dem Jahre 1659. In Bürglen, dem<br />

Geburtsort Teils, erinnert ein Denkmal an<br />

den Tod des schweizerischen Freiheitshelden,<br />

der nach der Sage bei der Rettung eines<br />

Kindes aus dem wilden Schächenbach ertrank.<br />

Eine besondere Tellskapelle aus dem<br />

Jahre 1582 findet sich dort, wo einst Teills<br />

Von Kaspar rreuler, Glarus.<br />

In die verhallenden Klänge der Heimatglocken,<br />

die am 1. August unser Volk zur<br />

nationalen Selbstbesinnung ermahnen, donnert<br />

der brüllende Orkan der Maschinen und<br />

Motoren des X. Internationalen Klausenrennens!<br />

Kaum dass wir ein paar stille Feierstunden<br />

fanden, um in geruhsamer Nachdenklichkeit<br />

den wirklichen und den geistigen<br />

Grenzen unserer Heimat nachzugehen —<br />

da stehen, bei Zoll und Pass, schon hundert<br />

Maschinen bereit, um über die nationalen<br />

Schranken hinweg in unserem Land den<br />

schärfsten internationalen Kampf auszufechten.<br />

Bei dem einsamen Kreuz auf der<br />

Klausenhöhe wird nicht mehr in weltverlorener<br />

Abgeschiedenheit das weiss-rote<br />

Schweizerbanner im Sommerwind über die<br />

Berge wehen — eine internationale Flaggengala<br />

mit all ihren leuchtenden Trikoloren<br />

wird hochflattern, um die Gäste willkommen<br />

zu heissen, die aus aller Herren Länder zum<br />

Kampf der Menschen und Maschinen herbeieilen.<br />

Ueber die Nationalität des ersten<br />

Augusttages triumphiert die Internationalität<br />

des 5. Augustes, die Allgewalt der Sport-<br />

'nternationale. Das dröhnende Lied der Motoren<br />

übertönt den vollen Glockenklang entschwindender<br />

Feierstunden. An Stelle der<br />

Sicherheit in der Heimat tritt der Kampf der<br />

Nation um den Sonnenplatz in der Internationale.<br />

Wirklich?<br />

Täuschen wir uns nicht, und täuschen wir<br />

andere nicht!<br />

Mögen die hundert Rennfahrer auch ein<br />

Dutzend Nationen vertreten, mag das I und<br />

das D, das F oder das GB und wie all<br />

die weissen Zeichen einer Sportinternationale<br />

heissen, über das helle Band der herrlichsten<br />

Alpenstrasse sausen, mögen Italiener oder<br />

Deutsche den goldenen Kranz und die Ehre<br />

des Sieges einheimsen, mag ihn, wenn uns<br />

das Glück hold ist, auch ein Schweizer erringen<br />

— niemals gewinnt hier im Gefühl<br />

des Schweizervolkes eine einzelne Nation!<br />

Turn- und Fussballkätnpfe •• führen ihre<br />

Nationalmannschaften, Kollektiven von eingedrillten<br />

Zehnern oder Elfern, unter den<br />

brausenden Melodien ihrer Nationallieder in<br />

die Betonstadien der Olympiaden; sie fühlen<br />

sich als Vertreter ihres Heimatlandes und sie<br />

werden auch, bei Sieg und bei Niederlage, als<br />

solche gewertet, oft in einem Masse, das die<br />

übrigen unbeteiligten Nationen zu einem stillen<br />

Lächeln zwingt.<br />

Im Rennen um den Grossen Bergpreis der<br />

Schweiz am Klausen siegt nicht Deutschland<br />

oder Italien oder irgendein Staat. Sieger ist<br />

nicht eine Nation, Sieger ist der Schnellste.<br />

Im Herzen des<br />

Klausen-<br />

Gebietes<br />

Bl;elc von der Vorfrutt<br />

gegen den Urnerboden.<br />

(Photo Schönwetter-Elmer,<br />

Glarus).<br />

Die letzten Kehren vor dem Ziel des Klausenrennens.<br />

Haus gestanden haben soll Sehenswert ist<br />

in Bürglen auch der Meieramtsturm der Aebtissin<br />

von Zürich aus dem 13. .Jahrhundert.<br />

Auf sich und seine Maschine gestellt, geht<br />

der Fahrer ins Rennen, mag er im übrigen<br />

auf Weiss-Rot-Grün oder irgendeine Farbe<br />

eingeschworen sein. «Auf sich selber steht er<br />

da ganz allein!» wie es im alten Reiterlied<br />

heisst. «Und setzet er nicht das Leben ein,<br />

nie wird "ihm das Leben gewonnen sein!»<br />

Trägt Stuck oder Chiron oder Caracciola<br />

oder irgendeiner der Grossen vom Volant<br />

Ruhm und Ehre heim, so ist das sein eigenstes<br />

und persönlichstes Verdienst, nicht das<br />

Verdienst einer Nationalmannschaft, die unter<br />

dem Zeichen einer mehr oder Weniger geliebten<br />

Flagge in den Kampf zog. Er auf<br />

seiner Maschine ist Sieger, nicht sein Land.<br />

Unter sich mögen die Trikoloren, die Rennställe<br />

(welch ein Unfug von Wort!), Fabriken<br />

und Equipen ihre nationalen Eigenheiten zu<br />

internationalen Spannungen oder Freundschaften<br />

verdichten, mögen im Sieg eines<br />

weissen Mercedes über einen blauen Bugatti,<br />

im Triumph eines Alfa über einen Maserati<br />

den Triumph ihres Landes und ihrer nationalen<br />

Zugehörigkeit mehr als je auskosten —<br />

die Tausende und Abertausende aber, die<br />

wiederum all der rasenden Maschinen am<br />

Klausen folgen, werden heute, so wenig als<br />

je, eine siegende Nation, sondern immer nur<br />

einen siegenden Menschen anerkennen. Die<br />

Masse verlangt nach Persönlichkeit, nach<br />

persönlichem Heldentum — ob das höher<br />

steht als das auf Kameradschaft eingestellte,<br />

den Einzelnen negierende Kollektiv einer<br />

62<br />

III. Blatt<br />

BERN, 31. Juli <strong>1934</strong><br />

Die Pfarrkirche selber ist ein recht hübscher<br />

Frtihbarockbau.<br />

Nur diese Hinweise genügen schon, um zu<br />

zeigen, dass auch der Klausenfahrer manch<br />

Interessantes rechts und links dieser doch<br />

eigentlich modernen Alpenstrasse zu sehen<br />

bekommt.<br />

Viele werden sich auch schon gefragt haben,<br />

woher überhaupt der Name Klausen<br />

stammt. Und da gibt uns die noch heute bestehende<br />

Ortsbezeichnung «Klus> für den gewaltigen<br />

Felsenzirkus südöstlich des Urnerbodens<br />

einen Fingerzeig. «Klus» kommt von<br />

«clusa», was ein abgeschlossenes Gebiet<br />

bedeutet, und dieses markanteste Landschaftsbild<br />

dieser ganzen Paßstrasse hat<br />

auch dem Klausenpass seinen Namen gegeben.<br />

Früher war der Klausen nur von lokaler<br />

Bedeutung. Wenigen bekannt, fristete er neben<br />

all den andern schweizerischen berühmten<br />

Alpenpässen ein ziemlich bescheidenes<br />

Dasein. Das ist aber in den letzten 12 Jahren<br />

anders geworden. Man kann wohl ohne<br />

Uebertreibung behaupten, dass der Klausenpass<br />

heute der berühmteste schweizerische<br />

Alpenpass ist. Zu diesem Ruhm hat ihm in<br />

allererster Linie das Klausenrennen verholfen.<br />

Weit über die Landesgrenzen hinaus<br />

wurde diese Bergstrecke bekannt, Zehntausende<br />

strömten allein an die Rennen und<br />

weitere zehntausend überfahren heute den<br />

Pass auch zu andern Zeiten, nur um wenig-<br />

Mannschaft, bleibe eine offene Frage — die<br />

Masse verlangt nach einem siegreichen Menschen,<br />

der mehr kann als alle andern, nach<br />

dem Helden! Er ist der Exponent, der Kristall<br />

aller imponierenden Kühnheit, aller<br />

Rasse, aller Bravour. Heisse er Rinaldini,<br />

Teil oder Winnetou, Don Quichote oder Napoleon,<br />

Varzi, Eckener, Mittelholzer oder<br />

Balbo — ihm, dem Ersten, jubelt die Menge<br />

zu — komme er vom Nordkap oder von der<br />

Akropolis.<br />

So steht am Klausen nicht eine Internationale<br />

gegen unsere Nation; nicht ein Dutzend<br />

Nationen kämpfen um den vielberühmten<br />

Preis, wohl aber eine Hundertschaft der<br />

Besten aus aller Herren Länder, unter dem<br />

Einsatz ihrer Persönlichkeit, ihres Lebens.<br />

Wir Schweizer, die wir, obwohl abseits des<br />

internationalen Haders, dem internationalen<br />

Kampf um persönliche Leistungen nie ausgewichen<br />

sind, freuen uns, unsere Kampfarena,<br />

die aus Alpen, Felswänden und Gletschern<br />

erbaute, den Besten aller Nationen<br />

zur Verfügung stellen zu können zum friedlichen<br />

Wettstreit. Möge der Beste den<br />

Siegeslorbeer erringen! Ist es eine Grosse<br />

aus der Internationale — wohlan, wir freuen<br />

uns und gönnen ihm den Preis. Ist es einer<br />

der eigenen Nation — dann stecken wir ihm<br />

(soviel Schweizertum muss man uns schon in<br />

unseren .Bergen lassen) noch ein besonderes<br />

Alpenröslein an den Sturzhelm!<br />

Und nun — slückauf!

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