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BLICKWECHSEL 2018

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Zwischen Trauer und Triumph. Das Jahr 1918 und seine Folgen im östlichen Europa«

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32 WERKE <strong>BLICKWECHSEL</strong><br />

»A SCHÖNE LEICH«<br />

Das Ende der Habsburgermonarchie im Spiegel altösterreichischer Literatur<br />

Zwischen Trauer und Triumph1918<br />

»Am Frieden krank« ist heute noch auf manchem Gedenkstein<br />

von 1919 für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu<br />

lesen. Diese Zeitstimmung bezog sich nicht nur auf den<br />

verlorenen Krieg, sondern auch auf die grundlegenden<br />

Umbrüche, die dieser nach sich zog. Besonders umwälzend<br />

traf es die Donaumonarchie. Das<br />

Vielvölkerreich zerfiel in Nationalstaaten,<br />

in Wien wurde die<br />

Republik ausgerufen, das Frauenwahlrecht<br />

proklamiert, die<br />

Adelsprädikate wurden abgeschafft, die Regimenter aufgelöst,<br />

durch die territoriale Schrumpfung Österreichs und<br />

auch Ungarns geriet Wien zum Wasserkopf und der Bundesadler<br />

von Österreich zerreißt seit 1918 auf dem Wappen<br />

seine Ketten.<br />

Die literarischen Verarbeitungen dieses historischen<br />

Bruchs sind vielfältig. Drei besonders charakteristische Stimmen<br />

– Karl Kraus (* 1874 Gitschin/Jičín; † 1936 Wien), Joseph<br />

Roth (* 1894 Brody; † 1939 Paris) und Alexander Lernet-<br />

Holenia (* 1897 Wien; † 1976 ebenda) – gestalteten den<br />

Untergang der Donaumonarchie bissig, utopisch oder<br />

traumgeleitet-romantisch.<br />

In seinen wenige Tage nach Kriegsende, am<br />

20. November 1918, verfassten Artikeln Weltgericht<br />

und Sintflut beschreibt Karl Kraus mit messerscharfem<br />

Verstand den »Tag, wo die Embleme<br />

und Ornamente der überstandenen Glorie uns<br />

zu übernächtigem Grauen anstarren werden wie<br />

Faschingsmasken und fahle Schminkgesichter bei<br />

Sonnenlicht«. Mit seiner unbestechlichen Beobachtungsgabe<br />

spricht er vom Zusammenbruch<br />

der »staatlichen Rumpelkammern und Kriegskartenhäuser«,<br />

wettert gegen die Ungerechtigkeit<br />

des Krieges, der von Generälen auf den Rücken einfacher<br />

Soldaten ausgetragen wurde, und spricht<br />

sich für einen »Czechenführer« aus, der zusammen<br />

mit seinen Landsleuten einen Krieg ablehnt,<br />

»der als eine Aktion der germanischen gegen die<br />

slawische Rasse ausgebrüllt wurde«. Zwar benennt<br />

»Die kalte Sonne der Habsburger erlosch,<br />

aber es war eine Sonne gewesen.«<br />

Joseph Roth<br />

Kraus in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch Schwächen<br />

des Umbruchs, wenn ihm der Tonwechsel zwischen<br />

dem kaum verklungenen Kriegsgebrüll und einer Revolution,<br />

die »nur mehr Habsbürger gelten« lässt, zu schnell<br />

geht, wenn er diejenigen, »die heute auf Doppeladler Jagd<br />

machen«, mit jenen identisch<br />

erklärt, »die einst das Abreißen<br />

fremdsprachiger Firmentafeln<br />

betrieben haben«, wenn ihm<br />

die überall erschallenden nationalen<br />

Rufe zu »schrill« sind. Aber dennoch beugt er sich<br />

»ehrfürchtig vor dem Wunder dieser Erweckung« weg von<br />

der »schlotterichte[n] Majestät einer gefallenen Kriegsgewalt,<br />

[…] die im Zusammenwirken von Glorie und Schurkerei<br />

gelebt« hat.<br />

Auch Gedichte verfasste er anlässlich des von ihm<br />

»seit zwanzig Jahren« bereits erwarteten Untergangs der<br />

Mo narchie, deren milde Verbannung »in das Schattenreich«<br />

ihn persönlich befreite. Ein Frage-Gedicht<br />

über Kaiser Franz Joseph thematisiert dessen<br />

rätselhafte, nicht greifbare, sich in Widersprüchen<br />

auflösende Erscheinung: »Nie prägte<br />

mächtiger in ihre Zeit / jemals ihr Bild die<br />

Unpersönlichkeit.«<br />

Im österreichischen Sprachgebrauch meint »A schöne Leich« ein<br />

besonders prunkvolles Begräbnis mit ausladendem Trauerpomp<br />

und im Anschluss opulenter Bewirtung. Foto: Kapuzinergruft<br />

in Wien, Sarkophag Kaiser Karls VI., © Welleschik/Wikimedia<br />

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