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BLICKWECHSEL 2018

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Zwischen Trauer und Triumph. Das Jahr 1918 und seine Folgen im östlichen Europa«

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DEFENESTRATION, REBELLION, KONFÖDERATION<br />

Wie in Böhmen vor 400 Jahren der Dreißigjährige Krieg entzündet wurde<br />

Ein Datum, das angesichts des wirkmächtigen Gedenkjahres<br />

1918 unterzugehen droht, ist der zweite Prager Fenstersturz<br />

von 1618, gemeinhin als Beginn des Dreißigjährigen Krieges<br />

angesehen. Was ist eine bewusst inszenierte Defenestration<br />

mit ein paar Schürfwunden und blauen Flecken auch schon<br />

gegen den Zusammenbruch einer scheinbar festgefügten<br />

Welt vor 100 Jahren, für viele heute noch in mittelbarer Erinnerung?<br />

Und doch ist es wichtig, an 1618 zu erinnern, denn<br />

auch damals geriet die Welt aus den Fugen.<br />

Dieser Entwicklung gingen Erbfolgeprobleme und ein<br />

»Bruderzwist« im Hause Habsburg voraus sowie wiederholt<br />

eskalierende Spannungen zwischen protestantischen<br />

und ständischen Interessen einerseits sowie katholischer<br />

und landesherrlicher Politik andererseits.<br />

Erst 1609 hatten die böhmischen<br />

Protestanten durch einen Majestätsbrief<br />

ihre Rechte sichern können,<br />

desgleichen jene Schlesiens,<br />

das seit dem Spätmittelalter<br />

zu den böhmischen Ländern<br />

gehörte. Seither rieben sich<br />

beide Seite unablässig aneinander,<br />

bis Vertreter der<br />

protestantischen Stände am<br />

23. März 1618 auf eine neuerliche<br />

katholische Provokation<br />

hin mit einer Wiederholung<br />

jenes Fenstersturzes reagierten,<br />

der 1419 die Hussitenkriege<br />

ausgelöst hatte. Es sollte ein Symbol<br />

für den Abfall von den Habsburgern<br />

sein, die sich unter Berufung auf die vermeintliche<br />

Superiorität ihrer Religion an keine<br />

Zusage gegenüber den Protestanten gebunden glaubten.<br />

Dem Aufstand der böhmischen Stände schlossen sich<br />

bald die Schlesier an, Mähren musste erst mit einem gewissen<br />

Druck dazu gebracht werden. Es wurden ständische<br />

Regierungen mit weitgehenden Vollmachten eingerichtet.<br />

Im Juli 1619 trat in Prag ein Generallandtag der Stände aller<br />

fünf böhmischen Länder zusammen – neben dem Königreich<br />

Böhmen und dem Herzogtum Schlesien auch die<br />

Markgrafschaften Mähren, Niederlausitz und Oberlausitz.<br />

Die Länder der böhmischen Krone, deren Ständevertreter 1619 die<br />

Confoederatio Bohemica unterzeichneten, bildeten ein fast vollständig<br />

zusammenhängendes Territorium im Osten des Heiligen Römischen<br />

Reichs (Ausschnitt aus Mappa Geographica totius Germaniae<br />

von T. C. Lotter, Wien 1769).<br />

Diese verabschiedeten am 31. Juli mit der Confoederatio<br />

Bohemica,verlesen in tschechischer und in deutscher Sprache,<br />

ein Verfassungskonzept, dessen Umsetzung die mitteleuropäische<br />

Geschichte hätte revolutionieren können. Alle<br />

fünf Länder sollten, eigenständig bleibend, gleichberechtigt<br />

sein und gemeinsam einen König wählen, dem die Stände<br />

als Träger staatlicher Souveränität die Regierungsgeschäfte<br />

übertragen würden.<br />

Die unverzügliche Umsetzung dieses Konzepts mit der<br />

Absetzung des regierenden Habsburgers und der Wahl eines<br />

neuen Königs, nämlich des reformierten Kurfürsten Friedrich<br />

V. von der Pfalz, löste jedoch eine Gegenreaktion der<br />

wiederbelebten katholischen Liga aus. Schon seit dem<br />

Fenstersturz waren die europäischen Höfe in<br />

Aufruhr, befürchteten das Schlimmste<br />

und rüsteten auf. »Diese Sache in<br />

Böhmen wird noch die ganze<br />

Christenheit in Aufruhr versetzen«,<br />

notierte ein englischer<br />

Botschafter, und auch in der<br />

Pfalz ahnte man, dass die<br />

Krönung Friedrichs »einen<br />

allgemeinen Glaubenskrieg<br />

auslösen würde«. Neben<br />

deutschen Fürsten trachteten<br />

ausländische Mächte<br />

mit Nachdruck danach, ihre<br />

Interessen durchzusetzen. Das<br />

habsburgische Spanien reagierte<br />

entschlossen und stellte erfahrene<br />

Truppen sowie beträchtliche Geldmittel<br />

bereit, Venedig und die Republik der<br />

Niederlande verbündeten sich gegen Habsburg,<br />

Savoyen und Siebenbürgen brachten sich auf protestantischer<br />

Seite ein. Allerdings stand das böhmische Heer alleine<br />

da, als es von den vereinigten katholischen Truppen am<br />

8. November 1620 am Weißen Berg bei Prag vollständig aufgerieben<br />

wurde. Das bereitete der Confoederatio Bohemica<br />

und den Ständefreiheiten ein jähes Ende. Es war der blutige<br />

Auftakt nicht nur zu einem gnadenlosen Strafgericht und<br />

zur Errichtung einer absolutistisch-katholischen Herrschaft<br />

der Habsburger, sondern auch zu einem europäischen Völkerkrieg,<br />

ausgetragen in den deutschen Ländern und diese<br />

in weiten Teilen verwüstend und entvölkernd.<br />

Harald Roth<br />

Dr. Harald Roth ist Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa e. V.<br />

( S. 56/57).

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