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BLICKWECHSEL 2018

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Zwischen Trauer und Triumph. Das Jahr 1918 und seine Folgen im östlichen Europa«

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Ausgabe 6<br />

<strong>2018</strong><br />

<strong>BLICKWECHSEL</strong><br />

MENSCHEN<br />

27<br />

ihrer deutschen Minderheit in der Dobrudscha,<br />

aber auch das zunehmende<br />

Auseinanderklaffen der sozialen Schere<br />

erklären, dass die Abwanderung unter<br />

den Dobrudschadeutschen nie gänzlich<br />

zum Stillstand kam.<br />

Es ist bezeichnend, dass für eine<br />

große Zahl der Wanderungswilligen<br />

die Rückkehr in die kulturell-ethnische<br />

Heimat nicht in Frage kam und dem<br />

Sprung ins Ungewisse des amerikanischen<br />

Kontinents der Vorzug gegeben<br />

wurde. Neben der üblichen, landwirtschaftlich<br />

motivierten Familienmigration<br />

gab es in ansteigendem Maße im<br />

20. Jahrhundert auch die individuelle<br />

Arbeitsmigration, die nicht selten in<br />

der prototypischen amerikanischen<br />

success story mündete: Ein Beispiel<br />

hierfür ist der 1929 aus Karamurat nach<br />

Vancouver ausgewanderte Harry Miller,<br />

der zahlreiche solcher Tellerwäscher-<br />

Geschichten ausgewanderter Dobrudschadeutscher<br />

kannte und unter<br />

anderem auch von »Frauen mit zwei<br />

Autos« berichtete.<br />

Eher urbane Ziele hatte auch die<br />

letzte Auswanderungswelle: Ein gutes<br />

Zehntel der 1940 durch die Zwangsumsiedlung<br />

in Folge des Ribbentrop-<br />

Molotow-Pakts »heim ins Reich« geholten<br />

Dobrudschadeutschen ging nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg nach Übersee.<br />

Die gerade bei ihnen sprichwörtlich<br />

gewordene und nie versiegte Sehnsucht<br />

nach der Heimat blieb für viele<br />

unerfüllt. Oder sie entschieden sich für<br />

die radikale Umerfindung des Begriffs<br />

Heimat und wurden zu hybriden Existenzen,<br />

die nun mit Faszination beobachten,<br />

wie ihre vollständig amerikanisierten<br />

Enkel und Urenkel nach einem<br />

verwerfungsvollen 20. Jahrhundert ihre<br />

eigene Herkunft neu entdecken. Die<br />

seit Ende des 19. Jahrhunderts ohne<br />

große Barrieren mögliche kommunikative<br />

Rückbindung an kulturelle<br />

und sprachliche Heimatformationen<br />

erleichterte die Assimilation in die<br />

Gastnation bei gleichzeitigem Erhalt<br />

einer eigenen kulturellen Rumpfidentität.<br />

Die Heimatortsgemeinschaften<br />

(HOGs) sind nur ein Ausdruck dieser<br />

sowohl bewahrenden als auch – bei<br />

den Kinder- und Enkelgenerationen –<br />

wiederentdeckenden Rückbesinnung.<br />

Aus der Perspektive des Raums und<br />

der Wanderungsziele wird deutlich,<br />

dass sich die Dobrudschadeutschen,<br />

die sich für den großen Sprung über<br />

den Atlantik entschieden, durchaus<br />

nicht nur als zu kultureller Selbstaufgabe<br />

bereite, lediglich an der Verbesserung<br />

ihrer wirtschaftlichen Situation<br />

interessierte Migranten zeigten. Identitätskonstrukte,<br />

die sich an der sprachlichen<br />

und kulturellen Herkunft orientierten,<br />

bewirkten eine Konzentration<br />

an bestimmten Siedlungsorten; oft<br />

genug kam es auch vor, dass größere,<br />

aus mehreren Familien bestehende<br />

Verbände auswanderten. Hinzu kamen<br />

bestehende Netzwerkstrukturen, die<br />

bereits bei der Ansiedlung in der Dobrudscha<br />

offenbar geworden waren. Die<br />

Wirksamkeit moderner Kommunikationsformen,<br />

das Postwesen, die blühende<br />

Briefkultur, das Zeitungs- und<br />

Nachrichtenwesen, auch die alsbaldige<br />

preiswerte Verfügbarkeit der Fotografie<br />

trugen zur Vernetztheit mit den in<br />

die Ferne Verschwundenen bei. Zahlreiche<br />

erhaltene Briefe und Fotografien<br />

aus Übersee bezeugen, wie intensiv<br />

die Kontakte der Fortgegangenen<br />

zu den Daheimgebliebenen waren.<br />

Diese kommunikativen Voraussetzungen<br />

– in Verbindung mit hervorragend<br />

Der Weg nach Übersee führte viele Auswanderer<br />

aus Osteuropa über die Häfen von<br />

Hamburg und Bremen. Dampfschiffe etwa<br />

der HAPAG-Reederei konnten große Mengen<br />

an Menschen befördern und machten<br />

die Passage auch für weniger Begüterte<br />

erschwinglich.<br />

organisierten Anwerbestrukturen der<br />

Gastnationen – bewirkten mit, dass so<br />

viele Dobrudschadeutsche sich für das<br />

Leben in der Neuen Welt entschieden.<br />

Thomas Schares<br />

Dr. Thomas Schares ist nach Jahren als<br />

Hochschuldozent im In- und Ausland nun<br />

im Bereich der beruflichen und sprachlichen<br />

Fortbildung für Geflüchtete in Kulmbach<br />

tätig, lebt in Bayreuth und publiziert<br />

zu Themen mit Rumänienbezug und<br />

zu deutschsprachigen Minderheiten in<br />

Südosteuropa.<br />

Nach Übersee. Deutschsprachige Auswanderer<br />

aus dem östlichen Europa um<br />

1900. Hg. vom Deutschen Kulturforum östliches<br />

Europa, Potsdam 2015, ISBN 978-3-<br />

936168-70-9, 5 €

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