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BLICKWECHSEL 2018

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Zwischen Trauer und Triumph. Das Jahr 1918 und seine Folgen im östlichen Europa«

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Zwischen Trauer und Triumph. Das Jahr 1918 und seine Folgen im östlichen Europa«

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Ausgabe 6<br />

<strong>2018</strong><br />

<strong>BLICKWECHSEL</strong><br />

DEUTSCHE GEGEN DEUTSCHE<br />

Zeitzeugenberichte aus Galizien über den Ersten Weltkrieg<br />

»Galizien – ein Land der Gräber und<br />

Kreuze« – mit diesem Zitat Theodor<br />

Zöcklers, das ursprünglich auf den<br />

polnischen Dichter Zygmunt Krasiński<br />

zurückgeht, wird der Landstrich gern<br />

charakterisiert. Ab 1772 österreichisches<br />

Kronland, beherbergte Galizien viele<br />

Völker: allen voran Polen und Ruthenen,<br />

aber auch eine deutsche Minderheit.<br />

Aufgrund seiner Lage zwischen<br />

dem Russischen Kaiserreich und dem<br />

Deutschen Reich war es einer der<br />

Hauptschauplätze des Ersten Weltkriegs.<br />

Durch die Wendungen des<br />

Kriegsgeschehens wurden die Dörfer<br />

gleich mehrfach zerstört. Der ansässigen<br />

Bevölkerung misstrauten beide<br />

Kriegsparteien, es kam zu willkürlichen<br />

Hinrichtungen vermeintlicher Spione<br />

aus der Zivilbevölkerung. Im Archiv<br />

der Galiziendeutschen an der Martin-<br />

Opitz-Bibliothek sind Zeitzeugenberichte<br />

zu finden, in denen diese Situation<br />

beschrieben wird.<br />

Einer davon, datiert auf das Jahr<br />

1915, stammt aus der Feder Dr. Theodor<br />

Zöcklers, des Mitbegründers des<br />

Bundes der christlichen Deutschen<br />

in Galizien. Pfarrer Zöckler stand der<br />

evangelisch-lutherischen Gemeinde<br />

Stanislau (heute Iwano-Frankiwsk) vor<br />

und hinterließ der Nachwelt eine Reihe<br />

von Berichten aus der Zeit der deutschen<br />

Diaspora. Er stammte aus Greifswald<br />

und kam zur Judenmissionierung<br />

nach Galizien, doch bald machte<br />

er das Wohl der Galiziendeutschen<br />

zu seiner Lebensaufgabe. Während<br />

des Ersten Weltkriegs organisierte er<br />

Flüchtlingstrecks und Hilfstransporte.<br />

Zöckler berichtet, wie der befreundete<br />

Pfarrer Schick während der russischen<br />

Besatzung einen desertierten<br />

Deutschrussen versteckte. Deutsche<br />

kämpften gegen Deutsche, auch Polen<br />

und Ruthenen fand man auf beiden Seiten<br />

der Bündnispartner. Das nahende<br />

reichsdeutsche Militär kündigte sich<br />

bereits durch Artilleriedonner an, aber<br />

eigentlich bemerkten die Dorfbewohner<br />

seine Anwesenheit hauptsächlich<br />

dadurch, dass Gefangene durch die<br />

Dörfer getrieben wurden.<br />

Der Zeitzeugenbericht von Therese<br />

Daum (geb. Matthes), niedergeschrieben<br />

1972, erzählt vom Krieg und vom<br />

anschließenden Zurechtfinden in den<br />

Grenzen des wiedererrichteten polnischen<br />

Staates. Das zu Beginn des Krieges<br />

acht Jahre alte Mädchen erlebt die<br />

Zerstörung von Brigidau/Laniwka und<br />

die Plünderungen durch die russischen<br />

Besatzer. Therese erinnert sich an das<br />

Weinen ihrer Mutter und berichtet, wie<br />

ihr Vater, der im k. u. k. Heer gedient<br />

hatte und anschließend in russischer<br />

Gefangenschaft war, ihr nach seiner<br />

Rückkehr nach Kriegsende erklärte:<br />

»Jetzt sind wir keine Deutschen mehr<br />

unter Österreich, jetzt sind wir polnische<br />

Staatsbürger.« Nur zwei Jahrzehnte<br />

später sollte ein neuer Krieg<br />

entflammen. Therese Daums Ehemann<br />

wurde eingezogen – zum Kampf gegen<br />

die anrückenden Deutschen.<br />

Zwischen Trauer und Triumph1918<br />

Dies sind nur zwei Berichte von vielen,<br />

die das Erleben des Krieges aus<br />

der Sicht der galizischen Bevölkerung<br />

zeigen. Gerade den Bewohnern der<br />

Grenzregionen kommt in Kriegszeiten<br />

immer wieder die Rolle des Bollwerks<br />

gegen die feindliche Invasion zu. Doch<br />

ebendiese Menschen sind es auch, die<br />

von beiden Kulturen berührt werden<br />

und häufig sogar beiden Kulturen verbunden<br />

sind.<br />

Florian Paprotny<br />

Florian Paprotny studiert Geschichts- und Medienwissenschaft<br />

an der Ruhr-Universität Bochum.<br />

Erich Müller: Zwei Umbrüche in der<br />

Geschichte der Galiziendeutschen im<br />

20. Jahrhundert. Herne 2016, 16 €<br />

Mutter: Land – Vater: Staat. Loyalitätskonflikte,<br />

politische Neuorientierung und<br />

der Erste Weltkrieg im österreichisch-russländischen<br />

Grenzraum. Hg. v. Florian<br />

Kührer-Wielach u. Markus Winkler,<br />

Regensburg 2017, 29,95 €<br />

▲ Superintendent Theodor Zöckler um 1930,<br />

© Archiv der Galiziendeutschen<br />

Galizisches Ackerland, © Archiv der Galiziendeutschen.<br />

Ein Großteil der Bevölkerung<br />

lebte von der Landwirtschaft. Diese Menschen<br />

traf es besonders, dass verfeindete<br />

Heere wiederholt die Felder zertraten.

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